Ein Tag auf Mitten-Java
Eine kurze, geheimnißvolle Dämmerung — der Tag bricht an. Das Gestirn des Tages kennt in den heißen Gegenden nicht den Kampf mit der Nacht, siegreich überwindet es in einem Augenblick die Dunkelheit; urplötzlich, fast unvermittelt grüßt die ewige Sonne den jungen Tag, und Leben, unversiegliche Kraft und Fülle lockt sie mit ihren glühenden Strahlen aus dem fruchtbaren Erdreich.
Leise und kosend streicht ein sanfter, erfrischender Wind durch das Schilf am Bergsee und flüsternd neigen sich die Halme einander zu, als erzählten sie sich süße Märchen von den Wundern des kommenden Tages, von den Geheimnissen der vergangenen, sterndurchglühten Nacht. In dem Laub des nahen Waldes wird es lebendig. In seiner schweigenden Pracht, seiner heiligen unentweihten Stille gleicht er bis jetzt noch einem ungeheuren Dom, gellend aber wird die Stille unterbrochen — ein Heer goldgefiederter, farbenglühender Papageien schwingt sich bald kletternd, bald fliegend von Ast zu Ast — weithin erschallt ihr kreischender Morgengesang.
Dort unten theilt sich das Schilf. Leise und vorsichtig naht sich die schlanke Gazelle der Tränke, mißtrauisch und scheu blickt sie mit den feuchtglänzenden, großen Märchenaugen sich um, sie weiß, daß ihrer Feinde viele sind, und daß nicht nur der Mensch mit seinem spitzen Pfeil oder dem mordenden Blei blutgierig auf sie lauert, auch der Herrscher jener Wälder und Sümpfe, der schleichende Tiger, lechzt nach ihrem Herzblut und wehe ihr, wenn er die gewaltigen Tatzen in ihren schlanken Hals schlägt. Und doch ist der Spiegel des Sees so verlockend, sein klares Wasser ist so einladend, so kühlend und erfrischend, nur noch wenige Schritte und die verdorrende Zunge findet die ersehnte Labung. Noch einmal hebt das graziöse Thier die feinen Nüstern, der Morgenwind soll ihm sagen, ob ein tückischer Räuber in der Nähe ist. Aber der Wind, der mit den Wellen kost und mit den Blüthen spielt, sagt ihm nichts, ahnungslos schreitet die Gazelle vorwärts — da, ein kurzes, dumpfes [66] Knurren wie unterirdischer Donner, mächtig rauscht das Schilf auseinander und der gelbe schwarzgestreifte Tiger sitzt dem unschuldigen Thier an der Kehle, von der Wucht des Sprunges niedergerissen sinken Beide nieder.
Platt an den Kopf gedrückt sind die Ohren der großen, blutgierigen Katze, ihr glänzendes Rückenhaar sträubt sich hoch empor, die grünen Augen funkeln vor brennender Begier nach dem warmen, rothen Blut, und mit mächtigen Schlägen peitscht der kraftvolle geringelte Schweif die fliegenden Weichen. Mit langen Sätzen eilt der Räuber mit der Beute im Rachen seinem Waldversteck zu, wo die hungrigen Jungen seiner warten. Wieder wird es still an dem Bergsee, der kurze Morgenwind hat sich gelegt, nur die Sonne, die allmählich heißer wird, trinkt die letzten Thautropfen von den Gräsern. Bunte Schmetterlinge wiegen sich auf den großen, farbenprächtigen Blumen, sie saugen Duft und Nahrung aus den gastlichen Kelchen. Drinnen im Walde jagt sich eine Schaar munterer Affen, sie führen in den verworrenen Schlinggewächsen ihre tollsten, possirlichen Sprünge aus. Irgend etwas reizt die Neugier der geschickten Vierhänder, in wirrem Durcheinander fliehen sie, noch lange hört man ihr Gekreisch. —
Wie ist der Urwald wild und doch so wunderbar, so mächtig ergreifend und doch wieder so zart besänftigend! Wie nichtig und klein ist der Mensch mit seinem vergänglichen Tand, seiner verzehrenden Selbstsucht, die nimmer rastet, nimmer Ruhe findet, gegen die Urgewalten der Natur, die mit ungezügelter Schöpfungskraft, aber mit stolzer Ruhe sich ewig und ewig neu verjüngt, die mit ihren Riesenwerken uns Staunen und Ehrfurcht abzwingt. Dort, jener tausendjährige Stamm, den der Orkan entwurzelte, er schien für die Ewigkeit gewachsen, aber er mußte Raum schaffen für frisches, sprossendes Leben, sein vergehender Leichnam spendet dem Nachwuchs Nahrung, aus dem abgestorbenen, unnützen Riesen keimen jung und blühend sprießende Triebe. Und auch sie werden wachsen und erstarken wie alle ihre Nachbarn und sie werden wieder verschwinden, um neuem, warm pulsirendem Leben Platz zu machen.
Wohin wir blicken, sehen wir unerschöpflichen Reichthum, überschäumende Fülle. Die Natur ist gütig und freigebig wie eine wahre Mutter. Unter dem schützenden Blätterdach wächst die würzige Ananas, die dem unmäßigen Europäer so häufig Krankheit und Tod bringt. Der Bananenbaum neigt seinen fruchtbeladenen Gipfel, kaum vermag er die Last zu tragen. Hoch oben an den schlanken Palmen hängen die grünen Kokosnüsse, ungezählt — hier sind sie im Entstehen begriffen, dort sind sie [67] bereits abgefallen und modern im Erdreich. Und alle Bäume und Sträucher sind durch phantastische Schlinggewächse verbunden, die mit ihren großen Blumen einen berauschenden Duft ausströmen. Hier aber droht dem Unkundigen Gefahr, denn in dem verworrenen Schlinggewächs haust die schillernde, giftgeschwollene Schlange, deren Biß unfehlbaren Tod bringt.
Weit weg vom Waldessaum, wo das sammetgrüne Reisfeld anfängt, liegt in dem bläulichdunklen Palmenhain ein Dörfchen der Eingeborenen. Nur mit Mühe entdeckt man die kleinen, unscheinbaren Bambushütten, denen die Thür zugleich als Fenster und Schornstein dient. Jedes dieser Häuschen sieht aus, als wäre es der Zwillingsbruder des anderen, ohne Mühe und Sorgfalt sind sie hergestellt, so wie mancher Vogel sein Nest baut. Es ist noch früh am Tage, die Bewohner sind an ihr Tagewerk gegangen, halten wir daher Umschau in einer Hütte.
Es ist nur ein einziger Raum, welcher der ganzen Familie zum Aufenthaltsort dient. Eine niedrige, breite Bank, welche die eine Längsseite des Hauses einnimmt, ist die gemeinschaftliche Schlafstätte. Auf dem festgestampften Erdboden stehen einige Kochtöpfe — das ist Alles. Ein dumpfiger, scharfer Geruch, der von Speiseresten herrührt, zwingt uns sehr bald, den Raum wieder zu verlassen. Das Dörfchen ist wie ausgestorben, nur einige Greise und alte Frauen, die zur Arbeit nicht mehr tauglich sind, sitzen auf den Straßen und verscheuchen mit Steinwürfen die unzähligen, halbwilden Hunde, die überall herumkläffen und herumstehlen, von den Wohnungen. Es ist ein Bild trostloser Armuth, unendlicher Verkommenheit, welches uns hier umfängt. Und dennoch spendet die Natur hier Fülle und Segen, wie vielleicht nirgends auf Erden. Dreimal kann hier Reis, das Hauptnahrungsmittel, im Jahre geerntet werden, zweimal bringt der Kaffeestrauch seine würzigen Beeren hervor und zweimal wird das Zuckerrohr zum Abschnitt reif. Die kostbarsten Gewürze gedeihen, wohin man blickt, und auch das Innere der Erde birgt ungeahnte Schätze. Aber das Volk kommt um vor Hunger, es verkommt in Elend und Unwissenheit.
Es ist „cultivirt" worden, der habsüchtige Europäer hat ihm das Opium gebracht, dafür hat man dem Eingeborenen sein Land genommen und läßt ihn Frohndienste thun, wo er als freigeborener Mensch frei die Früchte seines Fleißes hätte genießen können. Die Ueberreste einer alten, erhabenen Cultur, die sich in gewaltigen Bauwerken noch erhalten haben, erblickt fast nie ein europäisches Auge, sie liegen im Gebirge, wohin sich nur selten Jemand verirrt. Die systematische Verdummung und das Opium [68] haben dem einst so rührigen Volk selbst die Erinnerung an die culturellen Großthaten der Väter geraubt, heute steht der entartete Nachkomme stumm und blöde vor den Denkmälern seiner Vorfahren.
Gehen wir hinaus auf das Feld und sehen wir, wie der Eingeborene hier arbeitet, um das zu erringen, was ihm zum Lebensunterhalt nothwendig ist. Die Sonne scheint schon empfindlich warm, nur noch wenige Stunden, und die Hitze verbietet jede Beschäftigung.
Gleich hinter dem Bergabhang ist eine Familie bei der Feldarbeit. Es gilt, ein Stück Reisland umzuarbeiten. Bis an die Hüften stehen Mann und Frau in dem zähen, festen Schlamm. Wie Bronce glänzen die braunen Körper in der Sonne, der Schweiß rinnt ihnen in dicken Tropfen den nackten Rücken entlang. Unermüdlich saust die schwere Hacke in den morastigen Boden, Mann und Frau führen dieselbe abwechselnd. Halbwüchsige Kinder helfen die nassen Schollen zerkleinern — ohne ein Wort zu reden, schweigend wie der Stier den Pflug zieht, verrichten die Leute ihr Tagewerk. Jetzt steht die Sonne so hoch, daß unter ihren sengenden Strahlen alles erstirbt, kraftlos sinken dem Manne die Arme nieder, es kommt die Ruhepause. Mühsam windet man sich aus dem Schlamm, in dem nahen Bergbach nimmt die Familie ein gemeinschaftliches Bad und schweigend eilt man der nahen Hütte zu. Ein paar Hände voll gequellter Reis, eine Pfefferschote, das ist alles, was die verlorenen Kräfte ersetzen soll, müde und matt sucht Jeder die dumpfige, stickige Behausung auf. — —
Mittagssonne in den Tropen! Die Gluth der Sonnenstrahlen drückt jede Bewegung nieder, sie erschwert das Athmen, sie lähmt Alles. Kein Wölkchen am Himmel, überall todtenhaftes, grabähnliches Schweigen, Thier und Mensch flieht die Sonne gleichmäßig, bleiern und drückend lastet die Hitze auf Allem. Nur die Plagegeister der Menschen, die Muskitos, ruhen auch jetzt nicht, sie scheuchen den Schlaf von unsern Augen durch ihren schmerzhaften Stich, nichts schützt vor ihrem gierigen Stachel. Ruhelos wälzt sich der Mensch auf seinem Lager, er findet keine Vergessenheit im Schlafe, der Schweiß dringt ihm aus allen Poren, das Gefühl der Unbehaglichkeit verläßt ihn erst, wenn die Hitze allmählich abnimmt.
Sobald in der vierten Nachmittagsstunde die Temperatur wieder eine einigermaßen erträgliche wird, kommen die Menschen wieder aus ihren Hütten, sie müssen die kurze Zeit bis zur Dunkelheit noch ausnützen zu harter, anstrengender Arbeit. Wieder eilt man auf das Feld, wieder saust die Hacke in den Boden, wieder quält sich die Familie ab, [69] bis sie abgemattet und erschöpft das dürftige Lager aufsucht. In den großen Städten freilich herrscht in den späteren Nachmittagsstunden reges Leben, hier entfalten europäische Damen und Herren einen Luxus, der unverständlich wäre, wenn man nicht wüßte, daß viele Millionen brauner Hände für den weißen Mann fast umsonst thätig sein müssen. Versetzen wir uns in eine größere Stadt an der Meeresküste. Auf einem freien Platze spielt eine Militärkapelle ihre lustigen Weisen. Von Nah und Fern sind die europäischen Herrschaften in ihren Equipagen herangefahren. Gefahren? Nein, geflogen, denn der Europäer kennt hier als gewöhnliche Gangart nur die rasende Carriere. Mit sechs und acht Pferden kommen sie in ihren prächtigen Carrossen angallopirt, jedes Pferd wird von einem inländischen Läufer geführt, dessen zwei Beine mit den vieren eines Pferdes gleichen Schritt halten müssen. Die Leute keuchen bei dem wilden Lauf, doch rührt das die Europäer wenig, die den Menschen mit brauner Hautfarbe nicht als ihres Gleichen betrachten. Auf dem Platze angekommen lassen dann die Damen ihre Pariser Toiletten bewundern, deren jede einzelne hier ein Vermögen repräsentirt. Und wenn dann nach kurzer Dämmerung der Abend hereinbricht, dann erstrahlen die vornehmen Häuser in einem wahren Lichtmeer, braune Diener in ihrer malerischen Landestracht warten mit in Eis gekühlten französischen Weinen auf, und die braunen, zartgebauten Dienerinnen fächeln ihren weißen Herrinnen mit großen Palmenwedeln frische Luft zu.
Draußen aber sieht der Mond herab auf die schlummernde Erde, und in seinem Gefolge glühen und blinken die Millionen und Milliarden farbiger Sterne des südlichen Himmels. Ein kühler Wind, der einen scharfen Contrast gegen die Gluthitze des Tages bildet, streicht über das Gelände und treibt die gespensterhaften, langen Nebelstreifen über die Sumpfflächen. Sie bringen das schleichende Fieber mit sich und tragen es weit hinaus in das Land, und tückisch fällt die böse Krankheit in die Hütten und rafft Jung und Alt dahin. Und ebenderselbe Wind entführt aus den Sümpfen die Pestmiasmen, er schleppt die Cholera, den erbarmungslosen Würgengel, in die Häuser. Große Fledermäuse eilen geräuschlos wie auf Geisterfittigen durch die Nacht, heisere Eulen lassen ihren Grabesruf erschallen und der Schakal sucht im Dunkel der Nacht sich an den Resten zu sättigen, die der Tiger von seinem Mahle übrig gelassen hat. Die Natur liegt in banger, starrer Ruhe da, bis sie das leuchtende Gestirn des Tages zu neuem Leben erweckt.