Weihnacht (Lavant)
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Weihnacht.
Weithin verschneit das schweigende Gefild,
Doch in den Häusern Nadelduft und Kerzen,
Und eine Regung seltsam weich und mild
In längst verhärteten und kalten Herzen!
Zermürbt, zerthaut des Eises starre Rinde
So wird der Mann, der rauhe Kämpfer, auch
Mit seinen Kindern wiederum zum Kinde.
Mehr als die Palme ist das Fichtenreis
Kein Groll so tief, daß nicht unmerklich leis
Er vor der Weihnachtsstimmung müsse weichen,
Und der vordem dem Herzen lange Zeit
Begründet schien für unser ganzes Leben,
Und schön und leicht erscheint uns das Vergeben.
Du sprichst zu Allen, höchstes Fest im Jahr,
Dein Wort ist Liebe und Dein Blick Vertrauen.
Du bindest wieder, was zerrissen war,
Wohin der Wind den Deutschen wehen mag
In Nord und Süd, in fremder Völker Mitte,
Er feiert traulich seinen Weihnachtstag,
Der Heimath schönste, seelenvollste Sitte.
Zu einer Sitte aller Völker werden,
Wann aber wird der Engelruf erfüllt,
Der da verheißen: „Friede sei auf Erden!“?
Wann kommt der Tag, an dem die Zwietracht wich,
Wann kommt der Tag, an dem geschwisterlich
Die Hand zum Bund sich die Nationen reichen?
Noch schaltet frei und zügellos der Haß
Und Eifersucht ist Herr, wo Menschen wohnen,
Nach seines Bruders, seines Nachbars Kronen;
Noch ist uns Feind, was and’re Zunge spricht,
Ein bunter Grenzpfahl setzt der Liebe Schranken,
Noch stehen wir auf jener Höhe nicht,
Wann seh’n wir ein, daß ein Phantom uns narrt,
Wenn Groll wir gegen Brudervölker hegen?
Wann wird Europa, das in Waffen starrt,
Reif zum Entschluß, die Rüstung abzulegen?
Wir dürften wohl Dich Völkerweihnacht nennen,
Doch eh’ Du anbrichst, wird noch manches Mal
Im deutschen Haus der grüne Christbaum brennen.
R.L.