9 Agiles Arbeiten 2 Lost in Transformation
9 Agiles Arbeiten 2 Lost in Transformation
9 Agiles Arbeiten 2 Lost in Transformation
LOST IN
TRANSFORMATION
Agiles Arbeiten gilt als neues heißes Thema im Management.
Doch in manchen Unternehmen knallt es beim Wandel
gewaltig. Weil die Mitarbeiter nicht gut genug vorbereitet waren.
Und das Modell nicht zu jeder Organisation passt.
mer wieder zum Rückfall in das konventionelle System Veränderungen. Doch agiles Arbeiten auch gut zu
aus Befehl und Gehorsam. Der Philosoph Donald praktizieren erfordert mehr als nur Verständnis. Es
Alan Schön prägte für diesen Organisationseffekt den verlangt persönliche Reife. Das betrifft sowohl die
Begriff „dynamischer Konservatismus“. Die Mitbestim- Führungskräfte als auch die Mitarbeiter. Warum fällt es
mung der Belegschaft gehörte damals nicht zu den so vielen schwer, eigenverantwortlich zu arbeiten?
wichtigsten Aspekten von Führung. Warum kommt es immer wieder zu Missverständnis-
Das ist heute, im 21. Jahrhundert, nicht viel anders. sen, Streit und schlechten Ergebnissen? Die Gründe
Studie um Studie belegt, dass sich die nachwachsende liegen oft in Faktoren, die aus Untersuchungen zur Un-
Generation einen neuen Führungsstil wünscht und ternehmenskultur und zum Change-Management be-
dass sich das Management auf diesen einlassen will. kannt sind. Sie machen sich beim Übergang zu agilem
Etwa ein Drittel der Führungskräfte in Deutschland Arbeiten nur besonders bemerkbar.
empfiehlt solche Methoden, zu denen selbst organi- Die Umstellung vom Angestellten mit Chef zu einer
sierte Netzwerke ebenso gehören wie das schrittweise Existenz als Gleicher unter Gleichen ist geprägt von
Vortasten zur Lösung eines Problems. Die klassische Emotionen. Diese Widersprüchlichkeit ist typisch für
Linienhierarchie lehnen sie ab; Kooperationsfähigkeit die neue Welt. Sie gibt die Freiheit, nach eigenen Vor-
ist ihnen wichtig, und Coaching sehen sie als unver- stellungen zu arbeiten. Gleichzeitig fordert sie jeden
zichtbares Werkzeug an. Einzelnen, verlangt in hohem Maß Engagement, Ver-
antwortlichkeit, Kritikfähigkeit und Reflexionsvermö- Die Sorgen betreffen allerdings bei Weitem nicht nur
gen. Dass das nicht jedem liegt, der in einer bürokrati- Mitarbeiter, die mit neuen Organisationsformen kon-
schen Kultur groß geworden ist, liegt auf der Hand. frontiert werden. „Management ist ein Auslaufmodell“,
So wünschen sich auf dem Papier viele Mitarbeiter behauptet Lutz Becker, Studiendekan für nachhaltiges
diese Freiheit. In der Praxis verfallen sie jedoch schnellMarketing und Führung an der Hochschule Fresenius.
wieder in das hierarchische Muster – das ist die Schizo- Er begründet seine These mit immer leistungsfähigeren
phrenie des Wandels. Computerprogrammen, die mithilfe von intelligenten,
selbst lernenden Systemen zunehmend autonom wür-
URSACHEN DER VERWEIGERUNG den. „Klassische Managementfunktionen wie Planung,
Die große Herausforderung für Arbeitnehmer, vor allem Maschinen- und vielleicht noch Personaleinsatz sowie
in wissensbasierten Berufen, ist, zu denken und zu han- Kontrolle werden derzeit vom menschlichen Entschei-
deln wie ein Unternehmer. Das hat fundamentale Kon- der unabhängig.“ Die Fliehkräfte durch die technische
sequenzen in zwei Richtungen: Manager geben Macht Entwicklung treiben das mittlere Management aus-
und Verantwortung ab; Mitarbeiter müssen lernen, einander. Das spüren die Manager schon heute, wie der
Verantwortung zu übernehmen. Kienbaum-Coach Achim Mollbach es in seiner Bera-
Rational ist dieser Trend ein Selbstläufer. Emotional tungspraxis erlebt. Dort klagen die Manager über den
eher eine Bergetappe. Eine Untersuchung des Roman- Verlust von Bedeutung und Gestaltungsspielraum (sie-
Herzog-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass zwar he Servicekasten Seite 8).
die Führungsliteratur, die Gesellschaft und explizit die Werden Organisationen umgebaut, müssen sich auch
Mitarbeiter selbst ein kontinuierliches Anpassen der Führungskräfte unter Umständen neue Jobs suchen.
Führung an sich wandelnde externe Rahmenbedin- Wie sich das anfühlt, hat Haufe-Umantis-Mitgründer
gungen fordern. Doch weniger als die Hälfte der euro- Hermann Arnold selbst erlebt. Nachdem er seinen Ge-
päischen Beschäftigten gaben 2010 an, dass in ihrem schäftsführerposten abgegeben hatte, ignorierten ihn
Unternehmen innerhalb der vergangenen drei Jahre Kunden in Verkaufsgesprächen – trotz jahrelanger
tatsächlich ein Wandel stattgefunden habe. „Obwohl guter Zusammenarbeit. Ein hässliches Erwachen, will-
die Mitarbeiter viele Erwartungen aussprechen, sind sie kommen im Team. Ein anderer Manager, der von den
es oftmals selbst, die bei der Umsetzung Widerstand Mitarbeitern bei Haufe-Umantis abgewählt wurde, trat
leisten“, schreiben die Autoren. Sie gehen davon aus, unter Tränen in die zweite Reihe zurück. Dieser Wech-
dass mehr als die Hälfte der Wandelinitiativen am sel sei oft der größte Hemmschuh für Manager, sagt Ar-
Widerstand der Mitarbeiter scheitert. Neuere Unter- nold, „weil ihre Rollen neu definiert werden müssen“.
suchungen bestätigen dieses Muster. Das gilt nicht nur für Managementfunktionen. Schon
Die Gründe sind gut erforscht: die Übernahme einer anderen Aufgabe empfinden Mit-
UNSICHERHEIT. Neuem und Unbekanntem begegnen arbeiter nicht zwingend als Aufbruch. Für einen Pro-
Menschen zögerlich, weil sie die Entwicklung nicht grammierer in einem mittelständischen Betrieb war
vorhersehen können; seine Umwidmung zum Mitglied im Scrum-Team ein
ANGST, ETWAS ZU VERLIEREN. Die Mitarbeiter können Karriererückschritt. Statt wie bisher koordinierend und
neue Prozesse anfangs nicht einschätzen und ihre eige- perspektivisch zu arbeiten, sollte er nach Aufgabenlage
nen Lebensverhältnisse nicht mehr kontrollieren. Des- Programmbausteine schreiben.
halb reagieren sie mit Hilflosigkeit und letztlich auch In solchen Fällen ziehen sich Menschen gern auf
mit Widerstand; ihre gewohnten Verhaltensmuster zurück, erklärt der
ANGST, ZU VERSAGEN. Wer etwas Neues lernen muss, Hamburger Psychotherapeut und Ökonom Thorsten
hat zunächst mehr Arbeit und auch nicht die Garantie - Kienast, der sich auf die Arbeit mit Topmanagern spe-
auf gutes Gelingen. Das kann zu Frustration und zialisiert hat. Es gelte die Daumenregel, dass das Aus-
existenziellen Sorgen führen. maß an Neuem, mit dem Mitarbeiter konfrontiert wer-
Der Soziologe und Organisationsberater Stefan Kühl den, 40 Prozent nicht übersteigen dürfe. Ansonsten
verweist außerdem auf einen ganzen Strauß an Parado- könnten Überforderung und beruflicher Identitäts-
xien, der beim Übergang von hierarchischer zu selbst- verlust bis zur Depression folgen. Droht dazu noch der
bestimmter Organisation zu erwarten ist – etwa wenn soziale Status zu schwinden, reagieren die Betroffenen
ein Manager die Belegschaft auffordert, jetzt selbstorga- mit Verweigerungshaltung oder Frustration.
nisiert zu handeln. Das führt zu ähnlicher Irritation wie Aus all dem folgt: Stabilität ist wichtig bei der Ein-
die unmöglich zu erfüllende Aufforderung: „Sei spon- führung agilen Arbeitens. Wie sehr, illustrieren wissen-
tan!“ Aus diesem Dilemma können sich die organisie- schaftliche Aufzeichnungen des Berliner Arztes Ernst
renden Manager nur schwer befreien. Horn aus dem Jahr 1818 an der Berliner Charité. Vor
Wie fragil das Vertrauensgefüge ist, zeigt das Beispiel dürfen sich in solchen Gruppen nicht nur am eigenen
Haufe-Umantis. Das Unternehmen stellte Mitarbeiter Leistungs- und Qualitätsanspruch orientieren – son-
vor die Wahl, sich entsprechend der neuen Organisa- dern müssen sich an dem des Gesamtprodukts aus-
tion weiterzuentwickeln oder zu gehen. Das führte richten. Da sei unternehmerisches Denken gefragt.
zu einem Schock im Unternehmen, obwohl Mitarbeiter Da dieses Zusammenspiel nicht selbstverständlich
diesem Vorgehen demokratisch zugestimmt hatten. ist, werden in vielen der Unternehmen, die mit selbst-
Manch einer glaubte, er könnte jetzt gefeuert werden, organisierten Teams arbeiten, bevorzugt Hochschul-
nur weil er etwas kritisiert hatte. Das Misstrauen kehrte absolventen eingestellt. Denn ihnen fehlt die Vorge-
zurück. „Wir haben daraufhin unter anderem anony- schichte der klassischen Hierarchie. Nicht nur beim
mes Feedback eingeführt, um das Vertrauen wiederzu- Softwarehersteller Adobe in Hamburg achten die Per-
erlangen“, sagt Mitgründer Arnold. sonaler bei Einstellungen nur noch zum Teil auf die
fachlichen Fähigkeiten. Vor allem sollen die neuen Mit-
2. IN SELBSTORGANISIERTEN TEAMS KLARKOMMEN arbeiter in der Lage sein, zu kooperieren, Verantwor-
Aufgaben so zu lösen, wie man selbst es für richtig hält, tung zu übernehmen und die Ziele der Gruppe in den
klingt zunächst verlockend. Viele Untersuchungen Vordergrund zu stellen.
belegen: Wenn jedes einzelne Teammitglied die
nötige Freiheit für autonomes Handeln be- 4. DAS EIGENE HANDELN REFLEKTIEREN
kommt, ergänzen sich die Stärken aller, Ähnlich wie beim Design Thinking Produkte in immer
um das gemeinsame Ziel zu erreichen. neuen Überarbeitungsrunden reifen, entwickeln sich
Die Arbeit wird effizienter. auch agile Unternehmen immer weiter. Dafür brauchen
Allerdings passiert es am Anfang Mitarbeiter die Fähigkeit, die eigenen Vorstellungen
häufig, dass Teams überfordert sind. und Vorgehensweisen immer wieder zu hinterfragen
Freiheit zum Handeln bedeutet eben auch, und im Zweifel zu verändern. Feedback von außen ist
den Kollegen zu sagen, wenn etwas schlecht dafür unverzichtbar, weil Schwächen den Einzelnen
läuft – und selbst Kritik anzunehmen, wenn die eige- nur selten bewusst sind.
nen Lösungsvorschläge hinter den Erwartungen In einem mittelständischen Unternehmen reagierte
zurückbleiben. Klare Regeln für die Zusammenarbeit ein Geschäftsführer zum Beispiel höchst überrascht, als
sind in diesem Zusammenhang unabdingbar. Das be- die Mitarbeiter ihm ihren Wunsch nach einem anony-
trifft Urlaub und Gehälter genauso wie Arbeitszeiten. men Meckerkasten mitteilten. In der Diskussion stellte
Sonst steigert sich das ganze Team schnell in einen sich heraus: Ihm war gar nicht klar, dass im Unter-
vermeintlichen Arbeitsrausch – der nur aus sozialem nehmen Kritik von Untergebenen unterdrückt wurde.
Druck entsteht. Sonja Sackmann kennt diese Reaktion: Vielen Mana-
Hinzu kommt noch ein weitverbreiteter Fehler beim gern sei die Wirkung ihres nonverbalen Verhaltens auf
Aufbau selbstorganisierter Teams, so Coach Jutta Eck- ihre Umgebung überhaupt nicht bewusst.
stein. Sie müssen fachlich in der Lage sein, ein Produkt Der Mechanismus gilt auch für Mitarbeiter, die plötz-
selbstständig und komplett abzuschließen. Deshalb lich mehr Verantwortung bekommen und auf Koope-
dürfen nicht, wie normalerweise üblich, alle Daten- ration angewiesen sind. Sobald sie in Stress geraten,
bankexperten in ein Team, sondern dieses sollte aus verfallen Menschen in alte Routinen. Um sich zu ver-
möglichst unterschiedlichen Fachleuten bestehen. bessern und das Arbeiten in der Gruppe zu lernen,
müssen sie überlegen, wodurch ihr Verhalten ausgelöst
3. DIE GEMEINSAME ARBEIT TEILEN wurde, sagt Sackmann.
Zusammenarbeiten heißt, Verantwortung, Ressourcen Die Rückmeldung aus dem Team kann hart werden.
und Belohnungen auf alle Schultern zu verteilen. Denn in solchen Teams entstehe hoher sozialer Druck,
Außerdem gehören dazu Beziehungen auf Gegenseitig- weiß Psychotherapeut Kienast. Zwar fühle sich so ein
keit, gemeinsame Ziele, persönliche Autorität und Team zu Beginn schnell an wie eine Familie. Aber genau
Verantwortungsbewusstsein. Das haben Wissenschaft- das Durchmischen einer privat-vertraulich anmuten-
ler um Paul W. Mattessich vom Wilder Research Center den mit einer professionellen Ebene führe bei offenen
herausgefunden. Ist dieses Set an Eigenschaften vor- Worten und Kritik untereinander oft zu größeren
handen, wird daraus eine Quelle der Innovation. Zerwürfnissen, als wenn diese von einer Führungskraft
Das ist nötig, weil die einzelnen Teammitglieder be- stammten. Denn diese sei von Amts wegen weisungs-
reit sein müssen, ihr Wissen zu teilen – und vor allem und kritikbefugt. Dazu kommt, so der Psychothera-
das Know-how der Kollegen auf anderen Fachgebieten peut, dass die Kollegen die Last der Verantwortung
ernst zu nehmen. Die Mitarbeiter, so Coach Eckstein, spüren und deshalb empfindlicher auf Schwächen an-