Dietrich Schwanitz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dietrich Schwanitz (* 23. April 1940 in Werne an der Lippe; † wahrsch. 17. Dezember 2004 in Hartheim am Rhein) war ein deutscher Anglist, Literaturwissenschaftler und Buchautor.

Dietrich Schwanitz wuchs als dritter Sohn der Lehrer Ernst und Margarete Schwanitz, geb. Ter-Nedden, zunächst in Bergkamen-Rünthe im östlichen Ruhrgebiet, nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich für drei Jahre bei mennonitischen Bergbauern in der Westschweiz auf. Bis zum elften Lebensjahr hatte Schwanitz keine Schule besucht. Nach seiner Rückkehr wurde er dennoch in die höhere Schule aufgenommen: Von 1950 bis 1953 besuchte er die Realschule in Werne und anschließend das Neusprachliche Gymnasium in Kamen, an dem er im Frühjahr 1959 das Abitur ablegte.

Ausbildung und Tätigkeiten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit dem Sommersemester 1959 studierte Schwanitz Anglistik, Geschichte und Philosophie in Freiburg, Münster und London. Im Wintersemester 1966 legte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab und arbeitete anschließend als Lehrer am Freiburger Keplergymnasium. 1967 war er als Deutschlehrer an der University of Pennsylvania in Philadelphia und am Wells College in Aurora, New York tätig. Seit November 1967 war Schwanitz schließlich Assistent am Englischen Seminar der Universität Freiburg und wurde dort im November 1969 mit der von Hermann Heuer betreuten Dissertation George Bernard Shaw – Künstlerische Konstruktion und unordentliche Welt zum Dr. phil. promoviert. 1973 heiratete er; mit seiner Frau Gesine hatte er einen Sohn und eine Tochter. Er lehrte zunächst an der Universität Mannheim, von 1978 bis 1997 an der Universität Hamburg als Professor für Englische Literatur und Kultur. Schwanitz litt an der Parkinson-Krankheit und ging 1997 in Frühpension.[1] Erst nach seinem Tod wurde bekannt, dass er nicht an Parkinson, sondern an Chorea Huntington erkrankt gewesen war.[2]

Schwanitz ist Autor des 1995 veröffentlichten Romans Der Campus, in dem es um politische Intrigen und die Instrumentalisierung des Vorwurfs sexueller Belästigung am Beispiel einer in der Hamburger Universität angesiedelten Romanhandlung (mit durchaus erkennbaren Ähnlichkeiten zu realen Personen) geht. Das Buch, in dessen Romanhandlung auch die soziologisch bedeutsame Unterscheidung zwischen „formellen“ und „informellen“ Organisationsbereichen und ihren unterschiedlichen Machtkomponenten aufscheint, wurde zum Bestseller, insbesondere nachdem es von Regisseur Sönke Wortmann mit Heiner Lauterbach und Sandra Speichert verfilmt wurde und im Februar 1998 in die deutschen Kinos kam.

Grabstätte auf dem Friedhof Volksdorf

Ebenfalls an der Uni Hamburg angesiedelt und als Fortsetzung dem Roman Der Campus folgend, freilich mit anderen Protagonisten, ist Schwanitz’ Krimikomödie Der Zirkel (1998), eine Satire auf den gegenwartsdeutschen Wissenschaftsbetrieb und seine gesamtdeutsche Hochschulpolitik. Die deutsche Universität wird als verfilzt, versifft, verstunken, grotesk bürokratisch, prinzipbedingt mittelmäßig und damit auch grundsätzlich unreformierbar dargestellt, ihr „desolater Zustand“ könne von den neuen deutschen Machteliten „nur noch mit Mühe verschleiert“ werden. In der Krimihandlung des Buches werden, wie schon im Campus, Besonderheiten und angebliche Fehlentwicklungen aus den Hochschulsystemen Westdeutschlands und der DDR (vor und nach der Wiedervereinigung) dargestellt.

Dietrich Schwanitz’ Sachbuch Bildung. Alles, was man wissen muß (1999) wurde ebenfalls zum Bestseller. Darin macht er einen Streifzug durch das moderne Wissen aus Geschichte, Literatur, Philosophie, Kunst und Musik, die seiner Meinung nach zum Bildungskanon in Deutschland gehören sollten. Diese Zusammenstellung rief in Kritikerkreisen kontroverse Diskussionen hervor.[3] Vince Ebert, Ernst Peter Fischer, Wilfried Kuhn und andere kritisierten insbesondere wiederholt die Aussage „Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse tragen sicherlich einiges zum Verständnis der Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.“ und sahen sie zum Teil als Symbol für ein wissenschaftsfernes Bürgertum an.[4][5]

2001 erwarb Schwanitz den Gasthof Salmen in Hartheim und ließ 2002 den Theaterraum von der Trompe-l’œil-Malerin Andrea Berthel-Duffing mit einer „shakespearisierten“ Version von Paolo Veroneses Das Gastmahl im Hause des Levi ausmalen. Dort wurde er am 21. Dezember 2004 tot aufgefunden. Als Todesursache wurde „Unterkühlung mit anschließendem Regulationsversagen“ festgestellt.[6] Die Obduktion ergab als wahrscheinlichen Todestag den 17. Dezember 2004. Dietrich Schwanitz wurde auf dem Hamburger Friedhof Volksdorf (Grablage Nl 115) beigesetzt.

Die Gemeinde Hartheim übernahm 2005 den Gasthof Salmen.[2] Dort gibt es seit 2017 einen Gedenkraum mit der Ausstellung „Schwanitz, Shakespeare und der Salmen“. Dieses Schwanitzmuseum wird vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach unterstützt.[7]

Literaturwissenschaftlich trat Schwanitz unter anderem seit Anfang der 1990er Jahre durch Pionierbeiträge zur systemtheoretischen Literaturwissenschaft in Erscheinung.

Nach einer jahrzehntelangen Tätigkeit als Hochschullehrer wurde Dietrich Schwanitz 1995 als Autor des deutschen Universitätsromans Der Campus bekannt. Mit ihm übertrug Schwanitz die ambitionierte US-amerikanische und britische Unterhaltungsliteratur des 20. Jahrhunderts, insbesondere die Satire-Romane von David Lodge, auf deutsche Verhältnisse. Darüber hinaus kritisierte Schwanitz den medien- und großkapitalistisch beeinflussten Prozess der Kommerzialisierung von Kultur und Zivilisation, Bildung und Universität als „Karnevalisierung“ der europäischen Zivilisation und Kultur. Erfolgreich war auch sein Buch Bildung. Alles, was man wissen muß, aus dem ein angreifbarer Satz oft zitiert wurde („Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.“).[8]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Bestsellerautor tot aufgefunden. In: Süddeutsche Zeitung, 17. Mai 2010 (Datum angegeben auf der Webseite, vermutlich korrektes Datum Ende Dezember 2004), abgerufen am 10. Februar 2017.
  2. a b Bettina Schulze: Gasthaus "Zum Salmen": Wie Shakespeare nach Hartheim kam. In: Badische Zeitung, 10. September 2011, abgerufen am 10. Februar 2017.
  3. Dietrich Schwanitz: Bildung. Alles, was man wissen muss. In: perlentaucher.de. Abgerufen am 16. März 2024.
  4. Vince Ebert: Bildung. Naturwissenschaften sind eine kulturelle Leistung. In: DIE WELT. 23. Januar 2011 (welt.de [abgerufen am 21. Februar 2022]).
  5. Wilfried Kuhn: Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. Rezension. In: pro-physik.de | Das Physikportal. 2002, abgerufen am 21. Februar 2022.
  6. Dietrich Schwanitz starb an Unterkühlung. In: RP-Online. 22. Dezember 2004, abgerufen am 16. Februar 2021.
  7. https://www.salmen-hartheim.de/
  8. Dorothee Nolte: Ungewohnte Lustgefühle. Der Tagesspiegel vom 6. Dezember 2004 [1]