Eugen Bleuler

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Paul Eugen Bleuler

Paul Eugen Bleuler (* 30. April 1857 in Zollikon bei Zürich; † 15. Juli 1939 ebenda) war ein Schweizer Psychiater. Er ist vor allem für seine Leistungen in der Schizophrenieforschung bekannt und hat die Psychoanalyse in die Psychiatrie eingeführt. Bleuler prägte aber auch zahlreiche Begriffe der heutigen psychiatrischen Fachsprache (darunter „Schizophrenie“, „schizoid“, „Autismus“, „Ambivalenz“, „Affektivität“ und „Tiefenpsychologie“).[1]

Bleulers Geburtshaus an der Seestrasse 123 in Zollikon
Gedenktafel an Bleulers Geburtshaus
Grabstein auf dem Friedhof Zollikon

Bleuler wurde in Zollikon südlich von Zürich geboren. Sein Geburtshaus ist das Haus „Gugger“ am Zürichsee (Seestrasse 123). Eugen Bleulers Vater war der Landwirt Johann Rudolf Bleuler (1823–1898), seine Mutter war Pauline Bleuler (1829–1898). Bleuler besuchte die Primarschule in Zollikon und das Gymnasium in Zürich. Er studierte Medizin an der Universität Zürich und schloss 1881 ab. Zu seinem Entschluss, sein Leben der Psychiatrie zu widmen, trug wahrscheinlich eine psychische Erkrankung seiner Schwester Pauline (1852–1926) bei.

Von 1881 bis 1884 war Bleuler Assistenzarzt unter Rudolf Schärer an der Anstalt Waldau in Bern, wo er an der Universität promovierte. Es folgten Studienreisen nach Paris zum Neurologen Jean Martin Charcot, nach London und nach München zu Bernhard von Gudden. Anschliessend war er für kurze Zeit Assistenzarzt bei Auguste Forel an der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich. 1886 wurde Bleuler Direktor der psychiatrischen Klinik Rheinau. 1898 wurde er gegen den Willen der Fakultät Nachfolger von Auguste Forel als Direktor am Burghölzli und ordentlicher Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich. Einer seiner Mitarbeiter am Burghölzli war von 1900 bis 1909 Carl Gustav Jung. Bleuler blieb dort bis 1927 als Direktor. 1932 wurde er zum Mitglied der Gelehrtenakademie Leopoldina gewählt.

Eugen Bleuler war mit Hedwig Bleuler-Waser verheiratet. Das Paar hatte fünf Kinder, darunter den Psychiater Manfred Bleuler (1903–1994), der später wie sein Vater Direktor am Burghölzli wurde.[2] Bleuler wurde auf dem Friedhof Zollikon begraben.

Kritische Würdigung

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Bleuler war der erste europäische Klinikleiter, der sich mit der Psychoanalyse von Sigmund Freud auseinandersetzte. Im Gegensatz zu den meisten Gelehrten seiner Zeit ging Bleuler nicht von einer klaren Trennung zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit aus. Seine Arbeiten beruhen auf einer um Details bemühten Betrachtung jedes einzelnen Falls und der Entwicklung der Person des Kranken. Bemerkenswert ist hier besonders die Beschäftigung mit den Wahnwelten einzelner Kranker und der realitätsbezogenen Auslegung ihrer Äusserungen. Bleuler entwickelte die von ihm so benannte Udenustherapie (auch Oudenotherapie, vom altgriechischen οὐδεν ouden „nichts“ und θεραπεία therapeia „Dienst, Pflege, Heilung“).[3][4] Die Bezeichnung drückt Bleulers Auffassung aus, dass man Krankheiten nicht sofort mit blindem Aktionismus behandeln, sondern den natürlichen Ablauf der Krankheit abwarten soll, wodurch man oft eine Heilung erreicht.

Bekannt wurde Bleuler durch seine Beschreibung der Schizophrenie (siehe Symptome der Schizophrenie nach Bleuler), die deshalb zeitweise nach ihm auch Morbus Bleuler genannt wurde (1911: Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien). Er prägte den Begriff Schizophrenie, mit dem er die Diagnose Dementia praecox von Emil Kraepelin ersetzte. Den Verlauf der Krankheit schätzte er nicht so schlecht ein wie Kraepelin. Von 515 Patienten, die zwischen 1898 und 1905 im Burghölzli erstmals wegen einer Dementia praecox aufgenommen wurden, konnten 60 % wesentlich gebessert entlassen werden.[5] Für Bleuler war die Ambivalenz das Hauptsymptom der Schizophrenie.

In einer Zeit, in der für die Behandlung der Schizophrenie und anderer psychischer Erkrankungen keinerlei medikamentöse Therapie zur Verfügung stand, erreichte Bleuler durch Verbesserung der allgemeingesundheitlichen Voraussetzungen und durch persönliche Zuwendung oft eine Besserung der Symptomatik. Er war auch einer der Ersten, die auf diesen Zusammenhang hinwiesen, und bewirkte eine Abkehr von dem klassischen Irrenhaus, das nicht viel mehr als eine reine Verwahranstalt gewesen war und nicht selten zu einer seelischen Verwahrlosung der Kranken geführt hatte. Bleuler vertrat allerdings auch – wie sein Vorgänger Auguste Forel – eugenische und rassistische Ansichten. So propagierte und initiierte er Zwangssterilisationen und -kastrationen von psychiatrischen Patienten.[6]

Ein Heilungskonzept wurde von Bleuler jedoch nicht erarbeitet. Die Anstaltstherapie beruhte lediglich auf Arbeit und Beschäftigung. Kranke wurden zur Selbstbeherrschung erzogen und in schweren Fällen dressiert. Für die Entlassung war es erforderlich, störende sekundäre Symptome zurückzudrängen und zu beherrschen. Dies wurde von Bleuler und seinen Nachfolgern als „Sozialisation“ bezeichnet.[7]

Nach dem Tod von Eugen Bleuler führte sein Sohn Manfred Bleuler sein Werk weiter. Die Neuauflagen des Standardwerks seines Vaters Lehrbuch der Psychiatrie, das erstmals 1916 erschienen war und schon damals eugenische Auffassungen enthalten hatte, besorgte er ab 1937. In die Auflagen, die 1937 und 1943 in Deutschland erschienen, fügte Manfred Bleuler Aufsätze von Rassenhygienikern wie Hans Luxenburger und Friedrich Meggendorfer ein. In den Nachkriegsauflagen des jahrzehntelang hoch angesehenen Standardwerks wurden diese Einfügungen wieder getilgt und durch Hinweise auf psychiatrische Methoden wie Lobotomie (Hirnoperationen) und Neuroleptika (Psychopharmaka) ersetzt.[8]

Bleuler versuchte synästhetische Wahrnehmungen als erbliche, aber gesunde Phänomene nachzuweisen. Er selbst wies eine nonverbal akustische Wahrnehmungskopplung und seine Schwester Pauline Ton- und Wortphotismen auf. Seinen eigenen Photismus leitete er aus dem Erbgang seiner Mutter ab und die seiner Schwester von einer zusätzlichen psychopathischen Belastung seitens ihres Vaters.

Seine diesbezüglichen Forschungsergebnisse publizierte er 1881 zusammen mit Karl Bernhard Lehmann in der Arbeit Zwangsmässige Lichtempfindungen durch Schall und verwandte Erscheinungen auf dem Gebiete der andern Sinnesempfindungen.

Modellschiff Paul Eugen

1861 stellte Eugen Bleulers Vater Johann Rudolf für seinen kleinen Sohn ein Schiffsmodell her. Vorbild war der Raddampfer Gustav Albert, der 1847 seinen Betrieb auf dem Zürichsee aufnahm. Das Modell ist knapp 1,7 Meter lang und konnte beheizt werden. Es ist im Besitz des Schweizerischen Landesmuseums. Auf der Abbildung ist Bleulers Geburtshaus im Hintergrund zu sehen.

Eugen Bleuler schrieb auch unter dem Pseudonym Manfred Ziermer.[9][10] Nach Bleuler wurden Stationen von Psychiatrischen Anstalten benannt.

2000 wurde der Asteroid (11582) Bleuler nach ihm benannt.[11]

Veröffentlichungen (Auswahl)

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Schriften

Briefwechsel

  • Sieben Briefe von Eugen Bleuler an Sigmund Freud. In: Lydia Marinelli, Andreas Mayer: Träume nach Freud. Die „Traumdeutung“ und die Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. 3. Auflage, Turia + Kant, Wien 2011, S. 144–159, ISBN 978-3-85132-630-7.
  • Sigmund Freud, Eugen Bleuler: „Ich bin zuversichtlich, wir erobern bald die Psychiatrie“. Briefwechsel 1904–1937. Hrsg. von Michael Schröter. Schwabe, Basel 2012, ISBN 978-3-7965-2857-6.
  • Apelt-Riel, S.: Der Briefwechsel zwischen Ludwig Binswanger und Eugen Bleuler von 1907–1939 im Spannungsfeld von Psychoanalyse und Psychiatrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen (2009, S. 14).

Psychiatrisches

Biographisches

Rassenhygiene

  • Urs Aeschbacher: Psychiatrie und «Rassenhygiene». In: Aram Mattioli (Hrsg.): Antisemitismus in der Schweiz 1848–1960. Orell Füssli, Zürich 1998, ISBN 3-280-02329-7.
  • Thomas Huonker: Diagnose «moralisch defekt». Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik und Psychiatrie 1890–1970. Orell Füssli, Zürich 2003, ISBN 3-280-06003-6.
  • Arnulf Möller, Daniel Hell: Das Gesellschaftsbild von Eugen Bleuler – Anschauungen jenseits der psychiatrischen Klinik. In: Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie. Bd. 71 (2003), H. 12, S. 661–667, doi:10.1055/s-2003-45344.
  • Willi Wottreng: Hirnriss. Wie die Irrenärzte August Forel und Eugen Bleuler das Menschengeschlecht retten wollten. Weltwoche-ABC-Verlag, Zürich 1999, ISBN 3-85504-177-6.
Commons: Eugen Bleuler – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Eugen Bleuler: Die Prognose der dementia praecox (Schizophreniegruppe). In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie, 1908, S. 436–464.
  2. Gosteli-foundation, PDF (Memento vom 23. Oktober 2014 im Internet Archive)
  3. Udenustherapie
  4. Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, München/Wien 1965.
  5. Hans Bangen: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992, ISBN 3-927408-82-4, S. 30.
  6. Marietta Meier: Zwangssterilisationen in der Schweiz : zum Stand der Forschungsdebatte Autor(en): Meier, Marietta. In: Traverse, Zeitschrift für Geschichte (Revue d'histoire). Band 11, Nr. 1. Chronos Verlag, 2004, S. 132 ff. Digitalisat
  7. Vgl. Heiner Fangerau, Karen Nolte (Hrsg.): Moderne Anstaltspsychiatrie im 19. und 20. Jahrhundert. Legitimation und Kritik. Stuttgart 2006, S. 301.
  8. Hans Bangen: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992, ISBN 3-927408-82-4. S. 97
  9. Manfred Ziermer, o. ö. Professor [= Eugen Bleuler]. Genealogische Studien über die Vererbung geistiger Eigenschaften. Nachgewiesen an dem Material von 1334 Waldauer Haushaltungen. In: Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie. 5 (1908), Heft 2, S. 178–220 Digitalisat Internet Archive; Heft 3, S. 327–363 Digitalisat Internet Archive
  10. Peter Gilg: Salomon Bleuler. In: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 301: Die Bleuler figurieren unter dem Namen Tanner der Gemeinde Waldau = Zollikon.
  11. Minor Planet Circ. 40707