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Neunzehntes Kapitel. 
Meine Flucht

{#Kapitel_neunzehn .unnumbered }

::: justified

:::: { .fs-xxs } Meine Führer Seki Belal und Hamed ebn Hussein. — Ein Zwischenfall. — Die Kamele versagen. — Das Versteck im Gilf-Gebirge. — Ankunft der frischen Kamele. — Abstieg zum Nil. — Uebersetzung des Flusses. — Schwierigkeiten mit den neuen Führern. — Hamed Garhosch. — Außer Gefahr. — Endlich in Assuan. — Ankunft in Kairo.

::::

Es war am 20. Februar 1895, drei Stunden nach Sonnenuntergang. Der Chalifa hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen. Eine weitere Stunde war ohne Störung verflossen, mein gestrenger Herr hatte sich zur Ruhe begeben.

Ich stand auf, nahm Farrua und Ferda auf die Schulter und ging über den Betplatz auf der von Omderman nach Norden führenden Straße. Ich hörte ein leises Räuspern, das Zeichen Mohamed's; ich stand still. Er hatte einen Reitesel gebracht, ich stieg auf. Vorwärts!

Die Nacht war dunkel; der kalte Nordwind hatte die Leute in ihre Hütten und Häuser getrieben. Ohne jemand zu begegnen, langten wir am Ende der Stadt bei einem abseits vom Wege gelegenen verfallenen Häuschen an; ein Mann zog ein gesatteltes Kamel heraus.

„Dieser ist einer deiner Führer, Namens Seki Belal“, sagte Mohamed, „er wird dich sogleich zu den in der Steppe verborgenen Reitthieren bringen — schnell! Glückliche Reise! Gott schütze dich!“

Seki Belal sprang in den Sattel, ich setzte mich rittlings hinter ihn. Nach nahezu einstündigem Ritte kamen wir bei den zwischen kleinen Bäumen verborgenen Kamelen an, der zweite Führer erwartete uns. Alles war bereit, ich bestieg das mir angewiesene Thier.

Ich erinnerte mich an die Aetherpillen, die ich Mohamed übergeben hatte.

„Seki“, sagte ich, „hat dir Mohamed die Arzneien gegeben?“

„Nein; was für Arzneien?“

„Man nennt sie Aetherpillen, sie vertreiben den Schlaf und stärken den Menschen auf der Reise.“

Er lachte. „Schlaf? Mache dir keine Sorge, die Angst ist guter Leute Kind, die wird uns den Schlaf vertreiben, und Gott in seiner Barmherzigkeit wird uns stärken.“ Der Mann hatte recht.

Wir ritten in nördlicher Richtung; das in Büscheln stehende Hartgras und die stellenweise dichtstehenden Mimosenbäume hinderten in der Finsterniß die Thiere am schnellen Fortkommen. Bei Sonnenaufgang erreichten wir Wadi Bischara, ein an dieser Stelle etwa eine Stunde breites Thal, welches während der Regenzeit von den am Nilflusse wohnenden Djaliin mit Durrah bebaut wird. Ich sah nun meine Führer bei Tag: Seki Belal, ein junger Bursche mit leichtem Bartanfluge, und Hamed ebn Hussein, im besten Mannesalter stehend.

„Von welchem Stamme seid ihr?“

„Wir sind Kababisch, von den Gilf-Bergen, Herr! und so Gott will, wirst du mit uns zufrieden sein!“

„Wie groß ist der Vorsprung, den wir vor unsern Feinden haben werden? Wann wird man dich vermissen?“ fragte mich der Aeltere.

„Man wird nach dem Frühgebete nach mir suchen; doch bis man außer Zweifel ist, daß ich entflohen bin, und die zu unserer Verfolgung geeigneten Leute und Thiere findet, vergeht Zeit; wir können wenigstens auf 12—14 Stunden Vorsprung rechnen.“

„Nicht viel“, entgegnete Hamed, „doch wenn die Thiere gut sind, lassen wir immerhin ein schönes Stück Wegs hinter uns.“

„Kennst du die Thiere nicht von früher? Sind sie nicht erprobt?“

„Nein, es sind zwei Hengste von der Rasse der Anafi und eine Bischaria-Stute, von den für deine Rettung bemühten Freunden angekauft“, war die Antwort, „wir wollen das Beste hoffen!“

Wir trieben die Thiere zu schnellerm Laufe an. Die Steppe war hier flach, ab und zu mit Bäumchen bestanden, stellenweise von kleinen steinigen Hügeln unterbrochen. Wir waren bis gegen Mittag ununterbrochen geritten, als mir mein Führer zurief: „Halt! Laßt die Kamele schnell niederknien! Schnell!“ Ich hielt an, und die Thiere legten sich nieder.

„Warum?“

„Ich sehe in weiter Entfernung Kamele und zwei Handpferde und fürchte, daß man uns bemerkt hat.“

Ich lud mein Remingtongewehr, um auf alle Fälle bereit zu sein.

„Wenn man uns bemerkt hat, so ist es besser, wir reiten ruhig weiter“, sagte ich, „das Niederlegen der Thiere im heißen Sonnenbrand erweckt Mistrauen bei den Leuten. In welcher Richtung gehen sie?“

„Du hast recht“, entgegnete Hamed ebn Hussein, „sie gehen nordwestlich.“

Wir saßen auf und veränderten die Marschrichtung nach Nordost. Schon hofften wir, ungesehen davonzukommen, als wir zu unserm Verdrusse sahen, daß einer von den etwa 2000 Schritt entfernten Leuten das Pferd bestieg und in kurzem Galopp herankam.

„Hamed“, sagte ich, „ich gehe mit Seki langsam weiter, halte den Mann auf und gib ihm Auskunft, verhindere aber auf alle Fälle, daß ich in der Nähe gesehen werde; du hast ja das Geld bei dir?“

„Gut, gehe, aber langsam!“

Ich ritt mit Seki ruhig weiter, mir das Gesicht mit der Ferda verhüllend, um nicht als Weißer erkannt zu werden.

„Hamed begrüßt den Mann und läßt das Kamel niederknien“, sagte Seki, der zurücksah, „gehen wir Schritt für Schritt!“

Nach etwa 20 Minuten sahen wir den Mann das Pferd besteigen und Hamed sein Thier antreiben, um uns einzuholen.

„Danket Gott für unsere Rettung!“ rief er, als er uns erreichte, „der Mann ist einer meiner Bekannten, der Hauara-Scheich Munhal, und geht mit Kamelen nach Dongola, um Datteln nach Omderman zu bringen. Er fragte mich, wohin ich mit dem «weißen Aegypter» ginge; der Mann hat Falkenaugen.“

„Und was sagtest du?“

„Ich bat ihn als Freund, unser Geheimniß zu bewahren, und gab ihm überdies 20 Maria Theresia-Thaler; wir Araber sind ja alle etwas habsüchtig. Der Mann schwur mir einen heiligen Eid, wenn er zufällig unsere Verfolger treffen würde, zu schweigen, und seine Leute sind zu entfernt, um Schwarz von Weiß zu unterscheiden. Treibt die Thiere an, wir haben Zeit verloren!“

Bei Sonnenuntergang passirten wir die Hügel von Hobegie und lagerten eine Stunde nachher in der Steppe etwa eine Tagereise westlich vom Nil, um unsern erschöpften Thieren etwas Ruhe zu gönnen.

Wir waren 21 Stunden ununterbrochen geritten, hatten den ganzen Tag nichts gegessen und nur einmal Wasser getrunken. Trotz der Ermüdung aßen wir mit gutem Appetit Datteln und Brot.

„Wir wollen die Thiere füttern und weitergehen“, sagte mein Führer, „du bist doch nicht ermüdet?“

„Nein“, war meine Entgegnung, „wir in Europa sagen: Zeit ist Geld; hier heißt es aber: Zeit ist Leben; macht schnell!“

Die Thiere berührten zu unserm Schrecken das ihnen vorgeworfene Futter nicht. Hamed machte ein kleines Feuer, nahm ein brennendes Stück Holz, und etwas Baumharz darauflegend, ging er mit dem rauchenden Zeuge um die Kamele herum, dabei unverständliche Worte murmelnd.

„Was machst du da?“ fragte ich etwas erstaunt.

„Ich fürchte, die Fukera (mohammedanische Geistliche) des Chalifa haben unsere Kamele verzaubert, und ich ergreife nach unserer Sitte die geeigneten Gegenmittel.“

„Ich aber fürchte, daß es Marktthiere schlechter Rasse, oder daß sie krank sind; gönnen wir ihnen noch etwas Ruhe, vielleicht erholen sie sich!“

Da nach einer weitern halbstündigen Rast die Thiere dennoch das Futter versagten, ein längerer Aufenthalt aber unmöglich war, zogen wir die früher gelockerten Sattelgurte wieder fest und saßen auf. Die ermüdeten Thiere verweigerten Trab zu laufen, sie gingen nur schnellen Schritt, und als die Sonne aufging, befanden wir uns erst auf der Höhe nordwestlich von Metemmeh.

Die Abnahme der Kräfte unserer Thiere erfüllte uns mit banger Sorge; die Thiere gingen nur noch Schritt, und es wurde uns klar, daß wir mit ihnen nicht die eine Tagereise nördlich von Berber gelegene Stelle erreichen konnten, wo am Rande der Wüste eine Station zum Wechseln der Thiere errichtet war.

Am Nachmittag ließen wir die nun ganz erschöpften Kamele im Schatten eines Baumes ausruhen und kamen überein, nach dem eine starke Tagereise nordwestlich gelegenen Gilf-Gebirge zu gehen, wo ich mich in den unbewohnten Bergen so lange verborgen halten sollte, bis es meinen Führern gelingen würde, andere Thiere herbeizuschaffen.

Bald nach Sonnenuntergang brachen wir auf; die Thiere hatten sich so weit erholt, daß sie guten Schritt gehen konnten; so erreichten wir am frühen Morgen den Fuß des an dieser Stelle gänzlich unbewohnten Gilf-Gebirges. Wir stiegen ab und gelangten, die Thiere vor uns hertreibend, nach etwa dreistündigem, äußerst beschwerlichem Marsche in ein von schroffen Felsen eingeschlossenes Thal.

Meine Führer, Seki Belal und Hamed ebn Hussein, sind beide vom Stamme der Kababisch, das Gilf-Gebirge ist ihr Geburtsland, und sie kennen Weg und Steg.

Wir sattelten die Thiere ab und verbargen die Machlufas (Kamelreitsättel) zwischen den Felsblöcken.

„Wir sind in unserer Heimat angekommen, und das Land beschützt seinen Sohn“, sagte Hamed Hussein zu mir, „sei ohne Sorge! Solange wir am Leben sind, hast du nichts zu fürchten! Bleibe ruhig hier verborgen; in kleiner Entfernung von hier ist eine Wasser enthaltende Felsspalte. Dort werde ich die Thiere tränken. Seki wird uns eine Girba gefüllt hierher bringen; auch will ich die Thiere an anderer Stelle verbergen, damit nicht die über ihnen kreisenden Aasgeier unsern Aufenthalt verrathen. Erwarte mich hier, und wir werden sehen, was weiter zu thun ist!“

Die Führer entfernten sich; ich war allein und etwas verstimmt. Ich hatte gehofft, geradeswegs die ägyptische Grenze zu erreichen und meinen Verfolgern durch Schnelligkeit zu entgehen, nun thürmten sich ungeahnte Hindernisse vor mir auf. Nach etwa zwei Stunden kam Seki, den Wassersack auf dem Rücken.

„Koste das Wasser meines Heimatlandes“, rief er mir zu, „sieh, wie frisch und rein! Sei zuversichtlich! So Gott will, führt er unser Unternehmen zu gutem Ende.“

Ich trank mit vollen Zügen, es war wirklich köstlich.

„Ich bin voll guter Zuversicht“, sagte ich zu Seki, „doch verstimmt mich die Verzögerung.“

„Malesch kullu seheĩ bi iradet illahi“ (Macht nichts, alles geschieht nur nach Gottes Bestimmung), lautete die Antwort. „Vielleicht hat diese Verzögerung auch ihre gute Seite; erwarten wir Hamed Hussein!“

Kurze Zeit nach Mittag kam Hamed. Wir aßen unser frugales Mittagsmahl, Datteln und Brot, und kamen dabei überein, daß Seki zu den zwei schwache Tagereisen entfernten Wohnungen meiner Freunde, die für meine Flucht gewonnen worden waren, gehen sollte, um von dort frische Thiere zu bringen.

„Ich reite die Bischaria-Stute“, sagte Seki, „sie ist kräftig und noch nicht abgemattet; jetzt ist Sonnabend Abend, ich reite die ganze Nacht und den Sonntag durch, Montag früh bin ich, so Gott will, bestimmt bei unsern Freunden. Rechnet ein, zwei Tage Aufenthalt, da ja möglicherweise die Thiere nicht zur Hand sind, am Donnerstag oder Freitag aber komme ich mit frischen Kamelen hierher, wenn mir kein Unglück geschehen ist.“

„Es ist besser, das Ziel weiter zu stecken“, sagte ich, „wir erwarten dich bis Sonnabend; kommst du früher, um so besser! Doch bedenke, daß unser Wohl und Wehe in deiner Hand liegt; sei vorsichtig, vor allem beim Bringen der Reitthiere, um nicht Verdacht zu erregen!“

„Verlaßt euch auf unser Glück und meinen guten Willen!“ Er reichte mir die Hand zum Abschiede. „Gott nehme euch in seinen Schutz! Auf baldiges Wiedersehen!“

Er band sich einige Datteln zur Wegzehrung in das Ende seines Tuches und nahm den Sattel auf die Schulter. Hamed beschrieb ihm die Stelle genau, wo er seine Stute finden würde; im Weggehen bat er uns, ja recht vorsichtig zu sein, um nicht gesehen zu werden, und war in wenigen Minuten unsern Blicken entschwunden. Wir reinigten den Platz, der uns als Nachtlager dienen sollte, von den Steinen und waren nun bester Hoffnung auf das Gelingen unserer Flucht.

„Ich will dir einen Vorschlag machen“, sagte Hamed nach einiger Zeit zu mir, „mein Verwandter Ibrahim Musa ist Scheich dieses Bezirks und seine Wohnung etwa vier Stunden von hier am Fuße des Berges; obwol wir, wie ich hoffe, von niemand gesehen wurden, so ist es doch besser, ihn von unserer Ankunft zu unterrichten, damit er für alle Fälle bereit sei. Ohne deinen Namen zu nennen, will ich ihm unsere Lage schildern; als mein Vetter ist er gezwungen, uns ein Asyl zu gewähren, und er würde uns, wenn die Verfolger, was jedoch kaum zu befürchten ist, unserer Spur bis zum Fuße des Gebirges nachgehen sollten, gewiß rechtzeitig warnen. Wenn du einverstanden bist, so gehe ich nachts, um ihn ungesehen von andern Leuten zu treffen, und bin frühmorgens wieder bei dir.“

„Dein Plan ist gut, nimm aber Geld zu dir und gib ihm einen kleinen Betrag zu seinem Haushalte, aber ohne ihm meinen Namen zu nennen!“

Bei Sonnenuntergang verließ mich Hamed, und ich war allein mit meinen Gedanken. Ich dachte an meine kürzlich verlassenen Hausleute und Genossen, an die ich mich trotz verschiedener Rasse und trotz mancher schlechter Eigenschaften durch eine lange Reihe von Jahren gewöhnt und die ich jetzt in den Händen des Feindes zurückgelassen hatte; ich dachte an meine Lieben, denen ich entgegeneilte, an meine Geschwister, Freunde und Gönner. Ob wol mein Unternehmen gelingen wird? Von Müdigkeit erschöpft, schlief ich auf meinem harten Lager ein. Ich erwachte noch vor Morgengrauen, und kurz darauf hörte ich die Schritte eines sich nähernden Menschen — ich wußte, es war mein Führer.

„Alles geht gut“, sagte er, „der Scheich, mein Vetter, grüßt dich unbekannterweise und wünscht, daß dich Gott beschützen möge. Wappne dich mit Geduld! Anderes haben wir vorläufig nicht zu thun.“

Er ließ sich zwischen Felsblöcken nieder, von denen er mit seiner braunen Hautfarbe kaum zu unterscheiden war, und hielt hier Ausschau, ich etwas weiter unten, im Schatten eines zwischen den Steinen kümmerlich sprossenden kleinen Baumes. Wir plauderten mit leiser Stimme über die jetzigen und frühern Verhältnisse im Lande.

Es war Mittag vorüber, als ich plötzlich hinter mir das Geräusch eines dahinschreitenden Menschen hörte; mich umwendend, sah ich zu meinem nicht geringen Verdrusse etwa 150 Schritt entfernt einen Mann den uns gegenüberliegenden Berg hinaufklettern; die Ferda um die Lenden geschlungen, suchte er das eine Ende derselben über den Kopf zu ziehen. Da er von rückwärts gekommen, mußte er uns bemerkt haben.

„Jedenfalls ist es ein Landsmann“, sagte Hamed, der gleichfalls das Geräusch gehört und den Mann gesehen hatte; „es wird gut sein, wenn ich ihn einhole, um mit ihm zu sprechen — oder nicht?“

„Gewiß, mache schnell, nöthigenfalls gib ihm ein kleines Geschenk!“

Mein Kamerad verließ seinen Sitz, ging dem Manne schnellen Schrittes nach, der, als er den Rücken des Berges erreicht hatte, mir aus dem Gesichte entschwunden war. Nach wenigen Minuten sah ich beide fröhlichen Gesichtes sich mir nähern.

„Wir haben Glück“, rief Hamed von weitem, „es ist einer meiner vielen Vettern, unsere Mütter sind Geschwisterkinder!“

Der Mann war herangekommen und reichte mir die Hand zum Gruße.

„Der Friede Gottes sei mit dir, vor mir bist du sicher!“ Er setzte sich behend neben mich auf den Stein. Ich gab ihm einige Datteln. „Koste von unserer Wegzehrung“, sagte ich, „wie heißest du?“

„Man nennt mich Ali woled Feid; ich hatte, die Wahrheit zu sagen, schlechte Absichten mit euch. Ich wechselte meinen Weideplatz und kam mit meiner Schafheerde vor einigen Tagen am Fuße der dir von hier sichtbaren südlich gelegenen Berge an. Ich ging nach der Felsspalte, um zu sehen, ob viel Wasser vorhanden ist, da ich dasselbe, obwol wir in der Ebene Brunnenwasser haben, dennoch vielleicht benöthigen könnte. Dort fand ich die Spuren eurer Kamele und verfolgte sie. Als ich trotz der Entfernung die weiße Hautfarbe deiner Füße sah, die aus dem Verstecke hervorragten, wußte ich, daß sich ein Fremder hier verberge, und wollte mich wieder ungesehen davonmachen, um“ — so sagte er lachend — „nachts mit einigen Kameraden wiederzukommen und dir die Weiterreise durch Abnahme deiner Sachen zu erleichtern. Ich danke Gott, daß mich mein Vetter eingeholt, nachts hätte ich ihn vielleicht nicht erkannt.“

„Ali woled Feid“, sagte mein Führer, der stillschweigend zugehört, „ich will dir eine kleine Geschichte erzählen; höre:

„Vor langen Jahren — ich war damals ein kleiner Junge —, zur Zeit der türkischen Regierung im Lande, war mein Vater Scheich dieser damals stark bevölkerten Berge. In einer Nacht kam ein Mann als Flüchtling zu meinem Vater, um ein Asyl zu suchen; er wurde von den Regierungssoldaten hart verfolgt, da er im Verdachte stand, als Wegelagerer Kaufleute getödtet zu haben. Seine Frauen fielen in die Hände der Verfolger, er selbst aber suchte und fand Schutz bei meinem Vater, der ihn verborgen hielt. Längere Zeit nachher ging mein Vater nach dem Regierungssitze Berber. Durch Geld und gute Worte brachte er es, da Beweise nicht vorhanden waren, dahin, daß dem Manne verziehen wurde. Er leistete für ihn Bürgschaft und befreite seine in der Haft befindlichen Frauen.“

„Der Mann hieß Feid und war mein Vater“, unterbrach ihn Ali, dessen Antlitz bei der Erzählung ernst geworden. „Ich war damals noch nicht geboren und hörte die Geschichte von meiner verstorbenen Mutter, deren sich Gott erbarmen möge. O Bruder, vernimm frohe Botschaft von mir! Was dein Vater an meinem Vater gethan, wird der Sohn dem Sohne vergelten; in Ruhe und Gefahr bin ich der Eure; doch folgt mir jetzt, ich werde euch in der Nähe ein besseres Versteck zeigen.“

Wir gingen um den Berg in südlicher Richtung etwa zweitausend Schritt und erreichten eine von Felsblöcken gebildete grottenartige Höhlung, groß genug, um zwei Personen aufzunehmen.

„Eure wenigen Sachen bringt abends hierher! Obwol nichts zu fürchten ist, da die Berge unbewohnt sind, könnt ihr nachts in der Dunkelheit einen andern in der Nähe gelegenen Ort als Schlafplatz wählen; man kann ja nicht wissen, vielleicht bemerkt euch jemand, ohne daß ihr es ahnt, um dann, wie es auch meine frühere Absicht war, nachts wiederzukommen. Ich habe mich aufgehalten, mein Weg ist weit, ich gehe jetzt, ziehe Erkundigungen ein und werde morgen in der Dunkelheit wiederkommen und meine Ankunft durch leises Pfeifen anzeigen. Lebet wohl in Gesundheit, — bis auf morgen!“

Wie uns Ali woled Feid gerathen, suchten wir uns einen Platz zum Schlafen und kehrten am Morgen noch vor Sonnenaufgang in unsere Grotte zurück. Tagsüber hielt Hamed Hussein von seinem erhöhten Sitze gleich einem Thürmer Ausschau, und nur wenn ihn der Hunger vertrieb, kam er zu mir. Das Brot war heute zu Ende, wir hatten nur noch Datteln als Nahrung.

:::: {.wrap-100 .break-before} Im Versteck.{#b019} ::::

Abends — es mochte zwei Stunden nach Sonnenuntergang sein — hörten wir ein leises Pfeifen. Es war Ali woled Feid, der seinem Versprechen getreu uns aufzusuchen kam. Er brachte uns in einer kleinen Gazellengirba (es werden die gegerbten Häute ganz junger Gazellen von den Arabern vielfach zum Milchtransport benutzt) etwas Milch und in der Ferda etwas Brot (Durrahfladen).

„Meine Frau machte ich glauben, daß ich zu Karavanenkaufleuten gehe, um Gastfreundschaft auszuüben“, sagte er, nachdem er uns begrüßt, „ich konnte ihr nicht die Wahrheit anvertrauen, sie ist zu geschwätzig.“

„Eine Eigenschaft, über die sich auch bei mir zu Hause so mancher Ehemann beschwert“, bemerkte ich lachend, gut gelaunt über das mir köstlich mundende Mahl.

„Ich habe Erkundigungen am Brunnen eingezogen“, fuhr Ali fort, „und habe nichts Besorgnißerregendes erfahren. Eßt und trinkt ruhig, ich hoffe bestimmt auf Glück.“

Nachdem wir seiner Gastfreundschaft alle Ehre angethan, bat ich ihn zurückzukehren, damit er nicht durch zu langes Ausbleiben bei seiner Familie Sorge oder Verdacht wachrufe, und befahl Hamed leise, ihm beim Abschiede etliche Thaler als Freundschaftsgabe zu geben.

„Komm nicht wieder“, sagte ich beim Abschiede zu ihm, „dein Gehen und Kommen erregt vielleicht Mistrauen bei deinen Leuten und könnte auch Spuren auf der Erde zurücklassen, die unsern Aufenthalt verrathen; es müßte denn sein, du erhältst beunruhigende Nachrichten oder Zeichen. Lebe wohl, ich danke dir für deine treue Freundschaft!“

Hamed Hussein begleitete seinen Vetter eine Strecke Wegs.

„Ali wollte das Geld nicht annehmen“, sagte mir Hamed, als er zurückkehrte, „ich mußte es ihm förmlich aufnöthigen, und nur die Furcht, dich zu beleidigen, bestimmte ihn es anzunehmen.“

Wir suchten wieder unsere Schlafstellen auf und ruhten ungestört bis zum Morgen; dann kehrte ich in unsere Grotte zurück, mein Kamerad mußte wieder Thürmerdienste versehen. Auch dieser Tag verging ohne weitere Störung, doch wie langsam! Die Stunden wurden zu Tagen, Gedanken jagten Gedanken, und meine Geduld wurde auf harte Probe gestellt. Doch ließ sich nichts machen, nolens volens mußte ich aushalten.

Da unser Wasservorrath auszugehen drohte, ging Hamed Hussein mit der Girba nach der Felsspalte, um Wasser zu holen, zugleich wollte er die beiden Kamele sehen, die, an den Füßen kurz gefesselt, sich Nahrung von den Bäumen suchten.

„Ich werde nach etwa vier Stunden wiederkehren, verhalte dich ruhig in deiner Grotte! Falls, was Gott verhüten möge, jemand kommen sollte, — es können nur Landsleute, Kababisch sein, da ein Fremder nie bis hierher gelangt, — so halte ihn zurück und sage ihm, daß Hamed woled Scheich Hussein in kurzer Zeit hierher käme. Vermeide es aber, dich in Händel einzulassen oder gar Blut zu vergießen!“

„Ich werde auf alle Fälle deinen Rath befolgen“, antwortete ich ihm, „hoffe jedoch, daß du mich unbeanstandet wiederfindest.“

Noch bevor die von ihm gesetzte Zeit verstrichen war, kam mein Führer mit der gefüllten Wassergirba zurück.

„Die Kamele fand ich in ihrem Verstecke, sie haben sich etwas erholt, wenigstens äußerlich“, theilte er mir erfreut mit; „reiche mir einige Datteln, ich bin hungerig und begebe mich wieder auf Ausschau.“

Der Rest des Tages verstrich langsam, aber ruhig; wir begaben uns wieder zu unsern Schlafstellen, plauderten ein wenig mit leiser Stimme und baten die göttliche Vorsehung, unsere Geduld nicht auf allzuharte Probe zu stellen.

Am Donnerstag Morgen begab sich Hamed wieder als Späher auf seinen Posten, und es mochte nahe an Mittag sein,als ich ihn eiligen Schrittes von oben herabkommen sah. Ich ergriff rasch mein Gewehr.

„Was gibt es?“

„Ich sehe einen Mann im Laufschritt auf unser früheres Versteck zukommen, jedenfalls eine Botschaft! Bleibe, wo du bist, bis ich wiederkomme!“

Ich setzte mich und wartete — für mich eine Ewigkeit. Ich erhob mich vorsichtig, um Ausschau zu halten, und sah in größerer Entfernung zwei Menschen sich mir nähern; mein spähendes Auge erkannte Hamed und mit ihm — Seki Belal.

Aus dem Verstecke heraustretend, wurde ich von ihm gesehen, er lief auf mich zu.

„Gott zum Gruße, Herr! Vernimm frohe Botschaft!“ sagte er, mir die Hand schüttelnd. „Ich bin mit zwei frischen Kamelen angekommen und habe sie abseits verborgen; ich gehe nun, sie zu holen.“ Und schnell lief er den eben gekommenen Weg wieder zurück.

Nach etwa einer Stunde kam er mit den frischen Thieren.

„Du bist schnell gegangen“, rief ich ihm erfreut zu, „erzähle!“

„Ich verließ euch am Sonnabend Abend, ritt Nacht und Tag; meine Bischaria-Stute ging auf dem ziemlich ebenen Wege vortrefflich, und Montag früh war ich bei unsern Freunden, die sogleich nach den etwas entfernten Thieren sandten, die du vor dir siehst. Man brachte sie Dienstag früh, und ich ging noch denselben Mittag ab. Ich ritt langsam, damit die Thiere sich nicht erschöpften; wir können sogleich abgehen. Ja, bald hätte ich vergessen, dir mitzutheilen, daß deine Freunde mit mir zugleich nach der am Wüstenrande errichteten Station abgegangen sind, damit die Leute sich bereit halten; ich versprach, Freitag oder längstens Sonnabend nach Sonnenuntergang am Zusammenkunftsorte einzutreffen.“

:::: {.wrap-100 .break-before} Meine Flucht durch die Wüste.{#b020} ::::

„Hast du Brot mitgebracht?“ fragte ich den fröhlich plaudernden Jungen, „wir haben nur Datteln zur Nahrung.“

„Gott! Das habe ich in der Eile vergessen“, war die Antwort.

„Macht nichts!“ entgegnete ich meinem etwas herabgestimmten Kameraden, „selbst ohne Datteln würden wir den Ritt aushalten.“

„Seki“, sagte Hamed, „sattle das andere Kamel, gehe mit unserm Freunde und Bruder nach der Felsspalte und tränke die Thiere! Erwarte mich dann, ich nehme den übriggebliebenen Sattel und komme mit meinem Kamele, das sich genügend erholt hat, um den kurzen Ritt auszuhalten, dorthin nach. Es ist aber besser“, meinte er zu mir gewandt, „daß du nicht bis an die Wasserstelle herangehst, sondern dich an einem geeigneten Orte in der Nähe verborgen hältst, bis wir dich abholen; man kann ja nicht wissen, es gibt viele Durstige auf der Welt.“

Ich ging mit Seki, eins der Kamele führend, nach der das Wasser enthaltenden Felsspalte und verbarg mich, wie mir angerathen wurde, in der Nähe derselben zwischen Steinblöcken.

Etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang kamen Hamed und Seki mit den drei frischgetränkten Thieren und gefüllten Wasserschläuchen; wir saßen auf, ritten meist in der Richtung Ostnordost über oft recht schroff aufsteigende Berge und gelangten bei hereinbrechender Dunkelheit ungesehen in die Ebene. Die ganze Nacht ritten wir ununterbrochen leichten Trab und Schritt und hatten bei anbrechendem Morgen nach Berechnung Hamed's die Hälfte des Weges zurückgelegt.

„Der heutige Tag ist der schwierigste unserer Reise“, sagte mein Führer, „wir kommen in die Nähe des Flusses und überschreiten die Weideplätze der Uferbewohner; bitten wir Gott, daß wir ungesehen unsern Bestimmungsort erreichen!“

Das Landschaftsbild ist immer dasselbe: Steppe mit leichtem Graswuchs, hin und wieder halbverdorrte Mimosenbäumchen, der Boden sandig, stellenweise mit Steinen bedeckt.

Wir ritten ununterbrochen und aßen unser frugales Mittagsmahl, wie immer nur aus Datteln bestehend, in den Sätteln. Die Sonne stand im Zenith. Wir bemerkten in weiter Entfernung eine Schafheerde mit ihrem Hüter; wir bogen von der Richtung etwas ab, und Seki ritt zu den Leuten, um Erkundigungen einzuziehen; uns später wieder einholend, sagte er, daß er keine wie immer geartete Mittheilung erhalten. Obwol wir vielfach Spuren von Kamelen, Eseln, Schafen u. s. w. fanden, ward unsern Augen doch nichts Besorgnißerregendes sichtbar. Das Terrain war an dieser Stelle ganz flach geworden.

„Siehst du den breiten, grauen Streifen vor dir, der sich in der Richtung von Süden nach Nordwesten durchs Land zieht?“ fragte mich Hamed. „Das ist die große, von Berber nach Wadi Gamer und Dar Scheikieh führende Karavanenstraße. Haben wir diese ungesehen passirt, so haben wir nichts weiter zu befürchten, da zwischen dieser Straße und dem Flusse steiniger Boden ist, vegetationslos, ohne Weg und Steg und daher menschenleer.

„Folgt aber jetzt genau meiner Weisung! Lasset die Kamele langsamen Schrittes, jedoch eins vom andern etwa 500 Schritt entfernt, ruhig bis an die große Straße gehen; dort angelangt biegen wir in dieselbe ein und gehen einige Minuten in der Richtung nach Berber, verlassen sie dann wieder in östlicher Richtung. Seht ihr den von hier etwa drei Meilen (5½ Kilometer) entfernten steinigen Hügel? Dort vereinigen wir uns! Nur auf diese Weise können wir etwaige Verfolger von unserer Spur abbringen.“

Wir thaten, wie uns befohlen, passirten die sonst stark begangene Karavanenstraße, ohne etwas zu bemerken, und vereinigten uns bei dem früher bezeichneten Hügel.

„Treibt die Thiere vorwärts, schont sie nicht, damit sie uns den letzten Dienst erweisen“, sagte Hamed lachend, „die Sache ist gut gegangen!“

Seit meiner Abreise von Omderman hatte ich den Mann nicht lachen gesehen; ich wußte, daß wir diesseits des Flusses nichts mehr zu fürchten hatten. Also vorwärts! Wir trieben die ermatteten Thiere durch Stockhiebe unbarmherzig weiter und gelangten, einige Berge zur rechten Hand liegen lassend, auf die Kerraba.

Die Kerraba ist ein Plateau von meist sandigem Boden, bedeckt mit schwarzen, faust- bis kopfgroßen Steinen, eng an- und übereinandergereiht; in kleinern Entfernungen sieht man einzelne Felsblöcke. Die Thiere konnten auf dem Geröll kaum vorwärts kommen, der Marsch war geradezu halsbrecherisch.

Gegen Abend sahen wir den Nil in weiter, weiter Entfernung wie einen Silberstreifen sich durchs Land ziehen, und in der Dunkelheit vom Plateau absteigend, gelangten wir in ein zwischen Steinhügeln liegendes Thal. Wir machten Halt und sattelten ab. Der Fluß war von hier etwa zwei Stunden entfernt.

„Unsere Mission ist ihrem Ende nahe“, sagten Hamed und Seki, die auf der Erde sitzend Datteln kauten. „Bleibe hier bei den Thieren, wir gehen nach dem uns bekaunten Orte zu einem Baume in der Nähe des Flusses, dort werden wir deine Freunde finden, die dich von hier weiterbringen.“

Ich blieb allein; voll der besten Hoffnung blickte ich in die Zukunft, im Geiste sah ich die Meinigen, sah mein Vaterland. — — —

Ich erwachte nach Mitternacht, niemand war gekommen. Ich begann über die Verzögerung etwas ungeduldig zu werden; denn wenn die Leute nicht bald eintreffen würden, so konnte ich in dieser Nacht nicht mehr den Fluß passiren. Erst etwa zwei Stunden vor Tagesanbruch hörte ich Schritte; es war Hamed.

„Was hast du für Nachrichten?“ fragte ich erregt.

„Keine!“ war die trostlos lautende Antwort. Der Mann setzte sich erschöpft nieder.

„Wir konnten deine Freunde an dem bezeichneten Orte nicht finden; ich bin zurückgekehrt, da du bei Tagesanbruch nicht an dieser Stelle bleiben kannst; du bist den Menschen zu nahe und der Gefahr gesehen zu werden ausgesetzt. Seki ließ ich zurück, um deine Leute zu suchen. Nimm die Girba mit Wasser auf den Rücken und Datteln, ich bin zu erschöpft, um etwas tragen zu können. Komm! Wir gehen die Kerraba hinauf, dort halte dich tagsüber zwischen den Steinen verborgen!“

Ich that, wie mir angewiesen, und erreichte nach etwa einer Stunde das Plateau. Nachdem wir in der Dunkelheit noch etwas weiter gegangen, blieb Hamed stehen.

„Bleibe“, sagte er mir, „an dieser Stelle, lege die Steine im Kreise übereinander, wie die Kamelhirten thun, um sich im Winter vor Kälte zu schützen, und verbirg dich so! Du kennst das ja doch, bist ja Araber, wie unsereiner. Abends komme ich wieder, dich zu holen. Ich gehe jetzt zu den Kamelen zurück; die Leute hier kennen mich, und ich habe nichts zu fürchten. Sollte man mich fragen, so würde ich sagen, daß ich von Dar Scheikieh gekommen und hier ansässige Leute suche, ich habe auch zum Glück hier Verwandte.“

Er ging zurück; ich stand auf dem Geröll einsam und verlassen.

Ich häufte die Steine übereinander, etwa einen halben Meter hoch, und ließ dazwischen Raum, gerade groß genug, mich, den Wassersack und mein Gewehr aufzunehmen.

Der Morgen begann zu grauen, ich legte mich in mein Versteck. Der Boden war weich, sandig. Ich wühlte den Sand mit einem spitzen Steine auf und warf ihn zwischen die Fugen des aufgethürmten Walles, sodaß ich von außen nicht mehr gesehen werden konnte.

Ermüdet streckte ich mich hin.

Wieder dachte ich zurück an die Stätte meiner Gefangenschaft, malte mir im Geiste den Zorn des Chalifa aus, dann eilten die Gedanken meinen Lieben entgegen, mehr als je sehnte ich mich nach der Vereinigung mit ihnen, doch ungeahnte, wie mir schien kaum zu bewältigende Hindernisse thürmten sich vor mir auf.

Wie ist mir doch heute zu Muthe! War doch stets mein Losungswort: „Unverzagt!“ In welch schwierigen Lebenslagen ich auch immer gewesen, nie habe ich den Muth, nie das Vertrauen auf meinen guten Stern verloren! Heute findet die Furcht Raum in meinem Herzen! Vielleicht, weil ich wie in einem Grabe liege? Ob heute oder morgen, jeden legt man in seine Grube! Ist das nicht aller Menschen Los? Doch in der Fremde allein, verlassen! Herr, der du über den Wolken thronst, erbarme dich meiner, erbarme dich eines armen Menschenkindes, laß mich meine Lieben, meine Freunde, laß mich mein Vaterland wiedersehen! — — —

Ich war wieder ruhig geworden. Meine Sache geht ja, von kleinen Verzögerungen abgesehen, ganz gut! Nachts werde ich über den Fluß setzen, morgen gehe ich in die Wüste, in zwei bis drei Tagen bin ich außer aller Gefahr und eile den Meinen auf Flügeln entgegen. Ich lächelte, war wieder voll Zuversicht, mit den besten Hoffnungen erfüllt.

Die Sonne brannte heiß herab, ich hatte meine Ferda mitgenommen und hielt sie, um mich zu beschatten, mit den Händen über mein Gesicht, ruhig der Dinge harrend, die da kommen sollten.

Es war etwas nach Mittag, als ich ein leises Pfeifen hörte. Ich erhob mich etwas und schaute über die Steine weg; es war Hamed, der fröhlichen Gesichtes zu mir kam.

„Vernimm frohe Botschaft“, rief er mir entgegen, „wir haben deine Leute gefunden!“

Freudiges Gefühl durchströmte mich, als ich seine Worte vernommen; mein Glücksstern begann mir wieder hell zu leuchten. Herangekommen setzte sich Hamed neben mich außerhalb meines Schutzwalles.

„Mache es dir etwas bequem“, rieth er mir, „ich habe gute Ausschau gehalten, du hast hier nichts zu fürchten. Seki fand deine Leute noch vor Morgengrauen, und soeben war einer derselben bei uns, um Näheres zu verabreden. Sie sind bereit; abends kommen sie, dich abzuholen, doch müssen sie Vorsicht gebrauchen, da deine Flucht hier im Lande bekannt ist. Komme jetzt mit mir hinab! Nein, es ist besser, du wartest die Dunkelheit ab. Ich gehe jetzt. Kommst du dann von selbst, oder soll ich dich holen?“

„Es ist nicht nothwendig, daß du dich weiter bemühst, ich kenne den Ort und werde euch abends treffen.“

Die Sonne war vom Horizont verschwunden, als ich, Girba und Gewehr auf dem Rücken, die Stelle verließ, die mir eine unvergeßlich bittere Stunde bereitete. Bei meinen Freunden anlangend, fand ich zwei mir fremde Männer.

Sie begrüßten mich: „Wir sind von deinem Freunde Achmed ebn Abdallah gesandt, vom Stamme der Djihemab, und werden dich nach dem Flusse bringen, er selbst wird mit dir übersetzen. Am jenseitigen Ufer sind Kamele bereit, dich durch die Wüste zu bringen. Nimm von deinen Führern Abschied, ihre Aufgabe ist beendet.“

Ich schüttelte meinen alten Freunden die Hände und dankte ihnen in herzlichen Worten für ihre Opferwilligkeit. „Lebet wohl, auf Wiedersehen in hoffentlich ruhigen und bessern Zeiten!“

Wir sattelten zwei Kamele, das dritte überließen wir meinen frühern Führern. Ich saß auf. Einer der neuangekommenen Leute setzte sich hinter mich.

„Wie heißt du?“ fragte ich ihn.

„Man nennt mich Mohamed, Herr, und meinen Kameraden Ishaak.“

„Geht ihr mit mir durch die Wüste?“

„Nein, es sind andere Leute dazu bestimmt. Doch laß dein Kamel langsamen Schritt gehen, und wenn es auch dunkel ist, so ist es doch besser, daß du dein Gesicht verhüllst. Seit drei Tagen ist von Berber der Befehl gekommen, alle Straßen streng zu bewachen, und es wurden die Ueberfuhren unter Aufsicht gestellt, doch hast du in unserm Lande nichts zu fürchten.“

Nach etwa zwei Stunden Marsch in ostnordöstlicher Richtung waren wir in der Nähe des Nils. Wir hörten das Schöpfrad knarren, das Geschrei und Gelächter der arbeitenden Sklaven mit ihren Weibern. Bei einem kleinen Gestrüpp angekommen, sagte der hinter mir reitende Mohamed im Abspringen: „Laßt die Thiere niederknien, langsam, ruhig, damit sie nicht durch ihr Gebrüll die Leute aufmerksam machen!“

Die Thiere legten sich ohne Laut.

„Bleibe hier, bis wir mit Achmed ebn Abdallah wiederkommen!“ sagte er kurz, und schon waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Nach etwa einstündigem Warten sah ich vier Männer an mich herankommen. Der größte von ihnen trat mir näher und mich umarmend und an die Brust drückend, sagte er mit leiser Stimme:

„Gelobt sei Gott! Sei gegrüßt im Lande meiner Väter, ich bin dein Bruder Achmed ebn Abdallah vom Stamme der Djihemab! Glaube meinen Worten, du bist gerettet!“

„Mohamed, Ishaak“, befahl er, „sattelt langsam ab, ruhig, ohne Geräusch! Reitet auf den bloßen Thieren eine gute Strecke am Flusse entlang, blaset dann die Wassersäcke auf (dieselben vertreten in Nothfällen unsere Schwimmpolster), bindet sie um den Hals der Kamele und dann setzt über den Fluß an verschiedenen Stellen! Morgen erwartet meine Befehle bei den Steinen des «kämpfenden Stieres»! Du aber“, sagte er zu mir gewendet, „folge mir!“

Er selbst und der zurückgebliebene Mann nahmen die Sättel auf den Rücken, ich folgte ihnen. Nach einigen Minuten erreichten wir das Ufer des heiligen Nils und fanden in einer vom Strome ausgewaschenen Erdhöhlung ein kleines, von meinen Freunden verfertigtes Schiffchen, kaum groß genug, uns aufzunehmen. Wir eilten das hier steil abfallende Ufer hinab, bestiegen das Boot und stießen ab. Mehr als eine Stunde brauchten wir zur Uebersetzung des Flusses. Nachdem ich mit Achmed ans Land gestiegen, steuerte der im Schiffchen zurückgebliebene Mann dasselbe nach einer Stromschnelle und durchlöcherte dessen Boden. Während er schwimmend das Ufer erreichte, verschwand das Boot in den Wellen und mit ihm die letzten Spuren unserer Ueberfahrt.

Nach etwa halbstündigem Marsche hieß mich Achmed Abdallah ihn erwarten und kurze Zeit darauf brachte er eine Schüssel mit Milch und Brot.

„Iß und trink“, sagte er, „und sei voll Zuversicht auf das Gelingen deiner Flucht; ja, ich schwöre dir bei Gott und seinem Propheten, du bist gerettet. Mein Plan war, daß du noch diese Nacht abreisest, doch ist die Zeit zu vorgerückt; es ist besser, du wartest bis morgen Abend. Morgen ist auch der Tag der Tränkung für die Kamele. Da wir jedoch hier den Wohnungen zu nahe sind, wird dich der Sohn meines Bruders, Ibrahim Ali, an eine von hier etwas entfernte schwer zugängliche Stelle bringen, dort erwarte mich! Ich werde dir jetzt ein Reitthier bringen; oder fühlst du dich stark genug, zu Fuße zu gehen?“

„Ich bin kräftig und halte den Marsch aus“, entgegnete ich, „wo ist Ibrahim Ali?“

„Hier! er wird dir auch weiter als Führer in der Wüste dienen.“

Es war eine finstere Nacht. Ibrahim ging, eine leere Girba in der Hand, auf der längs des Flusses nach Abu Hammed führenden Karavanenstraße; ich folgte. Nachdem wir etwa sechs Kilometer zurückgelegt, trat er an den Fluß, füllte den Wasserschlauch zur Hälfte und schlug die Richtung landeinwärts ein. Der Marsch war beschwerlich. Die großen Steine, mit denen die Hügel dicht besäet waren, verhinderten ein rasches Fortkommen; ich war ermüdet und strauchelte, rechts und links schwankend, wie ein Betrunkener. Endlich machte er bei einem Erdeinschnitte Halt.

„Hier ist die von meinem Oheim bezeichnete Stelle“, sagte Ibrahim, der bisjetzt geschwiegen. „Bleibe ruhig und ohne Sorge! Am Abend bringe ich dir die Kamele, und wir reisen ab; hier ist Wasser und Brot. Ich gehe zurück, um meine Vorbereitungen zu treffen; bleibe gesund!“

Wieder war ich allein, wieder den Tag über dem Sonnenbrand ausgesetzt, jedoch war es heute für mich leichter zu ertragen, war ich ja doch meinem heißersehnten Ziele nahegerückt.

Endlich verschwand die Sonne vom Horizonte, und nach weiterm einstündigen Warten hörte ich deutlich den Hufschlag rasch schreiten— der Thiere auf dem Gestein. Ich erhob mich und erkannte Achmed Abdallah, der in Begleitung zweier Männer auf Eseln reitend auf mich zukam. Rasch abspringend, drückte er mich stürmisch an seine Brust.

„Gott sei gedankt für deine Rettung!“

Dann auf die mit ihm gekommenen Männer weisend, sprach er: „Diese beiden sind meine Brüder und mit mir gekommen, um dir Glück zu wünschen.“

Ich begrüßte sie mit Händedruck und sagte, zu Achmed gewandt: „Du bist mir unverständlich! Deine stürmische Freude ...?“

„Gewiß“, unterbrach er mich, „denn du bist ungeahnt einer großen Gefahr entronnen. Höre: Vor drei Tagen erhielt der Emir von Berber, Seki ebn Etman, die Nachricht, daß die in Murat befindlichen Soldaten der ägyptischen Regierung bedeutend verstärkt die Mahdisten-Station Abu Hammed anzugreifen beabsichtigten. Seki ebn Etman sandte Verstärkung nach Abu Hammed, und heute Mittag passirten 60 Pferde und circa 300 Mann Fußvolk unsere Wohnungen. Du kennst ja diese wilde Horde, die sich Ansar nennen. Wir hatten ein Schaf geschlachtet und waren beschäftigt, das Nöthige für deine Wegzehrung zu bereiten, als sie uns ganz unerwartet überraschten. Der für dich bestimmte Proviant wurde von ihnen aufgezehrt, dann aber zerstreuten sie sich, nach Beute suchend. Wir standen deinetwegen große Angst aus, konnte doch einer dieser Schurken zufällig bis zu deinem Versteck gelangen! Jetzt sind sie, Gottes Fluch möge sie begleiten, abgezogen. Dem Herrn, der dich beschützt, sei Dank!“

Auch ich dankte aus vollem Herzen meinem Schöpfer, der mich aus großer, ungeahnter Gefahr errettet.

Wie ich später erfuhr, war der Chefcommandant der ägyptischen Armee, General Kitchener Pascha, nach Wadi Halfa gekommen, um die jährlichen Uebungsmanöver zu leiten. Oberstlieutenant Machell Bey ging mit dem 12. Sudan-Bataillon und 200 Mann Kamelreiterei von Wadi Halfa über Murat nach Korosko, und dies war die Ursache der Verbreitung des Gerüchts über die Verstärkung in Murat und einen Angriff auf Abu Hammed.

„Die Kamele werden sich etwas verspäten“, fuhr Achmed in seinen Mittheilungen fort, „ich habe sie bei der Ankunft der Derwische schnell landeinwärts geschickt, aus Furcht, diesen die Munition oder anderweitigen Bedarf vermittelst der Thiere weiterschaffen zu müssen. Solltest du geneigt sein, dich bis morgen zu gedulden, so würden wir frischen Proviaut herbeischaffen.“

„Nein, ich wünsche jedenfalls heute abzureisen, und Mangel an Proviant soll mich daran nicht hindern“, erwiderte ich rasch; „hoffentlich kommen die Kamele bald.“

Erst gegen Mitternacht brachte man die drei Thiere.

Achmed Abdallah stellte mir meine beiden Führer vor: „Ibrahim Ali, der Sohn meines Bruders, und Jakub Hassan, ebenfalls ein naher Verwandter; sie werden dich zum Scheich Hamed Faday, dem Oberhaupte der Amrab-Araber, bringen, die der ägyptischen Regierung unterthan sind. Durch seine Vermittelung wirst du sicher nach Assuan gelangen.“

Wir füllten die Wasserschläuche und nahmen Abschied.

„Entschuldige den Mangel an Proviant, es ist jedoch nicht meine Schuld“, meinte Achmed Abdallah. „Ihr habt Mehl und Datteln, wenn auch keine Leckerbissen, so doch genug, um euch vor Hunger zu schützen.“

Wir ritten dreieinhalb Stunden vor Sonnenaufgang in der Richtung Ostnordost ab, und als der Morgen graute, befanden wir uns an dem östlichen Rande von Wadi el Homar (Eselsthal). Dasselbe hat den Namen von den hier häufig vorkommenden wilden Eseln und ist größtentheils vegetationslos. Im weitern Verlaufe nahm die Gegend den echten Wüstencharakter an: sandige, weite Flächen mit weit voneinander entfernten, niedrigen Bergen ohne jeden Baum- oder Graswuchs.

Nach zweitägigem, beinahe rastlosem Ritte erreichten wir am Mittwoch Morgen die früher von den Bischaria-Arabern bewohnten Gebirge von Nurauei. Zwischen hohen, besonders schroff abfallenden Bergen windet sich das meist nordöstliche Richtung haltende Thal, eingesäumt von grünen Mimosenbäumen. In einem Seitenarme desselben befindet sich der nach dem Gebirge benannte Brunnen.

Da Ibrahim Ali abgestiegen war und von einem erhöhten Standpunkte gesehen hatte, daß der Brunnen vollkommen menschenleer war, gingen wir hin, tränkten in Eile unsere Thiere und füllten unsere Wasserschläuche.

Der Brunnen hatte etwa 25 Meter im Durchmesser, an 6 Meter Tiefe und ist gegen die Mitte schief abgegraben. Die auf dieser schiefen Ebene stellenweise hervorstehenden Steine und Felsblöcke dienen als Treppe, auf der man bis zu dem in der Mitte befindlichen Wasserloche hinabgelangt.

Da Brunnen immer Sammelplätze von Leuten sind, verließen wir denselben baldigst und machten, nachdem wir die Berge von Nurauei überschritten und in die Ebene gelangt waren, nach etwa drei Stunden Halt.

Es war ein großer Unterschied zwischen meinen frühern und den jetzigen Führern: jene, muthige, hingebende Leute, selbst bereit, ihr Leben mit mir und für mich zu opfern, waren diese geradezu das Gegentheil. Nur mürrisch versahen sie den ihnen von ihrem Verwandten Achmed Abdallah aufgedrungenen Dienst, sich immer über das gefahrvolle Unternehmen, dessen Gewinn andern zufließe, über Schlaflosigkeit und selbst Hunger beklagend. Durch ihre Nachlässigkeit hatten sie unterwegs meine Sandalen und mein Feuerzeug verloren; später sollte ich den Verlust der erstern noch schwer empfinden.

Am andern Tage, Donnerstag, erreichten wir gegen 11 Uhr den Brunnen von Duem, und obwol die sich hier zeitweise aufhaltenden Stämme den Mahdisten feindlich gesinnt sind, zog ich es doch vor, verborgen zu bleiben.

Ibrahim Ali und Jakub Hassan sollten mich, wie ihnen von Achmed Abdallah befohlen, zu Scheich Hamed Faday bringen, was jedoch nicht ihren Absichten entsprach.

Sie kamen nachmittags zu mir und machten mir Vorstellungen, in welcher Gefahr sie schwebten, wenn sie von ihren Leuten mehrere Tage vermißt würden. Da man von seiten des Chalifa und seiner Untergebenen gewiß alles aufbieten werde, um zu erfahren, wer mir zur Flucht verholfen, ihr Stamm aber ohnedies im Geruche stehe, der ägyptischen Regierung freundlich gesinnt zu sein, so sei nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Person meines Freundes Achmed ebn Abdallah zu fürchten. Zum Schlusse baten sie mich um meine Zustimmung, einen ihnen wohlbekannten, in nächster Nähe wohnenden Mann aufsuchen zu dürfen, der mich weiterbringen sollte.

Ich sah ein, daß sie mir durch ihren Widerwillen bei der Weiterreise mehr schaden als nützen würden, und so kam mir ihr Vorschlag bei der Abneigung, die ich gegen diese Führer ohnedies hegte, beinahe erwünscht; ich befahl ihnen daher, die Sache so schnell als möglich nach ihrem Gutdünken ins Reine zu bringen. Noch vor Sonnenuntergang kamen Ibrahim und Jakub und mit ihnen der gewünschte Mann. Er hieß Hamed Garhosch, war ein Amrab-Araber und mochte weit über fünfzig Jahre zählen.

„Jeder Mensch sucht seinen Vortheil und Gewinn“, sagte er kurz, nachdem er mich begrüßt. „Deine mir wohlbekannten Führer wünschen, daß ich dir als Wegweiser von hier nach Assuan diene; ich bin dazu bereit, doch was habe ich zu erwarten?“

„Ich gebe dir am Tage meiner Ankunft daselbst 120 Maria Theresia-Thaler und überdies noch ein Geschenk, dessen Höhe nach der Art, wie du deiner Pflicht nachkommst, bemessen sein wird.“

„Angenommen“, sagte er, mir die Hand reichend. „Es bezeugen Gott und sein Prophet, daß ich dir vertraue. Ich kenne eure Rasse, ein Weißer lügt nicht! Ueber unbetretene Gebirgswege, nur von den Vögeln der Lüfte gesehen, werde ich dich zu den Deinigen bringen. Halte dich bereit, nach Sonnenuntergang gehen wir ab!“

Ich bestimmte nun das kräftigste von den drei Kamelen zu meiner Weiterreise und nahm zwei Wasserschläuche, den größern Theil der Datteln und etwas Durrahmehl als Proviant an mich.

Bei einbrechender Dunkelheit kam Hamed Garhosch. Sein Sohn war auf dem einzigen Kamele, das er besaß, in die Gegend von Rubatat nach dem Flusse geritten, um Getreide zu suchen, und er daher gezwungen, den Führerdienst zu Fuß zu leisten. Da der Weg meist gebirgig war und das Kamel daher ohnedies nur Schritt gehen konnte, so hatte ich nicht viel dabei zu verlieren, es kam nur auf seinen guten Willen und die Ausdauer seiner Beine an. Ich verabschiedete mich von Ibrahim und Jakub mit kurzen Worten. Die Freude, einander los geworden zu sein, war gewiß eine gegenseitige.

Nach mehr als zweitägigem Marsche über meist kahle Berge und steinige Hügel, die durch kleine, sandige Flächen voneinander getrennt waren, erreichten wir am Sonntag Vormittag einen kleinen, halbverschütteten Brunnen, Schof Ein genannt. Obwol anzunehmen war, daß er von Menschen unbesucht, erwartete ich meinen Führer doch, wie er gewünscht, an einem etwa eine Stunde entfernten Platze.

Unsere Nahrung bestand aus Datteln und selbstgebackenem Brote, wenn man es so nennen darf; denn ich bin überzeugt, daß, obwol sich Hamed Garhosch seiner Kunst besonders rühmte, diese harten, geschmacklosen, braunen Fladen bei unsern Bäckermeistern einen Sturm gerechter Entrüstung hervorrufen würden.

Mein Führer legte zur Bereitung derselben kleine, etwa taubeneigroße Steine eng aneinander und häufte darüber trockenes Holz. Nun knetete er Durrahmehl mit Wasser vermischt in einer Holzschüssel ab und zündete den früher errichteten Scheiterhaufen mit Feuerstein und Lunte an. Nachdem derselbe abgebrannt, entfernte er die glühenden Holzstücke von den heiß gewordenen Steinen, schüttete den angemachten Teig darauf und deckte ihn mit den eben entfernten glühende Kohlenresten wieder zu. Nach einigen Minuten zog er sein Kunstprodukt, das nun hart wie ein Brett geworden, hervor, prügelte es mit einem Stöckchen ordentlich ab, um die Asche und angeklebte Steine zu entfernen, und servirte es. Wir aßen diese Misgeburt von einem Backwerk mit gutem Appetit, ja beinahe mit Behagen, und hier bewährte sich thatsächlich das Sprichwort: Hunger ist der beste Koch.

Nach kurzer Rast verließen wir den Brunnen Schof Ein und gelangten nach wenigen Stunden zu den ersten Bergen des Etbai.

Dieses Gebirge (el Etbai), zwischen dem Rothen Meere und dem Nil, wird im Süden von Bischaria- und Amrab-Arabern, im Norden vom Stamme der Ababda bewohnt. Zwischen hohen, schwarzen, manchmal senkrecht abfallenden Bergen ohne jede Vegetation ziehen sich die breiten, von Bäumen stark bewachsenen Thäler hin, die den Kamelheerden dieser Stämme als Weideplätze dienen.

Auf beinahe ungangbaren Wegen gingen wir rastlos vorwärts, war ich doch getrieben von der Sehnsucht nach den Meinen und dem Wunsche, die beschwerliche Reise so schnell als möglich zu beendigen. Obwol wir nun nichts mehr zu fürchten hatten, da wir uns außerhalb der Machtsphäre der Mahdisten und auf ägyptischem Gebiete befanden, so wünschte doch mein Führer auf das entschiedenste, ungesehen zu bleiben. Er fürchtete, von den Leuten, die ja in kaufmännischen Beziehungen zum Sudan stehen, erkannt zu werden. Da seine Heimat an der Mahdistengrenze lag und er häufig durch Geschäfte gezwungen war, nach Berber zu gehen, so konnte die Thatsache, daß er mir als Führer auf meiner Flucht gedient, leicht bekannt werden und für ihn die traurigsten Folgen haben.

Doch bei ihm hieß es: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach. In vorgerückterm Alter stehend, machten ihn die mangelhafte Nahrung und der überaus anstrengende Marsch leidend; überdies war ihm die manchmal recht empfindliche Kälte so peinlich, daß er erkrankte, obwol ich ihm meine Giuppe überlassen hatte, während ich selbst nur Ferda und Hesam um den bloßen Körper geschlungen trug. Um weiter zu kommen, überließ ich ihm während der letzten vier Tage auch das Reitthier und folgte ihm, da mir meine frühern Führer die Sandalen verloren hatten, barfüßig auf dem steinigen Boden. Das war für mich physisch der schwierigste Theil meiner Reise.

Ja, selbst unser Kamel wollte uns im Stiche lassen; es hatte sich den rechten Vorderfuß wundgegangen und ihn überdies durch einen spitzen Stein so arg verletzt, daß es dem armen gequälten Thiere kaum möglich war, damit aufzutreten. Ich war gezwungen, meine wollene Leibbinde zu opfern, aus der ich, indem ich sie mehrfach zusammenlegte, dem Thiere eine Art Schuh machte, der aber täglich erneuert werden mußte. Diese Procedur hatte ich in Darfur bei den nördlichen Stämmen der Kamelhirten gesehen, die dazu aber Leder verwenden; nun kam mir das früher Erlernte zugute.

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Endlich Sonnabend, den 16. März, morgens bei Sonnenaufgang von der Höhe absteigend, erblickte ich den Nil und an seinem Ufer — — Assuan!

Die freudigen Gefühle, die mich durchströmten, waren unbeschreiblich. Meine Leiden hatten ein Ende. Gerettet aus den Händen fanatischer Barbaren, sahen meine Augen zum ersten male seit langen, langen Jahren einen Wohnsitz civilisirter Menschen, in einem Reiche, das von seinem Herrscher nach Recht und Gesetz regiert wird!

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Von den im Dienste Sr. Hoheit des Chedive stehenden englischen und den ägyptischen Offizieren, zu denen die überraschende Nachricht meiner Ankunft erst im letzten Augenblicke gekommen war, wurde ich im Commandogebäude freudigst empfangen, und man wetteiferte in jeder Weise, mir die ausgestandenen Leiden vergessen zu machen.

Der zufällig eben von Wadi Halfa angekommene Grenzcorpscommandant Generalmajor Hunter Pascha^1^ sowie seine Obersten, Jackson Bey, Sidney Bey, Machell Bey, Major Watson und andere, deren Namen mir momentan entfallen sind, stellten mir Kleider, Wäsche u. s. w. in der liebenswürdigsten Weise zur Verfügung. Bevor ich mich aber umkleidete, mußte ich meinem liebenswürdigen Freunde Watson, einem famosen Zeichner, gestatten, von mir eine Skizze zu entwerfen, was ich natürlich freudigst zugab.

Meinem Führer Hamed Garhosch ließ ich durch den mir von früher her bekannten Putrus Bey Cerhis, der jetzt in Assuan englischer Viceconsul ist, sogleich die bedungenen 120 Maria Theresia-Thaler auszahlen. Er erhielt von mir noch ein Geldgeschenk, Kleider und Waffen, Generalmajor Hunter Pascha gab ihm überdies als Zeichen der Freude über meine Ankunft 10 Pfund. So plötzlich zum wohlhabenden Manne geworden, nahm er bewegt Abschied von mir.

Schon nach kurzer Zeit langten Glückwunschtelegramme ein, das erste von Oberst Lewis im eigenen und im Namen der Garnison Wadi Halfa, dann von dem in meiner Angelegenheit unermüdlichen hochverehrten Chef unserer diplomatischen Agentie, Baron Heidler von Egeregg, und meinem aufopfernden Freunde Oberst Wingate Bey^2^. Von dem hier als Reisenden weilenden Baron Victor Herring und dessen Sohn erhielt ich die ersten Landsmannsgrüße.

Ein glücklicher Zufall wollte es, daß der Postdampfer noch an demselben Nachmittage abging; ich benutzte ihn natürlich zu meiner Weiterreise. Begleitet von sämmtlichen Offizieren unter den Klängen der österreichischen Volkshymne, die mir Thränen der Rührung entlockte, bestieg ich unter den jubelnden Zurufen der zahlreich anwesenden Touristen der verschiedensten Nationen den Dampfer.

Ich war gerührt, befangen, beschämt! Wenn auch stets bemüht, in allen Fällen meine Ehre aufrecht zu erhalten, wie es jeder andere Offizier an meiner Stelle auch gethan hätte, hatte ich doch nichts geleistet, was diese ungewöhnliche Theilnahme erwarten ließ, denn meine Gefangenschaft war reicher an Leiden als an Verdiensten.

Ich reiste in Begleitung Machell, Bey's, des Commandanten des 12. Sudan-Bataillons, dessen Uebungsmarsch von Wadi Halfa nach Murat und Korosko die unschuldige Ursache war, daß mir mein Proviant von den Mahdisten aufgegessen wurde und ich dann in der Wüste so viel Hunger leiden mußte. Ich nahm fürchterliche Rache! Er mußte nun all meinen Wünschen, Essen und Trinken betreffend, unbedingt Folge leisten und er ertrug dieses Martyrium mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit und militärischer Ausdauer.

Am Sonntag Abend in Luxor angekommen, war ich wieder Gegenstand der freundlichsten Theilnahme von seiten der europäischen Reisenden. Hier erhielt ich durch Herrn Baron Heidler die ersten telegraphischen Grüße meiner lieben Geschwister aus meiner Vaterstadt Wien.

Geschwister — Vaterstadt! Wie lieb und heimisch klingen diese Worte!

Montag, um 5 Uhr nachmittags, erreichten wir Girgeh, die südlichste Station der ägyptischen Staatseisenbahn, und benutzten den Schnellzug nach Kairo, wo wir Dienstag, 19. März, 6 Uhr 10 Minuten früh ankamen.

Trotz der frühen Morgenstunde hatte sich auf dem Bahnhofe Baron Heidler von Egeregg mit seinen Beamten und der Consul Dr. Carl Ritter von Goracuchi mit seinem Personal zur Begrüßung eingefunden, ferner mein theurer Freund Wingate Bey, dem ich für seine Thätigkeit weder in Worten noch in Thaten genug danken kann, dann auch der einige Monate vor mir hier eingetroffene Pater Rossignoli von der centralafrikanischen Mission, der „Times“-Correspondent und andere. Ein lauernder Photograph machte Momentaufnahmen.

Wir fuhren in das Palais der österreichisch-ungarischen Agentie, wo ich die mir angewiesenen Wohnungsräume mit den Emblemen und Farben meines lieben Vaterlandes geziert und reich mit Blumen geschmückt fand. Ueber dem Eingange prangte ein herzliches „Willkommen auf heimatlichem Boden“.

Durch Monate genoß ich hier die außerordentliche Gastfreundschaft Baron Heidler's, der so viel für meine Befreiung gethan hatte. Seine unermüdliche Fürsorge und warmherzige Theilnahme für meine Person, welche weit über die Grenzen seines amtlichen Pflichtenkreises hinausgingen, waren in der That geeignet, mir Heimat und Familie einstweilen zu ersetzen. Noch an dem Tage meiner Ankunft erhielt ich zahlreiche telegraphische Grüße von meiner Familie, meinen Freunden, Studiengenossen, militärischen Kameraden, Zeitschriften und andern, die mich zu meiner Rettung in liebenswürdigster Weise beglückwünschten. In Kairo selbst fand ich Se. Königliche Hoheit den Herzog von Württemberg und den General der Cavallerie Prinzen Louis Esterhazy, die vor langen Jahren im bosnischen Feldzuge commandirten, an dem auch ich als junger Reservelieutenant theilgenommen hatte, und die mir nun ihre Theilnahme an meinem Schicksale und ihre Freude an meiner Errettung in der ehrendsten und herzlichsten Weise auszudrücken die Güte hatten.

Se. Hoheit der Chedive zeichnete mich in der huldvollsten Weise aus und beförderte mich vom Oberstlieutnant, welche Charge ich früher bekleidet hatte, unter Verleihung des Paschatitels zum Obersten. Einige Tage unach meiner Ankunft stand ich am Balkon des Consulatspalais und blickte in den schönen Park, der im herrlichsten Frühlingsschmuck prangte, da sah ich einen gezähmten Reiher spielend durch die Blumenbeete dahinschreiten. Ich wußte nicht, woran er mich erinnerte; plötzlich aber kamen mir die Worte ins Gedächtniß „Falz-Fein, Ascania— Nova, Gouvernement Taurien, Südrußland“. Ich trat in das Zimmer zurück und schrieb unter dieser Adresse einige Zeilen, daß Ende 1892 in Dongola ein Kranich erlegt worden sei, der eine Metallkapsel mit obiger Adresse an dem Hals getragen habe und daß mir dieselbe in Omderman von dem Chalifa zur Ansicht gezeigt worden sei. Wie freute mich diese Reminiscenz, wie glücklich war ich, dem Wunsche des frühern Besitzers dieses Vogels nachkommen und ihn über dessen Schicksal verständigen zu können. Die herzlichen Worte des Dankes, die ich bald darauf erhielt, bewiesen mir, daß mein Interesse an dieser kleinen Episode kein einseitiges war.

Pater Josef Ohrwalder, der zur Zeit meiner Ankunft als Missionar in Sauakin weilte, scheute die Reise nicht und kam nach Kairo, mich zu begrüßen. Er gab mir so Gelegenheit, ihm, meinem langjährigen Leidensgefährten, wenigstens mit Worten für die aufopfernde Thätigkeit zu danken, die er für meine Befreiung entfaltet hatte.

Das vielseitige, häufig allzu rege Interesse, das mir nun auch von fernstehenden Personen in der Form weitestgehender gesellschaftlicher Ehrungen gewidmet wurde, ließ mich kaum zu Athem kommen. Der Contrast zwischen meinem frühern und dem sich mir jetzt bietenden Leben, die mannichfachen und erregenden Eindrücke mir fremd gewordener Verhältnisse ließen mir Vergangenheit und Gegenwart wie im Traume erscheinen. Erst allmählich fand ich Ruhe und Sammlung, fand das mir fast verloren gegangene Gleichgewicht wieder, welches ich nun auch zu ernster Arbeit nöthig hatte.

Jetzt blicke ich zurück auf die langen Jahre meines Lebendigbegrabenseins, gedenke jener Unglücklichen, die noch unter dem Drucke schmachten, dem ich glücklich entronnen bin, und danke dem Allmächtigen, dessen schirmende Gnade ich in wunderbarer Weise erfahren habe, aus vollstem Herzen.

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Footnotes

  1. [Hunter Pascha: vergleiche Archibald Hunter]{.footnote}

  2. [F. R. Wingate: vergleiche Francis Reginald Wingate]{.footnote}