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Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West

Zusammenfassung Luxus und Luxuria spielten eine Rolle in der Polemik zwischen östlichen und westlichen Christen im Zuge des Trennungsprozesses zwischen den Kirchen des Ostens und der Kirche des Westens. In diesem Beitrag wird exemplarisch nachge-gangen wie in polemischen Schriften östlicher Schriftsteller die liturgische Kleidung westlicher Geistlichen angeprangert wurde. Zur gleichen Zeit wird deutlich, dass diese Schriften für ein östliches Publikum intendiert waren und zwar als Warnung, um bloss nicht wie westliche Christen zu werden. Der Beitrag refl ektiert diese Po-lemik über luxuriöse Kleidung im Rahmen der Bedeutung von sichtbaren Identitäts-merkmale im Rahmen eines Trennungs– und Abgrenzungsprozesses.

TEOLOGIA 1 \ 2014 TEO, ISSN 2247-4382 58 (1), pp. 74-88, 2014 Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West Peter Ben Smit Peter Ben Smit VU University Amsterdam Utrecht University/Old Catholic Seminary E-mail: [email protected] Zusammenfassung Luxus und Luxuria spielten eine Rolle in der Polemik zwischen östlichen und westlichen Christen im Zuge des Trennungsprozesses zwischen den Kirchen des Ostens und der Kirche des Westens. In diesem Beitrag wird exemplarisch nachgegangen wie in polemischen Schriften östlicher Schriftsteller die liturgische Kleidung westlicher Geistlichen angeprangert wurde. Zur gleichen Zeit wird deutlich, dass diese Schriften für ein östliches Publikum intendiert waren und zwar als Warnung, um bloss nicht wie westliche Christen zu werden. Der Beitrag reflektiert diese Polemik über luxuriöse Kleidung im Rahmen der Bedeutung von sichtbaren Identitätsmerkmale im Rahmen eines Trennungs– und Abgrenzungsprozesses. Stichworte Luxus, Schisma, Kleidung, Polemik, östliches Christentum, westliches Christentum, Liturgik. 1. Einführung Jeder der Eco’s Baudolino gelesen hat, wird vom Staunen der Hauptperson über den unglaublichen Luxus Konstantinopels wissen; der von Baudolino 74 STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West gerettete Niketas Choniates lässt nicht nach sogar auf der Flucht, Delikatessen zu verspeisen. Auch die Kunstschätze der Stadt werden ausführlich aufgezählt. Den Leser beschleicht bald der Eindruck, dass Baudolino, bzw. Eco, den Byzantinern zur Zeit des vierten Kreuzzuges (1202-1204) eine beachtliche Dekadenz vorwirft. Wer sich zudem byzantinische liturgische Gewänder aus diesen und späteren Zeiten vergegenwärtigt kann die durch Baudolino vorgetragenen Kritik durchaus nachvollziehen. Es ist auf den ersten Blick darum umso erstaunlicher, dass gerade auch von Seiten byzantinischer Christen der Vorwurf der Dekadenz bzw. der Luxuria gegenüber westlichen Christen gemacht wurde – welche allerdings mit gleicher Münze zurückzahlten.1 Der folgende Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt die Konturen dieses Schlagabtausches kurz darzustellen und ihn im Rahmen des fortschreitenden Abgrenzungsprozesses zwischen den östlichen und westlichen Traditionen des Christentums sowie im Hinblick auf die Bedeutung von Ritualen und ritueller Kleidung zu verorten. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf dem Vorwurf der Luxuria. Hauptsächlich soll es dabei um byzantinische Vorwürfe über zu luxuriöse liturgischen Gewänder im Westen gehen, die von Kolbaba2 und Woodfin3 analysiert worden sind. Diese Beschränkung wurde bewusst gewählt und geschieht, wie ich betonen möchte, lediglich aus Platzgründen. Bevor wir zu den eigentlichen Quellen fortschreiten, ist es aber zunächst sinnvoll, Fragestellung, Definitionen, sowie ein paar Eckdaten des Prozesses der Trennung zwischen „Ost– und Westkirche“ hervorzuheben. 1 2 3 TEOLOGIA 1 \ 2014 * Dieser Beitrag hat seinen Ursprung in einem Vortrag zu “Luxuria und Liturgie”, gehalten im Rahmen der Ringvorlesung des Berner Mittelalterzentrums am 15. April 2010 in Bern. Der Vortragscharakter des Textes wurde beibehalten. Dr. Carolin Früh, Texas A&M University, hat freundlicherweise die sprachliche und stilistische Durchsicht des Textes übernommen. Ein Beispiel hierfür ist der Brief des Papstes Leo IX an Patriarch Michael I Keroularios, worin der Papst dem Patriarch vorwirft (anhand einer Liste von historischen Beispielen), dass Byzantium die Quelle mancher Häresien sei, S. PL 143, Kol. 744B-669D. Vgl. z.B. Adrian Fortescue, The Orthodox Church (London: Sands & Co, 1907), p. 120. Vgl. Tia M. Kolbaba, The Byzantine Lists: Errors of the Latins Illinois Medieval Studies (Urbana: University of Illinois Press, 2000). Warren T. Woodfin, The Embodied Icon: Liturgical Vestments and Sacramental Power in Byzantium (Oxford: Oxford University, 2012). STUDIES AND ARTICLES 75 TEOLOGIA Peter Ben Smit 1 \ 2014 2. Die Trennung der Traditionen als Kontext4 Je nach Darstellung nahm die faktische Trennung zwischen beiden Teilen des Christentums – abgesehen von den sogenannten „Altorientalen“ – schon im 4. Jh. Ihren Anfang. Ein wichtiger Umstand, der zur Verfremdung beider Tradition beitrug, war die sprachliche Entwicklung im Mittelmeerraum: Während im Westen die Griechischkenntnisse rasant abnahmen, erfolgte die parallel entgegengesetzte Entwicklung im Osten mit den dortigen Lateinkenntnissen. Dies beeinträchtigte die gegenseitige Kommunikation signifikant, insbesondere zwischen den Zentren Rom und Konstantinopel. Die Einführung des Lateinischen als Kultsprache im Westen im 4. Jh. (Papst Damasus I., 380) war eine weitere Folge dieser weitreichenden Entwicklung. Die theologischen Diskurse beider Traditionen entwickelten sich gleichzeitig mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Wohingegen das westliche Christentum, sich beispielsweise auf juristische und ekklesiologische Themen oder auch Fragen der Erbsünde konzentrierte, konzentrierte sich das östliche Christentum auf philosophisch-theologische Fragen. Dies führte zum Klischee wonach die Griechen (östliche Christen) die Römer (westliche Christen) als ungebildet und barbarisch betrachteten5 und die Römer die Griechen als hochnäsig und spitzfindig). Darüber hinaus trug die unterschiedliche Entwicklung der Machverhältnisse zwischen Kirche und Staat im Raum der späteren Ostkirche und im Zentralgebiet der späteren Westkirche zur weiteren Spaltung bei: Seit der Verlegung der Hauptstadt des östlichen Imperiums nach Konstantinopel (330) etablierte sich im Osten ein Zusammenspiel von einem Kaiser mit vier Patriarchen, während im Westen eine zentrale politische Macht weitgehend fehlte, sich aber in der Person des Bischofs von Rom eine zentrale kirchliche Autorität kristalisierte war, welche in der Folge immer mehr an politischem Einfluss gewann und zu einem politisch bestimmenden Machtfaktor wurde. Diese Entwicklung wurde durch die Rolle des Papstes als Grundherr des Kirchenstaates (seit König Pippin) verstärkt. Die Krönung Karls des Grossen zum römischen Kaiser durch Papst Leo III (800) stellte in diesem Kontext ein 4 Vgl. z.B. die neuere Darstellung von Henry Chadwick, East and West: The Making of a Rift in the Church: From Apostolic Times until the Council of Florence (Oxford: Oxford University Press, 2005), passim. 5 Zur Konstruktion von lateinischen Häritikern, vgl. z.B. Tia M. Kolbaba, Inventing Latin Heretics: Byzantines and the Filioque in the Ninth Century (Kalamazoo: Medieval Institute Publications, Western Michigan University, 2008). 76 STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West formeller Bruch mit dem östlichen Teil des römischen Reiches dar: Dieser Schritt machte offensichtlich, dass weder der Kaiser Karl der Grosse noch Papst Leo III die Autorität der Regentin Irene von Athen über den byzantinischen bzw. eigentlich römischen Thron anerkannten und deswegen einen neuen Kaiser krönen konnten (das Geschlecht der Regentin, den schlechten Ruf des byzantinischen Hofes, sowie die faktische Macht von Karl dem Grössen spielten dabei eine Rolle). Als Meilenstein im gegenseitigen Zerwürfnis ist das sogenannte „Photius-Schisma“ zu erwähnen (ab 857/862), das von der gegenseitigen Einmischung in internen Angelegenheiten und gegenseitige Exkommunikationen durch den römischen Papst und den Patriarchen von Konstantinopel und ihre weltliche Verbündete und Gegnern gekennzeichnet war. Erst 879 fand eine kurzzeitige Versöhnung statt. Weitere Entfremdungen ergaben sich aus der Begründung des ostfränkisch-deutschen Kaisertums durch Otto I (ab 962), insbesondere bei seiner Expansion nach Süditalien. Schon zu Beginn des 11. Jahrhundert führte die Einführung des „filioque“ zu einer (vorübergehenden) Suspension der liturgischen Kommemoration des Bischofs von Rom in der byzantinischen Liturgie (unter Patriarch Sergius II., um 1011). Hinzu kamen immer mehr äusserliche, bzw. rituelle Unterschiede, die das Thema dieses Beitrages berühren. Darunter fallen im Westen beispielsweise die Einführung des Pflichtzölibats aller Geistlichen (seit der Synode von Pavia von 1022 als Ehelosigkeitszölibat), die Verwendung ungesäuertem Brot für die Eucharistie im Westen, während im Osten wurde gesäuertes Brot in der Eucharistie verwendet. Das nächste zu beachtende Datum der Trennungsgeschichte zwischen Ost und West ist das Jahr des sgn. „grosse Schisma“ 1054. Der direkte politische Hintergrund dieses sogenannten „grossen Schismas“ bildete die Bedingung, die Papst Leo IX an die militärische Hilfe für die byzantinische Provinz in Süditalien knüpfte: Er forderte die Übernahme des lateinischen anstatt des byzantischen Ritus in diesen Gebieten. In Konstantinopel führte dies zur Forderung, dass alle dortigen lateinische Kirchen den östlichen Ritus übernehmen sollten (was bei Weigerung zur Schliessung der jeweiligen Kirche führte). Die – gelinde gesagt – wenig irenische Verhandlungen des päpstlichen Legaten Humbert von Silva Candida in Konstantinopel führt in diesem Kontext zur formellen Exkommunikation des Patriarchen Kerullarios und weiterer Geistlichen, die mit allen erdenklichen Vorwürfen, darunter auch solche, die mit dem Ritus zu tun hatSTUDIES AND ARTICLES TEOLOGIA 1 \ 2014 77 TEOLOGIA 1 \ 2014 Peter Ben Smit ten, aber auch jene welche auf den päpstlichen Juridiktionsanspruch über Konstantinopel abzielten, begründet wurden. Humbert und seine Begleiter wurden nach ihrer hastigen Abreise umgehend von Kerullarios und einem Konzil exkommuniziert. Eine Folge dieser Ereignisse war, dass in den darauffolgenden Jahrzehnten keine engeren Beziehungen mehr zwischen diesen beiden Teilen des Christentums existierten. Die weiterhin bestehenden Probleme in Süditalien, der Primatsanspruchs des Papstes, der erste Kreuzzug (1096-1099) mitsamt dem damit verbundenen Eindringen westlicher Christen in östlich geprägte Gebiete, sowie die Opposition gegen den Kreuzzug von Seiten der byzantinischen Kirche, trugen dazu bei, dass sich aus dem Vorfall von 1054 eine bleibende Trennung entwickelte. Diese Trennung wurde durch die Plünderung Konstantinopels im Rahmen des vierten Kreuzzuges (1204) weiter zementiert. Trotzdem versuchte das zweite Konzil von Lyon (1274) eine Einigung zu erlangen, was nach einer kurzen Annäherung um 1369 (Manuel II Palaiologus), am Konzil von Florenz (bzw. Basel – Ferrara – Florenz) in 1439 noch einmal wiederholt wurde; letztendlich scheiterten aber alle diese Versuche. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte verstärkte sich die Trennung unter anderem durch die Politik der Kirchenunionen von Seiten des Vatikans und dem Verbot der Glaubenskongregation von 1729 . Diese untersagte jegliche „communicatio in sacris“ mit östlichen Christen, die Antwort des Patriarchen von Konstantinopel darauf folgte in der faktischen Gleichsetzung von westlichen Christen mit Ungetauften. Schritte zur Versöhnung zwischen der katholischen Tradition des Westens und der östlichen Tradition gibt es in einem beachtlichen Umfang erst wieder seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. 3. Die Debatte über die liturgischen Gewänder 3.1. Eine Dynamik der Abgrenzung Bei jeder schmerzlichen Trennung, wie auch immer sie sich in Detail entwickelt, entsteht eine Dynamik der Abgrenzung zwischen beiden Parteien. Es entwickeln sich dabei neue „identity markers“ bzw. „boundary markers“, die, je nach der Ansicht der verschiedenen Akteure mehr oder weniger entscheidend sind. Von besonderer Bedeutung sind dabei immer 78 STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West sichtbare Unterschiede: Eine andere Glaubenslehre ist zwar sachlich und inhaltlich anders, aber nicht unmittelbar fassbar. Unterschiedliche z.B. rituelle Bräuche, gerade aufgrund ihrer deutlichen Sichtbarkeit eignen sich viel besser, um den Unterschied zweier Gruppen zu markieren. Liturgische Gewänder sind dabei genau ein solches sichtbares Identitätsmerkmal, das sich für eine Dynamik der Abgrenzung eignet. Dass Identität so weitgehend symbolisch und rituell markiert wird, dürfte auch im 21. Jahrhundert einleuchten, sobald wir uns den Umgang mit modernen „identity markers“ wie Kopftücher, welche als Teil einer rituellen Identität aufgefasst werden, in Erinnerung rufen. Identität besteht eben nicht nur aus bestimmten Ansichten und Meinungen, sondern vor allem auch aus einer Praxis, bzw. einer bestimmten Lebensführung, die immer auch äusserliche Zeichen oder “marker” mit sich bringen. Die verschiedenen Teile einer bestimmten Lebenspraxis, die als Ganze immer auch als mehr oder weniger stark ausgeprägtes Ritual aufgefasst und interpretiert werden kann, sowie auch Rituale im engeren Sinne, z.B. die kirchliche Liturgie, sind Träger von Bedeutung und Identität. In der unmittelbaren Abgrenzung zweier Gruppe, gerade wenn sie einer zunächst gemeinsamen Geschichte entspringen liegt es auf der Hand, dass rituelle Unterschiede zu einem prominenten Schauplatz werden. Die als illegitim betrachtete Andersheit der „Gegenpartei“ wird in den abweichenden Riten des Anderen lokalisiert, welche als Träger irriger Auffassungen gesehen werden. Ein Beispiel dürfte dies verdeutlichen: TEOLOGIA 1 \ 2014 Nach dem orthodoxen Ritus, wird der Wein für die Eucharistiefeier mit warmem Wasser gemischt („Zeon“, pbs). Indem sie Wasser dem Wein beimischt, macht die Orthodoxie das Gleiche wie syrische Monophysiten, Katholiken, Anglikaner und andere. Aber indem sie darauf besteht, dass das Wasser warm sein soll, sind die Orthodoxen anders. In der frühen byzantinischen Interpretation dieses Brauches (des Zeons, pbs) wird die Wärme des Wassers folgendermassen erklärt. In erster Linie wird das Wasser, das dem Wein beigemischt wird, als ein Symbol des Todes und der Vergänglichkeit gesehen. Diese Interpretation ermöglicht eine Verurteilung des armenischen Ritus, in welchem ungemischter Wein auf Grund der Überlegung verwendet wird, dass die nicht-Verwendung von Wasser die Verweigerung symbolisiert, die Wirklichkeit des Todes Christi anzuerkennen. Tod und Vergänglichkeit sind aber natürlich nicht alles. Christus STUDIES AND ARTICLES 79 TEOLOGIA 1 \ 2014 Peter Ben Smit ist von den Toten auferstanden. Nach orthodoxer Lehre war diese Auferstehung ein Akt des Heiligen Geistes. Die Wärme des Wassers symbolisiert diese geistliche Tat, weil das Feuer, das verwendet wurde, um das Wasser zu wärmen, das Feuer des Heiligen Geistes symbolisiert. (…) Das Fehlen von Wasser symbolisiert so eine theologische Irrlehre bezüglich der Menschlichkeit Christi. Kaltes Wasser symbolisiert eine theologische Irrlehre bezüglich der Rolle des Heiligen Geistes in der Auferstehung. Warmes Wasser dagegen symbolisiert alle Elemente der rechten Lehre: Christi wirkliche Menschlichkeit und die wärmende Gegenwart des Heiligen Geistes in der Auferstehung.6 Obwohl das soeben angeführte Beispiel das zunächst etwas weit her geholt erscheinen mag, ist dies für die Welt des byzantinischen Reiches nicht der Fall: die theologische und symbolische Deutung von Ritualen ging hier besonders weit. Damit ist die Frage der rituell konstituierten und ausgedrückten Identität von immenser Bedeutung für das heutige Thema, welches damit auch keine kleine Nebensache anspricht – es geht nicht bloss um Kleidung – sondern ein Thema, das eine wesentliche Frage interkultureller Auseinandersetzung anspricht. Allerdings ist dabei fest zu halten, dass bei weitem nicht alle Theologen auf Byzantinischer Seite sämtliche „Vergehen“ des lateinischen Westens als gleichermassen schwerwiegend einstuften. Häufig wurde ver6 80 „In the orthodox rite, the wine of the Eucharist is mixed with warm water. In mixing water with wine, the Orthodox do what Syrian Monophysites, Catholics, Anglicans, and others do. But in insisting that the water be warm, the Orthodox are different. In early Byzantine interpretations of the Zeon, the warmth is explained as follows. First, the water added to the wine is a symbol of death and corruption. This interpretation allows condemnation of the Armenian rite, which uses unmixed win, on the grounds that lack of water symbolizes a refusal to acknowledge the reality of Christ’s death. But, of course, death and corruption are not the whole story. Christ rose from the dead. According to Orthodox doctrine, that Resurrection was an action of the Holy Spirit. The warmth of the water symbolizes this spiritual action because the fire used to warm the water symbolizes the fire of the Holy Spirit. In this interpretation, then, as in Germanos’s original interpretation of the censer, the rite is a symbol of theological truths. No water symbolizes theological error regarding the humanity of Christ. Cold water symbolizes theological error regarding the role of the Holy Spirit in the Resurrection. Warm water symbolizes all elements of right doctrine – Christ’s true humanity and the warming presence of the Holy Spirit at the Resurrection.” (Kolbabin, Lists, p. 114-115). STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West sucht, zwischen wirklich schwerwiegenden Verfehlungen, z.B. bezüglich der Gotteslehre („filioque“) und weniger schwerwiegenden, z.B. auch bezüglich der liturgischen Gewandung, zu unterscheiden.7 TEOLOGIA 1 \ 2014 3.1.1. Der Vorwurf der Luxuria und die aktuelle Quellenlage Die Quellen, worauf ich mich beziehen werde, bestehen aus Listen, die im Laufe der verschiedenen Auseinandersetzungen zusammengestellt wurden.8 Zum Teil wurden sie von prominenten Theologen verfasst, in anderen Fällen aber auch von anonymen Autoren. Die Listen dürften nicht nur für eine lateinische Leserschaft, aus welcher sich die westlichen Christen zusammensetzten, intendiert gewesen sein. Die griechische Sprache, in der sie verfasst wurden macht dies wenig naheliegend. Sondern vielmehr für das eigene griechisch sprechende östlichen Christentum zur Sicherung der eigenen Position, aber auch in Einzelfällen zur wertvollen Korrektur der eigenen Praxis.9 Als Quelle betrachtet sind die Listen darüber hinaus auch deswegen für den Historiker interessant, weil sie über eine längeren Zeitraum verfasst und verwendet wurden und sich dennoch in einer nahezu konstanten inhaltlichen Auseinandersetzung präsentieren. Die Frage der ausschweifenden oder (zu) luxuriösen liturgischer Kleidung ist Gegenstand in über der Hälfte aller erhaltenen Listen.10 Luxus verstehe ich hier als ein Exzess an Konsumgüter bzw. als ein exzessiver Lebensstil.11 Luxuria bzw. das entsprechende griechische Wortfeld, verstehe ich als Verlangen nach Luxus, Gier, das heisst: als Genusssucht.12 In den oben genannten Listen wird Luxus, wie soeben definiert, 7 Vgl. z.B. Kolbabin, Lists. Für eine Übersicht, vgl. Kolbabin, Lists, p. 23-31. 9 Vgl. Kolbabin, Lists, p. 23-31. 10 Vgl. Kolbabin, Lists, p. 2-72, bes. 61-62, für einen Überblick über die Inhalt der Listen. 11 Vgl. z.B. M. Corbier, ‘Luxus,’ DNP 7 (1999), p. 534-536. Für einen neueren Beitrag aus der Perspektive der neutestamentlichen Wissenschaft, vgl. z.B. A. J. Batten, ‚Neither Gold nor Braided Hair (1 Timothy 2.9; 1 Peter 3.3): Adornment, Gender and Honour in Antiquity,‘ NTS 55 (2009), p. 484-501. 12 Vgl. auch A. J. B. Sirks, ,Luxuriosus: losbol, zwelger, dandy,‘ in: L. de Ligt, J. de Ruiter, E. Slob, J. M. Tevel, M. van de Vrugt, L. C. Winkel, L. C. (Hgg.), Viva vox iuris Romani. Essays in honour of Johannes Emil Spruit (Amsterdam: Gieben, 2003), p. 257-266, sowie im Allgemeinen: A. Dalby, Empire of Pleasures. Luxury and Indulgence in the Roman World (London: Routledge, 2000), J.-N. Robert, Les plaisirs à Rome (Paris: Les Belles Lettres, 2001). 8 STUDIES AND ARTICLES 81 TEOLOGIA 1 \ 2014 Peter Ben Smit angeprangert, aber mit einer Begrifflichkeit, die den Vorwurf der Luxuria impliziert; das heisst, es wird nicht nur behauptet, dass luxuriöse liturgische Gewänder verwendet werden, sondern auch, dass diese Gewänder ein Ausdruck von Genusssucht und daher von moralischer Schwäche sind. Zur allgemeinen Verständlichkeit verwende ich im weiteren Verlauf die lateinischen Begrifflichkeit von Luxus und Luxuria. 3.2. Liturgische Kleidung: Eine gemeinsame Grundlage Im orthodoxen (und z.T. ökumenischen) Kirchenrecht begegnet man wiederholt der Vorschrift, dass liturgische Gewänder einfach, und aus Wolle hergestellt sein sollen und nicht ausserhalb der Liturgie verwendet werden dürften13. Kanon 27 vom (nur im Osten anerkannten) Konzil von Trullo (692) schrieb in dieser Tradition vor, dass Geistliche keine „unangebrachte“ Kleidung tragen sollten. Kanon 16 vom 2. Konzil von Nicäa (787) dagegen, welches im Kontext des Ikonenstreites zu sehen ist, ist dabei viel ausführlicher:14 Aller äußerlicher Luxus und Schmuck verträgt sich nicht mit dem priesterlichen Stand. Die Bischöfe oder Kleriker, die sich mit prächtigen und auffälligen Kleidern schmücken, müssen also zurechtgewiesen werden. Wenn sie dabei verbleiben, werden sie bestraft. Ebenso ist mit denen zu verfahren, die sich mit Duftöl salben. Nun ist die Häresie der Christusankläger – eine wachsende Wurzel der Bitterkeit – zu einem Schandfleck in der katholischen Kirche geworden, und die, die sich ihr anschlossen, verabscheuten nicht nur die gemalten Bilder, sondern wiesen überhaupt jede Frömmigkeit zurück. Sie nahmen Anstoß an denen, die heilig und fromm leben, und so hat sich an ihnen das Schriftwort erfüllt, „Dem Sünder ist die Gottesfurcht ein Greuel“. (Sir 1, 25 LXX) Sollte sich zudem herausstellen, daß sie über solche lachen, die ein schlichtes und heiliges Gewand tragen, werden sie durch Strafe zurechtgewiesen; denn von alters her begnüge sich jeder Angehörige der Priesterschaft mit einem schlichten und heiligen Gewand. Denn alles, was man, nicht weil man es braucht, sondern um sich damit zu schmücken, anlegt, steht unter der Anklage der „Eitelkeit“, wie der große Basilius sagte. 13 14 82 Vgl. Woodfin, Icon, p. 39. Für den Text, s.: Joseph Wohlmuth, Konzilien des ersten Jahrtausends. Vom Konzil von Nizäa (325) bis zum Vierten Konzil von Konstantinopel (869/70) Conciliorum Oecumenicorum Decreta 1 (Paderborn: Schönigh, 1998), p. 150-151. STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West (Bas. von Cäsarea, Reg. fus. tract. 22, PG 31, 977) Auch trug niemand ein buntgewirktes Gewand aus Seidengewebe, und man setzt an den Gewandsäumen keine andersfarbigen Verzierungen an. Denn sie hatten aus göttlichem Mund vernommen: „Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige“ (Mt 11, 8) Die Stossrichtung, die von diesem Kanon vorgegeben wird, wird auch in der weiteren kanonischen Tradition des Byzantiums weitergepflegt, z.B. von den Kanonisten Balsamon und Zonaras im 12. Jh., die festlegten, dass die Bestimmung über „unangebrachte“ Kleidung sich nicht nur auf besonders luxuriösen Kleidung beziehe, sondern auch auf Kleidung von anderen sozialen Gruppen (wie Soldaten, usw.). In dem Gebiet um Kiev, wo sich eine eigene Ausprägung der Orthodoxie entwickelte, setzt sich diese Sichtweise ebenfalls durch. Johannes II. von Kiev (Metropolit 1077-1089) beispielsweise, kommt mehrmals in seinem kirchenrechtlichen Entwurf auf die Verwendung von seidenen Gewändern zu sprechen – und warnt vor deren Verwendung. TEOLOGIA 1 \ 2014 3.2.1. Vorwürfe 3.2.1.1. Beispiele von Vorwürfen Was war aus byzantinischer Sicht nun anstössig – weil zu luxuriös – an der westlichen Praxis? Es lassen sich mehrere Beispiele anführen. So echauffierte sich der Patriarch Michael I. Kerrularios, der ohnehin wenig Grund hatte, sich mit der westlichen Tradition anzufreunden, besonders über die Gewohnheit westlicher Bischöfe, Ringe zu tragen auf. Theophyaktus von Ochrid (Erzbischof von Ochrid, 1091-1109) bezieht sich auf ähnliche Vorwürfe, die er als weitgehend verbreitet betrachtet, und fügt hinzu, dass dies auch für die (anstössige) Verwendung von mehrfarbigen Gewändern aus Seide zutrifft, was von einem Theologen wie Meletios Homologetes (Mitte des 13. Jh.) bestätigt wird. Auch Constantinus Stilbes (um 1200) erwähnte viele dieser Beschwerden,15 indem er schreibt: Der Papst und seine Vertreter tragen eine Kopfbedeckung und einen Mantel, welche sich für eine Frau eignen, sowie weitere Dinge, die dem alten Gesetz entsprechen. Darüber hinaus ist ihr priesterliches Gewand nicht aus Wolle gemacht, für Christus, der wie ein Lamm geschlachtet wurde, sondern aus seidenen Fasern und mit vielen verschiedenen Farben. Sie 15 Vgl. Kolbaba, Lists, p. 196. STUDIES AND ARTICLES 83 TEOLOGIA 1 \ 2014 Peter Ben Smit tragen auch Handschuhe an beide Händen, während sie die Eucharistie feiern: auf der Rechten zeichnen sie eine Hand, als ob sie aus einer Wolke kommt, und auf der Linken das Lamm Gottes.16 Es scheint mir, dass hier der Vorwurf vorliegt, dass die Verwendung von luxuriösen liturgischen Gewändern zum Laster der Luxuria geführt habe, welche traditionell auch mit Weiblichkeit, bzw. Unmännlichkeit verbunden war. Die theologische Begründung durch die Bezugnahme auf das „alte Gesetz“ wird in der Regel erst im Nachhinein angefügt. Die Frage der Schafswolle und anderer gefärbter Stoffen hat in etwa die gleiche Struktur. Die Andersheit lateinischer Gewänder führte auch dazu, dass die allfällige Verwendung solcher Kleidung bei individuellen orthodoxen Geistlichen, sofort als Zeichen westlicher Orientierung gewertet wurde. In einer Zeit, in welcher mancher lieber mit „Türken“ als mit Lateiner vorliebnahm – „besser ist es, den Turban der Türken in Konstantinopel zu sehen als die Mitra der Lateiner“ – ist der Vorwurf aus der Schrift „Panagiotae cum azymita disputatio“ (2. Hälfte des 13. Jh.) an die Adresse des unionsorientierten Patriarchen Johannes Bekkos (+ 1297) leicht nachvollziehbar: seine Verwendung einer Mitra und eines Ringes sah diese Schrift als Zeichen seines Gehorsams gegenüber dem Papst an. 3.2.2. Selbstkritik und Begründung der eigenen Praxis Der, wenigstens scheinbare, Widerspruch zwischen Theorie, bzw. Kirchenrecht, und liturgische Praxis im byzantinischen Bereich ist allerdings auch Zeitgenossen nicht verborgen geblieben. Die Zahl der Stimmen, die sich kritisch über die westliche Praxis äussert, ist jedoch weit grösser als die Anzahl derjenigen, die sich auf die „Misstände“ in den eigenen Reihen konzentriert. Es gibt aber eine Reihe von beachtlichen Ausnahmen, worunter Peter von Antiochien (Patriarch 1028-1051) fällt, der gegenüber dem „Hardliner“ Michael Keroularios (1000-1059, Patriarch von Konstantinopel 1043 – 1059) betonte, dass auch die Byzantiner seidene Gewänder verwenden. Erwähnenswert ist auch Theodorus Balsamon (1140 in Konstantinopel, † ebendort nach 1195), der die Missachtung von Kanon 16 des 2. Konzils von Nizäa durch seine Zeitgenossen folgendermassen kommentiert: 16 84 Vgl. Jean Darrouzès, ‘Le mémoire de Constantin Stilbès contre les Latins,’ “Revue des études byzantines” 21 (1963), p. 50-100, 77-79. STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West Es wird (heutzutage) angesichts von Geistlichen, welche herrlich in Gewändern aus Samt gekleidet sind, die nicht nur verschieden farbige Säume, sondern auch Verschönerungen (aus Gold), darunter Beschriftungen aus kostbarem Gold tragen, und die (vom Kanon) verurteilt werden, behauptet, dass der Kanon nicht mehr zutrifft, wenn, durch die Gnade Gottes, gute Ordnung und Frömmigkeit in der Kirche herrscht und die Geistlichen zur grösseren Ehre Gottes ihren Dienst in herrlichen Gewändern verrichten, da der Kanon damals, um der Respektlosigkeit der Geistlichkeit (während des Ikonenstreites) zu begegnen, promulgiert wurde. Der Kanon allerdings ist universell gültig und sein Inhalt soll bis in alle Ewigkeit bestand haben und in Kraft bleiben. Diejenigen aber, die diesem Kanon zuwider handeln werden zurecht bestraft, sofern sie sich nicht bessern wollen.17 (Theodorus Balsamon, 1140 – nach 1195) TEOLOGIA 1 \ 2014 Dieses Zitat lässt sowohl die Stimme der Befürworter prächtiger liturgischer Gewänder zu Wort kommen – dass anders als im 8. Jh., die Verwendung von prächtigen Gewändern erlaubt sei, weil es mit der Ordnung und der Frömmigkeit der Kirche gut steht, und sie zur grösseren Verherrlichung Gottes beiträgt –, wie auch Stimme eines Kritikers: die Kanones seien ewig gültig, d.h. also auch im 13. Jh. seien prächtige Gewänder nicht gestattet.18 Es lässt sich nun bezüglich dieses Befundes weiterfragen: Was wird den barbarischen Römern, und als „Zwischenpersonen“ denjenigen, die zu luxuriösen liturgischen Gewändern tragen, nun eigentlich inhaltlich vorgeworfen? Ist eine Lesart dieses rituellen „Misstandes“ auf der Art und Weise des oben erwähnten „Zeons“ (die Beimischung warmem Wassers zum Wein in der Eucharistiefeier) möglich? Zu diesem Zweck ist es nun sinnvoll, sich der Frage von Luxus und Luxuria in den Vorwürfen gezielt zuzuwenden. 3.2.3. Luxus und Luxuria in den Vorwürfen In den Vorwürfen kommt neben dem formalen Vorwurf, dass diese schönen Gewändern nicht den Kanones der ökumenischen Konzilen entsprechen, wie gerade erläutert, faktisch auch der Vorwurf der Luxuria vor. Luxuria wird allerdings nicht direkt angesprochen. Dass es aber trotzdem 17 18 Vgl. Woodfin, Icon, p. 40. Vgl. Woodfin, Icon, p. 40. STUDIES AND ARTICLES 85 TEOLOGIA 1 \ 2014 Peter Ben Smit sehr wohl um Prunksucht, bzw. Genusssucht geht, lässt sich aus zwei Bemerkungen aus dem schon zitierten Texten schliessen. Erstens wird dem Papst und seinen Stellvertretern vorgeworfen, dass sie Kleider tragen, die einer Frau besser entsprechen würden, zweitens berufen sich die Befürworter der luxuriösen liturgischen Gewänder berufen, dass das Verbot dieser Gewänder aus einer Zeit der Unordnung, nämlich der ikonoklastischen Auseinandersetzungen, stammen und, da nun Ordnung herrsche, sie wieder getragen werden dürften. Der Autor der Liste ist offenkundig anderer Meinung und sieht die Luxussucht gewisser Geistlichen, die zudem noch die Kanones missachten, durchaus als destabilisierend und gefährlich an. Luxuria als Laster hat eben aber genau mit den zeitgenössischen Diskursen über Stabilität und Gender zu tun, da sie, im Gegensatz zur Tugend, zum Verlust der Selbstkontrolle führt (wie im nächsten Abschnitt noch näher erläutert werden wird) und damit zum Verlust der Stabilität auf gesellschaftlicher Ebene. Damit sind wir bei der Frage angekommen, was nun der genaue Inhalt des Luxus-, bzw. Luxuria-Vorwurfes ist. 3.2.4. Das Problem von Luxus und Luxuria Die hier soeben zitierten Vorwürfe sind nicht sonderlich ausführlich, wenn es darum geht, die Abweisung des Luxus der Lateiner zu begründen. Nichtsdestotrotz können verschiedene Elemente angedeutet werden. Erstens werden die Lateiner als diejenige dargestellt, die gegen althergebrachte Bräuche und besonders gegen die Entscheidungen der ökumenischen Konzile verstossen. Dies ist sowohl ein formaler Grund (da ein Konzil offenkundig nicht anerkannt wird) aber hat auch eine inhaltliche Dimension, denn es wird den Lateinern einen inhaltlichen Bruch mit der Tradition vorgeworfen. Bei manchen Autoren, die sich diesbezüglich äussern, steht dabei im Raum, dass sie vermuten, dass die Lateiner nicht genügend informiert sind; sie wurden als „dumme Barbaren“ betrachtet. Es lohnt sich aber nicht bei diesem formalen Grund und der angeblichen Unwissenheit der Lateiner stehenzubleiben, sondern nach weiteren Hintergründen zu fragen. Zweitens tritt der Topos der Abweisung von Luxus regelmässig in der asketischen Literatur byzantinischer Theologen auf. Sie setzen damit eine breite antike und hellenistische philosophisch-asketische Tradition fort, die vom Christentum rezipiert worden ist. Westliches und östliches Christentum teilen damit weitgehend die gleichen Ansichten. Da, wie schon ange- 86 STUDIES AND ARTICLES Die Dekadenz der Anderen: Luxuria zwischen Ost und West deutet, die hier zitierten Schriften nicht unbedingt für lateinische Lektüre gedacht waren, sondern eher für ein byzantinischen Publikum, lässt sich schnell vermuten, dass ein Teil ihrer Agenda die Durchsetzung einer eher asketisch ausgerichteten und in mancherlei Hinsicht auch eher konservativ orientierten Variante des Christentums war. Drittens spielt Luxus (und Luxuria – meist noch vor der semantischen Verschiebung zur Bedeutung „Wohllust“) in der soeben erwähnten asketischen Literatur eine Rolle, weil Luxus (und implizierte Luxuria) Ausdruck von dem Verlust der Selbstkontrolle ist. Dort wo Luxus Exzess bezeichnet, bezeichnet Luxuria die Ausrichtung auf und sogar die Abhängigkeit von Luxus, was sich in der allmählichen Bedeutungsverschiebung dieses Wortes zu „porneia“ niederschlägt. Verlust der Selbstkontrolle entspricht dem Verlust der Würde. Verlust der Selbstkontrolle stellte dabei nicht nur ein spirituelles Problem oder ein Problem kirchlicher Zucht dar, sondern, aufgrund der äusserst enge Verbindung (Harmoneia) zwischen Staat und Kirche in Byzantium, auch eine direkte Gefahr für die gesellschaftliche Stabilität. Der Luxus, bzw. Luxuria-Vorwurf der byzantinischen Listen an die Adresse der „barbarischen Römer“ und ihrer Gewänder, womit eigentlich aber byzantinischen Christen angesprochen wurden, lässt, aufgrund der obigen Überlegungen und in Analogie zur Interpretation des „Zeons“ folgende zusammenfassende Interpretation zu: Als „Barbaren“ sind die Lateiner bezüglich der Tradition unwissend und haben eine mangelhafte Kontrolle über ihre Regungen.19 Dies führt dazu, dass sie aufgrund des Lasters der Luxuria auch dem Exzess (Luxus) keine Widerstand leisten können. Dementsprechend kleiden sich ihre Geistliche nicht entsprechend der (asketischen) Tradition, sondern (zu) luxuriös, was zum Verlust ihrer Würde führt. Weitere (gesellschaftliche) Unordnung liegt auf der Lauer. Als solche sind die Lateiner an und für sich abstossend, sie sind aber auch ein warnendes Beispiel an die Adresse der Byzantiner: wenn diese ihre gesellschaftliche Ordnung und Stabilität bewahren möchten – ein Leitmotiv byzantinischen Denkens – dann liegt es auf der Hand, bei den althergebrachten Weisungen zu bleiben, Regungen unter Kontrolle zu halten und ein geordnetes Leben zu führen, eben gerade nicht so wie die Lateiner es tun. 19 TEOLOGIA 1 \ 2014 Vgl. z.B. Peter Heather, ‚The Barbarian in Late Antiquity. Image, Reality and Transformation,’ in: Richard Miles (ed.), Constructing Identities in Late Antiquity (Routledge: London, 1999), p. 234-258. STUDIES AND ARTICLES 87 TEOLOGIA Peter Ben Smit 1 \ 2014 4. Fazit: Andersheit Obwohl sowohl aus heutiger Perspektive wie auch aus der zeitgenössischen Perspektive, die faktischen Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Praxis bezüglich liturgischer Kleidung sich während des Trennungsprozesses zwischen lateinischem und byzantinischem Christentum in Grenzen hielt, kam es nicht desto trotz zu gegenseitigen Vorwürfe, wovon hier vor allem die (populäre) byzantische Variante exemplarisch berücksichtig wurde. Diese Vorwürfe scheinen in dem Kontext des rituellen und symbolischen Universums des Byzantiums eine doppelte Funktion gehabt zu haben. Erstens funktionierten sie im Kontext des Trennungsprozesses vom lateinischen Christentum als eine Art der Absicherung der eigenen Position: die eigene Tradition blieb der ursprünglichen Tradition treu, sowohl was den Buchstaben, wie auch was dem Geist (der Selbstkontrolle) betraf. Zweitens funktionierten sie als kritische Reflexion auf die eigene Praxis: auch im eigenen Haus musste die Treue zur ursprünglichen Tradition gewahrt bleiben. 88 STUDIES AND ARTICLES