Wanderfahrt Auf Usedom (1959)
Wanderfahrt Auf Usedom (1959)
Wanderfahrt Auf Usedom (1959)
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ALBERT HURNY
SPORTVERLAG BERLIN
Einband: Cerhard Willmanowski Vorsatz: Andreas Nieen Fotos: Hurny 24, Roepke
6,
Zentralbild 3, Kolbe 2
Zweite verbesserte
Printed in the
und
erweiterte Auflage
Republic
Cerman Democratic
Pneck, V15/30
Lizenznummer: 355/7159
drei Jungen vierzehn Tage lang durch die Insel ziehen - ich habe ja schlielich auch noch anderes zu tun! Fritz' Wunsch erschien ihm absurd. Was sich der Bengel so denkt! Doch in den folgenden Tagen befreundete er sich allmhlid1 mit dem Gedanken an eine Wanderung durch die Insel Usedom. Vor allem, als ihm sein Direktor mitteilte, da er im neuen Sdmljahr Unterricht im Fach Heimatkunde erteilen solle. Da knnte es nichts schaden, wenn er sich die Insel noch einmal an she. Gesellschaft wre dabei nur angenehm. Und Manfred schrieb Fritz, da er die Urlaubsreise vorbereiten werde. Er war sich klar darber, da, wollten sie die Insel Use dom wirklich kennenlemen, vierzehn Tage eine kurze Zeit seien. Zu Fu drfte es kaum zu schliffen sein. Also am besten per Rad - das wre billig und bequem. Wenn die Jungen ein Zelt mitbringen knnten!? Zeltpltze wrde er schon besorgen. Am Sonntag darauf nahm Manfred die Landkarte zur Hand und berlegte, was er den Freunden aus Berlin alles zeigen msse. Er betrachtete die Umrisse der Insel, die vielen Buchten auf der Haffseite und die Seen im Binnenlande. Eigenartig sieht sie schon aus, die Insel Usedom. Die beiden Inseln Usedom und WoHin liegen im Mndungs gebiet der Oder. Das Kleine Haff, die Peene und die Swine trennen Usedom vom Festland und von den Nachbarinseln. Whrend das Haff so gro ist, da man bei klarem Wetter kaum die dunkle Kstenlinie des Festlandes erkennen kann, ist die Peene stellenweise nur einige hundert Meter breit. Zur Bucht, Adlterwasser genannt, erweitert, schnrt sie aber die Mitte der Insel zusammen wie eine Wespentaille. Bei Damerow, zwischen Koserow und Zempin, dmmen so nur wenige hundert Meter Land die Fluten der Ostsee gegen das Amterwasser ab.
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Insgesamt ist die Insel an 55 km lang. Von Zecherin bis Seebad Bansin, das ist die breiteste Stelle, mit man etwa 25 Kilometer. Ihre eigenartigen Landschaftsformen, die vielen Hgel, Sumpf ebenen, Buchten und Binnenseen, entstanden whrend und nad1 der Eiszeit. Der Wissenschaftler bezeichnet sie daher als glaziale (eiszeitliche) und postglaziale (nam der Eiszeit entstandene) Bildungen. Vor annhernd fnfhunderttausend Jahren schoben sich gewal tige Gletscher, von Skandinavien und Finnland kommend, ber unsere Heimat. Sie schmolzen allmhtim ab, bis erneute Vor ste die norddeutsche Tiefebene wieder fr Jahrzehntausende unter gewaltigen Eismassen begruben. Die Gletsmer preten mit ihrem ungeheuren Gewimt die Erde, furchten ihre Oberflche, schrften sie ab und schoben gewaltige Mengen Erde, Sand und Steine von Skandinavien und dem Ge biet der heutigen Ostsee bis nam Deutschland. Die Smmelz wsser des zurckweichenden Eises fluteten in riesigen Tlern den damaligen Meeren zu; der von den Gletschern herange schobene Sdtutt - die Mornen - jedoch blieben liegen. So er hhte sich durch die Arbeit der Gletsmer das Niveau Nord deutschlands um durchschnittlich siebzig Meter. Vor etwa siebzehntausend Jahren gaben die letzten Gletscher das Gebiet der heutigen Odermndung frei. Obwohl das Klima noch sehr unfreundlich, kalt, regnerisch und trbe war, ent wickelte sim bald wieder eine Vegetation, die manmerlei Tieren Nahrung bot. Und diesen folgte der Mensch, baute Erdhtten, schrte das Feuer, knpfte Netze und schlug und schliff aus Steinen brauchbare Werkzeuge. Noch heute flnden die Bauern auf der Insel Usedom beim Pflgen Bruchstcke von steinernen Messern oder Beilen. In vergangenen Jahrzehnten sind Hunderte guterhaltener Fundstcke in die Museen gewandert.
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Als das Eis zurckwich, hinterlie es nicht sofort die Ostsee in ihrer heutigen Gestalt. Erst vor etwa siebentausend Jahren er folgte der groe Vorsto des Meeres bis zur heutigen Kste. Was war geschehen? \Venn wir eine Wanne voll Wasser an einer Seite anheben, wird die andere Seite berflutet. Ein hnlicher Vorgang vollzog sich, als sich nach dem Rckgang des Eises Nordeuropa, nun befreit von einer gewaltigen Last, um mehrere hundert Meter hob und die Wassermassen in die
Tler
schlielich berfluteten und nur noch die Anhhen als Inseln den Zugang zum Atlantischen Ozean ffneten. Die Wissenschaftler bezeichnen diesen Vorsto der Ostsee bis ungefhr zur heutigen Kste als "Litorinatransgression". * An der Stelle der heutigen Insel Usedom ragte damals ein Ar chipel kleiner Inseln aus dem Meer, die ehemaligen Anhhen. Erst mit der Zeit formte die See die Kste des Eilands. Hufige
Strme zerstrten die westlich und nrdlich vorgelagerten In seln, deren Oberreste wir in den Untiefen der Oderbank, der Rnnebank und des Adlergrundes sehen drfen sowie in den Untiefen zwischen den Inseln Usedom und Rgen. Der von der west-stlichen Strmung mitgefhrte Sand fgte die Diluvial kerne** unserer Insel nach und nach zusammen. Sobald das Wasser nicht mehr stieg, begann in allen abgeschlos senen Wasserflchen und stillen Buchten die Verlandung. Rohr, Sumpfgrser, Torfmoose und Wasserpflanzen aller Art wucher ten und verdrngten das Wasser, bildeten Torfmoore und
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7ransgression=llbergreifen
des
Meeres.
senlielieh Wiesen. Dieser Proze vollzieht sicn unablssig. Seen, die vor hundert Jahren nocn als fiseilreim galten, sind heute zugewachsen, wie der Namenlose See bei Usedom oder das viele Quadratkilometer groe Thurbrucn, das ehemals eine Bucht der Ostsee war, und das weite Gebiet der Pudaglapforte. Der Zernin-See nrdlicn des Golm bei dem Haffisdlerdorf Kam minke, direkt an der Grenze zur Volksrepublik Polen, befindet sicn ebenfalls im letzten Stadium der Verlandung. So etwa gewan die Insel Usedom in einem jahrtausendewh renden komplizierten Proze ihre jetzige Gestalt. Wenn heute Berliner, Samsen und Thringer von Usedom spredlen, meinen sie vor allem die Seebder Heringsdorf, Ahlbeck, Bansin oder Zinnowitz. Sie trumen von rauseilenden Wellen und weien Schiffen, von dunklen Fisdlerbooten und badenden, frhlidlen Mensdlen. Dom das ist nur eine Seite der Insel. Wer sie in ihrer Gesamtheit kennenlernen will, mu auch das Binnenland sehen. Da gibt es den Usedomer Winkel mit der alten Stadt Usedom und den abgelegenen Lieper Winkel. Wundersdln, den Frem den mit vielen Besonderheiten berrasdlend, bietet sich die Mittelinsel dar, das Land im Dreieck Kamminke, Pudagla und Mellenthin mit der "Usedomer Scnweiz" , dem Thurbrucn, und der Landschaft um den Gothensee und Sdlmollensee. Der Gnitz, eine Halbinsel, die dem Lieper Winkel gegenber weit in das Acnterwasser hineinragt, ist herb und vom Fremden verkehr wenig berhrt. Und der Peenemnder Haken lockt mit Dnenwldern und breitem Strand. Manfred Witt wollte den Freunden alle Sdlnheiten der Insel zeigen. Er berlegte sorgfltig, bedachte alle Umstnde, die sich aus Mangel an Geld oder Zeit und dureil die Schwierigkeiten infolge der Urlaubssaison ergeben knnten - er bedauerte, da
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sie nicht Anfang September, der erfahrungsgem die schnsten Tage auf der Insel bietet, fahren konnten - und fate schlielich folgenden Plan: Die Freunde sollten mit der Eisenbahn bis nach Anklam kom men. Dort wollte er sie abholen und mit ihnen auf dem Dampfer peeneabwrts bis Kamin und von dort mit dem Rad nach Use dom fahren. Er glaubte, da sie sich ber die Dampferfahrt freuen wrden. Nachdem sie sich in Usedom umgesehen htten, knnten sie ber Mellenthin nach Kamminke, zum Golm, fahren und danadt fr die meisten Tage ihr Zelt in Bansin aufschlagen. Dort knn ten sie baden, die Seebder besuchen und Wanderungen in die schne Mittelinsel unternehmen, wobei Manfred auch ein Be such des Torfwerks Kachlin im Thurbruch und des Schmollen sees vorschwebte. Doch wrde man das erst an Ort und Stelle festlegen knnen. In den letzten Tagen wollte er den Jungen den Gnitz, Zinnc;>witz und den Peenemnder Haken zeigen, und von Wolgast aus knnten sie dann die Heimreise antreten. Er trug den voraussichtlichen Wanderweg mit Rotstift in die Karte ein und schrieb die wichtigsten Punkte auf:
Tag 1. 2. 3. 4.- 1 3. Obernachtungsort Usedom Usedom Korswandt Zeltplatz Bansin Usedomer See Mellenthin, Colm Baden am Strand, Besuch der Badeorte, des Schmollensees, des Thurbruchs 14. Streckelsberg, Fahrt ber das Achterwasser, Zinnowitz, Karlshagen 10 37km 32km Wanderziele Fahrstrecke (Fahrrad) 1 0km
Noch eine Schwierigkeit gab es: die Zeltgenehmigung fr Ban sin in der Haupturlaubszeit! Schon waren fast alle Pltze ver geben, aber es klappte doch noch, und bald hielten Fritz und seine Freunde den genauen Plan ihrer Ferienfahrt auf Usedom in den Hnden. Die Sonne brtete hei ber den Straen Berlins; der Juli war herangekommen. Die drei Jungen trafen letzte Vorbereitungen fr ihre Urlaubsfahrt. Ein Zelt hatten sie sim bei ihrer Betriebs sportgemeinschaft ausgeliehen, jeder der drei hatte etwas Geld zusammengespart, die Fahrrder waren nachgesehen, Rese.rve smluche und Reservekette beschafft und natrlich auch der groe Kochtopf. So war eigentlich alles in brster Ordnung, wenn nur nicht diese Unruhe in ihnen gewesen wre: die Unruhe und Aufregung ber die bevorstehende erste groe Fahrt. Sie arbeiteten im gleichen Betrieb, einem Reichsbahnausbesse rungswerk, und standen im gleichen Lehrjahr. Fritz wollte Dr her werden, seine Freunde Eduard, genannt Eddi, und Heinz, nur Heinemann gerufen, Maschinenschlosser. Eddi, klein und stmmig, offenbarte oftmals ein noch reichlich kindliches Gemt und lie sich nur zu gern und leicht von dem viel weiter entwickelten Heinemann zu allen mglichen dummen Streichen verleiten. Kein Wunder, da Frau Passon, die dk Art ihres Heinemanns kannte, besorgt war, als sie die Jungen zum Bahnhof Berlin Lidltenberg brachte. Die Fahrrder waren im Gepckwagen ab gegeben, die Pltze eingenommen, und als der Lautsprecher schnarrte: ,.Bitte einsteigen in den D-Zug 47 nach Stralsund!" hatte auch das Reisefieber seinen Hhepunkt erreicht. Frau Pas son predigte ihre Ermahnungen in taube Ohren: ,.Fritz, du bist
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doch der Vernnftigste, pa gut auf, da Heinz sidt immer warm anzieht, er erkltet sidt so leicht, und da er kein Eis it, und baden soll er so wenig wie mglich, das ist nicht gut fr seine Ohren, und da er . . . fahrenden Zuges unter. .,Wir schreiben eine Ansichtskarte!" erklang es nur nod1 aus dem Abteilfenster.
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II
Anklam
Spuren der Bomben und Granaten des zweiten Weltkrieges sind noch nicht vllig beseitigt, und so wirken die vielen neuen Hu ser wie Goldplombm in einem lckigen Gebi. Von Anklam aus kann man mit dem Autobus mehrmals am Tage nach Use dom fahren, wo man Anschlu an die Autobuslinie zu den See bdern hat. Im Sommer besteht an mehreren Tagen in der Woche eine Schiffsverbindung nach Ockermnde, wobei auch Usedom angelaufen wird. Manfred Witt stand bereits in der Bahnhofshalle, als der Zug aus Berlin einlief. Er war mit dem Autobus gekommen; sein Fahrrad hatte er in Kamin in der Schule zurckgelassen. Fritz und seine beiden Freunde schoben sich als letzte durch den engen Durchgang der Sperre. Auf den Gepcktrgern ihrer Fahrrder trmten sich die Ruckscke und Teile der Zeltaus rstung. Manfred schttelte bedenklich den Kopf. Das wird eine schne Schlepperei werden, dachte er. "Hallo, Fritz!" Er ging ihm entgegen und schttelte ihm die Hand. "Das sind wohl deine Freunde?" Fritz erwiderte die Begrung und stellte ihm Heinz und Eduard vor, die sich - nicht ohne Schwierigkeiten - um eine Ver beugung bemhten. Immerhin wollten ja auch die bermig beladenen Fahrrder festgehalten sein. "Na, na, brecht euch nur
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keine Verzierung ab. Kommt erst mal nach drauen. Ihr sperrt mit euren Rdern den Verkehr." Heinemann und Eddi blinzelten sich bedeutungsvoll an. Beide hatten den gleichen Gedanken: Der ist ja lter, als wir dachten; der wird uns schn bevormunden. Manfred Witt war allerdings ein gutes Dutzend Jahre lter als seine Wandergefhrten. Er war mehr als mittelgro und ziem lich breit. Ausgearbeitete Hnde und tchtige Oberarmmushin htten kaum einen Lehrer in ihm vermuten lassen, wenn nicht eine dunkelgerahmte Brille, aufmerksame Augen, kleine, steile Stirnfalten und ein etwas spttisch verzogener Mund Fritz' An gaben ber Manfred besttigt htten. Und das erfllte die bei den angehenden Maschinenschlosser mit Sorge: So'n Pauker will doch blo immer anordnen und erklren, und einen Spa wird er sicher nicht vertragen. Manfred fhrte sie gleich zum Bollwerk am Ufer der Peene, wo der kleine Dampfer bereits festgemamt hatte, der sie nach Kar nin bringen sollte. Sie smoben die Rder ber den smmalen Laufsteg auf das Deck und stellten sie am Bug neben Tonnen und Kisten zusammen. Der Anlegestelle gegenber befindet sich eine kleine Werft. Auf einem rostigen Fludampfer wurde gehmmert und gesmweit. Daneben lag ein kleiner Lastkahn auf dem Lande. "Man hat den Kahn geslipt", erklrte Manfred. Da, smon fngt er an
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Kopf. Da Manfred abe-r verspram, mit ihnen in Usedom auch einmal zu segeln, smwand sein Unbehagen. Er nickte Heinz mit homgezogenen Augenbrauen und vorge streckter Unterlippe bedeutsam zu. Gut, gut, sollte das bedeu ten! Dieser Lehrer scheint dom ganz umgnglim zu sein. Es smien Manfred an der Zeit, einige grundstztime Dinge der
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Fahrt zu klren. Er bat die drei Freunde, sich zu ihm auf eine Bank unter dem groen Dach zu setzen, das das ganze Achter deck bersdtattete. Sie schauten ihn erwartungsvoll an. "Seht mal, wenn wir jetzt vierzehn Tage zusammenleben wol len, mu doch eine gewisse Ordnung herrschen. Seid ihr damit einverstanden, da kh die Tageseinteilung bernehme? Ich meine, wenn ich euch die Insel Usedom zeigen soll, mu ich auch bestimmen, wohin wir fahren oder gehen und wieviel Zeit wir dafr aufwenden. Auerhalb solcher gemeinsamen Ausflge knnt ihr selbstverstndlich lassen und treiben, was ihr wollt. Was meint ihr?" " Die Jungen sahen sich an. "Na klar , platzte Heinz heraus, "wenn Sie uns die Insel zeigen wollen, mssen Sie uns doch sagen, wohin wir gehen sollen. Sie sind doch der Brenfhrer." Sie lachten. "Wir wollen aber ,du' zueinander sagen, wir sind doch eine Wandergruppe. Ich heie Manfred." Eddi und Heinemann blickten sich wieder bedeutungsvoll an. Wenn wir das drfen . . . " sagte " " Eduard. "Mich rufen sie Eddi, und das ist Heinemann. Fritz er gnzte: "Bei uns heit es: Heinemann, geh du voran, du hast die grten Stiefel an." Heinz erklrte dem verstndnislos lchelnden Manfred sachlich und ohne einen Unterton von Ironie: uns drei.en die grte I<;lappe." Die meinen, ich htte von " Die Sache wird immer besser.
Inzwischen war die Abfahrtszeit herangekommen. Der Kapitn lie die Dampfpfeife gellen, den Laufsteg einholen und die Leinen loswerfen. "Halbe Kraft voraus!" Am Heck schumte das Wasser, die leichten Ste de'r Maschine lieen das Schiff erbeben, es drehte die Nase in die Mitte des Stromes und glitt mit der Strmung dem Haff entgegen.
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Auf einem der riesigen schwarzen Khne, die vor dem hohen Speicher am Ufer lagen, hngte eine Schifferfrau Wsche auf. Ihre kleine Tochter tollte mit einem Spitz, der wie nrrisch bellte, an den Ladeluken entlang. Der Wind blhte Unterhosen, Laken und Hemden zu merkwrdigen Gestalten. Die Bewohner der sdtwarzen Sdtiffe hielten einen Augenblick in ihrer Arbeit inne und sahen zum weien Schiff mit den vielen Menschen an Bord hinber. Ein kleine'S Mdchen winkte, legte die Hnde wie einen Trichter an den Mund und rief im singen den Tonfall der Schiffer: "Gute Reise, Herr Witt!" Der schaute sie berrascht an, dann erinnerte er sich: das Kind war im Frhjahr bei ihm zur Schule gegangen. Manche Schiffer kinder knnen ja nur selten eine Schule lngere Zeit besuchen. Wo der Kahn liegt, nehmen sie am Unterricht teil und lassen sidt den Besuch in einem Heft bescheinigen, damit die Lehrer im neuen Schulort einen Anhalt haben, wie sie das Kind einstufen knnen. Durch die neuen Internatsschulen fr Schifferkinder fllt aber der hufige Schulwechsel fr die meisten von ihnen weg. Die Stadt blieb zurck. Auf beiden Seiten breiteten sich Wiesen, von denen der Wind Heugerudt herberwehte. Dahinter dehn ten sich endlose Felder, auf denen das Korn wogte. Die Peeneniederung ist eintnig wie das Rauschen des Bug wassers, sumpfig und voller Mcken. Grne Rohrstengel, die im Winde leicht hin und her schwanken, engen die Fahrrinne frm lich zu einem Hohlweg ein. Hier und dort zeigen Schneisen im Rohrkamp einmndende Entwsserungsgrben an. So weit das Auge reicht: Wasser und Schilf! Die Fahrt wurde eintnig. Manfred Witt winkte die Jungen heran, die mittschiffs zum Maschinenraum hinuntersahen.
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"Wir fahren noch etwa eine Stunde durch diese Wildnis. Soll id1 euch inzwischen etwas aus der Geschichte der Insel Usedom berichten? Wer eine fremde Gegend besucht, mu sich unbe dingt in deren Geschichte auskennen, sonst versteht er manches nicht. Ich wei, da Geschichte nicht jedermailos Sache ist, darum will ich's so kurz wie mglich machen!" "Nun halt dich nicht so lange bei der Vorrede auf! In der Schule haben wir doch auch Geschichte. Geschichte ist schau!" Heinz sah sich zustimmungsheischend um. Manfred Witt verbi sich das Lachen. wird." Na schn. Ihr drft " aber nicht ungeduldig werden, wenn es mal etwas langatmig " "Leg man los! sprach Fritz fr die drei.
Die Insel Usedom war schon vor sechstausend Jahren von Men schen besiedelt, denn aus jener Zeit fand man hier Urnen, Stein werkzeuge und Grabsttten, vor allem Megalithgrber*. Leider wurden die groen Steine, die die Grber einst deckten, im Laufe der Zeit zerschlagen. Der eine brauchte sie beim Haus bau, der andere zertrmmerte sie bei der Schatzsuche. Die ersten Norddeutschland bewohnenden Vlkerschaften rech nen die Wissenschaftler zu den Gentianen. Diese zogen vermut lich bis zum fnften Jahrhundert unserer Zeitrechnung im gro en Strom der Vlkerwanderung nach Sden ab. Ungefhr zweihundert Jahre dauerte die nchste Besiedlungsepoche des nun fast unbewohnten Raumes. Westslawen, die sich in mehrere Stmme gliederten, ergriffen auch von unserer Insel Besitz. Von ihnen sind uns schon genauere Nachrichten berliefert. So wohnte auf Usedom der Stamm der Wilzen, und in Mecklen burg saen die Obodriten. Rethare und Arkona waren ihre reli
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gisen Zentren, in denen sie ihre Gtter Swantewitt, Radigast, Siwa (das Leben), Gerowit (der Frhlingssieger) und Triglaw (der Dreikpflge) anbeteten. Gegen 11 00 gelang es dem Herzog Wartislaw, die pommerschen Wenden zu einigen. Zu dieser Zeit standen Seefahrt und Han del und damit die Stdte schon in Blte. Die wendischen Orte an der Kste tauchen huflg in den nordischen Heldensagen auf, und viele bedeutsame Funde von Waffen, Gerten, Schmuck stcken, besonders von Mnzen aus fast allen Teilen der damals den Europern bekannten Welt, beweisen die regen Bezie hungen. So wurden, wie Burkhard berichtet, bei Koserow, bei Swinoujscic (Swinemnde) und bei Gellenthin arabische Silbermnzen gefunden, deren lteste aus dem Jahre 696 stammt. Bei Voberg fand man in einem silbernen Gef 1 0,75 kg Silbermnzen, von denen drei Kilogramm zerschnitten waren, denn damals galt nicht der aufgeprgte Mnzwert wie heute, sondern das Ge wicht des Metalls. Besonders wertvoll sind acht Goldringe, die bei Peenemnde gefunden wurden. Um sich gegen Raubberflle zu schtzen, bauten die Wenden an unzugnglichen Stellen, mglichst auf einer Insel oder in einem Sumpf, hgelartige Fluchtburgen, deren Kuppen von Erd wllen und hohen Paltisaden umgeben waren. Von den fnf, die
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Garz gab, ist die bei Usedom noch deutlich zu erkennen. In einer Zeit, als man das Germanenturn weltanschaulich her vorhob, vertrat man die Ansicht, da die Slawen auf einer wesentlich niedrigeren Kulturstufe gestanden htten als die Ger manen. Das ist falsch. Unter den europischen Vlkern, soweit sie nicht in den griechisch-rmischen Kulturkreis einbezogen waren, gab es keine wesentlichen kulturellen Unterschiede.
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Oberall wurde das Volk, die Bauern, bis in das hohe Mittelalter hinein von den Feudalherren bewut an der Entwicklung seiner Fhigkeiten gehindert. So kommt es aum, da alles, was wir von den Westslawen wis sen, aus der Feder von Prkstem und Mnmen stammt, von er klrten Feinden der " heidnismen" Wenden also, die auszurot ten ihnen als segenbringendes Werk galt. Angestamelt vom eifernden Klerus, begannen deutsme, dnisme und polnisme Feudalherren unter dem Ded<mantel mristlimer Frmmigkeit eine erbarmungslose Eroberungspolitik Mit Gewalt sollten die Wenden zu Christen und ihr Land untertan gemamt werden. Waren es in Thringen, Samsen, Brandenburg und der Lausitz deutsme Ritter, die das Land unterwarfen, wurden die stabi leren staattimen Organisationen in Pommern, Med<lenburg und Smlesien zum Teil " aufgeweimt", indem die Herzge zu Reimsfrsten gemamt wurden, so da diese von sim aus alles taten, um mristlimes Remt und christtime Kultur im Lande zu verbreiten. Dazu wurden Klster als Vorposten errimtet, so auf Usedom eines der Prmonstratenser-Mnme. Als das Land durd-i die Polen und Dnen verwstet war und die Drfer ent vlkert waren, wurden hrige deutsme Bauern zur Umsiedlung geworben. Aber aum auf dem slawischen Boden fanden sim die Einwanderer bald als Leibeigene wieder, wenn sie aum manme Vorteile gegenber den resttimen wendisme:n Einwohnern be saen. Die wenigen Remte und Privilegien, die man als Lod< mittel den Siedlern bieten mute, gingen aber zu Lasten der sla wismen Landesbewohner, die nun doppelt bedrd<t wurden. Denn zur wirtsmaftlimen Belastung kam jetzt der gesellsmaft lime Drud<. Sie durften kein znftiges Gewerbe ausben und muten in den Vorstdten (Wiek) wohnen. Kein Wunder, da sie sich anzupassen versumten. Gemeinsam erlittene Kriege und
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Nte verwischten, zumindest in den Ostseebezirken, daher bald die Unterschiede zwischen Wenden und Deutschen. Sd10n gegen
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der junge Herrscher, und Harnische zerbrachen. Bue gelobten da ergrimmte Bauern, Mnner waren des Sieges beraubt. Alles Volk gehorchte dem Herrscher. Den letzten Versen nach zu urteilen, richtete sidt der Kriegszug des Dnenknigs Erich nicht nur gegen die Jomswikinger, son dern gegen die wendische Bevlkerung berhaupt. Nach der Christianisierung des Landes bemchtigten sich die Mnche der alten Sagen und deuteten sie in ihrem Sinne - dem einzigen, der ihren einfltigen Gemtern mglich schien -, da sie ja die slawische Vergangenheit des Landes als heidnisch igno rierten. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafr ist die Vinetasage. Kantzow, der sich an die Aufzeichnungen Adams von Bremen (um 1075) hlt, erzhlt wie folgt: ,.Vineta ist gewest eine gewaltige Stat, welche hatte eine gutte Hafen vor alle umbliegende Vold<er, und nachdem viel von der Stat gesagt wirt, und das auch schier ungleublich ist, so wil ich des wes erzellen. Es solle gewest sein so gro eine Stat, als zu der Zeit Europa eine haben mochte, welche bewohnet haben durch einander Greken, Slaven und andere Volker. Es haben aud1 die Sachsen Macht gehapt, da zu wohnen, doch das von den selben Volkern keiner den Christentumb habe berohmen und bekhennen mssen. Dan alle Burger seint abgottisch geplieben bis zu entlicher Zerstorung und Unterganck der Stat. Sunst aber von Zucht, Sitten und Herbergen solt man kawn irgentz fromer Volk noch ires gleichen spren. Die Stat ist von allerlei Kautf wahr aus allen Landen erfllt gewest, hat alles gehapt, was nur seltzam, lustig und nottig gewest ist. Dieselbe Stat solle ein Khonig aus Denemarken durch eine groe Schitfung und Krieg erobert und zerstoret haben. Es seint noch vorhanden Beweisung
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und Gedechtnus der Stat, und die Insel, daran sie gelegen, wirt mit drei Stromen durchflossen . . ." Die sptere Form hat Haas aufgezeichnet: An der Nordkste der Insel Usedom soll vor vielen, vielen hun dert Jahren eine groe reiche Handelsstadt mit Namen Vineta oder Venedig gelegen haben. Gewhnlich wird erzhlt, sie habe seewrts vor dem Streckelsberg, und zwar an der Stelle gelegen, wo sich jetzt das sogenannte Vinetariff befindet. Die Stadt soll zur Zeit ihrer Blte so reich und schn gewesen sein, da sie im ganzen weiten Kstengebiet der Ost- und Nordsee nicht ihres gleichen hatte. Die Huser, in denen die Leute wohnten, glichen kleinen Pal sten; sie waren aus Marmor erbaut und mit vergoldeten Zinnen geschmckt. In dem Hafen befanden sich Hunderte von Schiffen, die bis nach Archangelsk und Konstantinopel fuhren. Auch weil ten viele fremde Kaufleute in der Stadt, um hier Waren zu kau fen oder zu verkaufen. Aber je reicher und wohlhabender die Enwohner von Vineta wurden, desto mehr fanden Stolz, Ober mut, Gottlosigkeit und allerhand unheiliges Wesen bei ihnen Eingang. Zu den Mahlzeiten nahmen sie nur die auserlesensten Speisen, und den Wein tranken sie nur aus silbernen oder gol denen Gefen, wie man sie selbst in den Gotteshusern nicht schner und prchtiger fand. Die Hufe der Pferde waren statt mit Eisen mit reinem Silber oder gar Gold beschlagen. Das Brot, die herrliche Gottesgabe, mibrauchten die Frauen in schamloser Weise, indem sie die kleinen Kinder damit reinigten. Und wie die Groen, so trieben es aum die Kleinen. Die Kgelchen mit welchen die Kinder auf der Strae spielten, bestanden aus reinem Silber, und wenn sie ber eine Wasserflche .,Butterbrote" werfen wollten, so be nutzten sie dazu nichts anderes als blankeTaler.
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Aber solcher Obennut konnte: nicht ungestraft bleiben. In einer strmischen Novembernacht brach das gttliche Strafgericht un vermutet ber die Stadt und ihre gottlosen Bewohner herein: eine furchtbare Sturmflut wlzte ihre Wogen ber die Stadt und ber das Land hinweg und begrub alle Huser und alle Men schen unter ihren Fluten; kein einziger BewohnEr von Vineta entrann dem Verderben. So wurde die reiche Stadt mit all ihrer Pracht und Herrlichkeit in wenigen Stunden vernichtet. Die Trmmer der ehemaligen Stadt ruhen noch heutigentags auf dem Grund des Meeres; und wenn man bEi stillem, ruhigem Wetter und bei klarem Wasser ber die Sttte der untergegan genen Stadt hinfhrt, so kann man die Fundamente der Huser, die Straenzge und noch viele andere Reste der einstigen Stadt in der Tiefe wahrnehmen. Einmal im Jahre wird die auf dem Mee resgrunde ruhende Stadt auch ber der Oberflche des Wassers sichtbar, indem sie sich wie ein Schatten oder Nebelbild mit un bestimmten Umrissen zeigt. Die Leute aus den umliegenden Drfern sagen dann: Vineta wafelt! An welchem Tage diese: Er scheinung zu sehen ist, wird verschieden angegeben: die einen meinen, es wre am Johannistage, die anderen meinen, Vineta zeige sich an demselben Jahrestage, an welchem es einst unter gegangen sei, an dem auch Cuxhaven du-rch eine Sturmflut zer strt worden sei. Am Johannistage mittags zwischen elf und zwlf Uhr sollen die Glocken der versunkenen Stadt aus der Tiefe des Meeres heraufklingen, und manch einEr will ihre Klnge schon verno mmen haben. Das ist aber nicht ganz unge fhrlim; denn man sagt, da der, der die Glocken von Vineta gehrt hat, mit unwiderstehlicher Gewalt von der Meerestiefe angelockt Wird, bis er selbst da unten ruht. So wird die Sage' heutzutage' noch erzhlt. WEnn auch der we'itereTeXt der Urfasung allerlei phantasti-
sehe Zutaten enthlt1 so ist der Unterschied zwischen beiden Fassungen doch offenbar. Dreihundert Jahre spter tauchten wieder Seeruber in der Ost see auf. Am 24. Februar 1389 war Knig Albrecht von Schwe den (aus dem Hause der Mecklenburger) von den Scharen der .,Schwarzen Margret" 1 Knigin von Norwegen und Dn emark 1 gefangengenommen worden. Der Streit war entstanden 1 weil nicht sein Neffe1 der Herzog von Mecklenburg1 zum Nachfolger von Margaretes verstorbenem Sohn Olaf ernannt worden war 1 sondern Erich von Pommern. Der schwedische Adel stellte sich auf die Seite Margaretes1 die Stdte1 allen voran Stockholm1 hiel ten aber zu Albrecht. Neun Jahre lang hielt sich Stockholm trotz Belagerung1 weil es von einigen Stdten auf dem alten wendi schen Gebiet untersttzt und versorgt wurde. Wismar und Ro stock frchteten nmlich um ihre durch Albrecht erteilte Privi legien 1 wie Heringsfang an der Kste Schonens. Allerdings wurde bei der Untersttzung Stockholms nicht die eigene Flotte aufs Spiel ge s etzt. Privatleute1 die sich bereit erklrten1 Stock holm auf eigenes Risiko anzulaufen und norwegische1 dnis che sowie zu Margarete haltende schwedisch e1 Lbecker oder Stral sunder Schiffe zu plndern 1 erhielten Kaperbriefe. Die privi legierte Kaperei artete bald zur Seeruberei aus. Viele Fhrer dieser .,Likedeeler" oder .,Vitalienbrder" kamen aus den Schichten der Ausgebeuteten oder der Znfte1 die in dieser Zeit harte Kmpfe mit den Patriziern der Stdte um das Mitbestimmungsrecht ausfochten. Zu den bekanntesten und bei den Volksmass en beliebtesten Fhrern gehrte auch Klaus Strtebecker1 von dem man sich noch heute auf Usedom1 wo er Verstecke gehabt haben soll1 manche Geschichte erzhlt. 139 8 1 in dem Jahr1 in dem Stockholm sich Margaretes Ober macht ergeben mute 1 fand auch die Seeruberei in der Ostsee
ihr Ende. Die Flotte des Deutschritterordens vertrieb die Vita lienbrder, die hufig von pommerschen Rittern untersttzt wurden, aus ihrem Sttzpunkt Gotland. Klaus Strtebecker, G deke Michel usw. zogen mit der Kaperflotte in die Nordsee, wo sie 1 401 endgltig von den Hamburgern bei Helgoland ge schlagen wurden. Von den Bauernkriegen im 1 6. Jahrhundert wurde Usedom nicht berhrt, obwohl sich die Lage der Bauern rapide verschlechtert hatte, seit dunh die Reformation das Klosterland in den Besitz des Herzogs bergegangen war. Erniedrigender Abschlu der Entwicklung war die Bauern- und Schferordnung von 1 6 1 6, durch die die Bauern auch vor dem Gesetz leibeigen wurden. Es heit in ihr ganz trocken: " In unserem Herzogtum sind die Bauern . . . Hrige und Leibeigene, die ungemessene Frondienste leisten mssen. " Der Dreiigjhrige Krieg, der Deutschland so unermeliches Elend brachte, rckte die Insel Usedom zeitw eilig in das Inter esse ganz Europas. Das geschah, als Christian IV. von Dnemark
z ue ntlassen. Das kaum erloschene Kriegsfeuer flammte erneut auf, als am 26. Juni 1630 Gustav Adolf von Schweden mit einem kleinen Heer bei Peenemnde auf der Insel Usedom landet e , gegen Stet tin ( S zczecin) vo rr d< te und die Stadt zur Obergabe zwang. Dieser Ang r iff lei t ete fr Usedom und andere Teile Deutsd1 I ands die sdt wedi sche Fr e mdherrschaft ein. Es ging Gustav Ado lf keineswegs u i n die Re t tung der " Glaub e nsfreih ei t" in Deutsch lan d, wie man j ahrhundertelang lehrte und auch heute noch in Westdeut s chl a nd leh r t. Das Ziel des j ungen, aufs t rebenden schwedischen Staates war es, d i e Vorh err schaft im Ostseeraum zu gewinnen. Da untersttz t . G ustav Adolf fiel 1632 in der Schlacht bei Ltz en . Wolgast er lebte die groe Zeremonie der Oberfhrung seiner Leiche, aber der Krieg ging weiter. Der " Westflische Frieden" , der 1648 Deuts ch land von den Schre d< en der letzten drei Jahrzehnte er lste, br a cht e Schwe d en, was es sich erhofft hatte : a ie Oder mndung, Usedom, Vorpommern, Rgen, Wismar sowie die Bist mer Bremen (ohne die Stadt Bremen) und Verden fielen an die schwedische Krone, die deuts ch en Strommndungen wurden kontr o lliert, die Ostsee war ein schwedisches Meer geworden. Als Schweden unt er Karl XII. mit Peter dem Groen von Ru la nd, A u gust dem Starken von Sachsen und Friedri ch: IV. v on Dnemark ein halbes Jahrhundert spter den Nordismen Krieg fh r te, i n den 1714 auch Pre u en unter Friedri dt Wilhelm I. eintrat ; w urde die Insel Usedom erneut Kriegsschauplatz . 1720 kam sie dann unter preuisme Herrs dt aft. 26
es
1806 wurde beim Zusammenbrum Preuens auch di t: Insel vor be r gehend von franzsis die n Truppen besetzt. Sie drangsa li e rt en die Bevlke ru ng auf vielerlei Weise, brachten aber auch Sch wung in die verlotterte Verwaltung. Ksten fi scher und manche Kaufleute wurden whrend der Fran
=osenzdt reim, weil sie die durch die Kontinentalsperre ver
bot enen englischen Waren ins Land smmuggelten. Ein einziger Ka ufmann erwarb so Millionen. Als dann 1813 die groe Be f reiungsbewegung um sich griff, stellte man auch auf Usedom den Landsturm auf. Di e Hoffnungen, die das deutsche Volk an die Befreiungsbewe gung geknpft hatte, erfllten sich aber nicht. Vllig ungeklrt war auf Usedom vor all Em die Lage der Bauer !) . Wohl bestand da s Gesetz ber die Bauembefreiung, do ch' wute man z . B. 1856 in Mellenthin noch nicht, auf welche Weise die Regulie ru ng erfolgen solle ; zudem ver l angten die Gutsbesitzer so enorme Summen, da manche Bau Er n bis 1892 q aran zu zahlen ha tt en. V iele konnten daher ihren Hof nicht halten und wurden zu T agelhnern. So entstanden die Gter Stolpe, Mellent h in, Lab mitz und andere.
tr erschien, einigte man sich nach vielem Feilschen und Zanken , da der die besten Wiesen erhielt, der dafr am meisten zahlen konnte. Den Schaden hatten die Armen, die bisher ihre Kuh auf der Gemeindewiese hten konnten. Sie muten ihr Vieh ab schaffen. Bis etwa zur Jahrhundertwende verlief das Leben auf Usedom in lndlicher Abge schi edenheit. Dann blhte mit Mach t ei n neuer Erwerbszweig auf: der Fremdenver k ehr. In den D rfern an der Kste fanden sich alljhrlich whrend des Sommers anfangs Hunderte, spter Tausende von Badegsten ein, die die gesund heitsf rdernde Wirkung des Badens in der Se e zu schtzen wuten. Es wurde Mode fr die oberen Schi ch ten - den Adel, die Industriellen, die Beamten -, den Sommer im Seebad zu ver bringen. Geschftstchtige aus allen Teilen Deutschlands er faten die Situation und erbauten Vil kn und Pensionen, die ihnen im Sommer viel Geld dur ch die Mieten einbrachten. Der Dampfer hatte den Flu hinter sich gebracht und steuerte scharf nach Osten. Im breiten Strom tanzten Bojen, die d as Fahr wasser kenn z ei di nen. Die Peene ist zwar breit, aber auch s e h r flach, so da die Schiffe nur die ausgebaggerte Fahrrinne be nutzen knnen. Ein groer schwarzer Motorkahn tuckerte ihnen mit rauschender Bugwelle entgegen. Sein Herannahen unterbrach Manfreds historischen E x kurs. Sol dt e Begegnungen auf d em Wasser be sitzen einen eigenartigen Reiz und lenken immer wieder alle Aufmerksamkeit auf sich. Was ist das fr ein Sch.i ff ? Was hat es geladen ? Wo h in fh rt es ? Na <h Polen ? In die Tschechoslowa kei ? Oder nu r nach Be rlin oder Magdeburg ? D ie Pas sa giere des Fl udamp f ers sahe n dem schwar z en Kahn noch lange nach.. 28
Dann wandten si e ' ihre Aufmerksamkeit einem riesigen grauen Portal zu, das wie der Oberrest eines gewaltigen Monuments in den Himmel ragt : dem Mittelstck der einst grten Hubbrcke Europas, der Eisenbahnbrcke bei Kamin. Sie wurde in den Jahren 1932 bis 1934 erbaut, bestand aus zwei festen Brcken teilen und zw ei Fahrsthlen, die je 138 Tonnen wogen und bis zu 36Meter hoch gehoben werden konnten, wenn Schiffe Durch fahrt begehrten. Die Faschisten haben sie in den letzten Kriegstagen gesprengt, nun steht die Ruine grau und unntz, ab e r als nicht zu ber sehendes Mahn ma l im Strom. Der Dampfer passierte die Brcke, beschrieb einen eleganten Bogen und legte am Bollwerk von Kamin an. Manfred betrat mit den drei Berlinern die Insel Usedom.
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III
den Sd1 laud1 , der ins Wasser fhrt? Offenbar soll der Taud1er den G ru nd untersuchen oder Teile der Stahlkonstruk ti on ent fernen, die nach den groen Aufrumungsarbeiten der ver ga ngenen Jahre noch briggeblieben sind. " Aus dem Wasser stiegen dicke Blasen empor. .. Den Taucher mchte im gern sehen. " Heinz besttigte ni<kend Eddis Wunsch : " Ich mach dir ' nen Vors ch lag. Du spri n gst ins Wasser, klopfst ihm auf den Helm un d te i lst ihm mit, da wir extra aus Berlin gekommen sind, ihn zu sehen. Vielleicht stel t l er sich dann vor." Die Mnner auf dem Prahm sahen, mit welcher Aufmerksam keit die Jungen ihre Arbeit verfolgten. Sie riefen sich etwas zu, einer steckte sich eine Zigarette an und warf dann, wie unab s ichtlich, das brennende Streichholz ins Wasser, mitten unter die unablssig brodelnden Blasen. Sofort f a l mmte das Wasser auf; die R ammen zngelten geisterhaft und schienen allen Natur gesetzen Hohn zu sprechen. Erschreckt traten die Freunde zurck . Die Arbeiter, die sich ber die beabsichtigte Wirkung freuten, riefen lachend : ,J etzt ist's passiert. Nu ' brennt die Peene !" Manf re d kannte den Spa schon. Er setzte sich gemtlich auf die Dammkante. i sein" , sagte der Arbeiter mit tod .,Tja, da mu man vorsicht g ernster Miene, dabei ruhig weiterpumpend. " Wenn das Wasser erst einmal brennt, ist es aus. Wasserstoff und Sauerstoff ver b inden sich dann zu Knallgas ; na, und das brige knnt ihr euch ja selbst denken. " Die Jungen nagten an den Lippen. Sie begriffen jetzt wohl, da sich die Mnner ber sie lusti g machten, fanden aber keine Er klrung fr das .,Wunder" . Heinz fand als erster seinen Mut wieder: .,Sie knnen uns do ch
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nidtt verkohlen. Denken Sie, wir sind doof? Wenn das so ge fhrlich wre, wi e ' Sie sagen, blieben Sie nicht auf dem Kahn. " Den Arbeitern, die sich ber die Abwe ch slung in ihrer ein tnigen Ttigkeit freuten, gab Heinemanns Antwort neuen An la zum Scherz : "Wir sind's gewhnt und kriegen ja auerdem Gefahrenzul a ge. " Selbst Heinemann verzichtete nun auf eine Antwort. Sie warteten lieber ab, wie die Dinge weitergehen wrden. Das Quirlen der Blasen hrte bald auf, und zur gleichen Zeit erloschen auch die Flammen. Die Arbeiter achteten nicht mehr auf die Jungen. ,.N kmmt hei . . . " Ein dunkler S ch:a tten tauchte auf, ein riesiger Insekten kopf auf einem unfrmigen Leib schwamm ans Licht: der Taucher. Einer der Arbeiter nahm ihm den Schweibrenner ab, den er in der bloen Hand hielt. Dann beugte er sich zu ihm hinunter und schien auf die Worte zu lauschen, die der Mann im Taucher anzug unhrbar fr die Jungen hinter der dicken Glasscheibe des Helmes formte und die er durch Handbewegungen er luterte. Der Arbeiter nickte und zndete den Brenner wieder an. Er zischte ohrenbetubend. Der Taucher bernahm ihn v orsichtig, drckte dann auf ein Ventil am Helm, Luft entwich zischend, und auf einmal war alles still. Taucher und Schweibrenner waren wieder im Wasser verschwunden. Nur die Gasblasen q uirlten wie anfangs an die Wasseroberflche. Manfred erklrte den Jungen endlich, was es mit dem brennen den Wasser auf sich hat : ,.Bei Arbeiten mit dem Schweibrenner unter Wasser verwendet man ein Benzin -Sauerstoff-Gemisch. Ein Teil der Benzingase !>"t eigt als Blasen an die Wasseroberflche. Entzndet man sie,
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':Nur der Jahrstuhl blieb stehen, als die Jasc'bisten die Eisenbahnbrc'k.e bei Xarnin sprengten
,,
Bli& vom 'Usedomer See auf die Stadt, die ibm und der 1nsel den 'Namen gab
Die :MJS auJUsedom belfen den LPg und werkttigen Einzelbauern nic:bt nur auf den 'Jeldern, sondern verbessern auc:b den Boden
verbrennt das Gas, und der Laie denkt dann, das Wasser brennt. " "Das h tt es t du uns abe r auch gleich sagen knnen " , mei nt e Ed ua rd erleichtert. Von der Mole aus konnten sie die Fahrsthle der Br ck enkon st r uktion gut sehen. "Ein mch ti ges Bauwerk ! " Fritz, der eine Vorliebe fr groe Stahlbauten hatte, konn t e si ch nicht losreien. "Kann man sie nicht wieder aufbauen? " "Das Mitteltei l da drben soll ja noch vllig intakt sein " , er widerte Manfred Witt. "Vielleicht stellt man im dritten Fnf jah r plan die Bahnstre ck e Berlin-Ducherow -Usedom wieder her, zu der ja die Kaminer Br ck e gehrt. Allerdings wird das viel Geld kosten. Ich glaube, die Reichsbahn hat aber zuvor noch volkswirtschaftlich wichtigere Bauten auszufhren. I ch denke nur an die Gleisanschlsse fr den neuen Rosto ck er Obersee hafen und die dazu notwendigen Br ck en. Natrlich wre es schn, wenn wir eine feste Eisenbahnverbindung besen, aber wir mssen ja an unsere groen Aufgaben denken. " Die Ju ng en htten sich gern einen der groen Lastkhne ange sehen, die neben ihnen, fest am Bollwerk vertut, wie schwarze Ungetme aufragten. Manfred meinte, man knne es ja ver suchen. Schon wol l te er, da kein Mensch an Bord zu sehen war, die di ck e Planke betreten, die schrg von der Mole zum De ck fhrte, als ihn eine scharfe Stimme an r ief : "Halt ! Wo wollen Sie hin? " Zwischen den Khnen, die Jungen hatten es gar nicht bemerkt, lag ein Motorboot der Grenzpolizei. Sie g r ten hflich, und Manfred erklrte den Uniformie rten den Wunsch seiner Reisekameraden. " Da mssen sie sich noch eine Stunde gedulden. Diese Khne sind erst heute aus den pol3
Wanderfahrt
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nis ch en Gewssern gekommen und mssen noch durch den Zoll abgefe rtigt werden. Hier ist die Zollkontrollstation." So lange wollten sie nun doch nicht warten. Sie dankten fr die Auskunft und gingen zurd<: zu ihren Rdern. Ein schmaler Pfad fhrte dicht am Wasser entlang. Alle paar Meter krochen dicke Baumwurzeln ber den Weg, und Md<:en schwrme summten stndig um ihre heien Kpfe. Am unter splten Ufer glud<:sten die Wellen. T raue rw eiden lieen zitternd ihre filigranfeinen Zweige mit den schmalen Blttern im leichten Sdwind schwingen. Aber immer wieder zogen die Lichtre fl exe auf der weiten Wasserflche zur Linken, das Portal der alten Br ck e und die dunklen Khne ihre Bli d<: e an. Endlich f hrte der Pfad den Hang zur Strae empor. Manfred Witt lief zum einsam an der Strae stehenden Schulgebude h i n ber, um sein Fahrrad zu holen. Die Landstrae na ch Zecherin war holprig. Ihr Gepd<: rumpelte bedenklich, wenn sie vom schmalen, ungepflasterten Fuweg ab biegen muten, weil ihnen Passanten entgegenkamen. Bei Zecherin verbindet eine moderne Autobrcke die Insel mit dem Festland. Auch diese hatten die Faschisten in den letzten Kriegstagen gesprengt, und es hatte mehrere Jahre gedauert, bi s sie wied e r dem Verkehr bergeben werden konnte. Besondere Schwierigkeiten waren dadurch entstanden, da auch die Pfeiler bei der Explosion geborsten waren. Sie muten daher, ehe man mit dem Aufbau der Brd<:e beginnen konnte, mit Hilfe von Senkksten abgerissen werden. Dann wurden die tief im Wasser liegenden Brd<:enteile mit hydraulischen Pressen gehoben, aus gebessert und gerichtet. Das alles war uerst mhselig und sehr kostspielig. Wer heute ber diese schne Brd<:e fhrt, sieht ihr nicht mehr an, da noch vor wenigen Jahren die Brd<:enteile im Wasser 38
rosteten. Dam a ls mute der kleine Fhrdampfer "Bogislav" die zahlreimen Fa hrz euge bersetzen. Auf die Dauer war aber d a s alte Sdti tf , das s dton 1898 zum erstenmal generalberholt wurde, sol dt en Strapazen nidtt gewadtsen. Der Kessel bekam dnne Stellen, die Auenhaut rostete durdt : Alterssdtwdte. Manfred fhrte die Freunde bis zur Mitte der Br&e, um ihnen von dort die Landsmaft zu zeigen. Unter ihnen dunkelte das Wasser des Stromes, und wenn sie den Bli& hoben, konnten sie weit ber den sdlidtsten Teil der Insel und ber die Peene sehen. Das Ufer an der Festlandseit e war fla dt, erst weiter westli dt stieg es an und trug Wald. In de n sdt il fl gen Bu dtten der Insel sdtwammen Wasservgel, tau dtte n und flir t eten. Als sim eins der auf der Insel bli dt en sdtmale n Boote -hinten und v om spitz zu l aufend- mit tu&erndem Motor nherte, flog die ganze Sdtar su rr end auf. In der Feme stie der Schornstein eines kleinen S dtleppers dunkle Qualmwolken in die Luft, als wollte er damit kundtun, wie sdtwer es ihm falle, drei groe Khne s t romaufwrts zu ziehen. Von der anderen Seite, vom Haff her, nherten sidt die weien Sdtwingen zweier Segelboote. Dahinter ragte einsam und ge waltig das Portal der Kami rr er Br&e in den Himmel. Den Betrachtern wurde das Herz zugleich weit und eng. Zum ersten Male erschlo sich den Berliner Jungen ein kleiner Tei l der weiten norddeuts che n Lands dtaft. Die Sonne stand tief im Westen, als unsere Freunde wieder auf die Rder stiegen. Sie waren mde von der langen Reise, den vielen neuen Eindr& e n und ri i dtt zuletzt von der frisdten Lu f t. Sogar Hein ern an u s Mundwerk stand still. Zum Gl& war die Strae eben und gut gepflegt. Der Sdwind hatte sich zum Abend heftiger aufgemacht und schob.
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Sie schenkten der Umgebung - dem Feenestrom zur Linken und weiten Koppeln und Feldern zur Rechten - keine Beachtung mehr. Sie bemerkten auch nicht den Deich, der die Strae fast bis nach Usedom begleitet, und nicht die schnen jungen Pferde und die schwarzbunten Khe auf den Weiden. T rotz des Deiches werden im Frhjahr die tiefgelegenen Wiesen auf beiden Seiten der Peene infolge des hohen G ru ndwasser standes berschwemmt. Deshalb ist die Niederung von vielen Wassergrben durchfurcht. Mehrere Pumpwerke und Schleusen regeln die Vorflut. Die Felder trocknen nur langsam, so da die Frhjahrsaussaat im Usedomer Winkel erst ziemlich spat er folgen kann. Bald hatten sie die Landwirtschaftliche Produktionsgenossen schaft Voberg erreicht, deren groer Stal l sich neben der Strae hinzieht. Nun lagen nur noch zwei Kilometer bis nach Usedom vor ihnen. Von ferne schien es, als scharten sich die kleinen Huser Use doms um die Kirche mit ihrem hohen T urm wie Kken um ihre Glucke. Als Manfred Witt mit seinen Schtzlingen nach einer Viertelstunde das holprige Pflaster der Anklamer Strae erreicht ha tte, stand der zweite T urm des Ortes, das Anklamer T or, flnster und vierkantig vor ihnen. Manfred brachte die Freunde im Gasthaus unter und bewirtete sie in seiner Wohnung. Nad1 dem Essen versuchte er, seine Gste, die vor Mdigkeit einsilbig geworden waren, ein wenig aufzumuntern. Er erzhlte ihnen, auf welch!e Weise er den Namen Usedom kennengelernt hatte. ,.Es war in der Schule. Der Lehrer zeigte uns die Oderinseln Usedom und Wollin und nannte die Wasserarme, die sie von einander und vom Festland trennen : Peene, Swine, Dievenow. T rotz al l en Nachdenkens begriff ich nicht recht, wie der Name 40
U sedom entstanden war. Ich fragte den Lehrer, und er erzhlte folgende Geschichte : Zu alten Zeiten, da die Insel noch keinen Namen hatte, aber schon viel Volk darauf wohnte, wollten die Leute ihrem Lande einen Namen geben. Sie kamen deshalb alle in einem Orte zu sammen und machten unter sich aus, da die Insel nach dem ersten Wort, das einer von ihnen sprche, benannt werden sollte, da sie der Meinung waren, auf solche Weise einen recht hbschen Namen zu erhalten. Wie sie aber so beisammen waren, da wollte keinem ein gutes Wo rt einfallen, und sie standen alle still und stumm. Da r ber rge rte sich ein alter Mann unter ihnen so, da er sich verga und pltzlich ausrief: ,0 so dumm !' Also muten sie ihre Insel nun Osodumm nennen, woraus nach her Usedom geworden ist. Ob der Schulmeister die Geschichte selbst geglaubt hat, wei ich nicht. Mir jedenfalls schien diese Art von Namensgebung zu willkrlich.. Leute, die solche Geschichten glauben, mssen tat schlich dumm sein. Als ich dem Lehrer meine Bedenken mit teilte, lachte er und meinte, ich solle doch, wenn ich gro sei, mal hinfahren und die Sache untersuchen. Und wie ihr wit, bin ich dann auch wirklich nach Usedom ge kommen. " Eddi hatte eifrig nachgedacht, war aber zu keinem Ergebnis ge kommen und fragte nun interessiert : "Sollten die Leute damals wirklich so dumm gewesen sein? " Die Tischrunde lachte. Eduard wollte sich nicht blamieren und verteidigte sich mit puterrotem Kopf. "Was lacht ihr? Ehvas wird an der Geschichte schon stimmen. So was kann man dod1 nicht einfach erfinden. " " " Es gibt noch eine andere Erklrung des Namens Usedom , er41
lste ihn Manfred. "Einstmals sollte in der Gegend der heutigen Stadt ein groer Dom gebaut werden, die Bauern aber, die schwere Hand- und Spanndienste frchteten, stellten sich diesem Vorhaben energisch entgegen. Sie meinten, da keine neue Kirche vonnten sei. ,Dat ist use Dom !' - so wiesen sie auf das blaue Himmelsgewlbe. Der Name Usedom geht aber in Wirklichkeit auf die Wenden zeit zurck und ist von dem Worte Uznoim abzuleiten, was so viel wie an der Mndung gelegen bedeutet. Usedom lag an der Mndung eines heute verschwundenen Baches, der sich in den Usedomer See ergo." Schon whrend der Dampferfahrt hatte Fritz den Wunsch ge uert, ob es nicht mglich sei, irgendwo zu angeln. Nun brachte er das Gesprch wieder darauf. "Angeln, das mu doch wunderschn sein. So ruhig im Boot zu sitzen, ringsum ist alles still, und vielleicht beit wirklich mal ein Fisch an." Manfred besann sich. Er hatte lngst die Absicht gehabt, seine neue He d1tangel auszuprobieren, doch hatte ihm bisher jemand gefehlt, der das Boot ruderte. Die Burschen waren ja krftig. Sollten sie rudern, bis ihnen der Schwei von der Stirn perlte. Zuvor knnte man sie ja eine Stunde oder zwei auf Pltz und Brsch stippen lassen. "Nun gut, wenn ihr Spa habt am Angeln . . . Ihr mt dann aber schon um fnf Uhr aufstehen; schafft ihr das?" Eddi erschrak. "Um fnf Uhr schon?" Seufzend fgte er sich, als die beiden anderen begeistert zu stimmten. "Dann geht sofort schlafen. Ich werde fr euch noch Angelgert besorgen." "Braucht man bei euch keinen Angelschein ?" fragte Heinz. "Selbstverstndlich ! Ich hol' euch vom Vorsitzenden unserer
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Anglergruppe eine Tageskarte. Jetzt aber schnell ins Bett, sonst findet ihr morgen frh nicht raus. " Die Freunde schliefen traumlos tief. Als frhmorgens der Wecker klingelte, den sie sich von Manfred geborgt hatten, sprang nur Fritz aus den Federn. Die beiden anderen konnte er nur dadurch zum Aufstehen bewegen, da er ihnen die Bettde ck en wegzog. Die Anstrengung der Reise, die ungewohnte Luft, die neuen Eindr ck e - ein Wunder war es nicht, da sie nicht munter wurden. Kaum hatten sie sich angekleidet, da pfiff Manfred schon auf der Strae. Er hatte jedem eine Angelrute mitgebracht und fr alle drei eine Bd1se mit Regenwrmern. Leise, um die anderen Gste nicht zu stren, schoben sie ihre Rder aus dem Hause. Ein zerfahrener Feldweg fhrte durm die Peenewiesen. Auf den Koppeln muhten die Khe, einige Bauern waren schon mit den Melkeimern unterwegs. Die Birken am Wegrand wiegten sich leise im Morgenwind. Das Gras war noch feucht vom T au . . . Bei der Badeanstalt erreichten sie den Deich, folgten ihm ein St ck und kamen nach wenigen hundert Metern zu einem klei nen Hafen, den sich Usedomer Fischer und Angler gemeinsam an der Peene gebaut haben. Sie stellten die Fahrrder hinter einen Weidenbusch und schlos sen sie zusammen. Obwohl Manfred meinte, da sie wegen ihrer Rder ohne Sorge sein knnten, denn hier sei nom nie etwas gestohlen worden, blieben die Grostadtjungen mitrauisch. Auch der Kahn, in den sie steigen sollten, gefiel ihnen nimt, weil das geteerte schmale Fahrzeug bis br die Bodenbretter voll Wasser stand. Ebensowenig entsprachen die beiden Stangen, an deren unteres Ende man einfach ein Brett genagelt hatte, ihren
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Vorstellungen von Riemen, die sie auf dem Mggelsee ganz anders kennengelernt hatten. Manfred kehrte sich nicht an ihre langen Gesichter. "Los ! kommandierte er. Aussen !" Er gab Heim: eine groe Kon " servenbchse in die Hand und bedeutete ihm, die Bodenbretter aufzunehmen und das Wasser auszuschpfen. Inzwischen holte er aus einem Verstedc zwei lange Stangen, sogenannte Reusen pfhle. "Sollen wir die Knppel auch noch mitnehmen?" fragte Heinz bellaunig. "Ich denke, wir wollen angeln? Ohne diese Stangen knnten wir das Boot im Strom nicht festmachen." Endlich war alles in Ordnung. Fritz wollte als erster rudern. Mit wuchtigen Riemenschlgen trieb er das Boot vom Lande ab. Aber die enge Ausfahrt und das langgestreckte Bollwerk, das die Fischer aus Pfhlen und Reisig errichtet hatten, um den Fischen ein Verstedc und auch eine Mglichkeit zum sicheren Laichen zu bieten, stellten seine "Knste" auf eine harte Probe. Drauen im offenen Wasser machte es schon mehr Spa. Der alte Kahn, so schmal und hlich er war, erwies sich als vllig sicher, und die breiten Riemenbltter sorgten fr einen krftigen Vor trieb. Manfred warf ein Stdc Papier ins Wasser und beobachtete, " wohin es trieb; dann prfte er den Wind. Rudere stromauf ! " entschied er schlielich. Dort hinten" , dabei wies er auf einen " Baum in mindestens einem Kilometer Entfernung, ist ein altes " Bollwerk. Dort mte der Pltz heute beien." Fritz sagte nichts, doch zog er bedenklich die Augenbrauen hod1. So weit gegen den Strom rudern? 0 weh ! Fr die anderen Bootsinsassen war die Fahrt ein Genu. Die glitzernde Flche der Peene, hier an zwei Kilometer breit, glich
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einem SilberspiegeL Am flachen Inselufer bildete das Rohr eine grne Kulisse, hinter der man die weiten Moorwiesen nur ahnen konnte. Das Festland verschmolz im Morgendunst mit der wei ten, blinkenden Wasserflche. Wunderbare Stille, die durch die gleichmig klatschenden Ruder kaum gestrt wurde, umgab sie. Fritz hatte Mhe, den Kahn auf richtigem Kurs zu halten. "Geht's nO<h?" fragte Manfred nach einer Viertelstunde. Fritz wollte sich keine Ble geben, aber seine Antwort kam ziemlich verkrampft : "Ein Weilchen halt ich's noch aus." Er stemmte sich wieder mchtig in die Riemen, ohne zu merken, da er durch den zu groen Krafteinsatz nur noch schneller er mdete. Die Fischer rudern mit leichtem, gleichmigem Schlag ber weite Strecken. Sie nherten sim ihrem Ziel. Manfred hatte schon einige Zeit angestrengt die Gegend beobachtet, als er pltzlim leise, aber sehr energisch sagte : "Zieh die Riemen ein !" Fritz gehorchte. "Was ist?" fragte er. Auch Heinz und Eddi wurden aufmerksam. "Dreht eum um " I flsterte Manfred, "aber rhrt euch nicht " mehr. Haltet euch ganz still. Seht mal, da auf dem Pfahl ! Jetzt sahen auch die Jungen, was Manfred Witt so in Aufregung versetzt hatte. Auf dem pfahl sa ein groer Vogel. So einen hatten sie noch nie gesehen. Er war grer als eine Gans, viel grer, dabei breit und gedrungen. Sein berwiegend braunes Gefleder trug helle Tupfen. Und dann hatte er einen Haken schnabel. Fasziniert hingen ihre Blicke an dem mchtigen Tier, das ihnen zunchst keine Beachtung schenkte. Manfred nahm die Riemen und drckte das Boot ganz unmerklich an den Pfahl heran. Sie nherten sich dem Vogel bis auf zehn Meter. Doch nun wurde er unruhig und ugte mitrauism auf sie herab. Dann breitete
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er in aller Ruhe seine Schwingen und strich dicht ber der Wasseroberflche zum Festland hin davon. Wie gebannt blick ten ihm die Freunde nach. "Welche Schwingen !" sagte endlich Heinemann. "Ich mchte wetten, sie waren mehr als zwei Meter breit." Manfred war ganz aufgeregt. das fr ein Vogel war?" Die drei schauten ihn wortlos an. "Ein Seeadler !" "Ein Seeadler?" Nun berstrzten sich die Fragen. Im Gebiet der Insel Usedom horsten zwei Seeadlerprchen. In ganz Deutschland mgen vielleicht zwanzig Paare existieren. Sie sind auerordentlich scheu, so da sie nur selten einmal ein Fischer oder Jger zu Gesicht bekommt. Sie hatten wirklich groes Glck gehabt. Bis gegen Mittag angelten sie. Die Beute war nur mager: einige spannenlange Barsche und ein Dutzend Pltzen. Nur bei Man fred hatte ein Hecht an der neuen Angel angebissen. Nach dem Mittagessen fhrte Manfred Witt seine Gste durch die kleine Stadt. Usedom ist eine Ackerbrgerstadt. Khe trotten morgens auf dem Weg zur Weide durch die Straen und hinterlassen grne Aaden. Hochbepackte Leiterwagen rumpeln ber das holprige Pflaster, und vor der Molkerei stauen sich bis in den spten Vor mittag hinein die Pferdegespanne, die die Milch aus den Drfern der Umgebung bringen. Zwar fgt sich gleichmig Haus an Haus wie in einer richtigen Stadt, doch besitzt beinahe jedes eine breite Toreinfahrt, hinter der man, ist sie geffnet, Stallun gen, Dunghaufen und landwirtschaftliche Gerte erblickt. Auch
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Einen solchen Vogel habe ich " auch zum erstenmal gesehen. Das nenn' ich Glck. Wit ihr, was
die in Usedom ansssigen Fischer betreiben nebenbei Landwirt schaft und - Edelpelztierzudtt. Die in kleinen Drahtkfigen ge haltenen Nerze, die mit Fischabfllen und Fleisch gefttert wer den, sind eine ergiebige Einnahmequelle vieler Fischer auf der Insel. Am Markt gibt es mehrere groe Geschfte; dort halten auch die Autobusse, die Usedom mit Anklam, Wolgast, den See bdern und dem Lieper Winkel verbinden. Auer dem Anklamer Tor, mehreren engen Straen mit hol prigem Pflaster und vielen schmalbrstigen und verbauten Hu sern erinnert nichts mehr an das hohe Alter des Ortes. Die zum Hafen fhrende Peenestrae war tief aufgerissen. Mnner und Frauen schachteten einen Graben aus. "Was soll denn das werden?" fragte Fritz. "Man ti lgt die Snden der Vter" , erwiderte Manfred und lchelte dabei. "Wie soll ich das verstehen ?" Fritz blieb stehen und sah den Arbeitenden zu. Ein Mdchen wischte sich den Schwei von der Stirn und stemmte fr ein Weilchen die Schaufel gegen den Grabenrand. Die Arme taten ihr wohl weh von der ungewohnten Arbeit. "Sie, wenn Sie hier blo zugucken wollen, brauchen Sie mir nimt die Aussieht zu versperren !" Heinz und Eddi hatten sich bisher nicht fr die Buddelei inter essiert. Von Berlin her waren ihnen aufgerissene Straen und Baustellen ein gewohntes Bild. Doch das Mdchen war blond und besa eine reizende Stupsnase . .,Geben Sie mir mal Ihre Schippe !" Heinz sprang in den Graben, nahm die willig ge reichte Schaufel und fing an, wie wild zu arbeiten. Die Kleine sah freundlich lchelnd zu, wodurch sich Heinz zu immer ge waltigerer Kraftanstrengung angespornt fhlte.
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Die anderen drei folgten seinem Beispiel und lsten ltere Frauen ab. "Das ist aber nett von Ihnen, Herr Witt" , sagte eine. "Solc:he Gste bringen Sie man fter mit." Und sc:hwatzte gleic:h munter Im drfte eigentlic:h gar nicht schwer arbeiten, aber " wir sind doch aiJe so froh, da jetzt die Wasserleitung gebaut wird, da mu man schon mit anfassen." Usedom, obwohl frher eine reiche Stadt, besitzt nur unvoll kommene Kanalisation und keine Wasserleitung. Das bentigte Wasser wird ffentlichen Pumpen entnommen und darf nur in abgekochtem Zustand verwendet werden. Lediglich einige Ge schftshuser sind an die im Rathaus instaiJierte Hauswasser versorgung angeschlossen. Jetzt endlich wird ein Teil der Stadt im Nationalen Aufbauwerk, d. h. mit tatkrftiger Unterstt zung der Einwohner, eine Wasserleitung erhalten. Besonders die Hausfrauen freuen sich ber diesen Fortschritt. Es gibt Familien, die mssen bis jetzt das Wasser in Fssern von den Pumpen holen, weil sie so weit weg wohnen, da sie es unmglic:h in Eimern bis nach Hause tragen knnen. Ein Badezimmer gehrt darum in Usedom zu den groen Seltenheiten. Nach einer Viertelstunde drngte Manfred Witt zum Aufbruch. Heinz sah dem blonden Mdchen tief in die mrchenblauen Augen und flsterte ihm zu : "Wollen wir uns heute abend tref fen? Sie knnten mir doch die Umgebung zeigen. Ja?" "Gern ! " flsterte sie zurck. "Ich bin um sieben an der Ecke bei der Apotheke. Mac:ht es Ihnen was aus, wenn mein Verlobter mitkommt?" Heinemann bekam einen roten Kopf und kletterte ohne Abschiedsgru aus dem Loch. Das Mdchen lachte lauthals hinterher. Whrend sie die Peenestrae weiter abwrts gingen , fragte Fritz scheinheilig : Pech gehabt bei der Kleinen?" " drauflos.
Heinemanns Brummen hrte sich an wie : "La mich in Ruhe !" Manfred fhrte sie auf den Schloberg, der sich nordstlich der Stadt etwa zwanzig Meter hoch mit steilen Hngen aus den flachen Wiesen am Usedomer See erhebt. Vor tausend Jahren umgaben Wlle und Palisaden seine Kuppe, ein leichter Knppel damm berbrckte das Moor. Die slawischen Einwohner fldl teten hierher, wenn sich Feinde nherten. Heute recken sich dort oben mdltige Pappeln in den Himmel. Ein steinernes Kreuz erinnert an die Tage, in denen sich die Wenden auf Usedom den Siegern beugten, indem sie sich zum Christentum bekannten. Vom Plateau des Hgels sahen die Freunde weit ber die blaue Flche des Usedomer Sees, auf dem Fischerboote langsam dahin zogen, ber die Huser der alten Stadt und ber die grnen Wiesen und Niederungen, die Usedom umgeben. Manfred hatte ihnen eine Segelpartie auf dem Usedomer See verspromen. Er ging zurck in die Stadt, um Mast und Segel zu holen; ein Fischer hatte ihm sein Boot zugesagt. Als
er
die dicke
Stange mit dem darumgerollten festen Tum auf die Smulter nahm, rief ihm der Mann nach: "Schmiet man nim m ! " .,Keine Sorge, wir knnen alle schwimmen !" Trotz seiner scher zenden Antwort war Manfred besorgt. Der Ostwind blies krftig und aum remt big. Die Jungen hatten nom nie in einem Segel boot gesessen; hoffentlich wrde es keinen rger geben. Die drei Jungen hatten sim inzwischen im Hafen umgesehen. Als Manfred auf sid1 warten lie, setzten sie sim in die kleine Hafengaststtte, und Heinz schrieb schnell einen Brief nach Hause. Die Sd:luljungen, die im See badeten, sahen interessiert zu, wie vorsidltig die jungen Berliner in das geteerte Fismerboot klet terten, wie krampfhaft sie sich an den Bordwnden festhielten, wenn es von einer Seite zur anderen smaukelte.
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Manfred Witt rief kurz entschlossen einen greren heran. " Fritzing, willst du mitfahren? " Der Junge nickte eifrig. "Dann zieh dir was ber. Mach flxing ! " Die Freunde verfolgten mit Staunen, wie das Boot segelfertig gemacht wurde. Manfred setzte den Mast in die dafr vorge sehene Aussparung, Fritz, der Fischerjunge, machte inzwischen die Fock - das Vorsege 1 - klar und besorgte eine Stange, mit deren Hilfe das viereddge Grosegel gespreizt wurde. Endlich setzte sich Manfred ans Steuer, fate die Schot - eine Leine, mit der das Segel in der gewnschten Stellung gehalten wird -, und Eddi und Heinemann bekamen jeder eine Fockschot in die Hand gedrckt. Noch flappte das Segel kraftlos am Mast. Zuerst mute das Boot in das freie Wasser gerudert werden, denn der Wind drngte in das Hafenbecken hinein. Fritz aus Berlin stemmte sich mchtig in die Riemen. Das Boot glitt an den Duckdalben in der Hafeneinfahrt vorbei. Auf einem Pfahl un weit der Fischannahmestelle sa ein Fischreiher und putzte sein weies Gefieder. " Von der Sorte gibt's hier viele " , meinte Manfred. "Sie sind dreist wie die Schuljungen, man nich, Fritzing? " Fritzing lachte nur. Endlich lag das Boot im freien Wasser. Manfred legte das Steuer um, das Boot beschrieb einen engen Bogen, der Wind fate die Segel von der Seite und blhte sie. Das Boot krngte nach Steuerbord ber und machte Fahrt. Whrend der kleine Fritz das Schwert herunterlie, belegte der Steuermann die Schot, nachdem er sie straffgezogen hatte, an einer Klampe. Eddi mute es mit seiner Fockleine ebenso machen, und dann zogen sie ruhig und stetig dahin, eine deutliche Bahn hinter sich lassend. Der Usedomer See ist an schnen Tagen fast so zahm wie ein
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Berliner See. Als das smwerfllige Boot unter dem Druck des remteckigen braunen Segels nam einigem Kreuzen die Hhe von Wilhelmshof erreimt hatte, fhlte sim Fritz bereits so er fahren in der Kunst des Segelns, da er nunmehr das Boot steuern wollte. Es smwankte bedenklim, als er den Platz mit Manfred tausmte und Steuer und Leine bernahm. Es ging groartig. Das Boot gehormte dem leisesten Druck des Ruders, und Fritz geno das Glcksgefhl, das die Mamt ber eine Naturgewalt verleiht, in vollen Zgen. Auf einmal aber, fr ihn ganz berrasmend, legte sim der Wind voll in das breite Segel. Das Boot neigte sim so weit nach Steuer bord, da das Wasser in einem breiten Schwall ber die Bord wand strmte. Htte ihm nimt der geistesgegenwrtige Schul junge die Smot aus der Hand gerissen, wre das Boot umge schlagen. Das Segel flatterte frei im Winde, und das Boot richtete sim wieder auf. Dom Fritz hatte genug vom Segeln und gab das Kommando ksewei und kleinlaut an den Fischerjungen ab. Der Usedomer See ist nimt tief. Viele Pflanzen wachsen an seinen Ufern oder ballen sim auf der Wasserfldle zu lnselmen zusammen. Jedes Fahrzeug, das einen greren Tiefgang hat, mu sim genau an den durch Seezeimen markierten Weg halten, sonst sitzt es bald im Schlamm fest. Es war wundersmn, so auf dem Wasser zu treiben. Das Boot schaukelte ein wenig - gerade genug, um die Illusion einer See fahrt zu erwecken. Das Wasser gluckste und schmatzte an den dnnen Planken. Von den flamen Ufern her duftete das Heu. Allerlei scheue Wasservgel flogen mit mitnendem Quarren auf, als sim das Boot dem Rohrkamp nherte. Krickenten gibt es hier und Fismreiher. Gewaltige Smaren
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schwarzer Blehhner bevlkern im Herbst den Strom und den Usedomer See. Wenn sie mit schwirrenden Flgeln und mit vor gestrecktem Hals auffliegen, sind sie schwer von den helleren, gedrungeneren und etwas greren Enten zu unterscheiden. Wenn ein Schwarm von mehreren hundert Blehhnern seinen Standort wechselt, laufen sie scheinbar mit klatschendem Flgelschlag in langer Kolonne ber das Wasser, so da es sich anhrt, als wrde das Wasser ganz schnell mit Ruten gepeitscht oder als trommle jemand laut auf die Wasseroberflche. Im Herbst halten hier die Zugvgel Nordeuropas einige Tage _ Rast, ehe sie die Schwingen erneut zum groen Aug nach Sden breiten. Fritz aus Berlin lehnte am Mast und lie sich von der Sonne durchwrmen. Gedankenverloren betrachtete er die Wolken, die unermdlich ber ihm dahinsegelten, jeden Augenblick ihre Form verndernd. Aus Schiffen, die mit geschwellten Segeln in das Weltall strm ten, wurden Schlsser mit Trmen und Zinnen, die nach wenigen Minuten schon wieder zerflossen und dann eine Herde wilder Stiere bildeten. Er fhlte sich leicht und froh. Der Wind, die Sonne, die ziehenden Wolken beschwingten sein Gemt, lieen seine Gedanken flchtig die Unendlichkeit durchstreifen und versetzten ihn in einen nicht ungefhrlichen Zustand des Tru mens. Die pralle Ache des braunen Segels verdeckte das Ufer, und die Gedanken wanderten weit weg. Die Ferne tat sich ihm auf. Trieb er nicht auf den Wellen des Weltmeeres vor einer groen, unbekannten Insel? Warteten dort nicht unerhrte Abenteuer mit fremden Menschen und wilden Tieren? Kinderzeitwnsche, scheinbar lngst vergessen, wurden auf eine eigenartig schlfrige Weise wieder lebendig.
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Dieser Stimmung kann sim nur der entziehen, der stndig mit dem Wasser zu tun hat. Er kennt die Tcken des Elements und wei, da er hellwam und geistesgegenwrtig sein mu, wenn er ihm sein tglim Brot abringen will. Es war ein Glck, da sie den Jungen mithatten. Im stolzen Ge fhl seiner tlberlegenheit segelte er sie sicher zu einer schilf freien Stelle und lie das Boot sanft auflaufen, nachdem Schiwert eingezogen hatte.
er
das
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IV
bwohl Manfred
Frhe au; ihre Rder stiegen, um die Wanderung fortzusetzen, herrsdtte in der kleinen Stadt bereits reges Leben und Treiben. Khe sdtwankten beddttig zur Weide, Einzelbauern oder deren Tdtter fuhren die Morgenmilch jn kleinen Handwagen zur Molkerei, mandtmal nur eine, mandtmal drei oder vier Kannen voll. Die Mitglieder der Produktionsgenossensdtaft wuten allerdings ihre Zeit besser einzuteilen : ein Mann erledigte die gesamte Mildtablieferung. Versdtlafene Mddten holten Wasser von den Pumpen und sahen den Wanderern verwundert nadt. Es war khl. Die Sonne berstrahlte noch nidtt die Wipfel des Waldes, der gleidt hinter der Stadt beginnt. Alles war so frisdt, so klar, so sauber und dodt noch behaftet mit den Geheimnissen der Nadtt. Ein klarer Sommermorgen ist wie ein Bad, durdt das man sidt von allem Belastenden und Bedrckenden befreit. Der Tag ersdteint um dies.e Zeit glatt und rein wie ein kleines Kind. Die Freunde sdtwiegen anddttig. Sie sahen auf die saftigen Wiesen, die im Tau glitzerten, und die seltsam warme Farbe des Waldes. Die Stmme der Kiefern glnzten golden, die Nadeln an den Zweigen glitzerten wie Weihnadttsflitter. Nur der Frhaufsteher sieht den Wald in soldt frischer Pradtt. Manfred dadtte belustigt: Was, da staunt ihr, ihr Stadthasen . . .
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Es gibt doch noch Dinge auer rasenden Autos und gewaltigen Maschinen, die schn sind und unauslschliche Eindrcke hinter lassen. Kommt nur erst an die See ! Als sie den Wald durchquert hatten, wurde die Strae schlechter. Auerdem stieg sie betrchtlidl an, so da sie ihre ganze Auf merksamkeit auf den Weg richten muten. Sie fuhren in das Dorf Stolpe. Stolpe war frher ein Gutsdorf, der einstige Stammsitz der Grafen von Schwerin, die sich rhmten, da ihr Ahn schon um
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aufgewhlte Dorfstrae, zu deren Seiten baufllige, niedrige und primitive Katen stehen - Uberbleibsel der "grflichen " Ver gangenheit des Ortes. Wie in allen ehemaligen Gutsdrfern tritt der Unterschied zwi schen den schmucken Neubausiedlungen der Landwirtschaft lichen Produktionsgenossenschaften und den alten Landarbeiter wohnungen kra hervor. " Ist das ein Unterschied zwischen dem Schlo da drben und den hlimen kleinen Buden lngs der Dorfstrae " , meinte Fritz kopfschttelnd, als sie sich im Dorf umgesehen hatten. Eddi er gnzte : "Ich habe mir unter dem Begriff Klassenunterschiede nur immer schwer etwas vorstellen knnen. Jetzt versteh im's. " " Ja, schamlos offen betrieben die Grogrundbesitzer die Aus beutung ihrer Landarbeiter. Ein Hofgnger bekam neben seinem Deputat an Milch, Korn und Kartoffeln einen Stundenlohn von neun bis elf Pfennigen. Das Schlo war frher noch grer. Aber nam 1945 wurde ein Rget abgerissen, um Platz fr die MTS zu bekommen. Vor ein paar Jahren fanden brigens Mitarbeiter der MTS hinter der Tfelung in der Halle versteckt allerlei Silberzeug - Leumter, Geschirr, Bestecke, Schalen und auch alte Orden und Ehrenabzeichen. Die Besitzerin hatte also immer gehofft, sie knne bald wieder zurckkommen und die Herr schaft ber ,ihre' Landarbeiter weiter ausben. " Heinz schttelte energism den Kopf. " Fr neun Pfennige die Stunde? Die Olle war wohl nicht ganz dicht! Die htten'se schon viel eher wegjagen sollen. - Da fr die Groschen berhaupt je mand gearbeitet hat? " " Einmal wurde schon dafr gesorgt, da die Leute nicht zuviel aus der Welt erfuhren, und zum anderen gab es auf Usedom nid1t viele andere Arbeitsmglichkeiten. Die ansssigen Land arbeiter bildeten zudem nur den Stamm .. Die hauptschlichsten
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Arbeiten wurden auf allen Gtern von polnischen Schnittern ausgefhrt. Diese Leute lebten unter unbesmreiblich schlechten Verhltnissen mit Frauen und Kindern in der Smnitterkaserne. Es war eben die einzige Mglimkeit fr sie, ihr Leben zu fristen. " "Die Masminen-Traktoren-Station ist wohl nimt gro? Da auf dem Hof stehen ja nur drei Trecker" , fragte Fritz. "Da tusmst du dim. Die MTS Stolpe bearbeitet den ganzen stlimen Teil der Insel Usedom, bis hin nach Ahlbeck und Heringsdorf. Zu ihrem Arbeitsbezirk gehren aum die groen Landwirtsmaftlimen Produktionsgenossensmaften vom Typ 111 Voberg, Usedom und Kutzow und viele Genossensmaften vom Typ I. Sie verfgt ber Mhdrescher und Kartotfelvollemte masminen. Die Traktoristen und Maschinenfhrer arbeiten in sieben Brigaden, die ihre Sttzpunkte in versmiedeneu Drfern haben. In diesen Einsatzorten sind aum die Masminen und Traktoren untergebracht. Hier in Stolpe benden sich nur Repa raturwerkstatt, Verwaltung, Buchhaltung und eine Brigade. Da Stolpe aber etwas abseits liegt, soll die Station, wie im hrte, nach Mellenthin verlegt werden. " Sie fuhren weiter. Hinter einem einzelnen Gehft, Kiebitzkrug genannt, wurde der Weg smmal und smlemt. Bald lag Remten das kleine Dorf Gummlin. Manfred hielt pltzlich an. "Am, du meine Gte, im sollte ja heute frh wegen unseres Zeltplatzes bei der Gemeindeverwal tung in Korswandt anrufen. Das habe ich vor lauter Erzhlen ganz vergessen. Ich mu zurck nach Stolpe. " "Gibt's denn in dem Kaff da drben kein Telefon? " fragte Eddi. In Gummlin? " Manfred berlegte. "Im wei nimt, aber ver " sun wir es erst einmal dort. "
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zur
Eine Fernsprechleitung wies ihnen den Weg zu einem kleinen Bauernhaus. Die Hausfrau stand vor der Tr : rin; wissen Sie die Nummer?u " Gehn Se man
Die Stahlrosse trugen Manfred und die Jungen durch einen groen Wald, der zur Mellenthiner Heide gehrt. " Wir sollten eigentlich ans Frhstd<en denken." Manfred stieg ab und lehnte sein Rad an einen Baum. Sie setzten sich ins Gras. da sind ja Blaubeeren. Aber kaum saen sie, da sprang Eddi schon wieder auf: "Mann, " Und gleich strzten auch Heinz und
Fritz davon und fingen eifrig an zu pfld<en. Manfred konnte sie nur noch ermahnen, sich nicht so weit nad1 Osten zu be geben, weil dort fter gesprengt wrde. Sptestens in einer halben Stunde mten sie zurd< sein. Doch sie hrten kaum auf seine Worte. Eine regelrechte Gier nach den Beeren, die sie wohl erstmalig frisch vom Strauch essen konnten, hatte sie er fat. In den groen Wldern der Insel Usedom flndet man bis in den spten Herbst alle in Norddeutschland vorkommenden Wild frchte : Blaubeeren, Preiselbeeren, Himbeeren, Brombeeren und gelegentlich auch wilde Birnen und Apfel; auerdem natr lich Pilze. Die halbe Stunde war schon lngst vergangen, doch nur Fritz hatte sich wieder eingefunden. Die beiden anderen lieen auf sich warten. Die Sonne stand bereits hoch berden llaumwipfeln, und schwle Wrme prete Schwei aus den Poren. Ganze Heerscharen kleiner Aiegen summten um Nase, Beine und Nak ken. Manfred war beinahe versucht, skh hier im Walde eine Zigarette anzuznden, aber viel gentzt htte sein Versto gegen das Raudwerbot wohl kaum.
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.,Die beiden sind wohl nidtt mehr redtt bei Troste !" sdtimpfte er und wisdtte sidt dabei den Sdtwei aus dem Nacken und die Fliegen vom Gesidtt. .,Die denken wohl, wir wollen hier eine Futterstelle fr Insekten einridtten ?" Zu Fritz gewandt, sagte er : .,Geh dodt bitte den Weg ein Stck hom und ruf nadt bei den Seiten in den Wald. Wenn wir sie nidtt stren, sdtlemmen sie bis zum Abend." Nadt zwanzig Minuten kamen sie endlich. Manfred verhehlte seinen rger nidtt. .,Habt ihr in eurem Leben nodt niemals Blaubeeren gegessen, da ihr uns hier wie die Dummen warten lat?" Heinz entsdtuldigte sidt : .,Das war keine bse Absidtt. Wir hatten uns ganz einfadt verlaufen. Ein Waldweg sieht wie der andere aus, und wir haben so lange gesudtt, bis wir berhaupt nicht mehr wuten, wo wir waren. Das ist ja die reine Wildnis. In der ganzen Zeit haben wir nidtt einen Menschen gesehen. Zum Glck hat uns Fritz gerufen. Als wir seiner Stimme nadt gegangen sind, haben wir eudt wiedergefunden. " Eddi ergnzte : .,Es war unheimlidt. Uberall nur Bume und Gestrpp. Ich gehe nie wieder so aufs Geratewohl in einen Wald. Und dann standen dort soviel Trmmer . . . halb einge fallene Betonhallen, alles von Struchern und Gras ber wudtert." ,Ja, es war ridttig gruselig. Man hatte jeden Augenblick das Gefhl, als wrde man etwas Unerwartetem begegnen. War denn da mal ein Ort oder 'ne Fabrik? " .,So weit wart ihr also dodt ?" Manfred Witt pfiff durch die Zhne . .,ldt habe eudt dodt gesagt, ihr sollt nidtt so weit itadt Osten gehen, weil fter gesprengt wird. Dort war nmlidt mal eine Fabrik, so kann man's wohl nennen." .,Wat denn, hier mitten im Walde eine Fabrik? Das mu ja eine
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merkwrdige Angelegenheit gewesen sein. Erzhl' uns doch !" "Wenn wir auf der Strae sind" , versprach Manfred. "Hier fressen uns die Mcken bei lebendigem Leibe auf. " Schnell war die Mellenthiner Kreuzung erreimt. Sie setzten sid1 an den Straenrand, holten Stullen aus den Ruckscken und frhstckten zum zweitenmaL Was ihr da gesehen habt, gehrte seinerzeit zum Marine-Artil " lerie-Arsenal Swinemnde. Swinoujscie war frher Festung und Aottensttzpunkt. Das Arsenal war auf gut deutsch eine groe Munitionsfabrik, in der Granaten aller Kaliber hergestellt wurden. Es umfate einen mehrere Quadratkilometer groen Komplex, in dem mehr als dreitausend Menschen ttig waren : deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen, Zivilinternierte und Kriegsgefangene. Die Deutschen waren berwiegend dienst verpflichtet und wurden nimt viel besser behandelt als die In sassen der vier Kriegsgefangenenlager, die zum Arsenal ge hrten. Die Gestapo fhrte bei ihnen tglich Verhre durch. Hunderte von Menschen verschwanden und wurden nie wieder gesehen. So erreichte man tatschlich, da die Lage des Werkes whrend des Krieges nie genau bekannt wurde. Angehrige beinahe aller Nationen Europas gaben sich in der Mellenthiner Heide ein unfreiwilliges Stelldichein. Junge Md chen aus Italien fllten Flakmunition, kriegsgefangene Sowjet soldaten muten smwere Torpedos und mchtige Schiffsge schtzgranaten auf Schwerlastzge hieven, was selten ohne Quetschungen und Knochenbrche abging . Obrigens wider sprach das den Bestimmungen der Genfer Konvention, die unter anderem besagt, da Kriegsgefangene nicht in der Rstungs industrie beschftigt werden drfen. Aber was fragen Faschi sten nach Humanitt oder internationalen Abkommen, wenn sie ihnen nicht ntzen.
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Als sidt im Frhjahr 1945 die Rote Armee nherte, sollte das ganze Werk in die Luft gesprengt werden ; alle Lager, Labo ratorien und Werksttten waren durdt Zndkabel verbunden worden, es htte nur eines Hebeldruckes bedurft, und das ganze Werk, in dem viele tausend Tonnen hodtexplosiven Spreng stoffs lagerten, wre mit Mensdten, Maschinen und den um liegenden Drfern in Atome zerrissen worden. Zum Glck konnten einige Besonnene das Unglck verhindern. Nadt 1945 begann man dem Potsdamer Abkommen entspre dtend di.e Anlagen und die Munitionsvorrte nach und nadt zu sprengen - selbst heutzutage klirren bei Detonationen nodt die Fenstersdteiben der Gehfte. Dann hat man im Walde wieder einen Stapel Granaten gefunden und unschdlich gemadtt." Die Jungen kauten nadtdenklidt ihre Stullen. Da meinte Fritz : "Da denkt man nun, man kommt in eine romantisdte, welt abgesdtiedene Gegend, in der urwdtsige Bauern und olle Fisdter mit Rausdiebrten geruhsam die Zeit verklnen, dabei stt man alle Augenblicke auf Zeichen des letzten Krieges und des Neuen unserer Zeit. " "Ja, es gibt auf der Insel wirklich viele idyllisdte und eigenartige Aeckdten - nur bestimmen sie nidtt das Wesen und den Cha rakter der Mensmen. Die Bauern, die hier dem kargen Boden in harter Arbeit seine Frdtte abringen, und die Fisdter kannten und kennen keine Romantik. Aber alle Inselbewohner ver sudtten, aus den romantisdten Trumen der Binnenlnder Kapi tal zu sdtlagen : die Rsdter, die Privatbesitzer von Villen und Pensionen, die Aktiengesellsdtaften und die Tausende von Fach arbeitern, die die Hitlerwehrmamt im Rottensttzpunkt Swine mnde und den dazugehrigen Anlagen, auf den Militrflug pltzen Garz und Peenemnde und in der Raketenversudts anstalt Peenemnde besdtftigte. Alle zogen sie irgendeinen
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Nutzen aus der Badesaison - sei es, da sie Zimmer vermiete ten, oder sei es aum nur dadurm, da die vielen Badegste einen erhhten Gesmftsumsatz bewirkten. Auf Usedom lebten also viele Mensmen, die von der Romantik der Insel spramen und vor allem ans Geldverdienen damten. Fr die Art der Romantik, von der die Heimatbcher lebten und die Backfisdie trumten, ist heute, wo wir die sozialistisme Gesellsmaftsordnung auf bauen, kein Platz mehr." Manfred beobamtete die Gesimter der Berliner . .,Ein bieben desillusioniert, was? Macht nimts ! Im wollte nur sagen, da man ber die gewi smne Landsmaft nimt die in ihr woh nenden Menschen vergessen darf." Heinz kraulte sim den Kopf, setzte zu einer Erwiderung an, unterlie sie dann aber dom. Mit einer Handbewegung : hat ja dom keinen Zweck ! drehte er sim um und ging zu seinem Fahr rad. Innerlich rgerte er sim. Warum mu Manfred nur immer alle Vorstellung zerstren ? "Nun wollen wir uns sdmell nom das Mellenthiner Schlo an sehen." mzend erhob sim Manfred, die Hitze setzte ihm zu. Sie standen schon fahrbereit auf der Chaussee, als Fritz pltz lim die Hand ausstreckte und nam vorn auf die Kreuzung wies. "Psst !" Ein Fums smnrte seelenruhig ber die Strae, von einem Waldstck zum anderen. Seine busmige Rute smleifte im Staub. Er wrdigte die Jungen keines Blickes, obwohl sie kaum dreiig Meter entfernt waren. Und als wolle er ihnen zeigen, wie gleimgltig sie ihm seien, trippelte er nam einigen Minuten den gleimen Weg zurck. Erst im Sm'utze des Unterholzes drehte er sim um, besmaute sich die vier Mensmen ganz ge mmlim und versmwand dann ebenso pltzlim, wie er ge kommen war. Die Freunde hatten bisher kein Wort gesagt. Nun platzte Heinz
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heraus : .,Guckt euch den an ! Wenn er nicht eben im Dorfe Hhner klauen wollte, will ich nicht mehr Heinemann heien. " .,Sicher " , stimmte Eddi bei, .,als er uns sah haJt er's sich wohl berlegt. " Sie htten den dreisten Ruber gern verfolgt, aber Manfred drngte zur Weiterfahrt. .,Fchse gibt es bei uns mehr als zu viel. Sie klauen dem Bauern das Huhn vom Hof, trotz Wach hund und Arbeitslrm, schleichen zurck und holen auch noch die Gans. Vielleicht knnen wir spter auch einmal Rehe und Hirsche beobachten. Ich kenne in Benz einen passionierten ]ger, der kennt alle Wildwechsel im Umkreis von zehn Kilometern. Jetzt mssen wir aber weiterfahren, sonst schaffen wir unser Tagespensum nidlt. " Das Mellenthiner Schlo ist rings von einem breiten Wasser graben umgeben, ber den eine steinerne Brcke fhrt. Hohe Bume lassen nur das vorgebaute Portal sichtbar werden, wenn man von der Dorfstrae her auf das Schlo zukommt. Steht man dann auf dem Hof, sieht man, da das Schlo ein zwar fr lndliche Verhltnisse groer, jedoch architektonisch wenig be deutender Bau ist. Eddi, der sich auf eigene Faust umgetan hatte, entdeckte eine Steintafel : ., . . . Anno 1575 hat der edle und ehrbare Rdiger von Neuen kirchen dieses Haus gefundert und 1580 verfertigt . . . " .,Mensch, denk mal an, die Wasserburg ist schon fast dreihun dertachtzig Jahre alt " , rief er Manfred zu . .,Das ist keine Wasserburg. Um 1600
modern. Das Schlo war der Sitz eines unbedeutenden Landes edelmannes, der ein paar Dutzend Bauern besa und einige Diener halten konnte. "
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Vom Park her fhrt eine breite Freitreppe zur Halle empor, die von niedrigen Sulen getragen wird. Dort befindet sich der Kamin, dessen primitiv gearbeitetes Relief - Satyr mit Wagen lenker darstellend - oft beschrieben wurde. Bemerkenswert sind die umfangreichen Kellereien, die trotz des hohen Grundwasser standes vllig trocken sind, und die Nebengebude, von denen leider nur noch ein Teil erhalten blieb. Knnen wir uns das Schlo auch von innen ansehen? " fragten " die Jungen. "Natrlich ! " Die Halle war dster. Im ersten Stock beflnden sich mehrere groe Rume, die der Gemeinde fr kulturelle Zwecke zur Ver fgung stehen. Auf der rechten Seite ist der Kindergarten unter gebradtt. Im linken Agel liegen Wohnungen, darunter die Rume der Brgermeisterei. Die Freunde madtten enttuschte Gesidtter. ., Von auen sieht das Haus bedeutender aus als von innen. Gibt's denn hier wenigstens einen anstndigen Geist, wie es sidt fr so'n altes Rubersdtlo gehrt?" Manfred mute ladten. "Zieht man keinen Aunsch. Das Schlo ist uns weniger wegen seiner Baulichkeiten als vielmehr wegen seiner Gesdtichte interessant, darber werde idt euch nachh er etwas erzhlen. Das alte Haus hat aber audt seine Spukge sdtichte. Sie ist bezeichnend fr die Zeit nadt dem Dreiig jhrigen Kriege, eine Zeit, in der man an Hexen glaubte und an Geister, in der man Gold machen wollte und alles fr mg lidt hielt, was man sichi wnschte. So hing vor Jahren im Ezimmer des Schlosses zu Mellenthin in _ einem schweren Goldrahmen das Bild einer Dame in der Tracht des 1 7. Jahrhunderts. Sie trug ein sdtwarzes Samtkleid und um den Hals eine schmale goldene Kette mit einem groen Rubin
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als Anhnger. Die rechte Hand ruhte auf dem Griff einer Rei terpistole. Ober diese Frau, die Witwe des schwedischen Grafen Horn, schrieb der verstorbene Heimatforscher Burkhard fol gende Gesdchte auf: Um 1660 wurde auf der Insel ein schwedisches Dragonerregi ment einquartiert, dessen Obrist, ein Herr von Elgstrm, im Mellenthiner SchJosse bei der Grfln Katharina von Horn wohnte. Er war so recht ein Gewchs jener wilden Zeit, unter einer welt mnnisdlen Tnche rd:sichtslos und roh, allen Begierden nach gebend. Er verliebte sich in die stille Frau, die, nach dem Bilde zu urteilen, eine groe Schnheit war, und wurde abgewiesen. Trotzdem verfolgte er sie auf Schritt und Tritt, bis sie sich end lich durch vornehme Verwandte beim Knig beschwerte, der ihn kurzerhand nach Stod:holm zu einem neuen Feldzug abrief. Er wute wohl, wem er diesen Streich zu verdanken hatte, und als er sich von der Grfln verabschiedete, sprach er bedeutungsvoll : ,Die Mnner aus Dalekarelien gehen wohl, aber sie kommen wieder! Auf Wiedersehen, Frau Grfin !' Jahre spter - der Krieg war zu Ende -, als die Grfln abends ihr Schlafzimmer betreten und verschJossen hatte, hrte sie pltzlich einen harten Tritt den Gang entlang kommen. Sporen klirrten - ein schwarzer Dragonerhut mit gelbblauem Band wurde sichtbar und schwebte an die Grfln heran, ein eisiger Ku berhrte ihre Hand, und mit einem lauten Schrei flel sie in Ohnmacht. Ihre Kammerfrau, die die Tr aufbrechen lie, und die gesamte Dienerschaft hatten wohl Schritte gehrt, aber kei nen Fremden gesehen. Als die Grfln wieder zu sich kam und den Vorfall erzhlte, glaubten alle und zuletzt auch sie selbst an eine krankhafte Sinnestuschung. Aber nach einigen Monaten wiederholte sich
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die Sache im Speisezimmer, ein halbes Jahr darauf im Garten. In ihrer Seelennot ging sie zum Pastor und bat ihn, sie von dem Gespenst zu erlsen. Der Pastor Spalkhaver hatte im groen Kriege als Feldprediger unter wildem Schlachtenlrm seinen Mann gestanden und hielt es mit handgreiflichen Mitteln. Er riet der Grfin, stets eine geladene Pistole zu tragen und bei dem nchsten Angriff dreist dahin zu schieen, wo bei einem leib haftigen Menschen Lunge oder Magen sitzen. Das, meinte er, knne kein Gespenst vertragen. Seit der Zeit trug die Grfin, wie auch auf dem Bilde zu sehen ist, immer eine geladene Pistole im Grtel. Zwei Jahre lang hatte sie Ruhe. Dann veranstaltete sie zu Ehren ihres ltesten Sohnes, der in Schweden Offizier geworden war und ihr seine Braut vorstellte, eine groe Gesells<haft. Nach dem Essen wurde getanzt. Als die Uhr Mittemacht schlug, sprangen pltzlich beide Flgeltren weit auf. Die Grfin erbleichte und trat, die Hand an die Pistole gelegt, in die Mitte des Saales zurck. Schritte nahten, als ob ein Mann mit Stiefeln und Sporen kme. Ein goldbetreter Hut smwankte auf die Grfin zu. Da erhob sie rasch die Remte und scho. Jetzt hrte man zwei laute Sdueie, der Hut verschwand, und am Fuboden wurde ein groer Blutfleck sichtbar, der niemals ganz verging, wenn auch Generationen daran scheuerten. Das Fest wurde abgebrochen. Die Grfin erholte sich nur lang sam von dem Schreck, aber das Gespenst war fr alle Zeiten gebannt. Das war die Spukgeschichte. Nun aber die richtige Geschichte von Mellenthin. Das Geschlecht der Neuenkirchen (Nienker ken) starb 1 642 aus. Die Knigin von Schweden zog das Lehen ein und vermachte es ihrem Kanzler Oxenstiema. Die Witwe seines Sohnes, Margarete de Brahe, verheiratete sich mit dem
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Landgrafen zu Hessen - dem durch Kleists Schauspiel berhmt gewordenen ,Prinzen von Homburg' - und brachte ihm Mel lenthin als Mitgift zu. Spter ging das Gut durch viele Hnde. Es wurde dreimal zwangsversteigert; das erste Mal im Jahre 1 7 47. Nach dem dritten Konkurs kaufte es die Pommersehe Land gesellsl;haft und teilte es in Siedlerstellen auf. Am Beispiel Mellenthins lt sich gut verfolgen, wie sich das Leben der Bauern in vier Jahrhunderten wandelte. Bis zum Dreiigjhrigen Krieg waren die Mellenthiner Bauern relativ frei. Zwar muten sie Dienste leisten, doch diese lieen Zeit zum Bestellen der eigenen Wirtschaft. Als 1 6 1 2 zwischen den Bauern von Neppermin und dem einflureich Edelmann Hans von Neukirchen ein Grenzstreit ausbrach, konnte dieser seinen Willen gegen die Bauern noch nicht durchsetzen. Auch
30 Morgen.
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und eigenem Land. Ein Teil von ihnen gehrt bereits seit Jahren einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft an. " .,Man kann sich nicht mehr vorstellen, wie schwer und ernied rigend frher das Leben auf dem Lande war " , sagte Fritz . .,Jetzt verstehe ich auch, warum sogar heute noch viele Leute aus den Drfern in die Stadt ziehen. Die unschne Vergangen heit wirkt nam. " .,Leider, leider", erwiderte Manfred. .,Dabei lebt man auf dem Lande gesnder, und Entwiddungsmglimkeiten gibt's auch ge nug. Aber vor vierzehn Tagen hrte ich noch, wie ein Bauer zu seinem Sohn sagte : ,Bauer wirst du nicht - du gehst in die Stadt und lernst ein Handwerk. Ich stmpere mich noch so lange hin, wie's geht, dann gebe ich die Klitsche ab.' Bei uns gibt es Drfer, da liegt das Durmschnittsalter der Bauern bei sechzig Jahren in Benz zum Beispiel. Wenn nicht die Produktionsgenossenschaf ten frischen Wind in den ganzen landwirtschaftlichen Sektor unserer Volkswirtschaft brmten, knnte einem mandlmal Angst werden. " Ein Autobus hielt vor der Brcke. Eine Gruppe buntgekleideter Frauen und Mnner in kurzen Hosen und offenen Hemdkragen trottete zum Smlohof . .,Nu gucke mal da, Baul, das da is das beriehmde Mellendhiner Schlo . . . " Unsere vier Ferienwanderer sahen zu, da sie so smnell wie mglich zu ihren Fahrrdern kamen. Sie fuhren an der kleinen Kirche vorbei, die von einer dicken Friedhofsmauer aus Findlingen umgeben ist und wertvolle Fres ken aus dem vierzehnten Jahrhundert birgt. Der Weg zur Landstrae hin stieg betrchtlich an. Er war sandig und mit Kuhfladen berst. Es wurde immer sch.werer, die Pe dale herumz.uwuchten. Eine Herde schnatternder Gnse wurde Heinz schlielich zum Verhngnis. Er wollte ihnen ausweichen,
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geriet in ein tiefes Wagengleis, legte sein ganzes Krpergewicht in den nchsten Tritt und kmpfte verbissen, um wieder auf den Weg zu kommen - vergeblic:h. Da, ein Knad<, und die Kette war gerissen. Junge Ganse und ausgefahrene Gleise knnen einen jungen Mann schon aus der Bahn werfen. Fritz war vorausgefahren und bemerkte den Unfall erst, als er schon die Landstrae erreicht hatte. Er kehrte um und fummelte die Ersatzkette aus dem Rud<sad<. Der Schaden war nach zehn Minuten behoben, doc:h Manfred meinte, die Kette sei noc:h brauc:hbar, wenn das gerissene Glied ersetzt werde. Vielleicht brauchen wir sie noch?" " & fhrte die Jungen zu einem niedrigen, langgestred<ten Ge bude, das unweit der Chaussee auf der linken Seite an der Dorfstrae stand. Das ist der Sttzpunkt der MTS-Brigade. " Die haben eine Werkstatt und werden uns schon helfen. Sind
tadellose Jungen." Die Traktoristen hatten ein neues Kettenglied brig. Whrend Heinz nietete, sahen sich die anderen um. Ein Traktor stand in der Halle aufgebockt. Am Differential arbeitete ein Schlosser. " Habt ihr oft rger mit den Maschinen? " fragte Fritz. Der Brigadier musterte sie abschtzend. Dann
"Es geht."
wandte er sich an Manfrd, den er kannte. Unsere Sorgen -nun " ja, in einem Satz : mehr Raupenschlepper und viel, viel grere Felder. Bei schlec:htem Wetter knnen die gewhnlichen Trak toren auf den lehmigen Feldern nicht viel ausrichten, da mssen Raupen her. Auf den kleinen Feldern der Einzelbauern mssen die Maschinen jedoch zu oft wenden, und das geht mchtig ber die Kette und das Getriebe. Und Raupenketten kosten ber tau send Mark. Da ist es schon ein Untersc:hied, ob sie einmal oder dreimal im Jahr gewechselt werden mssen. Die kleinen Achen der uneinsichtigen Einzelbauern verbittern den Fahrern das
5 Wanderfahrt
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Leben. Solche modernen Maschinen wie Mhdrescher und Kar toffelvollemtemaschinen, die auch auf der Insel Usedom zur Verfgung stehen, knnen eben erst in der neuen, sozialistischen Form der Landwirtschaft, den Produktionsgenossenschaften und volkseigenen Gtern, richtig ausgenutzt werden. " Wenige hundert Meter hinter der Mellenthiner Kreuzung endete der Wald. Sie stiegen ab, um die Landschaft zu betrach ten. Nordstlich vor ihnen breitete sich ein weitrumiges, wel liges Gelnde. Auf beiden Seiten wogten Kornfelder, und grne Kartoffelschlge duckten sich dazwischen. In der Feme, im Mit tagsdunst kaum sichtbar, erhoben sich Hgelketten. t!ber ihnen schwebte ein fast weier Vogel mit schwarzer Zeich nung, kaum kleiner als ein Storch - ein Fischreiher. In den Fn gen trug er einen Fisch, der skh noch krmmte. Zwischen Grke und Kutzow konnten sie zum erstenmal das Thurbruch zu einem groen Teil berblicken. Vllig eben - ein ungewohnter Anblick in der hgeligen Insellandschaft - liegt es wie ein grnlackierter flacher Teller von riesigen Ausmaen zwi schen den Hhen. Einzelne Baumgruppen vermgen den Ein druck der Ode und Verlassenheit nicht zu mildem. Bei der kleinen Schmiede in Kutzow bogen die Freunde in den Landweg ein, der, an den Siedlungshusern Kutzows vorber, durch e'ine sandige Gegend nach Garz fhrt. Hinter dem Damm der ehemaligen Eisenbahnlinie verschledt terte sich der Weg zusehends. Sie fuhren auf einem schmalen Pfad, ber den dicke Kiefernwurzeln wie Schlangen krochen. Hgel erhebt sich dort neben Hgel, zwischen ihnen liegen kleine Tler wie tiefe Schsseln, Sumpfgrser umwuchem den Rand eines Solls*.
Erdfallartige, wassergefllte Vertiefung, oft verlandet oder versumpft; in der Eiszeit entstanden. 74
Eine Miniatursteppe bot sidt ihren Blicken. Auf den fladten Kuppen fristeten armselige Kiefern ihr entbehrungsreid1es Leben. Heidekraut, dnne Grashalme, drr wie die sieben
:na
geren Jahre gyptens, einzelne Ginsterstrucher und die gelbe Pracht blhender Knigskerzen tuschten einen Anflug von Ve getation vor. Aber es war Unland. Von der Schnheit, die die Stdter diesem Reckehen Erde gern nachsagen, wollen die Bau ern nichts wissen. Fr solche Schnheit knnen sie sidt nichts kaufen. Sdtn ist fr sie gutes, schweres Ackerland, das reiche Ertrge bringt. tlberrasnd ffnete sid1 vor ihnen ein kleines Tal, in dessen Windungen sidt rohr- und ziegelgedeckte Huser aneinander drngen. Das Dorf Garz lag vor ihnen. Einige Huser machten einen wohlhabenden Eindruck, obwohl dodt die Gegend, durdt die die vier eben gefahren waren, ge rade nicht mit Reichtmern gesegnet schien. Aber bis 1 945 pro fltierte die kleine Gemeinde von der Nhe der Hafenstadt Swinemnde und von einem Militrflugplatz, der 1935 auf dem Gelnde des ehemaligen Exerzierplatzes entstanden war. Die Garzer trieben wohl audt Landwirtschaft, doch fast alle Mnner bten noch ein Handwerk aus. Sie arbeiteten als Schiffszimmerleute, Dreher, Schlosser, Gelbgieer, Augzeug motorenschlosser, Augzeugmechaniker, Maurer und derglei chen. Der Bau des Bugplatzes brachte besonders viel Geld ins Dorf, weil Hunderte von Arbeitern untergebracht werden muten. Mbelierte Zimmer wurden hodt bezahlt. Der Bau verlief nidlt ohne Zwisdtenflle. So sollte ein Bauunternehmer das Rollfeld mit einer krftigen Grasnarbe versehen. Da der Sandboden aber zu mager war, lie er vom Grunde des Haffs Schlamm auf das Feld pumpen, nachdem das ganze Gelnde durdt einen Damm
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abgeriegelt worden war. Als das Sdtlammwasser schon hoch auf der Wiese stand, brach jedodt der Damm, und die Sdtlamm massen ergossen sidt bis an die Huser des Dorfes. Alle um den Flugplatz gelegenen Felder waren verdorben. Tagelang mute Schlamm gesdtippt werden. Und schlielich erwies sich die ganze Arbeit als vergeblidt, denn der Schlamm war unfrudttbar, und man mute ihn wieder vom Rollfeld rumen. Und alles auf Kosten der deutschen Steuerzahler. Garz wurde 1 945 durdt einen Luftangriff teilweise zerstrt, weil die Fasdtisten ihre Flugzeuge in der Dorfstrae versteckt hatten. Das malose Leid des Krieges ist fr den kleinen Ort auch heute nodt nicht vorbei. Da die ganze Umgebung mit Flak stellungen nur so gespickt war, ist es kein Wunder, da nodt immer hier und dort Munition herumliegt. Leider bewahren Kinder nidtt immer die ntige Vorsidtt, wenn sie soldte Todes gesdtosse flnden, so da sdton viele Unflle zu verzeidtnen waren. tlberbleibsel einer lteren Vergangenheit sind in Garz, wie in vielen anderen Drfern, mit Rohr gedeckte Fachwerkhuser. Sie besitzen nodt den mdttigen alten Sdtornstein, den Wiemen, der aus der Zeit des offenen Herdfeuers stammt. Erst spter wurden diese Rauchfnge in der Hhe der Decken zugemauert, so da der Sdtomsteinfeger durch eine Holzluke hineinsteigen
mu, wenn er einen reinigen will. tlber den durch das Loch in
der Decke herunterwirbelnden Ru sollen die Hausfrauen aller dings weniger begeistert sein. Diese alten Huser hneln sidt alle. In der Mitte des Hauses be findet sidt der Flur. Zu beiden Seiten liegen die Zimmer. Geradeaus kommt man in die Kdte, die genauso breit ist wie der Flur. Die Freunde stellten ihre Fahrrder bei einem weihaarigen
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Alten unter, der auf dem Hofe dicht an der Strae Holz zer kleinerte. Ungeachtet seines Alters spaltete er die knorrigsten Kloben, zwar ohne Hast, doch auch ohne ersichtliche Mhe. Heinz s ah ihm zu. "Na, Vater, das sind ja dolle Kltze. Wird das nicht zu schwer fr Sie? " Der Weihaarige mochte an die Siebzig sein. Er suchte still schweigend einen besonders dicken, von sten durchwachsenen Knubben hervor, legte ihn auf den Hauklotz und hielt Heinz die Axt hin. Na, wie is's? " " Mit gewaltigem Schwung rckte Heinz dem Kloben zu Leibe. Doch der Kloben wollte nicht, die Axt bi sich fest, und Heinz vergeudete seine ganze Kraft damit, das Werkzeug wieder frei zubekommen. Zitternd vor Anstrengung hielt er inne. "Donnerwetter, das ist ein Knubben, der hat es in sich ! " Die drei anderen versuchten nun ebenfalls ihr Glck, doch auch sie mhten sich vergeblich. Als Heinz noch einmal zur Axt grei fen wollte, winkte der Alte schmunzelnd ab. "Latens man, dat ward woll dochi nix. " Er legte sich den Klotz zurecht, betrachtete ihn von allen Seiten, rckte ihn nochmals, hob die Axt und - spaltete ihn mit einem Schlag. "Dat geiht doch leicht, man nich ? " Den Freunden verschlug es die Sprache. Da hatten sie, alles junge, starke Kerle, sich nacheinander bis zur Erschpfung an gestrengt und doch nicht geschafft, was der Alte mit einem Schlage fertigbrachte. Der Opa grinste, und der Schtilk sah ihm aus den von dichten Runzeln umfltelten Augen. Er mhte sich, hochdeutsch zu sprechen. Die Jungen sahen sich an.
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,.Lat euch das sagen" , belehrte sie der Alte eifrig, ,.mit dem Holzha<ken ist es wie im Leben. Ihr mt zuerst ergrnden, wie die Faser verluft. Wenn ihr dann den Schlag an der ridttigen Stelle ansetzt, platzt das Holz fast von allein, haut ihr aber quer zur Faser, knnt ihr euch lange qulen." Sie wanderten schon die Strae entlang, als Fritz zugab : "Der Alte hat nicht unrecht - seine Weisheit pat nicht nur auf's Holzha<ken. " Das nchste Ziel war der Golm, eine Anhhe, die sich am Rande der Swineniederung erhebt. Sie ist von wundervollen, alten Buchen bestanden und birgt in einer Senke einen Waldfriedhof, auf dem tausende Opfer eines amerikanischen Bombenangriffs auf Swinemnde beigesetzt sind. Der langgestre<kte Hgel steigt nad1 Osten hin allmhlich an und bricht an seiner hchsten Stelle wie ein Steilufer am Meer ab. Es handelt sich auch wirk lich um ein altes Kliff aus der Zeit, als sich die Wassermassen der Oder noch durch die ganze breite Swineniederung in die Ostsee ergossen. Von der Hhe aus konnte man das Swinetal weithin berblik ken. Whrend sie im Schatten der mchtigen Bume langsam auf dem federnden Waldboden dahinschritten, erzhlte Manfred die Sage vom Golm. Nach dieser wurde eine Prinzessin, die samt Schlo von einem abgewiesenen Freier verzaubert war, nie erlst, weil alle, die am Johannistag die Mglichkeit dazu hatten, ihre Wnsche aus Neugier oder Habsucht nicht richtig erfllten. Stets wollte sie ein St<k Tuch aus der Stadt mitgebracht haben, ohne da beim Kauf gehandelt wrde. Heinz scherzte : In Kamminke gibt es doch hoffentlich einen " Konsum ! Man kann ja nie wissen - vielleicht gefallen wir auch
.''
der ollen Prinzessin und sollen ihr drei Ellen Scharlachtuch mit bringen, ohne uns Stecknadeln zugeben zu lassen . .
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Nach einer. halben Stunde hatten sie den schlimten Friedhof er reicht. Sie durchschritten das kleine Tal, kletterten den jen seitigen Hang hinauf und standen gleich darauf am domen bewachsenen Abhang, neben zwei aus Holzbalken gefgten Trmen. Die Buchen verdeckten ihnen die Sicht, doch konnten sie unter sich in wenigen hundert Metern Entfernung die hier vom Torf kanal gebildete Friedensgrenze zwischen der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik erkennen. Dort, wo die Strae Zirchow-Swinoujscie den Kanal ber brckt, sahen sie die Wachhuschen der Grenzpolizei. In der Feme konnten sie Schiffsmasten und Rauchfahnen entdecken, ebenso Kirchtrme und Fabrikschlote : Attribute der Hafen stadt. Vom Golm bis nach Kamminke geht man fnfzehn Minuten. Das Dorf liegt zur Hlfte an einem Abhang, der sich genauso steiluferartig wie das alte Kliff des Golm bis zum Haff erstreckt. Dadurch gewinnt Kamminke das Aussehen eines Gebirgsdorfes. Steile, befestigte Straen fhren den Hang empor. Die Kinder mssen einen Berg ersteigen, wenn sie zur Schule wollen. In den Grten und vor vielen Husern, besonders im sdliche!)., zum Haff hin gelegenen Teil des Dorfes, hngen Netze. Sie ver raten den Beruf ihrer Besitzer. Auf der breiten Mole des Hafens steht die Baracke der Fischerei genossenschaft. Boote zerren an den Ketten und scheuem an den Pfhlen und Dalben. Motorengetucker fllt die Luft. Unter dem Steilufer, vor dem Hafen, schaukeln zwischen mannshohen Pfhlen lange, geteerte Reusen in der leichten Brise. Sie gleichen riesigen, spitz zulaufenden Scken aus Netz werk, die mit Bgeln aus Wacholderholz aufgespannt sind. Oft lodert dort Feuer unter Teerkesseln, denri Nee und Reusen
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werden regelmig mit Teer imprgniert, damit sie nkht so schnell im Wasser verfaulen. Ein Ascherball in Kamminke zhlt fr den Fremden zu den be sonderen Erlebnissen. Die Drfler zeigen dabei so viel Vitalitt, da das noch oft geuerte Vorurteil, die Norddeutschen seien stur, vllig zerstrt wird. Zuerst, wenn die Musik beginnt, tanzt nur das junge Volk. Die lteren Mnner sitzen wrdig an ihren Tischen und sehen zu. Bald aber zieht es sie, zum rger ihrer Frauen, zur Theke. Da geht es dann hoch her. Man trinkt eine Lage nach der anderen, spricht ber Fang und Umsatz, streitet ber den Wert der ver schiedenen Motorradtypen und gert allmhlich in Schwung. Die Worte werden lauter. Brllendes Lachen quittiert eine Zwei deutigkeit, man klatscht sich mit derben Pranken auf die Schul tern. Der fremde Zuschauer zuckt jedesmal zusammen und hofft inbrnstig, da man ihn mit solchen Zuneigungsbeweisen ver schone. Schlielich flnden sie einen Tanz besonders schn, einen Tango oder Walzer. Ohne da man ihnen anmerkt, da sie etwas ge trunken haben, holen sie sich ihre Tnzerinnen und wirbeln sie durch den Saal, da die Rcke stieben. Selbst die alten " Knak ker" tanzen ausgezeichnet und - fleiig. Nach beendetem Tanz fhrt man seine Dame natrlich an die Theke. Immer hher steigt die Stimmung. Die Frauen und Mdchen werden ab und zu rot, die Augen blitzen, lautes Stimmengewirr kmpft mit dem Tanzrhythmus um die Vorherrschaft. Dann kommt das traditionelle Aalessen. Fr eine halbe Stunde wird es stiller, denn Aal wei gekocht ist eine Delikatesse. Aber man mu solch. ein Fischgericht wohl in einem Kstendorf essen ; das ist an der Ostsee nicht anders als am Mittelmeer oder
am
Atlantik. Danach. geht der Tanz wieder an. Die Musiker sind
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nun auch nicht mehr nchtern, sie spielen wilder, singen die Texte mit und bringen audt manchmal einen Tanz aus Gro vaters Zeiten : sie madten Stimmung. So geht es bis zum frhen Morgen. Fast immer gibt es unter den Burschen Zank oder gar eine Keilerei wegen eines Mdchens. Doch das macht fr sie das Fest nur noch aufregender und inter essanter. Nach einem soldten Winterfest gibt es aber kein Ausruhen ; der neue Tag hat neue Arbeit gebradtt, und bald sieht man die eben nodt so temperamentvollen Mnner wieder wortkarg ihre Boote oder Netze ausbessern und mit zusammengekniffenen Augen das Wetter beobachten. Ihr Fangrevier, das Haff, gibt sich fr gewhnlich zwar wie ein groer, stiller Teidt, dessen niedrige Wellen hinter dem Schilf ufer blinken, aber es kann recht gefhrlich werden. Seine kur zen, harten Wellen forderten schon manches Opfer. Da sich auch um das Haff Sagen spinnen, ist wohl selbstver stndlich. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von der See jungfrau. Vater Kruse, der am Hafen stand, nadt dem Wetter ausschaute und dabei seine Pfeife schmokte, erzhlte sie den Usedom-Wanderern : Im Haff ist schon seit undenklichen Zei " ten eine wunderschne Seejungfer. Wenn die Fischer am Ufer arbeiten, steigt sie oft bis zur Hlfte des Leibes aus dem Was ser und sieht ihnen zu. Sie sagt nichts, aber wer sie so sieht, dem bringt sie Gldc. " Der Alte nidcte ernsthaft mit dem Kopf. Glaubt das mal, sonst lge idt eudt nie wieder etwas vor. " " Da versdtlug es den sonst so mundfertigen Berlinern doch einen Augenblidc die Sprache, ehe sie loslachten. Nachdem sie sich den Hafen angesehen hatten, kletterten sie auf einer holprigen Strae zum Steilufer empor. Bald standen sie in
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einem lidtten Hain sdtlanker Kiefern, die hodt oben ihr Ast werk nach Suden in den blauen Himmel reckten. Tief unten weitete sidt bis zum Horizont, wo fein wie dnner Nebel das Festland emportaudtte, die glatte Rche des Haffs. Hier mdtte man ausruhen, im kargen Gras liegen und die so eigenartig nadt Teer, Sdtlamm und Fisch riechende Luft ein atmen. Sie lagerten si<h neben einem glatten Kiefernstamm und aeri ihre letzten Stullen. Erst abends wollten sie warmes Essen kochen, weil sie tagsber keine Zeit einben mochten. Zwischen Wasser, Sdtilfgrtel und Kliff fhrt von Kamminke bis halbwegs nach Garz ein schmaler Fupfad durch eine ur waldhnliche Wildnis. An zwei Stellen lud ein schmaler Strei fen Sand die Jungen zum Baden ein, aber die Mcken waren ihnen doch zu lstig. Eine wunderbare Stille herrsdtte am Haff. Die Sonne wrmte den Boden. Insekten gaukelten unruhig umher. Meisen und Schwalben flitzten durch das Gezweig der Bume, und iiber drre ste an der Erde huschten jagende Ringelnattern. Im Rohrkamp, das niemals still ist, in dem es immer wispert und rauscht, riefen Rohrdrossel und Rohrsnger, ruderten Enten und Blehhner, die beim geringsten Gerusch pladdernd 'und schwirrend aufflogen. Weit drauen zogen Fischerboote mit braunen Segeln oder tuckerndem Motor dahin. Hier und dort madtten sie an den Reusenpfhlen halt, die wie dnne Striche ber der funkelnden Wasserfldle standen . . Was fngt man im Haff? Ein Blick in den Dgen " eines Fischerbootes beantwortet die " Frage. Da zappeln breite, fette Bleie (die frisch geruchert ein Leckerbissen $ind), glitzernde Pltzen, schlanke Hechte, die
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noch im Todeskampf das weite Maul gefhrlich nach Beute auf reien, und fleischige Zander. Auch Barsche und Aale zhlen zur Beute des Fischers am Haff. Manfred mahnte zum Aufbruch. Es war spt geworden. Die Sonne stand bereits im Westen hinter den Bumen. Der Weg aus Garz fhrte sie am "Langen Soll " vorbei, einem mehr als hundert Meter langen Wasserloch, das allmhlich ver moort. Auf einem herrlichen Waldweg, bergauf und bergab, unter hochstmmigen Buchen, bald das Rad schiebend, bald in wilder Fahrt auf schmalem Steig abwrtsbrausend, erreichten sie Korswandt. Das Dorf liegt wunderschn am Rande des Thurbruchs und am Ufer des Wolgastsees. Es schmiegt sich frmlich an dichtbewaldete Hgel. Manfred fhrte seine Freunde zum Zeltplatz. Sie waren mde. Als das Zelt endlich stand, dunkelte es bereits. Fest und traum los smliefen sie unter dem Heulen ferner Schiffssirenen dem neuen Tag entgegen.
SJ
Hr doch mal hier! Hr doch mal hier! Tirili ! Tirili ! Tirili ! H, h? H, h? Ich bin das Genie ! Ich bin das Genie ! Ich bin das Genie ! Wie, wie, wie, wie? Ich wr fertig, fertig, fertig, fertig, fertig? Nie, nie ! Nie, nie ! Hr doch mal hier! Hr doch mal hier ! Ist dies nicht ein niedliches Lied? h, h? Wie, wie? Ich bin das Genie ! Ich bin das Genie ! Ich bin das Genie !* Dom auch diese Gelbsptter konnte Fritz nicht entdecken, so eifrig er nach ihnen aussphte. Sie halten sich immer im dichten Gezweig auf, und ihre Farbe gleicht der der Bltter. Fritz schlenderte einen Weg entlang, der am Rande des Waldes, parallel zum Ufer des Sees, nach Osten fhrte. Mit nackten Fen trat er so leise wie mglich auf, um durch kein Gerusch das Frhkonzert zu stren. Seinen Vorsatz, Holz zu suchen, hatte er fast vergessen. Er war einige hundert Meter gegangen, da kam er auf eine kleine Wiese, die sich dicht an den See schmiegte. Er blieb wie an genagelt stehen : auf der Wiese grasten Rehe. Wie auf Kom mando hoben sie die schlanken Hlse, spitzten die Lauscher. Sie muten ihn bemerkt haben. Zwei, drei Sekunden lang standen sie so, dann brachen sie in hohen Auchten durch das Unterholz und waren verschwunden. Fritz eilte ihnen nach. Die Flucht der Tiere schien auf ihn wie ein Reflex gewirkt zu haben. Natrlich konnte er nicht einmal mehr eine Spur von ihnen entdecken. Er blieb stehen und begann endlich, trockene ste aufzusammeln.
na<h
Staningk.
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Aber durch sein unbedachtes Nacb$pren war er vom Wege ab gekommen, und beim Holzlesen entfernte er sich immer weiter vom See. Auf einmal wute er nicht mehr, wo er sich befand. Die dichten Baumkronen lieen noch nicht den Stand der Sonne erkennen. So blieb ihm nichts brig, als aufs Geratewohl den Weg zu suchen. Nun war er in der gleichen Situation wie gestern seine Freunde. Er stie auf einen Waldweg und seufzte erleich tert. Endlich ein Weg, dachte er. Er mu doch irgendwo aus dem Wald herausfhren. Wenn ich erst am See bin, finde idt midt schon zurecht. Der Weg machte Biegungen, mndete in einen anderen ein, auf dem hohes Gras wucherte, und Fritz mute sich eingestehen, da er nicht mehr wute, nach welcher Richtung er weitergehen sollte. Entmutigt setzte er sich auf den erhhten Wegrand. Sein Holzbndel hielt er noch immer fest im Arm. Ganz nahe klopfte ein Specht die Rinde einer Buche ab. Als er innehielt und kcherte, klang es Fritz, als wollte er ihn verhhnen.
Es mochten fnf Minuten vergangen sein. Fritz raffte sich auf
und trabte auf dem unbekannten Wege weiter, in der Hoffnung, entweder den Waldrand zu gewinnen oder einen Menschen zu treffen, der ihm Auskunft geben knnte. Als er nach weiteren zehn Minuten jedoch feststellen mute, da er anscheinend immer tiefer in den Wald hineinlief, machte er kehrt und wollte den Weg in umgekehrter Richtung verfolgen. Doch auf einmal blieb er starr vor Sch(recken stehen. Seine weit aufgerissenen Augen sahen, wie sich hinter einem Baumstamm hervor der Lauf einer Maschinenpistole auf ihn ridttete. Sein ohnehin ber reiztes Gehirn konnte keinen zusammenhngenden Gedanken formen. Ruber ! - scho es ihm durch den Kopf. Ruber ! Ober fall ! " Hnde hoch ! Bleiben Sie stehen !" befahl eine Mnnerstimme.
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Fritz gehorchte. Die ste fielen zu Boden. Sein Herz tobte wie ein kleiner Dampfhammer gegen seine Rippen. Der Mann mit der Maschinenpistole trat jetzt' hinter dem Baum hervor. Es war ein Grenzpolizist. "Menschenskind" , sagte Fritz erleichtert, " haben Sie mich erschreckt." Er lie die Arme sinken. Der Grenzwchter lie es hingehen ; er sah wohl an Fritz' Klei dung, da er keinen Grenzverletzer vor sich hatte. " Wo wollen Sie denn hin?" fragte er. ",ch hab' mich verlaufen" , erwiderte Fritz klglich. " Ich wollte Holz sammeln fr unsere Kochstelle, da sah ich Rehe und bin ihnen nachgelaufen - nun ja, und nun wei ich nicht mehr, wie ich nach Korswandt finden soll."
"So, so ! Hier sind Sie aber beinahe an der Grenze. Zeigen Sie
doch mal Ihren Ausweis !" Fritz geriet in Verlegenheit. Seinen Personalausweis hatte er leichtsinnigerweise in der Jacke gelassen, und die lag im Zelt. "Ja", entgegnete der Polizist khl auf seine weitschweifige Er klrung, " da mu ich schon zu Ihrem Zelt mitkommen. Folgen Sie mir!" Aber seine Stimme war schon freundlicher geworden, wahrscheinlich freute sich der Grenzer ber die Abwechslung in seinem Wachdienst. Hundert Meter weiter blieb er stehen. Er ffnete einen kleinen Hoh:.kasten an einem Baum. Fritz staunte. Mitten im Wald ein Telefon? Der Wachposten meldete seinem Vorgesetzten, da er einen jungen Mann ohne Personalausweis in der Nhe der Grenze ge stellt habe und da er ihn zu seinem angeblichen Lagerplatz b gleiten wolle, um festzustellen, ob seine Angaben der Wahrheit entsprchen. Auf dem Rckweg mute Fritz Auskunft geben ber Herkunft, Beruf und Zweck seines Aufenthalts auf der Insel Usedom. Der
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Grenzsoldat nickte. " Das hab ich mir schon gedacht. Sie sehen nicht aus wie ein Grenzverletzer. Doch Sie mssen verstehen,
da wir wachsam sein mssen, denn wer die Grenze illegal ber
schreiten will, hat kein reines Gewissen." Unterwegs sammelte Fritz wieder trockenes Holz auf. Als sie das Zelt erreichten, hatte er schon wieder einen ganzen Arm voll beisammen. Die Freunde schliefen nochi. Leise holte Fritz sein Jackett heraus und wies seinen Ausweis vor. " Danke !" Der Grenzer salutierte. kunft Ihren Ausweis nicht wieder." Fritz lachte erleichtert. herausgekommen." Dann fachte er Feuer
an
"
Nur gut, da ich Sie getroffen habe, " sonst wre ich wohl so bald nicht aus dem verwnschten Wald und hngte den Topf an drei Stcken
darber. Als seine Gefhrten verschlafen aus dem Zelt krochen, kochte bereits das Wasser. Whrend sie sich im See wuschen, eilte er ins Dorf und holte frisdte Brtchen. Von seinem Abenteuer verriet er ihnen nidtts. Nach dem Frhstck rasierte sich Manfred mit dem Rest des warmen Wassers. Heinz fuhr sich auch mit der Hand ber seine Stoppeln, meinte aber, man solle sim eigentlich whrend der Ferien einen Bart stehen lassen. Das sei bequem, und die Haut werde berdies geschont. Auerdem sehe es flott aus. Flott? Urwaldmig, ungepflegt, meinst du wohl. Oder glaubst " du damit hervorkehren zu knnen, da du schon ein Mann bist?H Heinz blickte Manfred schief an und - rasierte sidt dann dodt. Das Morgenrot in der Frhe, die khl-glitzernde Frische, der Gesang der Lerdten und Gelbsptter hatten getrogen. Graue
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Wolkenbnke segelten von Nordosten heran und schoben sich vor die Sonne. Grauer Dunst umwogte die blttergrnen Kup pen der Hgel zwischen Zernin und Gothensee, verdickte sich zu Streifen weien Nebels, der sich wie ein Brautschleier um die Kronen des Waldes am jenseitigen Seeufer schlang. ,.Das Wetter hlt sich nicht", stellte Manfred Witt besorgt fest. ,.Wir sehen am besten zu, da wir bald nach Bansin kommen." Die Freunde wollten jedoch noch eine Stunde auf dem Wolgast see rudern. Sie hatten es nicht so eilig. Eddi meinte, man knne
6 Wanderfahrt
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destens vierundad1tzig Portionen. Wir mssen uns doch wohl etwas vorbereiten. Gewrze, Zwiebeln, Mehl und Kartoffeln sollten wir uns mitnehmen, mglicherweise mssen wir sonst bis nach Bansin laufen, wenn wir eine Kleinigkeit brauchen." Die Freunde sahen sich unschlssig an. Schlielich sagte Fritz : "Willst du nicht den Proviantmeister spielen? Ich glaube, du verstehst doch mehr davon als wir." Angeregt durch diesen Einfall, beschlossen sie, jedem eine be stimmte Aufgabe zu bertragen. Eddi sollte die Fahrrder pflegen, Fritz wollte fr das Zelt und den Platz verantwortlid1 sein, und Heinz sollte Brennmaterial besorgen. Auerdem wollten sie abwechselnd beim Kochen assistieren. Sie legten Geld zusammen. Whrend die Jungen auf dem Wol gastsee ruderten, ging Manfred einkaufen. Er borgte sich zu nchst von dem Kollegen in der Korswandter Schule einen kleinen Sack und holte bei einem Bauern vierzig Pfund Frh kartoffeln und eine Handvoll Mohrrben. In der Konsumver kaufsstelle erstand er Zucker, Salz, Gewrze, Mehl, Tee und eine kleine Flasche Rum. Die Verkuferin lachte. "Wollen Sie eine Kche einrichten?" Manfred wurde ernst und sachlich. "Sie haben es erraten." Vorsorglich verstaute er alles in Perlonbeuteln, in denen sid1 gestern noch ihre Stullen befunden hatten. Die Papiertten, in denen Mehl, Zucker und Salz gewhnlich verpackt sind, htten einen Transport im Rucksack wohl kaum ausgehalten. Fr alle Flle nahm er noch ein Brot mit, weil er nicht sicher war, ob sie am Zeltplatz heute noch eines bekommen wrden, ebenso Speck, Margarine und Butter. So bekam er eine tchtige Last zusammen. Aber wie diese nun transportieren? Gewi kann man viel auf ein Fahrrad packen, doch fhrt es sich mit einem berladenen Rad nicht gerade gut,
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zumal auf Feldwegen. Da fiel ihm der Usedomer Bahnspediteur ein, der tglich nach Ahlbeck fuhr. Wenn man ihn abpate, knnte dieser das schwere Gepck vielleicht bis nach Bansin mit nehmen und dann einmal ber Schmollensee zurckfahren. Nach dem Mittagessen lie er daher Ruckscke, Zeltsack und das Lebensmittelpaket neben der Strae aufstapeln und erklrte den Freunden seinen Plan. Einer von ihnen - er schlug Eddi vor solle mit dem Auto mitfahren und hinter Bansin, an der Ein fahrt zum Zeltplatz, auf sie warten. Sie wrden am Gothensee entlang ber Gothen und Dorf Bansin fahren. Alles klappte. Eddi lud Gepck und Fahrrad auf den kleinen grauen Lastwagen, der gleich wieder abbrummte, und Manfred fuhr mit Fritz und Heinz einen Feldweg entlang, der durch die Wiesen nrdlich des Gothensees fhrte. Noch immer hatte sid1 die Sonne nicht gegen die dickbuchigen Wolken durchsetzen knnen. Das Wasser des Sees sah aus wie oxydiertes Blei : grau und stumpf. Nach einem Kilometer kamen sie an einem ein zelnen modernen, aber rohrgedeckten Haus vorbei. Dann fhrte sie der Weg eine halbe Stunde lang durch Sumpf wlder und Wiesen. Zur Rechten erhoben sich bewaldete Hgel, an einer Stelle stieen sie auf Grten, in denen Frauen fleiig jteten, und eine groe Wiesenflche sah aus wie ein Sport platz. Es war der ehemalige Heringsdorfer Rennplatz, auf dem frher Pferderennen abgehalten wurden . .,Das soll Heringsdorf sein?" fragte Heinz enttuscht. .,Wirbefinden uns jetzt sdlich vom Seebad Heringsdorf, fahren aber daran vorbei, denn es liegt jenseits dieser Wlder und Hgel" , beruhigte ihn Manfred. Erst hinter dem Dorfe Gothen gelangten sie in die Nhe des Sees, der fast fnf Kilometer lang ist. Zahlreiche Inseln - meist
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sind es Binsenfelder - deuten darauf hin, da er flad1 ist. Der Gothensee verlandet zusehends. Bereits im vorigen Jahrhundert hatten die Besitzer des Gutes Gothen, denen frher das Land bis hin nach Ahlbeck gehrte, versudtt, den See trockenzulegen, je doch erfolglos. Heute wird durdt den Sdtloonseekanal der Wasserstand leidtim reguliert. Da aber von ihm audt der Grund wasserstand des ganzen Thurbrudts abhngt, erwgt die Regie rung grozgige Manahmen, die die Fruchtbarkeit des groen rudtgebietes verbessern helfen sollen. So soll in den ndtsten Jahren ein Kanal gebaut werden, der das Wasser des Thur brudts und seiner beiden Restseen in das Haff ableitet. " "Sieh mal, da, sind das Sdtwne ? Heinz sprang vom Rad, und seine Kameraden hielten ebenfalls. Auf den Binnenseen der Insel Usedom brten Dutzende von wilden Schwnen. Sie ziehen hier ihre Jungen auf, die in den ersten Monaten ein unsmeinbar graues Gefieder tragen und eher wie Graugnse aussehen. tlberhaupt wimmelt es auf diesen stillen Seen in den Verlandungsgebieten von Wasservgeln aller Art. Vom Rohrsnger bis zum Milan und zur Rohrweihe, vom Haubentaudter bis zur Waditel finden sidt dort wohl alle Vogelarten, die in Norddeutsdtland zu Hause sind. Ein Paradies fr den Vogelfreund. Man kann allerdings nur sdtwer an das Wasser herankommen, weil es in einen breiten Sdtilfgrtel, den Rohrkamp, und in un ergrndlidte Sumpffldlen gebettet ist. Ohne Gummistiefel, Boot, Teleobjektiv und Fernglas ist hier wenig zu bestellen. Audt Heinz mute diese Erfahrung madten, als er versudtte, der Sdtwanenfamilie nher zu kommen. Nach einer weiteren halben Stunde waren sie im Dorf Bansin angelangt. Auf sdtmalem Pfad fuhren sie an kleinen, schmuk ken Husern vorbei, vor deren Haustr der See mit seinem
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breiten, grnen Rohrfeld wie ein in Hgel und Wlder gefates Schmud<:stck liegt. Beim Bansiner Bahnhof erreichten die drei die Bderstrae. Fritz war es gar nicht recht, da sie an Bansin vorbeifuhren. Aber was half es, der Zeltplatz liegt nun einmal auerhalb des Ortes. In dichter Folge sausten Autos an ihnen vorbei. Sie waren froh, als sie endlich an einem Waldweg den Wegweiser mit der Aufschrift "Zum Zeltplatz" fanden. Eddi wartete bereits. "Hat alles geklappt?" fragte Manfred. "Klar, wenn id<: die Sache schaukle !" Nun muten sie wieder ihre Rder beladen. "Macht nichts" , Heinz redete sich selbst gut zu, wir sind j a gleich da." " Manfred grinste, sagte aber nichts. Auch auf dem Waldweg herrschte Verkehr. Sie muten sich ganz rechts halten und dreimal sogar absteigen, als Autos, die bunte Wohnwagen zogen, vorbeirollten. Der Weg bestand aus reinem, weiem Sand, in dem die Rder schlingerten. Rechts stiegen waldgrne Hgel empor, zwischen denen Tler voller Farnkraut im Schatten riesiger Buchen schlummerten ; links vom Weg, von dort allerdings nicht zu sehen, verlandet der kleine Mmmelkensee. Der weie Sand des Weges ging in dunkle Erde ber, und noch immer hatten sie den Zeltplatz nicht erreicht. Aber es fuhr sich jetzt besser. Noch immer kamen ihnen Fahrzeuge entgegen oder berholten sie. Eddi rief wtend von hinten : "Sind wir noch nicht bald da ? Das ist bestimmt nicht der richtige Weg !" "Der Weg stimmt! Immer der Fernsprechleitung nach, dann kommen wir direkt zum Lager !" kam Manfreds Echo. Sie strampelten schwitzend weiter. Endlich beschrieb der Weg
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eine Kurve, und ein kleines, parkhnliches Tal mit lichtem Be stand hoher Buchen und Eichen lag vor ihnen. Unter diesen Riesen wimmelte es von Menschen, Zelten, Autos, Motorrdern. Helle Holzhuschen bildeten kurze Straen zeilen. "Und wo ist nun die Ostsee?" fragte Heinz enttuscht. "Hinter dem Sandhgel, der dort wei herberschimmert." Manfred lachte wieder. "Jetzt wollen wir uns aber erst einmal unseren Zeltplatz anweisen lassen. Die Ostsee steht uns dann acht Tage lang zur Verfgung." In einer kleinen Baracke fanden sie den Zeltwart. Er wies ihnen hinter der Stranddne, nach tickeritz zu, einen Platz am Stamm eines mastbaumschlanken Windflditers an, der seine sprliche Krone elegisch nach Sden neigte. "Halten Sie sidJ bitte an die Zeltordnung !" legte er ihnen noch ans Herz. "Und trampeln Sie nidit ber die Dnen !" Die Freunde luden ungeduldig ihr schweres Gepck ab. Sie lieen sich keine Zeit, die Umgebung nher zu untersuchen. Sie fieberten frmlich : schnell aufbauen, dann ausziehen und ins Wasser - in die blaue, schumende Ostsee. Wenn sie auf di Dne kletterten, in deren Schutz sie ihr Zelt errichteten, konn ten sie - den weien Strand berblicken. Vor ihren staunenden Augen lag die endlose Weite der See, die verfhrerisch niedrige, von weien Sdiaumstreifen gekrnte Weilen gegen den Strand laufen lie. Leider war das Wetter noch trber geworden, aus Nordosten zogen dunkle Regenwolken rasd1 nher. Sie eilten, ihr Gepck ins Zelt zu bringen. Schon klatschten die ersten Regentropfen schwer auf die straff gespannte Leinwand. Sie htten keine zehn Minuten spter an kommen drfen. "Das kann ja heiter werden" , knurrte Heinz trbselig.
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Fritz boxte ihn freundschaftlich in die Rippen. " Nun weine " man nicht. Wenn wir baden, werden wir sowieso na. Trotz des Regens strmten sie also an den Strand. Sie spran gen ber die Wlle verlassener Strandburgen und tobten, laut aufjauchzend, ins Wasser. Zum erstenmal in ihrem Leben er lebten sie die See. Mit rudernden Armen kmpften sie sidt bis zur ersten Sand bank vor, dann schwammen sie hinber zur zweiten. Laut schreiend warfen sie sich gegen die anrollenden Wellen, wurden bersplt, tauchten auf und wurden wieder von einer neuen Woge berflutet. So trieben sie es fast eine halbe Stunde lang, bis sie vom Wasser mde geschlagen waren. Die Jungen waren berauscht. " Ist das schn ! Es ist, als spielte " man mit einem groen, weichen Tier. Nachdem sie sich abgetrocknet hatten, erkundeten sie die Um gebung. Der Zeltplatz dehnte sich viel weiter aus, als sie ur sprnglich angenommen hatten. Vom Langenberg bis halb nach Ockeritz reichte die Stadt der Wohnwagen und Zelte. Pumpen spendeten Trinkwasser, und Verkaufsstellen des Konsums und der HO sorgten fr das leibliche Wohl. Auf der Dne stand malerisch ein weier Rettungsturm, hinter dem sich die Steil kste des Langenberges erhob. Die Nachbarzelte waren durch krpplige Buchenstrucher von ihnen getrennt. Man stellte sich vor. Rechts kampierten Mayers aus Zwickau, links Lebmanns aus Grlitz und hinter ihnen Lev knechts aus Magdeburg - alles junge Ehepaare. "Wenn Sie selber kochen wollen, dann besorgen Sie sich recht zeitig trockenes Leseholz" , riet man ihnen. Aus zwei Zementhohlblocksteinen, die die Vorgnger nebst einem Dutzend leerer Konservenbchsen und diversen Glas flaschen, die Eduard erst in einer tiefen Abfallgrube verbuddeln
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mute, hinterlassen hatten, baute Fritz die Feuerstelle. Heinz war inzwis<hen in den Wald gelaufen und schleppte au<h wirk lich einen Arm voll leidlich. trockenen Holzes heran. Auf dem blakenden Feuer koch.ten sie Tee. Die Dmmerung kam an diesem trben Tag zeitig. Und da die Jungen mde waren vom Baden und vom Schauen, schliefen sie schnell ein. Das Rauschen der See, das leise Klatschen der Bltter und Baumste und das einfrmige Trpfeln des Regens auf die Zelt leinwand sangen sie in einen festen Schlaf. Heinz nahm den Gedanken, auf einem Schiff zu sein, mit in den Schlaf. Das Rauschen der Wellen und die noch immer unge wohnte Enge im Zelt hatten die Vorstellung geboren. Und so trug ihn sein Traumschiff in fremde Lnder. In uns allen blht durch die tgliche Arbeit, jagenden Verkehr und geordnetes Familienleben ins Unterbewutsein verdrngt - eine kleine exotische Blume, unscheinbar, kaum bemerkt. Aber ganz pltz lich, uns selbst am meisten berraschend, kann sie riesige, grell bunte Blten treiben - die Blume Fernweh. Aber sie blht meistens nur in Trumen.
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Ais sie am Morgen aus dem Zelt krodten, glidt der Himmel
nodt immer einem Kind, das weinen will. Regenwolken segel ten di<kwanstig nadt Osten. Und wenn die Sonne durdt jede L<ke lugte, die sidt ihr bot, fragten tausende Urlauber : Wie wird das Wetter? Nach dem Morgenbad gab es Kaffee und knusprig-frisdte Brt dten, die Manfred von der Konsumverkaufsstelle geholt hatte. Er war rgerlidt. ,.Wir htten uns die ganze Sdtlepperei mit den Kartoffeln und den anderen Lebensmitteln sparen knnen. In den Verkaufsstellen gibt es alles, was man braudtt. Man kann sogar zu Mittag essen, wenn man nidtt selbst kodten will." Eddi sudtte ihn zu beruhigen. ,.La man, wir kodten allein. Das schme<kt doch besser, audt wenn's mal angebrannt sein sollte." Nach dem Frhstd: hielten sie ,.Kriegsrat". ,.Was wollen wir madten?" Manfred schlug eine Strandwanderung nach Ahlbe<k vor. Dabei knnten sie die Badeorte Bansin, Heringsdorf und Ahlbe<k ken nenlemen. Heinz zog zwar einen Flunsch, denn er wollte lieber baden, aber seine Freunde berstimmten ihn; das knne er ja aud1 unterwegs, da sei ja berall Badestrand. Sie lieen sidt Zeit auf ihrer Wanderung. Hinter dem grotn
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Zeltplatz wurde es einsam am Strand. Die See lag grau zu ihrer Linken. Wellen leckten nach ihren Fen. Rechts erhob sich die bewaldete Steilkste des Langenberges; sie wirkte wie eine Mauer, die See und Sand vom Binnenland abschliet. Nach einer reichlichen halben Stunde erreich!ten sie Bansin. Eddi, Fritz und Heinz rissen Mund und Augen auf, als sie die vielen Strandkrbe und Menschen sahen. Wenn die Sonne fr Minuten die Wolkendecke durchbradt, leuchteten weigetnchte Huser von der Strandpromenade herber: Ferienheime, die grtenteils dem Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes gehrten. Fischerboote zu beiden Seiten der durch Strme zerstrten See brcke erregten die besondere Aufmerksamkeit der Freunde. Die Boote waren nicht sehr gro, hatten einen leicht nach vorn geneigten Mast und kein Deck. An einem, das mit einer Winde auf den Strand gezogen war, hantierten Mnner, ber und ber mit 01 beschmutzt, mit Schraubenschlsseln. Sie hatten den Motor auseinandergenommen. Die Jungen sahen einige Minu ten zu. Als sie weitergingen, sagte Eddi enttuscht: .,Iek hab' mir Fisch " kutter grer vorgestellt. Manfred mute ihm erst einmal erklren, da dies keine Kutter seien, sondern Strandboote. Auf Usedom liegen Kutter nur im Gebiet der Peenemndung, in Karlshagen und Wolgast. Vor niedrigen, teerschwarzen Holzbuden trockneten Herings netze im Winde - eine beliebte Staffage fr Fotoamateure. Sie streiften durch den bekannten Badeort. Das Seebad Bansin ist erst 1 896 entstanden. Vorher lag zwischen dem Dorf Bansin (am Gothensee) und der Ostsee ein kahles Dnengelnde. Die ses kaufte der Vorsitzende der Aktiengesellschaft Heringsdorf, Delbrck, fr ein Spottgeld auf und forderte, nachdem sich die
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ersten sedts Huser als auerordentlidt rentabel erwiesen hat ten, von den nchsten Kufern den vierzigfachen Preis ! Und der wurde auch anstandslos gezahlt. Bald entstanden Dutzende von Pensionen und Hotels, und nadt dem ersten Weltkrieg bean spruchte Bansin fr sich den Ruf, das vornehmste Bad an der Ostseekste zu sein. Sdlich des Ortes liegt der Schloonsee. Frher, vor tausend Jahren etwa, war er noch eine Ostseebucht, doch dann schnr ten ihn Dnen ab; aus dem Salzwasser wurde im Laufe der Zeit Swasser. Innerhalb der nchsten Jahrhunderte wird er wohl verschwinden, wenn nicht Menschenhnde eingreifen : er wird, wie auch die anderen Binnenseen auf Usedom, allmhlich ver landen. An heien Tagen riecht es in seiner Nhe unangenehm stark nach Schlamm und faulenden Fischen. Zwischen Bansin und Heringsdorf liegt, von mchtigen Buchen berschattet, Haus "Irmgard". In diesem Hause lebte vom Mai bis September 1 922 der groe sowjetische Didtter, der Vater des sozialistischen Realismus : Maxim Gorki. Lenin hatte damals dem lungenkranken Gorki geraten, sich ins Ausland zu begeben. Er sdtrieb ihm : "Aiexej Maximowitsch ! . . . Aber Sie husten Blut und wollen nicht wegreisen? Das ist wirktim gewissenlos und sehr unverstndig. In Europa, in einem Sanatorium, knnen Sie eine Kur durchmachen und dreimal so viel arbeiten. Wirklich ! . . . Reisen Sie, lassen Sie sich gesund machen. Seien Sie nicht eigensinnig. Ich bitte Sie ! Ihr Lenin" . Ein schnes Zeugnis, wie Lenin immer an das Wohl seiner Mit arbeiter dachte.
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Gorki hegte eine tiefe Liebe fr Deutschland - vielleicht weil es ein deutscher Dichter, Gerhart Hauptmann, war, der als erster seine Stimme fr ihn erhob, als ihn nach der Revolution von
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ins Gstebuch : .,Und trotz alledem werden mit der Zeit die Dieser Satz bezieht sich auf die Ereignisse der Zeit, ber die er sich mit seinem Gastgeber, Herrn Dr. Becher, oft ausfhrlich unterhalten hatte: auf den Mord an dem deutschen Auenmini ster Watther Rathenau (24. 6. 1 922) und die Hagesnge, die
gerade in jenen Monaten in Imperialistenkreisen gegen die junge Sowjetunion anges timmt wurden. Maxim Gorki glaubte zutiefst an den Sieg des Sozialismus, denn er liebte das arbeitende Volk, die Arbeiter, die Bauern, die Fischer - er war einer der ihren, er sang ihr Lied, klagte ihr Leid, forderte ihr Recht, kmpfte fr ihren Sieg. Fr den Sieg des Sozialismus lebte er und arbeitete er, ohne sich jemals zu scho nen oder zu resignieren. Einen greren und ehrwrdigeren Gast beherbergte Herings dorf wohl kaum. Die Freunde sahen sich in der Maxim-Gorki-Gedenksttte um. Das Zimmer, das der Dichter 1 922 bewohnt hatte, ist mit wert vollen Erinnerungsstcken Dr. Bechers ausgestattet. An den Wnden prangen arabische Schwerter und Beduinenflinten, deren lange, dnne Lufe mehr zerbrechlich als gefhrlich an muten, trumen Vorhnge, mit arabischen Schriftzeichen benht, Nilpferdpeitschen, eine Ollampe aus einem Derwischkloster und Bumerangs, mit denen Maxim Gorki umzugehen verstand. Eine Bste des Dichters ist immer mit Blumen geschmckt. Wer wissen will, welche berhmten Persnlichkeiten im letzten Jahrzehnt in Heringsdorf weilten, braucht nur im Gstebuch des Hauses .,lrmgard" nachzuschlagen. Heringsdorf entstand nach 1 8 19. Der Besitzer des Gutes Go then, von Biilow, lie etwa 370 Hektar Urwald in der Nhe
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des Strandes limten, teilte das Land in Parzellen auf und ver kaufte diese nam und nam an Fismer, die sich wegen der damals lohnenden Heringsfnge gern an der Inselkste nieder lieen. Zwismen 1820 und 1840 wurden jhrlim durmsmnitt lim dreitausend Fsser Salzheringe von der Insel ins Binnenland versmickt. Blow grndete spter eine Badeanstalt und lie ein Gstehaus bauen. Fanden sim anfangs nur Adlige, Rittergutsbesitzer und Offiziere aus dem Bekanntenkreis der Blows zum Baden ein, wurden 1846 bereits vierhundert Badegste registriert. In der .,Topographism-statistismen Obersimt des Stettiner Regierungs bezirks von 1842 " werden fr 1840 dreiundzwanzig Wohnge bude (Feuerstellen) und neunzig Einwohner angegeben. Diese Zahlen deuten darauf hin, da die wenigen Einwohner smon vom Vermieten an Badegste lebten, denn im Usedomer .,Hinter land" lebten zur gleimen Zeit in Stolpe zweihundertzehn Ein wohner in einundzwanzig Husern; in Mellenthin kamen auf einhundertsechzehn Einwohner gar nur zehn Gebude. Spter kaufte der Finanzmann Delbrck das Gelnde am Strand und grndete die Aktiengesellsmaft Heringsdorf. Erst whrend der Inflation konnte die Gemeinde Heringsdorf die Aktienmehrheit erwerben. Ende des vorigen Jahrhunderts war Heringsdorf ein berhmtes Seebad der Hautevolee. Angehrige der kaiserlimen Familie verbramten hier ihren Sommer, unter ihnen Wilhelm li., der fter in Heringsdorf seine Mtresse besumte. Adlige aller Rangstufen fanden sim ein, Bankiers, wie Oppenheim und Bleimrder, Gesandte, Kommerzienrte und Industriemagnaten. In den greren Husern kostete ein Zimmer whrend der Sai son bis zu dreiig Mark je Tag. Selbstverstndlim besa, wer etwas auf sim hielt, in Heringsdorf eine eigene Villa.
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Das Heringsdorfer Milieu der Zeit vor dem ersten Weltkrieg wird treffend durch ein Duett aus der Operette .,Lieselott'" von Knnecke charakterisiert: Grfin ! Mein Gott, wie sind wir vornehm . .
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Sie blieben neben dem Kulturhaus stehen und betrachteten die seeseitige Fassade des Hauses "Solidaritt". "Ein ganz schner Kasten." Fritz bewunderte die Riesen front, die im ersten Stock nur aus Glas zu bestehen scheint. Balkone gehren zu jedem Zimmer; sie kleben am Haus wie Schwalben nester an einer Mauer. " Vielleicht knnen wir nachher einen Blick hineinwerfen" , meinte Manfred. Hinter dem Konzertplatz beginnt die gepflegte Kurpromenade. Sie gleicht einem Park und ist wohl die schnste Anlage dieser Art in den Seebdern der Ostseekste. Besonders reizvoll er scheinen die krummstigen Kiefern, deren Kronen von Strmen zerzaust sind. " So habe ich mir Pinien vorgestellt", meinte Fritz. "Aber die gibt's wohl nur im Sden." Die See hatte weie Hauben aufgesetzt. Ein khler Wind blies steif von Nordost, und die eilig dahinjagenden Wolken, an den Rndern hell von der Sonne angestrahlt, lagen wie eine schwere Decke ber Wasser und Land. In Manfred war durch Fritz' Bemerkung die Erinnerung an Sizilien wach geworden. Er hing seinen Gedanken nach. " Unsere. Heimat ist schn, freilich auf eine andere, eine herbere Weise als der Sden. Sie wirkt schwermtiger, ihre Mollstimmung ist gefhrlich fr weiche Ge mter. Aber es ist merkwrdig, man sehnt sich nach ihr auch in all der Sonnenglut Italiens." Sie htten wohl noch lange ihre Gedanken mit den Wolken zie hen lassen, wren nicht ungewhnliche Badegste die Treppe vom Konzertplatz heraufgekommen. Eddi war zuerst auf sie aufmerksam geworden. Er ri Manfred heftig am Arm : "Mensch, ick werd' verrckt, hier Schwarze?" Fritz zischte wtend : " Starr sie doch nicht so an, haste nod1 kei " nen Neger gesehen?
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Die Neger nahmen keine Notiz von ihnen. Sie stellten sich neben die Jungen an das Gelnder und betrachteten den Platz und die See und die vielen sorglos promenierenden Menschen. Heinz raunte Manfred ins Ohr : " Frag sie doch mal, wo sie her kommen !" " Frag doch selber !" " Die verstehen sicher kein Deutsch." Auch die andern drngten. " Du kannst doch englisch, frag sie doch." Manfred war sich seiner Sprachkenntnisse keineswegs sicher, wollte sich aber auch nicht vor den Freunden blamieren. Er suchte einige Vokabeln zusammen. Als sich einer der Gste aus dem fernen Afrika ihm zuwandte, fate er Mut. Er verbeugte sidt, wie er es vor Jahren in der Tanzstunde gelernt hatte, und holperte mhsam : "1 beg your pardon, Sir. I want to . . . to . . . " Er verhaspelte sich. Der Angesprochene unterbrach ihn hilfsbereit. " Bitte, mein Herr, wir sprechen deutsdl." Manfred lachte erfreut. "Das ist schn. Bitte, finden Sie uns nicht aufdringlich, wenn wir fragen, aus welchem Lande sie kommen." " Oh, wir kommen aus Deutschland." Die Jungen sahen sich verwirrt an. Die Frage, seit wann es wohl in Deutschland Neger gbe, stand so deutlich auf ihren Gesichtern geschrieben, da die Gste lachten. " Sie mssen nicht glauben, da ich scherze. Wir kommen tat schlich aus Leipzig." Heinz wre es beinahe herausgeplatzt: HSie sind wohl von der Messe briggeblieben?" "Wir studieren an der Leipziger Universitt und benutzen gern die Gelegenheit, ein paar Wochen an Ihrer fr unsere Begriffe
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7 Waneletfahrt
ziernlidt khlen Ostsee auszuspannen. Unser Heimatland, das wollten Sie wohl wissen, ist Nigeria." "Ah, Nigeria." Manfred forsdtte weiter. " Wie kommt es, da Sie gerade in der Deutsdien Demokratismen Republik studieren?" " In den kapitalistismen Lndern sieht man es nimt gern, da wir Neger uns weiterbilden. Die Kolonialpolitiker shen uns lieber als Plantagenarbeiter. Ihre Republik bietet uns in gro zgiger Weise Ausbildungsmglimkeiten - und wir ntzen sie. Mu im Ihnen sagen, da wir dankbar sind?" Man verabschiedete sim, und die Studenten aus Nigeria ver smwanden im Heim " Opitz". Heringsdorf ist ein internationales Seebad. Es gibt wohl kaum europisme Spramen, die nimt irgendwo am Strand oder in einem Speisesaal erklingen. Und aum asiatisme und afrika nisme Laute hrt man hufig. Die vier gingen dom nimt ins Haus " Solidaritt". Manfred er zhlte ihnen, da allein hier alle zwei Wochen dreihundert vierzig Inhaber von Feriensmecks einziehen. Unterkunft, Ver pflegung, dreizehn Tage Urlaub - alles fr ganze dreiig Mark ! ' "Das ist dom selbstverstndlim ! Warum erzhlst du uns das ? Das wissen wir auch", murrte Heinz:. "So?" erwiderte Manfred. " Selbstverstndlich ist das?" "Im kenn's nimt anders." Hei.nz hob die Smulter. Manfred verzimtete auf eine Antwort. Statt dessen fhrte er dort drben lesen? sie zur nmsten Strae. " Knnt ihr den Namen des Hauses " Er deutete auf ein groes weies Haus, zu
dem Steinstufen hinauffhrten. Die drei Freunde bumstabier ten. " Det ist auslndisch, warte mal . . . Guiseppe di Vi torio."
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"So hie der krzlich verstorbene Vorsitzende des Weltge werkschaftsbundes. Aber das wit ihr wohl selbst . . . " Sie nick ten. Es blieb nur unklar, ob sie damit sagen wollten, da sie von di Vittorio wuten oder ob sie fr die Auskunft danken "Nun kommt al ein paar Schritte her. " Sie lasen auf einer " gueisernen Tafel "Albin Kbis . Die beiden Matrosen Reichpietsch und Kbis, Fhrer des Matrosenaufstandes vorn August 1 91 7, wurden arn 5. Septem ber 1917 in Kln erschossen. Das hatten die Jungen in der Schule gelernt. Der Brunnenbauer Dring aus Neuhof, einem Ortsteil von Heringsdorf, ein Hne von Gestalt, kannte die beiden gut : "Reichpietsch war mein rechter Nebenmann. Wir hatten Vertrauensleute in allen Divisionen (Schiffsabtei lungen) und auf beinahe allen Schlachtschiffen. Als wir arn wollten.
Verhandlung teil. Natrlich wurde er freigesprochen, denn eine Andere Heime zeigte er ihnen; sie trugen die Namen von Akti
Lungenheilsttte und ausgezeichnete medizinische Bder, nm lich Moor- und Solbder. An heilkrftigem Moor mangelt es nicht auf der Insel; die Sole wird aus einer Tiefe von zwei tausend Metern heraufgepumpt. Vor allem Asthmakranke las sen sich in Heringsdorf mit gutem Erfolg behandeln. Man merkt es kaum, wenn man Heringsdorf verlt und Abt heck betritt, so dicht liegen die beiden Orte beieinander. Der Name Abiheck kommt nicht von "aalen" am Strande, ob wohl man das dort bei schnem Wetter sehr wohl tun kann, son dern hat etwas mit dem Aal zu tun. Frher entwsserte der Aalbach, plattdeutsch Aalbeke, das Thurbruch zur Ostsee hin. Der Besitzer des Rittergutes Mellen thin, dem das Gebiet auf der einen Seite des Aalbaches gehrte, gestattete einigen Fischern, sich am Bache anzusiedeln. Dafr muten sie das Bachbett in Ordnung halten und spter auch noch eine Wassermhle betreiben, die natrlich dem Grund herrn gehrte. Im Laufe der Jahrhunderte verlandete der Bach, das Wasser im Gothensee stieg, die Anlieger schrien um Ab hilfe. Der preuische Staat kaufte deshalb 1 77 1 dem Baron von Meyenn, der damals auf Mellenthin sa, die Wassermhle ab, lie sie 1 775 als hinderlich abreien und siedelte auf der ande ren Seite des Baches vier Fischerfamilien an. Es lagen sich nun Abiheck kniglich und Ahlbeck adlig gegenber. Inzwischen ist der Ahlbach, in dem die Fischer frher Aale fingen, lngst ver schwunden; aber der Name ist geblieben. Erst 1 852 fanden sich die ersten Badegste ein: auf Fuhrwerken, bepackt mit Betten, Nahrungsmitteln und Rohr, aus dem Bade htten gebaut wurden. Nur allmhlich wuchs der Badeort, weil sich. kein Geldgeber wie in Heringsdorf fand; die Ortseinwoh ner muten alles aus eigener Kraft schaffen. Dennoch war Ahl-
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beck 'bereits um die Jahrhundertwende nach Swinemnde (Swi noujscie) der grte Badeort auf der Insel Usedom. Die Seestrae ist der nen sie audt Broadway" Ahlbecks ; Einheimische nen " Rennbahn" . Uber diese beinahe grostdtische
!'ahen sidt die Auslagen der Geschfte, blickten neugierig den hbschen Mdchen nadt und erreichten so allmhlich das Ende der Strae. Nachdem sie in der Fischbratkche gespeist hatten, bogen sie nach Osten ab, um sidt den lteren Teil des Ortes anzusehen, Die Huser wurden kleiner, machten aber einen freundlichen und sauberen Eindruck. Sie streiften hinter den groen Ferienheimen entlang, besuchten den Zeltplatz, der, sandig und kahl, keinen Vergleich mit den Pltzen zwischen Bansin und Klpinsee aushlt, und erreichten schlielich das Kinderferienlager Grenze ist nicht mehr weit." Sie gingen lngs des Wassers zurck und hofften insgeheim, ein Stck Bernstein zu finden. Aber am Nachmittag ist solche Hoff nung eiteL Sollte die See wirklich in einer strmischen Nacht einige Stcke angetrieben haben, so haben Frhaufsteher sie schon lngst aufgesammelt. So sahen sie nur grobstrhnigen Tang, vom Seewasser gebleichte Korkstcke, Seesterne, Quallen und noch einmal Quallen. Zu ihrer Linken erstreckten sich die Dnen. Diese sind bewachsen, und das allein ist schon eine Besonderheit, denn die Pflanzen finden nichts anderes als puren krnigen Strandsand. Aller dings suchten die Menschen schon die Pflanzen aus, die hier noch existieren knnen : Strandhafer, Strandweizen und Helm gras. Diese besitzen ein weitverzweigtes Wurzelwerk, das sich
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Boleslaw Bierut". " "Nun mssen wir umkehren" , ordnete Manfred an. "Die
immer weiter ausbreitet und aus dem dann wieder oberirdische Teile sprieen. Ein groer Teil der Pflanzen ist durch gemein sames \ Vurzelgeflecht verbunden - auch der Stranddorn, dessen vitaminreiche Beeren im Herbst kaum die stachligen Zweige erkennen lassen, so dicht an dicht drngen sie sich um sie. Wer genauer hinsieht, entdeckt zwischen den Reihen der ange pflanzten Grser neben mancherlei vielgezackten Bltter der Stranddistel und sogar Veilchen. Alle diese Pflanzen mssen mit dem Regenwasser haushlterisch umgehen, das nur zu sdmell im Sande. versickert. Ihr reiches Wurzelwerk fllt sich daher bei Regen in kurzer Zeit prall mit Wasser. Auerdem haben die grnen Bltter einen charakte ristischen Wachsberzug, der eine zu starke Verdunstung ver hindern soll. Die Dnenpflanzen sind hufig hartblttrig, spitz und stachlig - ein Schutz gegen den Wildfra. Aber nicht nur Tiere sind Feinde der Dnen und ihrer Ge wchse, sondern auch unverstndige Menschen. Da hat das Kstenschutzamt irgendwo eine neue Dne durch Pflanzen be festigt und dafr sechzigtausend Mark ausgegeben, an mehreren Stellen in kluger Voraussicht Warnungsschilder aufgestellt, so gar einen Drahtzaun um die gesamte Dne gezogen und nur die Durchgnge freigelassen. Das sollte als Schutzmanahme ge ngen, meint man. Irrtum ! Der Drahtzaun wird niedergetreten, die Schilder werden abge rissen - von Menschen. Stellt der Zeltwart einmal einen Ubel tter, fragt dieser ganz unsd:tuldig, ob da kein Weg sei. Da seien doch sdion vor ihm Leute gegangen. Wird der Ubeltter zum richtigen Durchgang zurckgeschickt, fallen aud:t nod:t bse Worte. Gedankenlosigkeit? Gewi, aud:t das ist es . .Aber das Auf-.
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Flechten
mucken gegen die Anordnung derer, die tr die Dnen verant worttim sind, das Nimtsehenwollen - das ist nimts weiter als Flegelei ! Wissen diese Dnenlatsmer nimt, da die Kste all jhrlim whrend der Wintermonate smwer unter den Angriffen der wtenden See zu leiden hat, da die Mnner des Ksten smutzes oft nimt wissen, wie sie gegen Sturm und Wellen Sieger bleiben sollen? Dnen sind ein verllidter Sdwtz, solange ihre Pflanzendecke fest ist. Doch nimt nur Dnen werden in unverstndiger Weise besm digt, aum die Deime, obwohl gengend Hinweissmilder vor Betreten und Befahren warnen. Man sollte soldie Dnenfrevler einmal dabeisein lassen, wenn der Nordwest die lange im Westteil der Ostsee gestauten Wassermassen als Sturmflut ge gen die Kste der Insel rasen lt, wenn die Wogen die mann starken Bume des Smutzwaldes wie Streimhlzer knicken und der Deim erzittert, Risse bekommt und nur unter Einsatz aller Krfte gehalten werden kann. So ist es auf dem Dar, so ist es auf Rgen, und so ist es auf Usedom. Die Sturmflut am
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.,Wollen wir mitfahren?" .,Klar !" Die Bootsleute trugen die Reiselustigen die paar Schritte durch das Wasser ins Boot. Der Wind hatte sich etwas gedreht, er wehte jetzt fast aus Ost Nordost. Der Nachmittag bescherte doch noch Sonnenschein. Eine muntere Stimmung kam auf, und der Gedanke an das Abenteuerliche einer Bootsfahrt auf der offenen See stimmte die angehenden Seefahrer erwartungsfroh. Fnfzehn Mnner und Frauen saen auf der ringsum laufen den Bootsbank. Sie waren sich grtenteils fremd, dennoch wechselten Scherzworte hinber und herber, als seien sie alte Bekannte. "Segeln ist wunderbar. " Eddi schwrmte. Er dachte an die herr
lichen Stunden auf dem Usedomer See und fand das Schaukeln des Bootes groartig. Aber schnell wurden all seine Erfahrungen hinfllig. In der Brandung stampfte das Boot gewaltig auf und ab, und ber kommendes Spritzwasser entlockte einigen Damen spitze Ent setzenssdreie. Das groe Segel flappte hin und her und zwang die Fahrgste, die Kpfe bescheiden zu senken. Langsam kam das Boot von der Kste frei, wurde aber auf einer Sandbank, etwa dreiig Meter vor dem Strand, noch einmal tchtig gewiegt. Dann fate der Wind in das Segel, blhte es und trieb das Schifflein schnell vom Lande ab. Die Eigentmer des Bootes sahen ruhig mit zusammengekniffe nen Augen auf Segel und Passagiere und unterhielten sich halb laut. "Dat Wder ist jo noch ganz gaud wom, aber mi dcht, dat hlt sich nich. " "Is woll so wat."
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Da das Fahrzeug nun ziemlim sanft in der Dnung sdtaukelte, bekamen die Landratten, die sim zuvor ngstlim an der Bord wand festgekrampft hatten, allmhlich wieder Lebensmut. ,.Sie sind dom aum Fismer, gelle?" sang eine homblonde Dame, die einen leimten Strandanzug trug. ,.Gewi dom, junge Frau. Aber ziehen Se sim man wat ver, sonst verkhln Se sim. Buten up See is kold." Dom damit war ihr Redeflu nimt zu bremsen. Die beiden See leute warfen sim resignierend Blicke zu. Vielleimt damten sie smon wieder an die smwere Arbeit, die ihnen nam Rckkehr nom bevorstand. Dann wrden sie wieder in das Boot steigen und auf Fang ausfahren. Und da sie aum nom fahren, wenn die Badegste wieder abgereist sind, wenn die See strmism wird und sim jeder beeilt, in das geheizte Zimmer zu kommen, daran damte wohl keiner der Ausflgler. In der Hauptsame fangen die Usedomer Fismer Heringe, Dor sme, Aundem und Aale. Der Heringsfang wird mittels groer, feinmasmiger Stellnetze betrieben. Oben durm Korkstcke smwimmend gehalten und unten durm Steine in die Tiefe ge zogen, so steht das ,.Gesmirr" senkrecht im Wasser. Meistens werden ein oder mehrere "Tiere " ausgesetzt, Einheiten von etwa einem halben Dutzend Netzen. Steiniger Boden oder Str mung knnen dem Fismereigeschirr groen Schaden zufgen, wenn der Wind dreht. Groe Gefahr besteht aber auch fr "hodtgesetzte" Netze beim Heringsfang dicht unter der Wasser oberflche, denn jedes Seefahrzeug kann sie in solchen Fllen zerreien oder fortziehen. Die Fischer haben keine Seekarten an Bord und auch keinen Kompa, kennen sie die Fischgrnde doch von Jugend an. Sdtlielich wrde ihnen alle Navigation nicht viel ntzen, denn wichtiger fr sie ist das Beobamten von Strmungen, Wind,
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Wasserstand und Untergrund. Wo gestern noch gute Fnge ein gebramt wurden, braumt heute kein Heringssmwanz mehr zu sein. Dann mssen die Fismer regelremt auf die Pirsch nach dem schuppigen Wild gehen. Sie drfen Wind und Wetter nicht scheuen, und oft genug setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Aber wenn qer Fang lohnt, sind die Strapazen schnell vergessen. Zurckgekehrt von der Fahrt, Anden die Mnner schon ihre ganze Familie am Strand bereit, um die Heringe aus den Ma " schen der Netze zu "puhlen . Schnell sind zwei Bcke aufge stellt, ein Brett wird darbergelegt, und die Fischkisten fllen sich bald. Das Netz wird an Ort und Stelle wieder aufgeklart. Mag der Fischer auch noch so bermdet sein, diese Arbeit macht er selbst, denn das Netz ist ein kostbarer Besitz. Weil Boot und Netze ziemlich teuer sind, bilden meist zwei oder drei Fischer eine Gamgemeinschaft, also eine kleine Genossen schaft, die den Fang teilt und auch den eventuellen Sdiaden gemeinsam trgt. Der Fang wird von der Fismereigenossenschaft abgenommen. Bei ihr kaufen die Fischer auch Netzwerk und Brennstoff ein. Wenn Fischerfrauen mit breiten Holzmulden, in denen viele gleichmig gelegte Schnre mit groen Angelhaken liegen, zu den Booten gehen, wundem sich manche Urlauber. Noch mehr wrden sie sich wundem, wenn sie sptabends die Einheimi schen mit Laterne und Spaten unterwegs sehen knnten. Sie suchen den "Bestich" , Wrmer fr die Aalschnre. Mitunter nehmen die Fischer auch Stinte und andere KleinAsche. Der hundert Haken. Mehrere solcher Schnre, auch "Mollen " ge nannt, werden ausgesetzt und am ndlsten Morgen wieder ge hoben. Es lt sich leimt ausrechnen, wie lange die Frauen, Kinder und
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Verbrauch ist ziemlich hoch, denn eine Schnur hat weit ber
" Eltern der Fischer an der " Klemme , einem kleinen Holzgalgen, dessen waagerechter Teil gespalten ist, sitzen mssen, damit die Haken sauber aufgereiht werden knnen. Auch ohne die Aalfischerei knnten die Familienangehrigen der Fischer nicht ber Mangel an Arbeit klagen. Netze sind immer zu flicken. Und frher wurden sogar alle Netze noch von den Fischern selbst am "Knttstock" hergestellt! Da gab es jeden Tag bis in die spte Nacht zu tun, und der Gewinn war nur klglich. Mit den kleinen Strandbooten kann man keine groen Fnge anlanden. Und groe Netze sind teuer. Eine einzige Kumreuse kostet schon ein Vermgen, ein seegngiger Kutter gar dreiig bis fnfzigtausend Mark. Die Regierung half den Fisebern auf der Insel Usedom, indem sie in Wolgast eine Fahrzeug- und Gertestation einrichtete, in der den Fischern bis jetzt vierzehn groe Kutter und das zur Zeesenfischerei"' erforderliche Gert zur Verfgung stehen.
Eine Zeese ist ein groer Netzsack, der von zwei Booten gesdlleppt wird.
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aus den Wellen redet? Ein Siebzehn-Meter-Kutter ist da den Strandbooten gegenber schon ein ziemlich sicheres Fahrzeug. Das Ausflglerboot befand sichi bald einige Meilen vor der Kste. Die Fahrgste konnten nun auch den Strand der Nach barinsei Wollin berblidcen und sahen, da sich auch dort Menschen zwischen Strandkrben tummelten. " Miedzyrdroje (Misdroy), liegt dort" , erklrte jemand. Ein Schiff zog heran, ein groer Kasten. " Der hat seine zehn tausend Tonnen !" taxierte der Bootsfhrer. Voll stummer Be wunderung tarrten alle auf den Riesen. " Menschenskinder ! " rief einer, der durchs Fernglas gesehen hatte, und fiel vor Auf regung beinahe ber Bord. " Der fhrt die schwarzrotgoldene Flagge !" Man ri sich die wenigen Fernglser frmlich vor den Augen weg. Jeder wollte einen Blidc auf den Dampfer werfen, der ihnen doch auch gehrte. Wohl wuten sie, da unsere Handels flotte stndig anwchst, da sie schon weit ber hunderttau send Tonnen Frachtraum besitzt, aber was ist ein Bild in der Illustrierten oder eine Notiz in der Tageszeitung gegen die massige Wirklichkeit eines Ozeanriesen? " Weieher von unseren groen Ptten ist es denn?" " Warten Sie mal - die ,Berlin'." Sie winkten und riefen Gre herber. Auf der " Berlin" mute man das Winken bemerkt haben. Auf der Kommandobrdce wurde ein Fenster geffnet, und ein Seemann erwiderte ihre Gre. Sie schwenkten ihre Tcher und Jadcen, bis ihnen die Arme wehtaten. Als das Boot schon lange auf Heimatkurs lag, sprach man noch von der Begegnung. " Wo mag die ,Berlin' hinfahren?" HNach China wahrscheinlich. In einem polnischen Hafen wird die Ladung noch komplettiert."
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Nach China. Sechs Wochen Himmel und Wasser, vorbei an Gibraltar. Dann durch die Strae von Messina, erst mit dem rauchenden Bergkegel des Stromboli an Badebord und dann den ..tna an Steuerbord. Oder fhrt der Kurs an Malta, dem Felseneiland, vorbei? Durch den Suezkanal leitet sie vielleicht ein Lotse aus Rostode oder Wismar. Der freut sich ber die Landsleute, die sicher noch eine Flasdie Radeberger Pils fr ihn im Khlschrank haben. Und dann das Rote Meer. Die Dede planken glhen frmlich ; die Mnner aus dem khlen Norden vergieen den Schwei literweise, sind matt wie die Fliegen, die Ventilatoren summen unaufhrlich, saugen Luft unter Dede, durchpusten die Rume. Das alles liegt noch im ersten Drittel der Reise - weiter mag man nicht denken. Begriffe wie Indien, Malaya, lndonesien und China verbinden sich trotz Rundfunk und illustrierter Zeitungen letztlich nur mit undeutlichen Vor stellungen. Da mchte man selbst mitreisen, selbst alles erleben, Afrika und Asien verglekhen mit unseren khlen Ksten. Die Jungen phantasierten, bis der Strand wieder dimt vor ihnen lag. Dieser bot sich mit einem Menschengewimmel, den Dnen und den groen Husern von der Seeseite aus sehr farbig und sommerlich dar. Aber nicht alle Fahrgste konnten dies Bild mehr aufnehmen - unter ihnen Fritz und Eddi. Sie hatten krankhaft blasse Gesichter, schludeten oft und hielten die Augen geschlossen. Trumten sie? Die hochblonde Dame im leichten Strandanzug fror jetzt merklich, sie verdrehte die Augen und war kreidewei im Gesicht. Manfred fragte sie mitleidig: "Ist Ihnen nicht wohl? " Er meinte es gut, aber dennoch waren die Folgen frchterlich. Einer nach dem andern warf die letzten Hemmungen ber den niederen Bord des in der krftiger gewordenen Dnung stamp fenden Bootes und seine letzte Mahlzeit hinterher.
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Als der Kiel endlich auf dem Sande scharrte, wartete Eduard nicht ab, bis ihn die Fischer wieder an Land trugen, sondern sprang, die Schuhe in der Hand, ins Wasser, nicht darauf ach tend, da seine Hosen na wurden. Er streckte sich lang iri den Sand. .,Das war ja frchterlid1. Nie im Leben geh ich wieder auf ein Schiff, und wenn es um die ganze Welt fhrt!u Heinz wollte ihn hnsdn, doch Fritz1 der Leidensgefhrte, stand ihm bei. .,Sei still ! Du weit nicht, worber du spottest."
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VII
Warme,
Jahr rar zu sein. Als Mitte der Woche das piepsende Koffer radio ihrer Zeltnachbarn verkndete, da von Westen her ein "Hoch " heranziehe und da es voraussichttim am nchsten Tage nidtt regnen werde, besdtlossen die Freunde, eine Rad partie durdt die Mittelinsel zu unternehmen. Manfred hatt,e ihnen so viel von der sdlnen Landschaft zwischen Thurbruch und Schmollensee vorgeschwrmt, da sie neugierig geworden waren. Wie immer, wenn sie lngere Wanderungen vorhatten, fuhren sie frhzeitig los. Die Nadtt war in einem Meer von Licht er trunken. Nadt dem gestrigen Regentag dampfte die Erde. Ein frischgebgelter blauer Himmel wlbte sidt unschuldig ber See und Wald. Erwartungsfroh traten sie die Pedale, berquerten die Bder strae, die Bahnlinie und sdtudcelten auf einem ausgefahrenen Waldweg zum Forsthaus Fangel. Vgel sangen unermdlich, auch Meister Specht hatte sdton ausgeschlafen. Sein nietham mersdmelles Klopfen erschreckte bereits die Maden und Larven unter der Baumrinde. Das Forsthaus Fangel liegt an der Westseite des groen Krebs
sees;'
Veranda. Ein Stck hinter dem Gebude kann man sich den
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wenn sie den Schnabel mit einem Ruck in die Erde stoen und gleich darauf einen Engerling oder Drahtwurm hervorziehen. Nachdem sich die Radwanderer das kleine Dorf angesehen hatten, fuhren sie ein Stck zurck bis zum Wald. Manfred wollte sie, an der Victoriahhe vorbei, ber die Strae Bansin Neppermin hinweg, nach Reetzow fhren. Vom Weg aus ist die Victoriahhe leicht zu erreichen, von unten unterscheidet sie sich nur wenig von den Nachbarhgeln. Steht man aber oben, so erkennt man, da sie auf zwei Seiten steil abfllt. Besonders eigenartig wirkt das nach Norden gelegene Tal. Es sieht aus wie ein gewaltiger Trichter. Die Jungen blick ten verwundert in die Tiefe. ,.Sieht aus wie der Sprengtrichter einer Atombombe Heinz. ,.La solche Vergleiche" , wies Fritz ihn zurecht . .,Was glaubst du, wie es hier ausshe, wenn wirklich einmal eine Atombombe explodierte. Dann gbe mehr." Nachdem sie die Asphaltstrae berquert hatten, fhrte sie der Weg am Rande einer hochgelegenen Ebene entlang. Sie konnten von dort aus einen groen Teil des Gothensees und das jen seitige Ufer berblicken. Sie umgingen Reetzow und gelangten auf einen sandigen Landweg, auf dem sie kaum fahren konnten. Ein Stck hinter dem Dorf stieg auf der rechten Seite ein Hohl weg hgelan. Sie schoben die Rder ein Stck bergauf. Es war schwer. ,.Mu das unbedingt sein?" fragte Eddi. ,. Ich will mit euch auf den Kkelsberg, weil man von dort oben eine herrliche Aussicht hat. Wir knnen ja die Rder an den Feldrain legen. Hier nimmt sie uns niemand weg." Eddi schlo sie trotz Manfreds Versicherung zusammen. Er
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Wanderfahrt
es
"
bemerkte
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konnte noch immer nicht an die sprichwrtliche Ehrlichkeit der Dorfbewohner auf Usedom glauben. Whrend sie weiter emporstiegen, blickte er immer wieder besorgt zurck. Der Kkelsberg liegt als drftig bewaldete Kuppe auf einer Hochebene, die sich kilometerweit in Nord-Sd-Richtung er streckt. Nur ein Teil der Flche ist bebaut. Der Boden besteht berwiegend aus feinem Sand; besserer Boden flndet sich nur an den Hngen. Ein niedriges Kiefernwldchen, mehr eine Scho nung, einiges Ginstergestrpp und davor eine mit eigenartig fahlgelbem Gras dnn bestandene kleine - man mu schon sagen - Steppe, aus der hbsche knallgelbe Blumen leuchteten und Heidekraut: das ist die Vegetation dieser Landschaft. Der Sdwesthang der Kuppe ist von Bromheergerank ber wuchert. Die Kinder der umliegenden Drfer wissen das genau und flnden sich regelmig im Herbst zur Ernte ein. Vom Hgel bot sich Manfred und seinen Gefhrten ein ber wltigender Anblick. Im Sdosten lag vor ihnen wie ein riesiges Tablett, auf dem die Erde Wasser und grnes Gras darbietet, das Thurbruch. Die Hhenzge, die es in der Feme begrenzen, verschwammen im Dunst, der auf der Insel besonders vormit tags huflg die Fernsicht trbt. Sie konnten deutlich sehen, da der Gothensee fast ohne Hhenunterschied in das Thurbruch bergeht. Hinter Kachlin-Dargen glnzte das Haff. Auf der anderen Seite sahen sie das Dorf Benz in dem Tal zwischen Schmollensee und Achterwasser. Die dunstig-silbrig schimmernden Wasserflchen inmitten der dunklen Wlder und der zahlreichen Hgel glichen geheimnisvollen Bergseen. Diesen Eindruck hinterlie auch das Stckehen Ostsee, das im Norden zwischen Bansin und Ahlbeck hervorleuchtete. Die Freunde blickten lange stumm auf .das reizvolle Bild, das ihnen die Natur ringsum bot. Erst nach einiger Zeit bemerkte
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Fritz halblaut wie nebenbei, aber man fhlte, da es ihm von Hel'zen kam : .,Da wir in unserer Heimat so lieblidte und doch dabei grorumige Landschaften besitzen . . . Das ist alles so weit, so frei und dabei so reich gegliedert. In der Stadt, bei uns - na ja, gewi, wir haben neben Kinos und Geschften und der S-Bahn auch die Mggelberge und viele Seen - aber man wird andchtig. " solch ein Anblick wie hier bringt einen zur Besinnung, ich meine, .,Das haste gut gesagt " , besttigte Heinz. .,Aber nun hab' ich
Hunger. Mein Instinkt sagt mir, da Manfred uns noch aller hand Moor- und Sandwege zeigen will. Ich habe durchaus nidlts dagegen, aber essen mu der Mensch auch." Nach dem Frhstck fuhren sie ins Thurbruch. Der Weg be stand aus schwarzem Moorboden, der durch den Regen der Vortage ziemlich aufgeweicht war. Auf den Wiesen, die durch zahlreiche Abflugrben voneinander getrennt waren, dampfte das Heu. Bauersfrauen und Mdchen mit bunten Kopftchern warfen die Haufen auseinander und wendeten die langen Schwaden. Die Freunde grten und sahen einige Minuten lang zu. Ein Bauer legte die Hnde wie einen Trichter an den Mund und rief: .,Kommt rber, ihr knnt uns helfen. " Die Mdchen und Frauen lieen die Forken und Harken ruhen und blickten kichernd auf die Jungen . .,Wollen wir? "
als die spaige Aufforderung des Bauern. Sie legten die Rder ins Gras. ,.So war's nidtt gemeint, aber helfen knnt ihr uns schon. Das Wetter hlt nicht lange vor, und wir wollen doch das Heu trocken reinbekommen " , empng sie der Bauer.
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Die Burschen griffen tchtig zu. Das Heu flog nur so, ebenso wie die Scherzworte, die zwischen ihnen und den vier Mdchen gewechselt wurden. Eine, mit schlanker Figur und dunklem Haar, das ihr in die erhitzte Stirn hing und mit gebter Hand bewegung unter das Kopftuch zurckgestopft werden mute, gefiel Heinz besonders. Er machte sich in ihrer Nhe zu schaf fen, sooft es nur ging. Sie sah ihn nicht unfreundlich an und ging auf sein Gesprch ein. Ja, das Arbeiten im Heu mache Spa, besonders, seit man jetzt in der Produktion" - damit " meinte sie, wie Heinz bald begriff, eine LPG - gemeinsam arbeite. Da sei auch mehr junges Volk zusammen. Wie sie heie? Ob er es glaube oder nicht, sie habe keinen Namen. Da rief ein anderes Mdchen : " lngrid, kann dein Kavalier noch? Meinem geht schon die Puste aus !" Eduard protestierte mit rotem Gesicht. "Du bist ja eine Lgenkatze !" Heinz versuchte seine Ange betete zu umfassen. Das Mdchen entwandt sich ihm, warf ihm einen Blick zu, da Heinz ganz schwach ums Herz wurde, und lief weg. Die Wiese war riesig gro. Das Mdchen lngrid fiel ber einen Heuhaufen. Heinz kniete im Nu bei ihr und hielt sie an den Schultern fest. Ehe sie sich versah, hatte er sie gekt. "Als Strafe fr dein Lgen. " "Mensch, hau ab !" rief sie mit gespieltem Zorn. "Sonst tu ich dir was ! " E r dachte nicht daran, sie loszulassen. Da griffen ihre Hnde ins duftende Heu. Sie warf es ihm ins Gesicht, da er einen Augen blick lang nichts sah, entwandt sich ihm mit einem Ruck und berschttete ihn weiter mit Heu. Als Heinemann sich aufrich ten wollte, waren schon die anderen Mdchen heran, die den Vorgang beobachtet hatten. Eine zog ihm die Beine weg, da er
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wieder lang hinschlug, lngrid und die anderen warfen wieder Heu ber ihn, und die vierte setzte ihren Gabelstiel dorthin, wo Heinemanns Hinterteil sein mute. " Ich will den Haufen breitmachen" , sagte sie und drckte fester auf. Heinz schrie mit erstickender Stimme, denn das Heu steckte ihm auch im Munde : "Aufhren, aufhren ! Ihr macht mich ja tot !" Die Freunde hielten sich die Seiten, Eddi wlzte sich sogar auf dem Boden vor Lachen. Keiner dachte daran, ihm zu helfen. Warum war er auch immer so frech zu den Mdchen ! Die beiden Heuwerferinnen setzten sich schlielich mit einem Plumps auf den mit Heu verpackten Heinz. "Hier sitzt sich's aber gut !" Und dabei lach.ten sie unbndig. Heinz zappelte und sch.rie. Gegen die starken Bauernmdchen konnte er nichts machen. Endlich erlste ihn eine der lteren Frauen. "Was soll das Ge kalber ! Lat den jungen Mann in Frieden, er hat uns doch ge holfen." Heinz konnte sich nun hervorwhlen. Er sah mchtig zerstro belt aus. Ingrid warf ihm noch schnell einen aufreizenden Blick zu. "Das war die Quittung fr sch.lechtes Benehmen. Hierzulande bittet man erst schn, wenn man was haben will." Heinz bckte sich nach einem Torfbatzen - da endlich stoben die Mdchen lachend auseinander. Nach einer halben Stunde fuhren sie weiter. Heinz hatte aber inzwischen mit lngrid, die er nun respektvoll behandelte, ein Stelldichein verabredet. Sie wollten sich am Strand treffen. Das Mdchen hatte ihm mchtig imponiert. Es strte ihn durchaus nicht, da ihn die Freunde wegen seiner Niederlage im Heu gefecht aufzogen. Da er sich nicht aufregte, lieen sie es auch bald sein.
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Bevor sie das Torfwerk Kachlin erreichten, muten sie noch oft von den Rdern. Birken suinten die Wege, aus schwarzen Torfkuhlen sprote grnes Rohr. An den Grabenrndern leuch teten langstenglige Lilien mit gelben Blten, von denen der Volksmund sagt, da der stirbt, wer sie pflckt. Frische, feucht schwarze Maulwurfshgel auf den Wiesen hatten manchmal die Gre mittlerer Ameisenhaufen. Sonnenglast lag ber dem Brudt und schien selbst die Mcken zu lhmen, die sonst zu Myriaden ber Mensn und Tiere herfallen. Ober einem Wldchen vor ihnen, dem Tannenkamp, kurvten zwei Greif vgel von Habidttgre. Manfred sah genauer hin . .,Das sind keine Habidtte, seht nur die Flgelform und die Art des Fluges. Ich glaube, das sind Weihen." Er beobadttete sie weiter. .,Wie im Reich der Lfte Knig ist der Weih . . . siehe Wilhelm Tell, Jgerlied, dritter Aufzug, erster Auftritt", rekapitulierte Heinz. "Wit ihr noch, das muten wir in der achten Klasse lernen. Ich dachte immer, so einen Vogel gb's gar nicht, son dern Sdtiller htte sich so 'ne Art dichterische Freiheit erlaubt." Sie lehnten ihre Rder zusammen und gingen ein Stck in das Brudt hinein. Als sie ber einen Graben sprangen, jagten sie einen Schwarm Kiebitze auf. Mit dumpf brummendem Flgel gerusch strichen sie laut schimpfend ab. "Da du die Vogel arten gleich so bestimmen kannst, Manfred." ,,Ihr mt auf dreierlei achten : auf die Flgel, das Gefieder und den Flug. Bei den Kiebitzen eben sind die Flgel stumpf und breit. Habt ihr nicht gesehen, wie sie ruderten? Und dann kennzeidtnet sie immer dieses Bn1mmen beim Flug, das man ,wuchteln' nennt. - Aber hier gibt es so viele Vogelarten, da man sie gar nicht alle kennen kann, wenn man nicht gerade Vogelkunde aus Liebhaberei betreibt. So im Vorbeigehen sieht man natrlich nicht alle. Man mu schon einige Tage opfern,
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-wenn man, sagen wir, den Groen Brachvogel sehen will. Er ist so gro wie eine Krhe, hat aber viel lngere und schmalere gen, abwrts gebogenen Schnabel. " oder nicht? " Flgel, auch eine ganz andere Bughaltung und einen sehr lan "Danke fr den Vortrag ! Aber sind das da drben nun Weihen
Hinter niedrigem Weidengestrpp hrten sie zwei Mnner sprechen, die dort fr ihren Hausgebrauch Torf stachen. Sie stapelten die gleichmig groen Stcke zu vieleckigen Pyra miden. Die Jungen htten gern zugesehen, doch drngte Manfred zur Eile. "Wir haben noch viel vor. " Sie gelangten an einen groen Teich, der genau rechteckige Form besa. Die senkrecht abgestochenen schwarzen Ufer be standen aus Torf. Das Torfwerk Kachlin war erreicht. Am jen seitigen Ufer pochten Motoren. Am Stechapparat, der wie ein groer Bagger aussah, standen Kipploren. Sie fuhren heran. Manfred erklrte ihnen den Arbeitsvorgang. Die heutigen Torflager waren frher einmal Seen, die verlan deten. Unter der bewachsenen Oberflche entstand der Torf durch Inkohlung abgestorbener Pflanzen und Tiere. Er enthlt
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schwarze Riesenwurst aus einem Rohr, das durch eine Klappe verschlossen werden kann, in die Kipploren. Eine kleine Diesel lokomotive schleppt den Zug auf eine Wiese, Arbeiter kippen die Loren um, streichen und treten die Masse fest und schneiden sie schlielich mit einer besonderen Vorrichtung in gleichgroe Stcke, die etwas grer ausfallen als ein Brikett. Manchmal wird auch Koksgrus unter die Masse gemischt und dadurch der Heizwert erhht. Der festgetretene und geschnittene Torf bleibt so lange liegen, bis er zusammengetrodmet ist. Aber auch dann enthlt er immer noch zuviel Wasser. Frauen und Mdchen setzen also schlielich die Stcke zu Haufen zusammen, durch die die Luft hindurdl streichen kann : sie "ringeln" den Torf. Den Kachliner See hatte Manfred als ein Vogelparadies geprie sen. Als die Jungen aber nur einige Schwne und zahlreiche entengroe Wasservgel ausmachen konnten, waren sie ent tuscht. "Wo sind denn hier die vielen Vgel? Ich sehe nichts ! "
Manfred wies sie an, sich erst einmal vllig still zu verhalten. Minuten vergingen. Sie standen steif wie Pfhle. Da, ganz in der Nhe pltscherte es im Rohr, da wieder. Und jetzt sahen sie den Vogel, der das Gerusch verursacht hatte. Er war tauben gro, schwarzgefiedert und hatte einen roten Aeck ber dem Schnabel : ein Teichhuhn. Fritz wollte etwas fragen, doch Manfred sah ihn streng an und legte den Finger an die Lippen. So lauschten sie weiter. Es war unbequem, so reglos zu stehen. Doch ihre Ausdauer wurde be lohnt. Aus dem 'Rohr erscholl ein dumpfer, brllender Ruf. Wie ein kleiner Ochse - dachte Fritz. Ganz langsam hob Manfred die Hand und zeigte auf eine
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Stelle im Rohr. Doch weder Fritz noch Heinz, noch Eddi konn ten etwas entdecken. Sie blickten Manfred fragend an. Der zeigte nur noch eindringlicher auf jene Stelle . Sie stierten auf diesen Fleck, bis ihnen die Augen weh taten, und sahen doch nichts auer Rohrstengel, die sich im Winde bewegten. Oder war da doch etwas? Ein brauner Gegenstand, lang und dnn wie ein Pfahl? Meinte Manfred etwa den? Ganz leise schlichen sie Schritt fr Schritt nher. Manfred nickte ihnen ermutigend zu. Eddi, der seine Augen starr auf den merkwrdigen Gegenstand gerichtet hielt, achtete nicht auf den Boden. Er stolperte und schlug der Lnge nach hin. Sumpf wasser spritzte auf. Da entpuppte sich der scheinbare Pfahl als ein groer Vogel, der mit eulenartig geruschlosem Flug ab strich. Eduard rappelte sich schimpfend auf. "Pfui Teufel. " Sein Hemd war durchnt. Die anderen achteten nicht weiter auf ihn, so berrascht waren sie. "Den Vogel htte ich nie gesehen, wenn du ihn nicht bemerkt httest", gab Heinz ehrlich zu. "Das war eine groe Rohrdommel. Ich habe sie auch zum ersten mal in meinem Leben gesehen. Man mu nur Geduld aufbrin gen, dann sieht man viel." ,Ja, ich glaube, wir Stdter beobad1ten die Natur nicht immer scharf genug." Sie verlieen das Thurbruch. Ober Labmitz gelangten sie nad1 Benz am Sdrande des Schmollensees. Am stlichen Dorfein gang fanden Manfred und seine Freunde ein bescheidenes Denkmal : einen Findling, der auf einem Sockel von kleineren Steinen ruhte. Er ist dem Andenken des Kommunisten Fritz Behn gewidmet, den die Fasmisten 1 944 mordeten. Der dreiundzwanzigjhrige Zimmermann Fritz Behn trat im
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Frhjahr 1927 der Kommunistismen Partei Deutsmlands bei und grndete gemeinsam mit anderen Genossen im Sptsommer desselben Jahres die Ortsgruppe Benz. Vor allem seiner uner miidlimen Arbeit und seinem mutigen Auftreten gegenber den Fasmisten war es zu danken, da Benz eine Homburg der Kommunisten auf Usedom wurde. 1 932 stimmten dort von zweihundertzwanzig Stimmberemtigten einhundertsemzig fr die KPD ! Das war bei den damals auf der Insel herrschenden Verhltnissen ein auerordendimer Erfolg. Er wurde erzielt, weil Fritz Behn und seine Genossen den Bauern immer wieder das Bauernprogramm der Kommunistischen Partei erluterten. Wenn Parteiveteranen von jener Zeit spremen, glnzen ihnen heute nom die Augen : " Bei uns wagten die Nazis kaum eine Versammlung durmzufhren. Benz war rot ! Mamten wir aber eine Versammlung oder riefen wir zu einer Kundgebung auf, dann kamen Teilnehmer aus dem ganzen Kreise. Wir hatten sogar eine eigene Zeitung fr den Kreis, die ,Stranddistel'." Fritz Behn war ein unermdlicher Agitator. In den Jahren von
Als Hitler den zweiten Weltkrieg entfesselte, wurde Behn zu einem Marine-Bau-Bataillon eingezogen. Vorsichtig tastend . suchte er nach gleichgesinnten Kameraden. Als spter, nach dem
Pberfall auf die Sowjetunion, sein Bataillon in Estland statio niert wurde, nahm er Beziehungen zur einheimischen Bevlke rung auf. So bekam er schlielich durch Vermittlung eines Lehrerehepaares aus Ust-Luga Verbindung zu einer sowjeti schen Widerstandsgruppe, gab ihr wohl auch Hinweise und Rat schlge, beteiligte sich aber aus einem falschen Kameradschafts gefhl nicht an der aktiven Arbeit dieser Gruppe. Doch als er im August 1 943 vom Urlaub aus Benz an den Dienstort zurck kehrte, empfing ihn die Feldgendarmerie. Seine sowjetischen Genossen und zwei deutsche Kameraden hatte man bereits in den Kerker geworfen. Das Urteil stand von vornherein fr alle fest : Todesstrafe. Die Brger der Sowjetunion wurden sofort erhngt, fr sie gab es bei den Faschisten gar nicht erst Ver handlungen. Gegen die drei Deutschen trat der Form halber das Kriegsgericht zusammen. Der goldbetrete Kriegsgerichts rat konnte ihnen nichts nachweisen. Dennoch : Zum Tode ver urteilt durch Erschieen. Rechtsanwalt Pauli aus Swinemnde, der die Angeklagten ver teidigt hatte, reichte ein Gnadengesuch ein. Der kommandie rende Admiral lehnte es ab. Begrndung : Alle drei seien Kom munisten. Nrdlich von Tallinn glnzte der Schnee auf den Dnen. Die Ostsee hatte ihr Antlitz in Eisfalten gelegt. Drei Holzpfhle wiesen wie Ausrufezeichen in den grauen Winterhirnmet In der bitteren Morgenklte des 6. Januar 1 944 zerrten eingemummte Soldaten drei gefesselte Mnner an die Pfhle. In der Salve bra chen drei Krper zusammen. So starb Fritz Behn. Die Jungen standen still vor dem grauen Findling mit der schlich147
ten Tafel aus Gueisen, der ein Stck Geschichte aus Deutsch lands schwerster Zeit dokumentierte. Sie waren ergriffen vom Schicksal dieses einfachen Zimmermanns aus Benz und verstan den nun erst richtig, was Manfred damit gemeint hatte, da die Insel Usedom kein romantisches Rckzugsgebiet fr lebens fremde Originale sei, sondern im Guten wie im Schlechten ein Teil unseres deutschen Vaterlandes. Auch hier wurde gekmpft gegen den Fasd1ismus, und hier kmpft man heute mit aller Kraft um den Aufbau einer sozialistischen Gesellsd1aftsordnung. Nad1 Neppermin fhrt eine tadellose, kurvenreiche Teerstrae, von der aus man ber steile Auffahrten zur Hauptverkehrs strae gelangt. Ein Stck hinter dem Ort steigt die Strae steil an, doch die Jungen wren auch ohnedies vom Rad gesprungen. Vor ihnen blaute berraschend der Nepperminer See, eine groe Bucht des Achterwassers. Das Land ringsum ist hgelig und wenig bewaldet, hier und dort breiten sim cker. Trocken gelegte Smpfe, sandige, von drftigen Kiefern bewachsene Hgel, flame Gewsser, in breite Rohrgrtel gefat und in herrlimstem Kobaltblau glnzend, aber aum frumtbares Acker land, das, von fleiigen Bauern gepflegt, Jahr um Jahr reime Er trge bringt, bestimmen den Charakter dieser Landsmaft. Vor Pudagla erhebt sim ein drftig bewamsener Hgel, der Glaubensberg. Er trgt eine Rimtbake. Hinter Pudagla, einem ehemaligen Kloster, das spter staat time Domne wurde, nherten sie sim wieder der Kste. Auf dem sogenannten "Badeweg" , der vom Eisenbahn-Haltepunkt Smmollensee aus durch den Kstenwald fhrt, aber wenig von einem Weg an sim hat, kamen sie an den Strand. Am Wasser entlang wollten sie ihren Zeltplatz erreimen. Auf dem feumten, festen Sand fhrt man wie auf einer Strae.
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Vor dem Strandwall, unter mchtigen Buchen, standen Wohn wagen und Zelte . .,Gehrt das noch zu unserem Zeltplatz?" fragte Fritz . .,Ja, wo unser Zeltplatz aufhrt und der von Uckeritz beginnt, drften wohl auch die Zeltplatzwarte kaum noch feststellen knnen." Als sie den Strand betraten, machten die Jungen Stielaugen. Sie waren an den Freibadestrand geraten. Aber die Badenden kmmerten sich nicht um die Jungen. Bis zu ihrem Zelt hatten die Freunde knapp einen Kilometer zu fahren. Sie fanden es wohlverwahrt und in Ordnung vor, bade ten sdm.ell und bereiteten dann das Abendbrot.
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VIII
Manfred mute lange reden, ehe er seine Freunde bewegen konnte, nadt einem halbstndigen Sonnenbad ein Hemd ber zuziehen. "Wozu sind wir denn an die See gefahren, wenn wir nicht ein mal in der Badehose umherlaufen drfen?" Ein braungebrannter Arzt, der seinen Wohnwagen unweit ihres Zeltes aufgebockt hatte, misdtte sidt in die Debatte. "Tun Sie ruhig, was Ihnen Ihr Freund rt. Dehnen Sie das Sonnenbad " nidtt bermig aus, oder bewegen Sie sidt viel. Sie folgten den klugen Ratsdtlgen und blieben so von einer un angenehmen Begleitersmeinung des Strandlebens versdtont. In kurzer Zeit gewhnten sie sidt an die Sonne, die sich zudem an mandten Tagen wenig sehen lie. Binnen einer Wodte waren sie dennodt so braun, wie Urlauber nur sein knnen. Nadt einem Strandbummel tat Fritz sehr geheimnisvoll. "Ratet mal, was idt gefunden habe !" "Nun, zeig her !" - "Was denn?" Fritz ffnete seine Hand. "Bernstein !" Seine Augen glnzten gld:lidt, als seine Freunde die finger kuppengroen Std:e bewunderten. Leider hielt die Freude nidtt lange an. Manfred Witt lie sidt die gelben Steindien zeigen und sagte nadt kurzer Prfung : "Bis auf dieses Std: kannst du alles wegwerfen. "
Auf die drei Berliner, die ihrem Usedomer Brenfhrer bisher in allen Dingen brav gefolgt waren und audt bei den lang atmigsten gesdtidttlichen Erklrungen keine Miene verzogen hatten, wirkten die ndtternen Worte wie eine kalte Dusd1e. Der Geist des Widersprudts meldete sidt: "Na, hr mal, woran willst du denn das sehen? Wenn dieses Std:dten Bernstein ist, " dann sind die anderen audt Bernstein. Vergleim doch nur . . .
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Manfred gab Fritz den Bernstein und ein gleid1groes Stck der wertlosen Mineralien in die Hand. ,.Merkst du einen Untersmied ?" Fritz wog die ungleichen Brder in den Hnden : ,.Der Bernstein ist leimter. " ,.Siehst du ! Wir wollen noch eine Probe mamen. " Er bat Fritz, nacheinander vorsid1tig auf beide Steine zu beien. Fritz tat es und stellte fest : Der Bernstein ist weid1, und das andere Stck ist hart. Manfred erzhlte vom Bernstein : ,.Vor vielen hundert Jahren kamen Hndler aus den entfern testen Gegenden hier herauf, um das beliebte ,Elektron' auf zukaufen : Griechen, Araber, Perser, Rmer. Es gab eine regel remte Handelsstrae, der dieses versteinerte Harz den Namen ,Bemsteinstrae' gab. Auf der Insel Usedom fand man jedom niemals so viel davon, da sim eine wirtschafttime Ausbeute gelohnt htte, wie zum Beispiel im Samland. Lediglim bei Stubbenfelde, zwismen Uckeritz und Koserow, wurde vor Jahren eine kleine Ader er smlossen, die aber smon lngst erschpft ist. Dennoch findet man gelegentlim einige smne Stcke am Strande, wenn Wind und Strmung zum Ufer drngen. Meist fangen sim die leimten Bernsteinsplitter im Tang, der berall am Vorstrand angesmwemmt wird.
1 897 fand man ein Stck, das sieben Kilogramm smwer war,
und in diesem Jahr haben Urlauber aus Ahlbeck Stcke in der Gre eines Hhnereis entdeckt. " Unntig zu sagen, da die Freunde besmlossen, am nmsten Morgen, sobald die Sonne aufgehen wrde, auf Bernsteinsud1e zu gehen. Kaum graute der Tag/ da smlichen sid1 Fritz, Heinz und Eddi
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ZwisChen den Buhnen sollen sieb die Ostseejlute11 POT dem StreCkeisberg totlaufen
Die See IJat das Xliff u11tersplt, der Baum hngt uur noc1.> an den 'Wurzeln iiber dem Abgrund
Der Mcusc1J I'Crsuc'bt der 71Jalurgewalten 'Herr zu werdeu : traudmauer bei 'Koserow
aus dem Zelt und zogen, wie vor ein paar Tagen in Ahlbeck, mit gesenktem Haupt und starrem Blick am Wasser entlang. Wenn eine besonders vorwitzige Welle sidt weiter als gewhnlidt vor wagte, widten sie ihr mit komisdten Sprngen aus. Gewi, selbstgefundener Bernstein ist eine sd1ne Erinnerung an unvergelidte Tage am Strand der Ostsee; dennodt htte es sidt fr die Jungen gelohnt, wenigstens ab und zu der Natur einen Blick zu gnnen. Ein Sonnenaufgang am Meer zhlt zu den herrlidtsten Erlebnissen. Wasser und Himmel sdtienen vereint zu sein, ein breiter Dunststreifen, vom Wasser nidtt zu untersdteiden, umsdtlo wie ein Grtel den Horizont. Dodt ber diesem erglhten die Wolken in feurigem Rot. Die weisdtopfigen Wellen liebkosten den feudtten Strand. Auf den sdtmalen Blttern des Dnenhafers glitzerte der Tau. Der Morgenwind hatte sidt aufgemacht und wiegte die Baum kronen auf dem Kliff ganz sanft hin und her, whrend die weien Sturmmwen in wilden Jagden Dnen und Strand nadt Abfllen absudtten. Nodt lag das Meer grau und fremd. Dodt berrasdtend zerri der dunkle Wolkengurt am Horizont unter dem siegreimen Ansturnt der Sonne, die nun das stlidte Himmelsgewlbe mit Iodemdern Sdtein fllte. Das Wasser funkelte und glnzte auf einmal, da einem die Augen wehtaten, wenn man lange hinsah, und die Landungsbrcke schien in Chrom zu sdtwimmen. Alles bekam auf einmal eine warme Farbe : der weithin ge schwungene Strand, die Dnen und der grne Wall der Prome nadenbume.
Doch das bemerkten die Bernsteinsudtee kaum in ihrem Eifer,
und als sie schlielidt mit einigen kleinen Stcken zurckkehr ten, wuten sie nidtt, da sie das Sdtnste versumt hatten.
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Der feine Sand des Strandes hat seine Tcken. Er ist der Feind aller Kameraverschlsse und Armbanduhren. Fritz mute schon am ersten Tage Lehrgeld zahlen. Er balgte sich noch nach dem Aufbruch aus der Strandburg mi.t Heinz und Eddi, sie stieen sich gegenseitig.in den Sand und wlzten sich lachend in einem spaigen Ringkampf. Als sie sich schon auf dem Wege zum Zelt befanden, durch suchte Fritz pltzlich: seine Taschen. Er klopfte sie von auen ab, drehte sie um, schttelte das Taschentuch aus - nichts. Er bi sich auf die Lippen. " Ich habe meine Uhr verloren !" Ver strt sah er sich nach allen Seiten um. " Du hast sie sicher beim Toben verloren" , trstete ihn Heinz. "Das kleine Stckchen, auf dem sie liegen knnte, suchen wir schnell ab." "Ich habe sie extra in die Tasche gesteckt." " Sicher hast du sie mit dem Taschentuch herausgezogen." Sie suchten sofort die paar Quadratmeter ab, auf denen die Uhr nur liegen konnte - vergeblich. Dann whlten sie jede Handbreit systematisch um, lieen den Sand durdr die Finger gleiten, gruben bis zur feuchten Schicht, die eine feste Masse bildet - umsonst. Fritz war verzweifelt. "Die Uhr hat mir Onkel Willi geschenkt. Wenn er erfhrt, da ich sie verloren habe, bekomme ich nie wieder etwas von ihm." Noch einmal kehrten sie jede Handvoll Sand um ; doch auer zwei braunen Sonnenlflaschen und einem Stck Holz frder ten sie nichts zutage. " Ist denn das die Mglichkeit? Ich wei doch ganz genau, da ich sie vorhin noch hatte. Sie mu hier irgendwo liegen." Und noch einmal durchsiebten sie den Sand mit den Hnden 1 58
wieder nichts. Die Freunde sahen sim ratlos an. Der td<ische lose Sand hatte die Uhr spurlos verschlud<t. Sie suchten schon ber eine Stunde ohne Erfolg. Endlich sah Fritz ein, da es zwed<los war, noch mehr Zeit zu verschwen den. Der Sand hielt seine Beute fest. Niedergeschlagen starrte er vor sich hin. Heinz und Eduard stiegen schon die Dne empor. Fritz folgte ihnen in ein paar Schritten Abstand und whlte mit den nad<ten Zehen unbe wut im Sande. Pltzlich schleuderte er einen blitzenden Gegen stand heraus : "Meine Uhr !" Zitternd vor Freude bd<te er sich. Tatschlich, sie war es. Allerdings mute er die Uhr zum Uhrmacher tragen, denn einige feine Kmehen waren ins Werk eingedrungen. Aber dennoch freute er sich, da sein Leichtsinn keine schlimmeren Folgen hatte. Eines Tages wurden sie Zeuge eines Ungld<sfalls. Sie wurden aufmerksam, als vom Rettungsturm Mnner mit einem Schlauchboot zum Wasser strmten. Aber sie benutzten es nicht mehr, denn Badende zogen bereits einen leblosen Mann ans Ufer. "Er war gar nicht weit drauen !" erklrten sie auf geregt. "Nur ein Std< hinter der ersten Sandbank. Auf ein mal fuchtelte er mit den Armen und ging unter. Wir sind gleich hingeschwommen und haben ihn auf die Sandbank gezogen . . . " Viel Wasser kann er noch nicht geschlud<t haben. Sie wollten Wiederbelebungsversuche beginnen, aber ein Bade gast schob sie beiseite. "Gestatten Sie ! Ich bin Arzt." Als er sich wieder aufrichtete und die erwartungsvoll auf sid1 und den Verungld<ten gerichteten Augenpaare bemerkte, z gerte er einen Moment. "Bitte tragen Sie den Mann zum Ret tungsturm" 1 entschied er schlielich.
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"Machen Sie doch gleich hier Wiederbelebungsversuche !" schlugen die Retter vor. "Jede Minute ist kostbar." Der Arzt blickte sie seltsam an. "Tun Sie, was id1 lhnen gesagt habe." Als sich die Tr des Sanittsraumes im unteren Teil des Turmes '" hinter der kleinen Gruppe gesd1lossen hatte, blieb ein neugie riges Hufchen stehen und debattierte heftig. War es richtig, auf die Wiederbelebungsversuche zu verzichten? Wie konnte das Unglck geschehen ? Ob er durchkommt? Die Rettungsschwimmer kletterten wieder auf den Turm, der Arzt lief zum Telefon. Niemand sagte etwas. Eine weinende Frau, offenbar die Gattin des Verunglckten, drngte sich durch die Neugierigen; man lie sie ein. Da zunchst nichts weiter zu erfahren war, gingen die teils ehr lidl besorgten, teils sensationslsternen Beobachter auseinander. Als bald darauf ein Krankenw;gen des Deutschen Roten Kreuzes eintraf, kmmerte es schon niemanden mehr sonderlich. "Aha, er kommt ins Krankenhaus." Manfred fing ein paar Stunden spter den alten Zeltwart ab, der unermdlich und mit erfreulicher Energie fr das Wohl ergehen der Zeltenden sorgte. "Herr Schutz, sagen Sie, was ist mit dem Mann, den die Jungen vorhin aus dem Wasser gefischt haben ? Er ist doch nicht etwa . . . Der Arzt war so ernst? " " Im Vertrauen" - der rstige Siebzigjhrige sah sich vorsichtig um -, "er ist tot; Herzschlag infolge Kreislaufstrung. Aber sprechen Sie nicht weiter darber. Die Leute sollen sich nicht beunruhigen. " Manfred war erschttert. Wohl wute er, da trotz der vielen Sicherungsmanahmen, die die Kurverwaltungen alljhrlich tref fen, Unflle nicht vllig vermieden werden knnen, aber bis her war er niemals Zeuge eines solchen gewesen.
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In allen Seebdern und auch an den Zeltpltzen stehen Ret tungstnne, von denen aus erfahrene Rettungssd1wimmer mit dem Fernglas die Badestellen beobachten. Hilfsmaterialien ste hen ausreichend zur Verfgung, und auch an Aufklrung durd1 rzte und Heimleiter fehlt es wahrhaftig nicht. Und dod1 be sdlwren Leichtsinn und Unwissenheit ber den eigenen Ge sundheitszustand immer wieder gefhrlid1e Situationen herauf. Vor allem sind Nichtschwimmer oder schlechte Schwimmer manchmal zu mutig. Sie verwechseln die Ostsee mit dem hei mischen Stadtbad. Sie wissen nicht, da durch die wechselnde Strmung vor der Kste Untiefen und Sandbnke dauernd ihren Platz verndern. Dort, wo sich vor wenigen Tagen der Nichtschwimmer noch unbesorgt in die Wellen werfen konnte, ktmen sie heute ber ihm zusammenschlagen. Manch waghalsiger Schwimmer lt sich gern von den an rollenden Wellen, die so wundenroll tragen, dazu verfhren, immer weiter hinauszusd1wimmen. Er kehrt erst dann um, wenn er mde wird. Wie s<hwer wird ihm aber der Rckweg. Die Weilen rollen von hinten ber den sich verzweifelt Mhenden hinweg; er schluckt Wasser, hat Luftnot und erschpft sich immer mehr. Die Wellen, die ihn vorher trugen, drcken ihn jetzt unter Wasser. Wer weite Strecken schwimmen mchte, sollte auf keinen Fall in die See hinaushalten, sondern immer auf der Hhe der zweiten Sandbank bleiben. Und wenn er von Ahlbeck bis na<h Zinnowitz schwmme, hier knnte ihm kaum etwas geschehen. Mit zwei Armzgen erreicht er ja die Sand bank, auf der er Grund unter den Fen findet und damit Zeit, Luft zu holen und sid1 auszuruhen. Die meisten Unflle werden jedoch dadurch verursacht, da Menschen, die dauernd in rztlicher Behandlung sind, unter dem Einflu der Luftvernderung und des Beispiels der Mit161
badenden ihre Leiden vergessen und sich mutig in die Wellen strzen. Aber pltzlich meldet sich bei krperlicher Anstren gung wieder die Krankheit. Das Herz revoltiert, das Asthma wrgt, oder die Kreislaufschwche macht schwindlig. Und der Schwimmer wre rettungslos verloren, bemerkten nicht Mit badende oder die wachsamen Augen der Rettungsschwimmer sein pltzliches Untertauchen oder seinen Hilfeschrei. Schnell sind sie mit dem Boot zur Stelle und ziehen ihn aus dem Wasser. So fortige rztliche Hilfe verhindert meistens das Schlimmste. Diese Unflle lieen sich vermeiden, wenn leidende Menschen niemals allein ins Wasser gingen. So streifte der Tod auch jenen blinden Urlauber, der allein in die See hinausschwamm und die Orientierung verlor. Er fand nicht mehr zurck Nachdem er drei Stunden lang mit den Wellen gekmpft hatte, entdeckte ihn zufllig ein Bootsverleiher und rettete ihn in letzter Minute. Vater Schulz hatte sich fr zehn Minuten zu ihnen gesetzt und erzhlte. "Es wre manches nicht so schlimm, Herr Witt " , sagte er und schob die weie Seglermtze in den Nacken. "Aber die Leute sind oftmals so unverstndig. Sehen Sie sich nur die Dne da drben an. Der Kstenschutz hat sie vor zehn Wochen neu angepflanzt. Die Wege zwischen den einzelnen Teilen sind doch wahrhaftig breit genug. Aber nein, alle scheuen den kleinen Umweg und latschen ohne Umstnde ber die junge Pflanzung. Oder denken Sie an die Ordnung auf dem Zeltplatz. Gewi, die meisten benehmen sidJJ so, wie es sich gehrt, aber die weni gen, die sich nicht an die Lagerordnung halten, fallen desto mehr auf. " Manfred Witt fragte interessiert: "Hatten Sie in diesem Jahr viel rger mit den Zeltern ?" Der alte Herr winkte ab. "Bis jetzt ging es. Es kommt fast jede Woche vor, da sich Leute hier einfinden, die keinen Zeltschein
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besitzen, oder da manche Feriengste ihr Zelt nicht an der Stelle aufbauen, die wir ihnen anweisen. Da hat man manchmal viel auszustehen, wenn man sie auf ihren Fehler aufmerksam macht. Sie wollen sich einfach nicht einfgen. " Er wurde gesprchig und berichtete ausfhrlich ber seine Er lebnisse. Voriges Jahr htten junge Burschen sich ein Vergn gen daraus gemacht, Glasflaschen den Hang hinunterzuwerfen, und immer wenn eine zersplittert sei, htten sie laut gejohlt. Im Sand habe man die scharfen Glassdlerben kaum bemerken knnen, und mehrere Frauen und Kinder htten sich teilweise gefhrliche Verletzungen an den Fen zugezogen. Und dieses Jahr htte ihm eine Gruppe von fnfzehn Studenten beinahe ein Gallenleiden an den Hals gergert. Jede Nacht htten sie einen tollen Skandal veranstaltet. Niemand habe ihnen etwas sagen drfen ; seinen Kollegen, der sie zur Ordnung weisen wollte, htten sie um ein Haar den Berg hinuntergeworfen. "Na, da platzte mir ja der Kragen. " Er schlug mit der Faust auf den Sand. Auf seinen glatten Wangen, die so wenig Falten hatte, als sei er gerade erst fnfzig geworden, zeigten sich rote Recke. "Ich hab' die Polizeistreife geholt, und dann haben wir sie festgenommen. Die fnf rgsten Schreier wurden nach Hause geschickt, und die anderen zahlten reumtig eine Ordnungs strafe. Man macht das nicht gerne, aber manchmal bleibt einem keine andere Wahl. Sie mssen bedenken, da hier tglich zwei bis dreihundert Neuankmmlinge eintreffen. Alle mssen einen Zeltplatz angewiesen bekommen, und der Platz ist fast zehn Kilometer lang. Wenn da nur eine Strung eintritt, ist fr uns der ganze Arbeitsablauf gestrt. " "Knnen Sie denn alle Leute unterbringen, die einen Zeltschein besitzen? "
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MGewi knnen wir das. Nur - manche nehmen zuviel Platz in Anspruch. Sie parken das Auto auf dem Zeltplatz, stellen den Wohnwagen dazu und bauen davor noch ein groes Sonnen dach auf; man gnnt ihnen ja die Freude, doch sollten sich die Leute darber im klaren sein, da sie dreifachen Platz ben tigen. Wissen Sie, wir finden schon immer noch ein Pltzchen. Wichtig ist nur, da jeder, der den Zeltplatz verlt, ihn sauber bergibt. Aber daran hapert es oft. " Manfred nickte verstndnisvoll. Er dachte daran, in welcher Verfassung sie ihren Platz vorgefunden hatten, als sie ihn ber nahmen. " Man sollte von jedem, der hier sein Zelt aufbaut, eine Kau tion verlangen, sagen wir in Hhe von zwanzig Mark. Wenn er seinen Zeltplatz sauber abmeldet, bekommt er sie zurck, andernfalls sollte man von diesem Geld den Arbeiter bezahlen, der den Platz aufrumt. " Herr Schutz nickte beifllig. "Wre nicht schlecht. Unsere Buch halterin wrde sich gern diese Mehrarbeit machen. Vor allem aber mte nachts eine Polizeistreife eingesetzt werden, das ist dringend notwendig. Einmal, weil die Bengel nachts Lagerfeuer anznden, obwohl sie wissen, da das streng verboten ist. Wenn unser schner Wald abbrennt, ist es nmlich aus mit dem Zelten, und ohne Todesopfer wrde ein Waldbrand auch kaum abgehen. Zum andern mten sie fr Ordnung sorgen und da fr, da niemand von solchen Burschen belstigt wird, die nicht wissen, was sich gehrt. Und dann auch wegen der Waldfrevler. Sie glauben nicht, wie die Leute mit unserem Wald umgehen. Da werden mitunter ganze Bume umgehauen, entweder um Platz fr das Zelt zu schaffen oder um Feuerholz zu gewinnen. Wieviel Raummeter Buschholz bisher abgeholzt wurden, wage ich gar nicht zu bersd1lagen. Ich will ganz ehrlich sein : wir
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zwei Zeltwarte knnen den ganzen Campingplatz keinesfalls stndig im Auge behalten. " " Sie wrden es also nicht bemerken, wenn sich jemand einf<:: cl1 ein Zelt aufbaute, ohne da er einen Zeltschein bese? " Der Zeltwart griente. "Och, das merken wir schon, wenn aucl1 nicht immer gleich am ersten Tage." Er beugte sich zu Manfred und flsterte ihm etwas zu : "Passen Sie mal auf, Herr Witt, was heute nacht und in der Frhe pas sieren wird. Aber lassen Sie nichts verlauten. " Er legte den Finger auf den Mund und blinzelte vielsagend mit den wasser hellen Augen. Manfred begriff und lachte. "Da wnsche im erwischen ! Ihnen guten Erfolg, Vater Schulz. Auf da Sie viele Blindgnger "
Sie plauderten noch ber dies und das. Manfred erfuhr, da die mit Mhe in den Dnen und an den Bumen angebrachten Hinweisschilder mutwillig abgerissen werden, da Sthle vom Restaurant "Langenberg" mit zum Lager geschleppt werden, wobei natrlich niemand ans Zurckbringen denkt, und da aud1 die Kraftfahrer die Sperrschilder und anderen Verkehrszeimen nicht gengend beachten. Herr Schulz erboste sich besonders darber, da sie gern durch das Lagerzentrum fhren, wo sich die Verkaufsstnde befinden. "Sie wirbeln so viel Sand auf, da die Auslagen, besonders die Lebensmittel, verdorben werden. " " Soll die Anlage noch weiter ausgebaut werden?" "Je nun, wir bekommen eine Starkstromleitung hierher, weitere Toiletten sollen errimtet werden, und ich halte es aum fr notwendig, da noch eine neue Pumpe aufgestellt wird. Eine Waschanlage wre aum notwendig. Wir hatten aum mal eine, aber die wurde mutwillig zerstrt. Gut wr' es auch, wenn am Kliff zwei breite Treppen gebaut wrden, dann brauchte keiner mehr den Hang runterzurutschen, was ja verboten ist. "
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Der Lagerwart hatte bereits dauernd zur Seite geblickt, wo drei junge Mnner ein Zelt aufbauten. "Sagen Sie, Herr Witt, sind die schon lange hier?" Manfred schttelte den Kopf. "Nein, ich seh' sie zum ersten mal." "Na so was, sollte ihnen mein Kollege den Zeltplatz an gewiesen haben? Wollen doch gleich mal sehen, was da los ist." Er erhob sich mit einer Elastizitt, die man seinen Jahren nicht zugetraut htte, und stapfte hinber. Manfred folgte ihm. Sie stellten sich neben die Burschen und sahen ilinen zu. Die lieen sich dadurch nicht stren, grten audt nicht. "Darf ich bitte Ihren Zeltschein sehen?" forderte Herr Schulz die drei auf. "Nee, det drfen Se nich. Wer sind Sie berhaupt?" Der Wortfhrer stemmte die Arme in die Seiten und sah Herrn Schulz herausfordernd an. " Idt bin der Zeltwart." "So, der Zeltwart sind Se? Von mir aus knnse det ooch blei ben." Der junge Mensdt wandte sidt wieder seiner Arbeit zu. Herr Schulz blieb ruhig. "ldt fordere Sie noch einmal auf, Ihren Zeltschein vorzuweisen. Auerdem mssen Sie mir sagen, wer Ihnen diesen Platz angewiesen hat." "Den ham wa uns selber angewiesen. Und wat heet hier Zelt schein . . . Wir zelten hier, und damit basta. Noch 'ne Frage, alter Herr?" Manfred wollte aufbrausen, dodt der Zeltwart legte ihm die Hand auf den Arm. " Immer ruhig bleiben, das kriegen wir schon." Er wandte sich noch einmal an die jungen Leute, die sich durch seine Anwesenheit keineswegs gehemmt fhlten. "Sie besitzen also keinen Zeltsmein . . . Dann bauen Sie mal
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Ihr Zelt hbsch wieder ab. Wenn Sie hflich gewesen wren, htte ich Ihnen vielleicht noch einen Zeltschein beschafft, aber dieser Ton, meine Herren, den Sie mir gegenber anzuschlagen belieben, der schliet von vornherein solche Geflligkeit aus." ,.Wat denn " , die Zelter richteten sich auf und traten nher. Abbaun? Bei dir piept's woll? Nu sieh mal zu, det de Land je " winnst, sonst kannste wat erleben !" Wieder hielt der Zeltwart Manfred zurck, der sich einmischen wollte. Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde Zeit, dann komme ich " wieder. Bis dahin sind Sie hiet verschwunden." Er drehte ihnen den Rcken zu und zog Manfred mit sich fort. " Nur nicht aufregen" , meinte er, weiter." " damit kommen Sie nicht
Als der Zeltwart nach einer halben Stunde wieder erschien, hatten sich. die drei schon huslich eingerichtet. Ein Feuer brannte, und in einem Topf kochte Essen. Als sie Schulz bemerkten, sagte einer : Da is ja der alte Qua " lich schon wieder. Nu bring'n man auf die Socken, da er uns endlich in Ruhe lt.
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Sie sind ja noch hier. Ich habe " Ihnen doch gesagt, da Sie abbauen sollen. Wollen Sie dieser Anordnung nun nachkommen oder nicht?" ,,Sie sind vielleicht ein komischer Onkel. Wir ham Ihn'n doch laut und deutlich gesagt, da wir hier bleiben. Gengt Ihn'n det nich? Wenn de dir nochmal unterstehst, uns mit deinen ,An ordnungen' zu belstigen, schmeien wir dir ins Wasser, Onkel ehen, damit sich dein Eifer abkhlt. Nu zieh' Leine, damit wir uns nicht an dir vergreifen mssen." Langsam stieg dem Zeltwart die Rte ins Gesicht. Man sah ihm an, wieviel Mhe er hatte, beherrscht zu bleiben. " Das werden wir sehen !" knurrte er und stakste mit langen
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Smritten davon. Die Bengel lamten hinter ihm her. Sie glaubten, der Fall sei erledigt, und gingen hinunter zum Strand. Nom keine zehn Minuten waren vergangen, als der Zeltwart mit einer Streife der Grenzpolizei zurckkam. Da er das Zelt leer fand, fragte er die Nambarn : ,.Wo sind die jungen Leute, denen dieses Zelt gehrt?" Er erhielt die gewnsmte Auskunft und stberte die drei auch beim Sonnenbad auf. Die Polizisten fad<:elten nicht lange. ,.Ihre Ausweise bitte ! " Die Jungen begriffen, da ihre Lage ernst wurde. Sie versuch ten, auf die Grenzer einzureden, muten abet zum Zelt folgen. Einer der Polizisten sted<:te die Ausweise ein und ordnete an: ,.Folgen Sie uns zur Lagerverwaltung ! " Das brige ging dann smnell. Ein Protokoll wurde aufgesetzt, eine Strafanzeige an die VP-Dienststelle des Heimatortes der Snder gesmid<:t und eine Ordnungsstrafe erhoben. Ein Ver treter des Rates der Gemeinde Bansin, der vom Rat des Kreises Wolgast dazu ermmtigt war, verfgte die Ausweisung von der Insel Usedom. Zeltwart Smulz sagte zu Manfred, namdem die Angelegenheit geregelt war : ,.Wir gehen nimt gern mit solm harten Ma nahmen vor, aber uns bleibt keine Wahl. Die Ordnung auf dem Zeltplatz bleibt nur gesichert, wenn die Anordnungen der Zelt warte genauestens ausgefhrt werden ! " ,.Sie handelten rimtig !" erwiderte Manfred. Morgens gegen drei Uhr trat das Ereignis ein, das der Zeltwart angedeutet hatte. Gedmpfte Stimmen lieen sim allerorts ver nehmen. Jemand ffnete den Zelteingang und leumtete mit der Tasmenlampe ber die Schlfer. ,.Hallo ! Aufwachen ! Ausweis kontrolle !"
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Sie fuhren erschreckt hoch, noch schlaftrunken. " Was soll'n det? " fragte Eddi verstrt. " Grenzpolizei ! Entschuldigen Sie bitte die Strung, wir treffen leider nur nachts alle Leute im Zelt an. Zeigen Sie uns bitte Ihre Ausweise und Ihren Zeltschein ! " zeigte sie vor. Durch den Zelteingang flimmerte das graue Licht des werdenden Tages. " In Ordnung " , sagte der Soldat, reichte die Ausweise zurck und ging zum nchsten Zelt. "Das ist ja unerhrt, einen nad1ts so aus dem Schlaf zu reien. Haben die berhaupt ein Recht dazu? " fragte Heinz. Manfred beruhigte ihn. ,.Es ist natrlich nicht schn, wenn man nachts aus dem Schlaf gerissen wird, doch gibt es keine andere Mglichkeit der Kontrolle ber die vielen tausend Zelt bewohner. Ihr mt bedenken, da wir uns innerhalb der Fnf-Kilometer zone befinden. Die Ostsee bildet die Nordgrenze unserer Re publik. Knnte es nicht sein, da Leute, die sich unangemeldet und ohne Zeltschein hier aufhalten, Bses im Schilde fhren? " "Wat wollen die hier schon machen, da ist ja blo Wasser und Wald " , erwiderte Heinz skeptisch. "Meinst du? Aber wer hat im Juni die Heringsdorfer See brcke angesteckt? Sie brannte nieder mit allen vierzehn Ge schften, die sich in der Passage befanden. Wer hat den Brand im Strandkorblager hinter dem Ferienheim ,Erich Weinert' an gelegt? Unsere Sicherheitsorgane haben die Pflicht, alle Mg lichkeiten in Betracht zu ziehen. " Heinz gab nun die Berechtigung solcher Kontrollen zu. " " Ich bin nur neugierig, ob siejemanden geschnappt haben , in teressierte sich Fritz. Sie standen frhzeitig auf und suchten den Zeltwart, von dem sie Einzelheiten zu erfahren hofften.
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" Haben die Grenzer heute na<ht jemanden geschnappt? " ,,Jemanden? " Vater SdlU!z kraulte sich im Nacken. Na, so " Stcker zweihundert, die ohne Zeltschein hier lagerten. " "Donnerwetter ! " Die Jungen waren verblfft. Das htten sie dod1 nicht gedacht. .,Was geschieht nun mit diesen Leuten? " .,Was sollen wir mit ihnen machen? Sie sagen alle, sie htten nimt gewut, da man einen Zeltschein braucht und da man sich anmelden mu. Wir werden ihnen nachtrglich einen Zelt schein ausstellen ; den bekommen sie, nachdem sie eine Ord nungsstrafe geblecht haben. Ordnung mu ja schlielich sein, man nich? " Er zwinkerte mit den Augen. .,Sogar die Fische wissen, da Ordnung sein mu, aus diesem Grunde hat ja die Scholle ein schiefes Maul. " .,Wat hat denn das Maul der Scholle mit Ordnung zu tun?" fragte Eddi verwundert. "Das weit du nicht? " foppte der Alte. Eddi versicherte : .,Nein, gewi nicht. " .,Dann mu ich eum wohl die Geschimte erzhlen. Knnt ihr plattdeutsch verstehn ? " Ohne eine Antwort abzuwarten, be gann er: .,De Fisch kreegen uck mal den Infall, sim eenen Knig to whlen. Dor is gor kein Ordnung, sden sei, all schwemmen sei as se willen, un de groten smlahn na de ltten mit de Schwnz, dat sei wiet wegfahren, orre rennen die ltten wer an, ver schlucken se sogoar. Knig sll sin, de am schnellsten smwem men un de Schwaken Hlp bringen knn. De Hckt, de gim Knig warden wull, stellt sei all in Reih un Glied un gew dat Teiken mitn Schwanz, un denn ging de Post af. As nu de mihr sten all mud wurden, schriggt dat mitn Mal : ,De Hiring is vr, de Hiring is vr!' ,Wer is vr?' reep de oll platt Scholl, dei uck dacht, da sei'n gauden Knig afgew. ,Wer is vr?'
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,Oe Hiring, de Hiring !' reepen de annern. ,Oe na<kt Hiring !' schrggt die Scholl, un dat Muul stnn ehr dorbi ganz scheif vr lauter Wut un rger. ,De na<kt Hiring?' frg so noch eis. Seit de Tied is de Scholl tor Straf dat Muul scheif stahn blhen. " Er fgte hochdeutsch hinzu : "Hoffentlich bleibt keinem von denen, die sich ber die Kontrolle aufregen, das Maul sc:hief stehen. " Die Freunde lachten herzlim. Sie hatten die Fabel gut ver standen. Die Freunde hatten frh gebadet und lagen nun faul in der Sonne. Die Kpfe einander zugekehrt, sahen sie aus wie ein Seestern, von denen der Wind ber Nacht Hunderte an den Strand getrieben hatte. ,.Du hast dich fr heute Nachmittag mit dem Bauernmdchen verabredet? " vergewisserte sich Fritz. Heinz hob trge den Kopf. ,.Um drei will sie am Musikpavillon sein. Sie bringt ihre Kolleginnen mit. Nehmt sie mir um Him melswillen ab. " ,.Wen ?" Eddi konnte eine Frotzelei nicht unterlassen. "Die lngrid? " ,.Ich werd dich . . . " Manfred erkundigte sich : ,.Wie kommt es, da die Mdchen heute frei haben? Arbeiten sie heute nicht? " Er bewegte den Mund trge, ohne den Kopf vom Sande zu heben. ,.Heute ist doch Sonnabend ! " Heinz stemmte die Arme hoch, lie sich aber gleich wieder fallen. ,.Sonnabend? " Fritz antwortete an Manfreds Stelle. Er drehte sich auf die Seite und starrte versonnen ber das Wasser. Seine
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Worte tropften zgernd, als sprche er zu sich selbst, und er achtete auch wirklich nicht darauf, da ihm die Kameraden zu hrten. .,Sonnabend haben wir also . . . Komisch, noch vor vierzehn Tagen war fr mich der Sonnabend ein Tag, auf den ich mich die ganze Woche ber freute . . . und die Woche verging des halb so schnell, weil ich auf den Sonnabend wartete . . . Da sagt man immer, die Zeit vergehe schnell, wenn man Abwechslung habe, und sie dehne sich, wenn man sich langweile. Mir ist, als sei ich seit Monaten hier, lge am Strand oder streife durch die Insel. Nie ist mir zu Hause eine Woche so ausgefllt vorge kommen wie hier . . . Oberhaupt, zu Hause . . . Manchmal denke ich, gibt es das noch : Morgens zur Arbeit gehen, mit der Straen bahn fahren, Fuballtraining, Kino? Ein Tag ist dort wie der andere . . . Man rechnet immer bis Sonnabend . . . und hier? " .,Hier rechnest du berhaupt nicht. Du wutest ja auch nicht, da heute Sonnabend ist. " Manfred vollendete den Satz, ohne sich zu rhren. Aber selbst die wenigen Worte schliefen ihm fast im Munde ein. Trge drehte er den Kopf zur anderen Seite. Heinz konnte nach dem Mittagessen seine Freunde nur mit Mhe bewegen, ihn nach Bansin zu begleiten. .,Ihr knnt mich doch nicht allein gehen lassen. Da sind die vier Mdchen . . . Eine reicht mir vllig. Es wre doch nicht schn, wenn ich nur allein hinginge. " .,Du meinst, die anderen drei wrden dich bei deiner Liebelei stren? " Fritz stellte es trocken fest und machte Anstalten, sich zu einem Mittagsschlaf in den warmen Sand zu packen. Heinz zerrte ihn hoch. ,.Sei doch nicht so hlzern. " .,Was soll id1 denn mit einem Bauernmdchen anfangen?" ver1 72
[eider ballen sieb nic:'bt alle 'Urlauber an die 'Wege in den sorgsam gepflegten Diinen
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Strandfiseber
teidigte sich Fritz. " Vom Khemelken und Hhnerdressieren hab' ich keine Ahnung. Worber kann man sich mit denen ber haupt unterhalten ?" Manfred wollte ursprnglich auch nicht mitgehen, doch rgerten ihn Fritz' berhebliche Worte. Glaubte der denn, da nur die Mdchen in der Stadt gebildet sind? Da du dich nicht tuschst, alter Freund. "Tun wir Heinz den Gefallen", meinte er harmlos grienend. ,.Sonst macht er uns dafr verantwortlich, wenn er nicht zu seinem Stck Brot kommt. " Schon vor drei Uhr fanden sie sich am Musikpavillon ein. Er war noch leer. Allmhlich fllte sich die Kurpromenade zur nachmittglichen Promenade, jener unbeabsichtigten groen Sommermodenschau der Mdchen, Frauen und jungen Mnner. Eine Treppe fhrte zum Heim " Fortschritt " empor. Auf einem gepflasterten Platz daneben standen rotlackierte Gartenmbel. Eine junge Serviererin schritt hftenwiegend mit dem Wisch lappen durch die Tischreihen. Heinz machte Stielaugen; er rgerte sich, da er seiner Freunde wegen keinen Annherungs versuch riskieren konnte. Vielleicht kamen die Mdchen doch nicht . . . Aber da schwebte die Verlockung bereits die Stufen hoch und trat in das Haus ein. Vorbei ! Kaum da sie ihm aus den Augen entschwunden war, hatte er sie schon wieder vergessen. Pltzlich standen die vier Mdchen vor ihnen. Sie hatten sich eingehakt und sahen ganz anders aus, als die Jungen sie in Erinnerung hatten - gut gekleidet, nett frisiert. Heinz freute sich ehrlich. Er hatte gefrchtet, da die Dorf mdchen gegen die Frauen, die in hellen Sommerkleidern auf der Promenade flanierten, abfallen wrden. "Da seid ihr ja. Ich dachte schon, ihr wrdet uns versetzen." 10 Wanderfahrt 181
Sie begrten sich betont burschikos, um die Verlegenheit zu berspielen. lngrid stellte ihre Fundinnen vor : Helga, Edith und BrbeL Brbel, die Kleinste und Jngste, war mit ihren sechzehn Jahren noch ein richtiger Kindermund. Helga und Edith hnelten sich als Schwestern wenig; Helga war gro und ziemlich grobgliedrig, sidter im Auftreten und auf eine nidtt nher zu bestimmende Weise berlegen. Edith wirkte ,weidter, stdtisdter. Helga wird wohl mehr in der Landwirtsdtaft ar beiten, mutmate Fritz. " Was fangen wir an? " Die Mdchen hatten bereits ein Programm zusammengestellt. Helga, die Wortfhrerin, erluterte es. "Wir wollen zuerst eine halbe Stunde lang baden, wir kommen sonst nur selten dazu, dann wollten wir uns euer Zelt ansehen . . . " Sie ladtten. "Ihr drft uns zum Abendbrot einladen. Als Gegenleistung, und weil ihr so brav bei der Heuernte geholfen habt, nehmen wir euch zu einer Kabarettveranstaltung ins Heringsdorfer Kulturhaus mit. Einverstanden? " Die Jungen sdtwiegen verdutzt; so hatten sie sidt das Rendez vous nicht vorgestellt. Heinz dmmerte, da bei diesen energie geladenen, tatkrftigen Mddten ein galantes Abenteuer vllig auerhalb des Mglidten lag. " Wenn ihr nidtt wollt" , sagte Helga, als keiner antwortete, "geben wir die Karten zurck. " "Ihr knnt uns doch nidtt die Eintrittskarten bezahlen ! " Fritz versudtte einen zaghaften Einwand. "Darber madtt eudt keine Kopfschmerzen " , krhte Brbel, "wir verdienen vielleimt mehr als ihr." "Nun ja, wenn ihr meint . . . " Heinz fgte sidt, und Manfred sdtmunzelte. Sie badeten und spielten dann mit anderen Jugend timen Volleyball. 1 82
Die Mdchen bildeten eine Partei und die jungen die andere. Auf der Seite der Jungen zeigte der Arzt aus dem Wohnwagen trotz Glatze und Bauch viel Eifer, konnte aber gegen eine bindfadendnne Weberin aus KarlMarx-Stadt nidtt auf kommen. Die Mnner schmetterten, doch die Mdchen spielten genauer, hoben die Blle schn bis ans Netz, und dort vollendeten Ingrid oder die bersdtlanke Weberin, wie sie wollten. Die jungen liefen sich hei, wurden wtend - vergeblidt. Nachdem sie zwei Stze verloren hatten, gaben sie auf. Besonders Fritz und Eddi, deren Sportlerehre empfindtim wunde Stellen zeigte, versuchten, ihre Niederlage auf verschiedene objektive Ursachen zurckzu fhren, vom Doktor lautstark untersttzt. .. Ihr httet besser spielen sollen " , hielt ihnen die schnippische Weberin vor. Beleidigt wandten sidt die Jungen ab. Sie liefen den Strand entlang bis zum Zeltplatz. Die Mdchen bewunderten hflich Zelt und Umgebung, dann aen sie ge meinsam zu Abend. Manfred kochte Kakao. Eddi, der sidt fr einen groen Sportler hielt, weil er die Spitznamen beinahe aller bekannten Fuballspieler zu nennen wute, konnte sich noch immer nicht ber die Niederlage beim Volleyballspiel beruhigen. Er forschte nach der Ursache. Hier wird wohl viel Sport ge " trieben ? " Gewi, audt auf der Insel treibt man Sport. Die Kunstkraft " sportgruppe von Lokomotive Heringsdorf ist beispielsweise mehrfadter Deutscher Meister, in Ahlbed<: gibt es audt gute Handball- und Fuballmannsdtaften. In den meisten Sdtulen spielen die Kinder Handball. jedes Jahr finden hier Radrennen statt, von denen das ,Bderrennen' Spitzensportler aus der gan zen Republik auf die Insel zieht. Und in Zinnowitz bestreiten 1 83
die Tennisspieler ihr bereits in ganz Europa bekanntes inter Du bist aber gut orientiert. " Eduard wunderte sidt ber lngrid.
Wenn idt an unsere Mdel denke . . . " Er vollendete den Satz " nicht und wiegte bedeutungsvoll den Kopf. Nach dem Abendessen muten sie eilen, um noch zur redtten Zeit nach Heringsdorf zu kommen. lngrid und Heinz blieben langsam zur&; sie hatten Gefallen aneinander gefunden und plauderten. Heinz mute zu seinem Erstaunen feststellen, da ihm das Mddten in vielen Fragen berlegen war. Sie wute viel besser als er ber Bcher Bescheid, ber politische Dinge und sogar, das wunderte ihn am meisten, ber Motoren und Elektrotechnik. Als er ihr das sagte, meinte sie : Ein Bauer mu " vielerlei knnen. Sieh mal, elektrische Anlagen spielen bei uns doch eine groe Rolle, und ein moderner Mensdt mu dodt auch mit einem Motor umgehen knnen. Ihr Stdter denkt oftmals noch, wir ,Landsdten' seien rckstndig. Doch tuscht euch nicht. Gewi, es gibt Drfer,. wo noch auf die alte Weise ge arbeitet wird, aber das ist nicht mehr typisch. Sieh dir nur die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften an. Und dann gibt es Landwarenhuser und Landambulatorien. Deine Vorstellungen vom Dorf sind lngst berholt. " Heinz hstelte. Das Thema war ihm peinlich. Er lenkte ab. Alles schne Huser hier an der Strandpromenade, nicht? " " lngrid musterte ihn von der Seite. Willst du mim verppeln ?" " Wieso; gefallen sie dir nicht? " " Ich finde sie ein bichen staubig - im bertragenen Sinne " 1 ent " gegnete sie. Schau dir nur die vielen Sulen an und die Nach " ahmungen klassizistischer Stilelemente - Grnderzeit und JugendstiL Irgendwie erinnert manches an den Fliegenden Hol lnder und die ganze Wagnerische Germanenmythologie ...,. Haus
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Asgard, Haus Odin, Haus Freya ! Findest du die neue Form, Huser nach verdienten Erfindern und Aktivisten zu benennen, nicht viel erfrischender? " Heinz grbelte verzweifelt. Was meinte sie mit ,,Jugendstil " und was sind klassizistische Stilelemente" ? Teufel noch mal, " mu nachher gleich Manfred danach fragen ! Aber er wollte sich keine Ble geben und fragte vorsichtig : Was hat das mit dem " Fliegenden Hollnder zu tun? " Sie erriet, da er sich unsicher fhlte, und half ihm mit einem Scherz ber die Situation hinweg. Er htte schon lngst von der " See verschwunden sein mssen, ehe Heinrich Heine ein Er lsungsmotiv in die um ihn gesponnene Sage einfhrte und Richard Wagner aus ihm einen Opernhelden machte. " Sie fuhr ernsthaft fort : " Ganz modern sind unsere Seebder nicht gerade. Jetzt gibt ja die Regierung viel Geld aus, um die sani tren Verhltnisse zu verbessern, aber noch vor kurzem, denk' mal, hatte Bansin keine Kanalisation. Zinnowitz hatte vor vier Jahren noch nicht einmal Wasserleitung. Whrend der kapita listischen Zeit gab man fr so was kein Geld aus. Weit du, da dieses Jahr zweihundertdreiigtausend Urlauber auf die lnsd kommen? Kinderferienlager und Sonntagsausflgler nicht mitgerechnet. Ach, weit du, frher . . . Hier in Bansin gab es nur eine einklassige Schule. " Sie schwleg, und jeder hing seinen Gedanken nach. Heinz fand, geflster. Als sie das Kulturhaus erreichten, warteten die anderen sd1on auf sie. Wo seid ihr nur so lange geblieben? " " Ehe sie in den Saal gingen, blid<:te Heinz noch einmal ber das Gelnde am Strand, auf dem einst die Seebrd<:e stand. lngrid stellte sich neben ihn. " Die Seebrd<:e wird wieder aufgebaut.
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Sie soll so weit in die See hinausfhren, da Schiffe der ,Weien Flotte', die Bderdampfer, anlegen knnen. Vielleicht knnen wir dann " , lngrid flsterte und wurde etwas rot, ,.zusammen eine Dampferfahrt machen? " Heinz drckte ihren Arm. wir nach Hause, ruft uns schnell eine Taxe ! " Nach der Vorstellung hatten es die Mdchen eilig. Nun mssen "
Heinz war das ganz und gar nicht recht. Der Abend fngt dod1 " erst an " , bettelte er. lngrid wre wohl auch noch gern geblieben, aber sie mute sich nach ihren Freundinnen richten. Wir kom " men morgen abend noch einmal her, zum Strandfest. Wenn ihr um sieben hier seid . . . " Manfred blickte unschlssig die Freunde an. Wir wollen doch " morgen nach Trassenheide weiterfahren. " Heinz zupfte sidt an der Nase. Argerlieh war das, hchst fatal. Knnte man nicht noch einen einzigen Tag . . . ?" " Manfred begriff, in welcher Verfassung sich Heinz befand.
"Wenn wir morgen noch hierbleiben wollen, mssen wir eben bermorgen in aller Frhe losfahren. Das Zelt und das andere Gepck mtet ihr dann in Uckeritz oder Klpinsee als Expre gut aufgeben, damit wir schneller fahren knnen. Wir sind dann allerdings erst abends in Wolgast. " Macht ni<:hts ! " rief Heinz erfreut. Auch Fritz und Eddi er " klrten sich einverstanden. Pat ganz gut, da wir zum Ab " schied ein Strandfest mitmachen knnen. " Als sie nach Hause gingen, fragte Manfred wie nebenbei : ,.Na, l!abt ihr euch mit den ,Bauernmdchen' unterhalten knnen ? " Die Freunde schwiegen verlegen. Schlielich platzte Heinz her aus : ,.Die lngrid ist mchtig beschlagen. Ihr Mundwerk ist schneller als ein Auto. "
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Manfred erzhlte ihnen, da heute viele Bauernkinder die Mit tel- oder Oberschule besuchen. Helga, die lteste der vier Md chen, sei Lehrerin, sie helfe nur ihren Eltern whrend der Ernte . .,Deine lngrid " - er stie Heinz an - .,ist auch nicht von Pappe. Du mut dich tchtig ranhalten, wenn du mit der mitkommen willst." Heinz schlief schlecht in dieser Nacht. Seit den frhen Morgenstunden suthten seine Augen den Him mel nach etwaigen verdchtigen Regenwolken ab. Wo er nur Nachrichten aus einem Kofferradio hrte, sprang er hinzu, um vielleicht ein Stck vom Wetterbericht zu erhaschen. Manfred telefonierte an diesem Vormittag mehrmals ; er wollte den Freunden fr den letzten Tag ihres Aufenthalts auf der Insel Usedom eine Uberraschung bereiten - als Abschieds geschenk. Den Nachmittag verbrachten sie am Strand. Danach packten sie ihre Sachen soweit wie mglich zusammen. Am nchsten Morgen wollten sie keine Zeit damit verlieren. Sie rumten ihren Zelt platz auf, trugen leere Konservenbchsen und Glasflaschen zur Mllgrube und meldeten sich fr den nchsten Tag beim Zelt wart ab . .,Morgen fahren wir nun, Vater Schutz ! " .,Habt ihr alles in Ordnung gebracht? Na, denn tschs ook. Nchstes Jahr sollt ihr wieder einen schnen Platz haben ! " Whrend sie durch Bansin schlenderten, flel Fritz etwas ein . .,Ich soll meiner Schwester ein Andenken mitbringen, das htte ich beinahe vergessen. " " .,Du kannst ja morgen in Zinnowitz oder Koserow was kaufen , riet ihm Manfred. ,.Hast du an etwas Bestimmtes gedacht? " .,Was ich hier in den Geschften gesehen habe, gefllt mir nicht. 1 87
Wenn auf einem Kstchen oder einem Briefffner eine Mwe klebt und darunter sinnig ,Gru aus dem Seebad Bansin' gepinselt ist, - ich wei nicht, dafr ist mir das Geld zu schade. " "Man bekommt doch auch kleine Bilder mit Seelandschaften" , gab Heinz zu bedenken. " Hast du dir mal diese Bilder genau angesehen? Das ist doch alles ber einen Leisten gemacht. Weit du, wie ich mir ein solches sogenanntes ,Maleratelier' vorstelle: dutzende Staffe kleckst zu werden. Der Maler mischt einen Wassereimer voll leien, auf denen weie Kartons darauf warten, mit Farben be
blaugrauer Farbe fr den Himmel, und dann bemalt er die Kartons einen Himmel. Nun mischt er Blau und Grn und schafft auf allen Bildern das Wasser. Auf diese Weise fabriziert er binnen weniger Stunden ein paar Dutzend ,Gemlde' . . . " " Ich mchte etwas, was typisch fr die Ostseekste ist, dabei
Bilder der Reihe nach, bis der Pott leer ist. Dann haben alle
billig und fonnschn. Die Allerweltsandenken, die hier ange boten werden, verderben doch nur den Geschmack, finde ich. " Manfred mute Fritz recht geben. " Du mut mal suchen, dann wirst du schon was Schnes finden. Freilich sind kunstgewerb liche Arbeiten teurer als der bliche Abziehbilderkitsdt. In Freest, das ist ein Fischerdorf auf dem Festland, nrdlich von Wolgast, stellt man sehr schne Fischerteppiche her, das wre schon so etwas. Nur drfte der Preis deine Ersparnisse bei wei tem berschreiten. Manchmal findet man auch ansprechende Bernstein- oder Emailarbeiten. Du mut eben suchen. Vielleicht knnen wir uns morgen vormittag einmal ein rimtiges Maler atelier ansehen. Wrde euch das interessieren?" Die Freunde fragten gleich nach Namen und Ort, doch Manfred sagte nur: " Morgen werdet ihr alles sehen. "
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Die Mdchen verspteten sich. Erhitzt und bermtig trafen sie endlich am Treffpunkt ein. " Unser Autobus hatte Versptung." Gemeinsam bummelten sie durch den Badeort, der sich in eine wahre Lichterpracht gekleidet hatte. Die See hllte sich immer mehr in ihr dsteres Nachtgewand. Der letzte kupferne Schein der Sonne, die schon lngst am Horizont versunken war, wurde schnell von der Finsternis aufgesogen. Vor der Swina-Mndung lagen fnf Lichterschnre : Fracht dampfer, die auf Lotsen warteten, der sie durch die schmale Fahrrinne des Oderhaffs nach Szczecin fhren soll. "Wenn wir jetzt in ein Boot stiegen und geradeaus nach Norden segelten, wohin kmen wir dann? " " Wir kmen nach Schweden, in die Provinz Schonen . . . " ln grid spann Heinemanns Gedanken weiter. " . . . Und steuerten wir nordost, so knnten wir in Finnland an Land steigen. " "Schne Lnder, friedliche Lnder liegen am Gestade der Ost see, doch au solche, die zur NATO gehren. Aber wir sind gewi, die Ostsee wird ein Meer des Friedens sein und keine benutzen mchte. " ,unzerstrbare Rollbahn', als die sie ein westdeutscher Admiral " " Wieviel Lnder grenzen an die Ostsee? lngrid antwortete mit den Versen des Dichters Kuba :
" Sieben stolze, wundervolle Schwestern kt das eine Meer . . . " Blasmusik kam ihnen entgegen ; hinter der Kapelle wogte in vielen Reihen nebeneinander ein Strom von Fackeln und Lam pions. Ihr Schein rtete die Gesichter der Marschierenden und der Zuschauer, die am Wege standen. Am Festort war es zauberhaft. Bunte Lampions gossen ber Menschen und Strand ein vielfarbiges zittriges Licht. Tanz musik erklang, und auf allen Tanzflchen drehten sich die Paare froh und ausgelassen.
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Die Nadtt war wann und weich wie Samt. Das Ladten der Frauen, das eintnige Klatsdten der Wellen, die rhythmisdte Musik und das farbige Lidtt, das gleidt hinter der Bhne von der Dunkelheit versdtluckt wurde, sdtufen eine berausdtende Stimmung. Die leimte Brise von der See her mute viele heie Gesidtter khlen. lngrid und Heinz lieen keinen Tanz aus, !amten und freuten sidt, flsterten und wuten nidtt, was sie eben gesagt hatten. Das Lidtt zauberte Glanz auf ihre dunklen Haare und Funken in die weit geffneten Augen. Sie ermdeten. ,.Komm, wir gehen ein wenig am Strand ent lang." lngrid zog den leimten Sommermantel um die Sdtultern und nahm Heinemanns Ann. Didtt am Wasser sdtritten sie lang sam dahin. Prdten taudtten auf wie Gespenster und versanken sogleim wieder im dmmrigen Dunkel. Sie sdtwiegen. Eine Nadtt an der See ist unvergleidtlidt: man sprt die vielen Mensdten, fhlt sidt geborgen unter ihnen und hat dennodt die Natur fr sidt. Fisdterboote lagen am Strand. Die Ankertaue bildeten im Dun kel gefhrliche Fallstri&e. Heinz reimte Ingrid sttzend die Hand. Sie hielt ihn zurck. " Sieh mal - da ! " Es klang wie ein Seufzer. Der Mond stieg wie eine Blutorangensdteibe am dunstigen Nadtthimmel empor. Aneinandergesdtmiegt sahen sie zu, bis er unwahrsdteinlidt gro ber der Tiefe hing. lngrid drngte sidt enger an Heinz. Die See lag dunkel vor ihnen. Es rod!. strker als sonst nadt Tang und Fisdt.
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" " Wir wollen zurckgehen , flsterte sie. Doch der groe Junge blieb vor ihr stehen. " lngrid" , stammelte er und tastete nach ihren Armen. Da nahm sie impulsiv sein Gesicht in ihre Hnde und kte ihn auf den Mund. " Richtige grne Gluteraugen hast du . . .
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Als er aber mit ungeschickter Bewegung nach ihrer Schulter griff, ri sie sich los und lief auf die Lichter des Festes zu. Heinz hetzte ihr nach. Sie lachten und keuchten beide von der nchtlichen Jagd am Strand, und sie lie sich willig umfassen und bot ihm ihre Lippen, die halb geffnet und frisch und weich wie morgenfeuchte Blten waren. Whrend sie wieder zur Tanzflche zurckgingen, schwrmten sie sich' alle Torheiten vor, die unter verliebten Leuten blich " " Ich hab' dich gleich gemocht. " ",ch didt auch. " " Wirst du mir schreiben? Sie tanzten einen wehmtigen Tango. Abschiedsstimmung wollte sich breitmachen, doch lngrid kmpfte tapfer dagegen. "Wir wollen die anderen suchen ! " Es wurde ein wunderschner Abend. Lange nach Mitternacht erst krochen die Freunde ins Zelt. sind.
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IX
gen Stunden wachrttelte, weil die Zeit der Abfahrt gekommen war, murrten sie und weigerten sich, aus den Decken zu Als Manfred merkte, da gutes Zureden nichts helfen wollte, trug er das Gepck aus dem Zelt und bereitete einen starken Tee. Bis auf ein Quentehen Butter und ein halbes Brot waren ihre Lebensmittelvorrte aufgebraucht. Sie hatten bei den Mahl zeiten tchtig zugelangt. Manfred hatte sie dazu angehalten. " Wenn man sidt erholen will, mu man vor allen Dingen gut essen" , pflegte er zu sagen, wenn er die Blechteller zum sechsten Male fllte. Obwohl Manfred keineswegs leise hantiert hatte, schliefen die Freunde schon wieder. Noch einmal sah er ins Zelt. "Los, aufstehen ! Hchste Zeit !" Die drei wlzten sich auf die andere Seite, murmelten undeutlich und pennten weiter. Hier half nur Gewalt. Manfred zog die Hringe aus der Erde, lste die Schnre und ri die Zeltstcke nieder. Das Zelt klappte zusammen wie eine leere Ballonhlle. Und siehe da, unter der grauen Leinwand regte skb Leben, sie beulte sich, wlbte sich, undeutliche Schimpfworte drangen hervor. Manfred zog die Zeltleinwand mit einem Ruck beiseite. Die Jungen saen auf redlt und schauten mit blden Augen in das Morgenlicht.
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Sie brummten, bequemten sich aber nun doch zum Aufstehen. Das Morgenbad machte sie vllig munter. Nach dem Frhstck rollten sie das Zelt zusammen und ord neten ihr briges Gepck. Eduard fegte den Platz noch mit einem Kicternzweig, und die anderen schnallten die Lasten auf die Gepcktrger. In den Nachbarzelten regte sich noch nichts. Nur einige Frh aufsteher gingen schon zum Strand. Da sie sich' nicht von den Zeltnachbarn persnlich verabschieden konnten, schrieb Heinz schnell noch einen Gru mit groen Buchstaben in den Sand. Man hatte sich versprochen, Adressen auszutauschen und sich zu schreiben, aber morgen wrde dieser Vorsatz bestimmt schon vergessen sein. Mhsam schoben die Jungen ihre Rder durch den losen Dnen sand. Weil es so spt geworden war, hatte Manfred vorge sdtlagen, direkt am Wasser entlang bis nam Klpinsee zu fah ren und erst dort das Gepck aufzugeben. Das sei der krzeste Weg. Sie flitzten ber den feudtten Sand. Mandlmal spritzte das Wasser unter den Reifen. Am Horizont lie ein Dampfer seine Rauchfahne in den Himmel kruseln. Im Osten stieg eine Wol kenwand herauf. Als sie sich vor die Sonne sdtob, bekam der glitzernde Wasserspiegel dunkle Flecken. Die Huser von Klpinsee stehen malerisdt unter hohen Laub bumen oder auf den Auslufern des Streckelsberges. Der Ort ist ein Teil der Gemeinde Loddin und so klein, da er nimt ein mal eine ffentlime Gaststtte besitzt. Gleidt hinter den Strand dnen liegt der Klpinsee, von dem die Kolonie ihren Namen hat. Er verlandet allmhlidt; doch nom ist er flsdtreidt, und wer Lust hat, kann hier angeln. Die Berliner gaben ihr Gepck auf und lieen audt die Fahr193
rder am Bahnhof, weil sie zum Kliff des Stredcelsberges empor steigen wollten. Sie schlenderten zum Strand zurdc, vorbei am Heim fr elternlose oder erholungsbedrftige Kinder "Sophie Scholl" . I n solche Heime wie dieses zogen i n den Jahren nach 1 945 allein auf Usedom tausende elternlose Kinder ein, die als bedauerns werteste Opfer des Krieges umherirrten und zu verwahrlosen drohten. Die Heime entwidcelten sich zu wohlgeleiteten und modern ausgestatteten Anstalten. Ein ansteigender Weg fhrte durch den lichten Wald zum Kliff. Pltzlich standen die Jungen am Rande des Abgrunds. Unter sich sahen sie den Strand und die gesdtwungene Kstenlinie bis hin nach Bansin. Der Wind bewegte das Meer, und jede kleine Weile funkelte fr sich. Dicht am Kliff entlang wanderten sie auf Koserow zu. Der Weg wurde schmal wie ein Wildpfad, ungewhnlich groe Sanddorn strucher und mchtige Buchen berschatteten ihn. Sie sahen Bume, die quer ber dem Abgrund hingen, sich nur noch mit wenigen Wurzeln ins Erdreich klammernd, und erkannten, wie gewaltig die See am hohen Kliff des Streckeisberges nagte und ri. Von der hchsten Stelle aus, etwa sechzig Meter ber dem Wasserspiegel, genossen sie eine herrliche Aussicht. Die Ostsee breitete sich weit vor ihnen aus. Vor lauter Glanz und Glitzern taten ihnen die Augen weh. Weithin schwingt sich nach beiden Seiten der Strand. Steinbepadcte Buhnen dringen wie kleine Hafenmauem in die See vor und teilen das Ufer in gleich mige Abschnitte. Aus dieser Hhe sehen Menschen unten am Fu des Berges winzig klein aus. Im Nordwesten hebt sich die Greifswalder Oie aus der Aut. Die kleine Insel, vom Stredcelsberg etwa 23 km entfernt, trgt
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einen Leuchtturm, dessen nchtlich kreisender Lichtstrahl jeden Kstenbewohner auf Usedom heimatlieft grt. Frher ein beliebtes Ausflugsziel, ist die Oie seit 1 954 der Forschungsanstalt fr Tierseuchen bergeben worden, deren Hauptsitz sich auf der Insel Riems im Greifswalder Bodden be findet. Da in diesem Institut kranke Tiere gehalten werden mssen, an denen Wissenschaftler die Wirksamkeit neu ent wickelter Seren und Vakzine (Impfstoffe) ausprobieren, und da jede Ubertragung von Krankheitserregern von auen her ver mieden werden mu - sollen die Forschungsergebnisse einwand frei sein -, kann die Insel nur mit Erlaubnis des Instituts be treten werden. Diese Manahme ist verstndlich, wenn man wei, da auf der Oie vor allem nach Mitteln gegen die Maul und Klauenseuche geforscht wird, jener Krankheit, die in der Vergangenheit den Viehbestand ganzer Lnder dezimierte. In Koserow kaufte Fritz ein Andenken fr seine Schwester, eine Bemsteinarbeit. Die Ausgabe ri ein gewaltiges Loch in seinen Geldbeutel. .,Es wird leider Zeit, da wir nach Hause fahren " , meinte er, als er seine schmale Barschaft zhlte. Eine Treppe fhrte zum Strand hinunter. Dann kletterten die Freunde ber die Brandungsmauer, die einen Teil des Streckeis berges vor weiterer Abrasion* schtzen soll. Dieses Bauwerk aus Beton und groen Steinblcken ist ber dreihundert Meter lang und so breit, da auf der Mauerkrone bequem sechs Per sonen nebeneinander gehen knnen. Es wurde um 1896 ge schaffen, weil ein Seezeichen, das auf dem Streckeisberg stand, durch den stetigen Landverlust gefhrdet schien. Zwh;dten Koserow und Zempin holt sich die See auch heute noch bis zu einem dreiviertel Meter Land jhrlich. Frher, als noch keine Buhnen und knstlich angelegte und bepflanzte Dnen die
Sturmfluten bremsten, betrug der Verlust mitunter mehrere Meter. Im Laufe der Jahrzehnte muten viele Huser abge brochen werden, weil der Grund, auf dem sie standen, weg gesplt wurde. Die Brandungsmauer ermglichte, da auf dem Berg ein schner Buchenwald wadtsen konnte, die Zierde Koserows. Seit einem Jahr ist der Wald zum Naturschutzgebiet erklrt worden. Da whrend des zweiten Weltkrieges nichts an der Mauer getan wurde, konnte die See ein Stck auf der Ostseite untersplen. Die Mauer brach zusammen, und an dieser Stelle reit nun die See Jahr auf Jahr Erde, Sand und Bume aus dem Steilufer, so da allmhlich eine Schludtt entsteht, die den Berg in zwei Teile trennt. Wenn man bei s chnem Sommerwetter am Kliff steht, gleicht das Meer einem schlafenden Ktzchen, so friedlich liegt es vor einem, und die Urlauber, die es nur wenige Wochen whrend des Sommers sehen, glauben, es sei" immer so. Aber sie kennen nicht den Nordost, der die Fluten peitscht, da sie zu brllen und zu toben beginnen. Die See trmt sich dann von Stunde zu Stunde gewaltiger, immer wilder rast sie heran; immer hher schumen die Bre mer auf und spritzen donnernd den fetzigen Schaum empor. Im Zurckfluten reien sie Stck um Stck aus dem Steilhang, bis der Abhang in sich zusammenrutscht. Mchtige Bume recken dann auf einmal nackte Wurzeln in die Luft, neigen sich nach vorn, rutschen den Hang hinunter und verschwinden mit Sand und Steinen in den tobenden Wassern, werden umhergewirbelt, zersplittert, geknickt, :zerbrochen. Frchterlich kann die See sein. Unermdlich, sich immer mehr steigernd, rennt sie gegen das Ufer an. Anlaufen -;- zurckfluten,
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anlaufen - zurckfluten, Sand und Holz mit sich reiend und gleich darauf wieder in neuem Anlauf die abgesplten Massen als Rammbock gegen den Berg schleudernd. Immer wieder, immer wieder - unerbittlich. Und doch nicht Sieger. Wenn sidt nach scheinbar endlosen Stunden oder Tagen der Sturm gelegt hat, leckt die See wieder klein und machtlos am Vorstrand. Dann kommen die Mnner des Kstenschutzes, die whrend des Sturmes der Steilkste wenig Aufmerksamkeit schenken knnen, weil Deiche und andere gefhrdete Stellen ihre ganze Kraft in Anspruch nehmen, besehen sich den Scha den und suchen nach neuen Mitteln und Wegen, der See das Naschen am Kliff zu verwehren. Manfred deutete auf die See hinaus. ,.Da drauen soll, der Sage nach, die Stadt Vineta gelegen haben, von der ich eud1 auf dem Dampfer erzhlte. Wenn man die Sturmfluten kennt, die in jedem Jahrhundert mehrmals die Kste verheeren, und wei, da allein im Gebiet des Streckeisberges in den letzten dreihundert Jahren ein Kstenstreifen von mehreren hundert Metern Breite von der See vernichtet wurde, wird es verstndlich, da aberglubisdte Mnche, Bauern und Fischer im Mittelalter den Standort dieser Stadt dort suchten, wo einige Kilometer vor dem Strand Felsen aus dem Meere ragten und Gesteinstrmmer die Netze zerris sen. Sie nannten diese Klippen das ,Vinetariff' und behaupteten, sie htten bei klarem Wetter Sulen und Marmorfiguren, sogar ganze Huser und Straenfluchten auf dem Meeresgrunde ge sehen. Nicht, da sie gelogen htten. Seeleute und Fischer lgen nicht, wenn ihre Erzhlungen manchmal auch unglaubwrdig klingen. Aber die See ist so weit, der Wind flstert so viel, die Wolken ballen und wandeln sich, geben der Phantasie Gratis201
Vorstellungen - da sieht und glaubt man manches, was andere vom sicheren Festland aus eben nicht sehen und glauben. Dem Seemann des Segelschiffszeitalters war die See berdies ein lebendiges Wesen, das man berlisten, mit dem man kmp fen mute, wollte man sicher das ferne Ziel erreichen. So ent standen die Geschichten vom Klabautermann und den Seejung frauen, vom Unglcksbringer Jonas und von versunkenen Stdten. Noch im vorigen Jahrhundert glaubte der Koserower Pastor und Schriftsteller Meinhold, der durch seinen heute noch lesens werten Roman ,Die Bemsteinhexe' bekannt wurde, fest daran, da die verschollene Stadt am Vinetariff gelegen habe. Als dessen Steine fr den Bau der Hafenmole in Swinemnde ge brochen wurden, eiferte er unermdlich gegen dieses Vorgehen. Eingehende Untersuchungen durch Taucher bewiesen jedoch, da es sich wirklich nur um ein diluviales Riff handelte. Obwohl man heute wei, da die Stadt Vineta mit der Wenden stadt Jumne identisch ist, die vor tausend Jahren auf der Insel Wollin erblhte und verdarb, gewhren Schriftsteller der ver sunkenen Stadt noch immer eine Heimat auf dem Grunde der Ostsee: Selma Lagertff lt den Helden ihres Kinderbuches ,Des kleinen Nils Holgersen wunderbare Reisen mit den Wild gnsen' die verflud1te Stadt aufsuchen und beinahe erlsen, und der berhmte Arzt Dr. Schleich, der Erflnder der rtlichen Be tubung und ein begabter Schriftsteller, gestaltet den Besuch Vinetas zum Hhepunkt seines romantischen Buches ,Es luten die Glocl<en'. Aber wir wissen ja, da die Wirklichkeit anders war. " Sie horchten in den Wind. Klangen da nicht doch Glocl<en aus den Ruten? Reckten sich da drauen nicht doch blitzende Zin nen und flnstere Trme? 0 Phantasie, wie gefhrlich ist dein
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Hang zu romantischen Trumen. Nicht jeder kann sich in ihnen wie Heinrich Heine auf die Gegenwart besinnen, iri Versen, die geradewegs auf Vineta bezogen sein knnten : Im Mondenglanze ruht das Meer, Die Wogen murmeln leise; Mir wird das Herz so bang und schwer, Id1 denk der alten Weise. Der alten Weise, die uns singt Von den verlorneo Stdten, Wo aus dem Meeresgrunde klingt Glockengelut und Beten Das Luten und das Beten, wit, Wird nicht den Stdten frommen, Denn was einmal begraben ist, Das kann nicht wiederkommen. Die Freunde holten ihre Fahrrder vom Klpinseer Bahnhof ab und fuhren die Kstenstrae entlang nach Koserow. Auf der Dorfstrae standen Dutzende von Autos, auf den Brgersteigen drngten sich die Urlauber wie in einer Grostadt. Sie waren froh, als sie den Ort hinter sich gebracht hatten, denn die Verkehrsdichte nahm an manchen Stellen, besonders dort, wo Nebenstraen abzweigten, gefhrliche Formen an. Am Westausgang von Koserow stiegen sie erst einmal ab. Sie wollten sich die Westseite des Strandes ansehen. Abseits vom Strand entdeckten sie eine Anzahl kleiner, meist rohrgedeckter Buden : Gertesd1Uppen der Koserower Fischer. In ihnen bewahren sie Netze, Wasserstiefel, Ruder und Fisch kisten auf und was sonst noch fr ihren Beruf ntig ist.
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Diese kleinen Huschen, die geduckt unter den Bumen stehen, gleichen einem Urwalddorf. Auf Holzgersten trocknete haar feines Fanggesd1irr in langen Bahnen, an denen alte Mnner kntteten. Sie stachen mit Nadeln, die einem Weberschiffchen glimen, in die Maschen und schlossen mit kunstvollen Schlingen die Lcher, die Sturm, Raubfische oder scharfkantige Wrack teile gerissen hatten. Vom Strand her stapfte ein Fisd1er in hohen Gummistiefeln heran. Ober dem Rcken trug er einen Kescher voll Fisd1e. Er momte eben vom Fang zurckgekehrt sein. Whrend er sim umkleidete, sortierte seine Frau die Beute in Fismkisten. Viel war es nimt; ein Dutzend Aale, etwa doppelt soviel Sd10llen und einige Dorsche. Vielleicht hatte er nur seine Angeln nachgesehen. Die Fische lebten noch, schlugen mit den Schwnzen und rissen die Muler weit auf. So frisch wollen die Kstenbewohner den Fisch haben. Wenn er nimt mehr zappelt, gilt er der einkaufenden Hausfrau als bedenklich alt. Einige Tiere blieben brig, zwei Spannen lang, mit braunem, geflecktem Rcken und weiem Bauch, unter dem mehrere dnne Fden krampfhaft zuckten. ,.Seeteufel. Man kann sie essen" , meinte der Fisd1er, ,.aber es ist nidlt viel dran." Eddi schttelte sich. ,.Scheuliche Viecher." Die See macht wortkarg. Dennoch sind die Kstenbewohner keineswegs unzugnglich oder mrrisch. Oft ist ihnen ein trok kener Humor eigen, der den Gesprchspartner leicht in Ver legenheit setzt, weil er nidtt gleich begreift, wie es gemeint ist. Heinz fragte einen der Netzemamer, ob sich wohl das Wetter halte. Der besah sid1 in Ruhe den Himmel, prfte den Wind und meinte : ,.Mit dem Wder, dat will ich en seggen : W'nn't sim nich nnert, dann bliv't so!"
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Heinz verstand ihn nicht. Als er noch einmal fragen wollte, zog ihn Manfred, der sich ein Grienen nicht verbeien konnte, weiter. Koserow und Udceritz waren in den vergangenen Jahrhunder ten reine Bauern- und Fischerdrfer. Aber wenn der Fischfang nid1t gewesen wre, dann htten die wenigen Einwohner sich manchmal wohl kaum sattessen knnen, denn den Sandckern war nicht viel abzugewinnen. Anfang des neunzehnten Jahr hunderts kosteten Fische aber weniger als Brot und Kartoffeln, so da mit dem Verkauf auch keine Reichtmer zu gewinnen waren. Also a man Fisch, mal gekocht, mal gebraten, mal ge ruchert, mal mariniert - zu jeder Mahlzeit. Aus jener Zeit stammt folgende Anekdote : " Zu einem Tudcer (Fischer) kam einst ein armer Wanderer und bat um ein Almosen. Da gerade das Mittagessen auf dem Tisch stand - Kartoffeln und Fische -, wurde er aufgefordert, mit zuessen. Der Fremde wollte bescheiden sein und a nur Kartof feln. Eine Weile sah sich das der Wirt ruhig mit an, dann sprang er zornig auf und rief: ,Lchting, frett Fisch, Tften sind der !'" Heute haben die Fischer solche Sorgen nicht mehr, obwohl die Gewsser im Gebiet der Odermndung bei weitem nicht mehr so fisd1reich sind wie frher. Aber die Fischereigenossenschaften garantieren einen stndigen Aufkauf der Fnge und sorgen auch fr Materialbelieferung, ohne da Gro-, Zwischen- und Kleinhndler noch ihre Profite herausschlagen knnen. Hinter Koserow beginnt der Seedeich, der die Strae fast bis nach Zempin begleitet. Sdlich der Strae breitet sich flaches Wiesengelnde, und hinter einem niedrigen Deich, der das Land auch von dieser Seite schtzt, blaut das Achterwasser. Auf der Wiese, dicht an der Strae, erinnert eine Tafel daran, da hier vor ber achtzig Jahren das Vorwerk Damerow durch
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eine Sturmflut vernichtet wurde. Hier ist die schmalste Stelle der Insel : ein Landstreifen von nur dreihundertdreiig Meter Breite trennt die Ostsee vom Achterwasser. Hier versucht die See immer wieder, mit Sturmfluten die Insel Usedom in zwei Teile zu zerreien. Das letzte Mal gld::te ihr ein Durchbrud1 in der Silvesternamt 1 91 3/1 4. Aus jedem Jahrhundert berichten die Chronisten ber mehrere Sturmfluten, die an der gesamten Kste und aum in den Orten an der Peene und dem Amterwasser groe Zerstrungen ver ursamt haben. Wenn der Orkan das Wasser in die Peene drd::t, steigt der Pegelstand noch bei Warthe im Lieper Win kel um ein bis zwei Meter. Seit dem t . Weltkrieg sind solche Grosmden nimt mehr ent standen, wenn man von den Zerstrungen an den Smutzbauten und den Steilksten absieht. Zwar sind die Naturgewalten nimt zahmer geworden, aber der Mensm hat es verstanden, dem Wasser so viele Bollwerke entgegenzusetzen, da seine Kraft an ihnen erlahmen mu. Auf der Landseite ist die Insel fast vllig eingedeidlt, und auf der Seeseite bernehmen sorgfltig unter haltene Dnen, Vordnen, Vorwlder, Buhnen und Deiche den Schutz. Die Binnendeidie werden von Deimverbnden der An lieger berwamt. Wenn jetzt wirktim einmal die See ber mmtig zu werden droht (wie es 1 954 und 1 957 der Fall war), gibt der Rat des Bezirkes Rostod:: Homwasseralarm. Dann sam meln sim die Mnner im bedrohten Gebiet, die Verbnde der Nationalen Volksarmee eilen mit ihren Fahrzeugen herbei, Feuerwehr, Mitglieder der Massenorganisationen, Belegsmaften der gefhrdeten Betriebe - alle stehen bereit. Durm modernste temnisme Hilfsmittel und aufopferungsvollen Einsatz der Men sdlen, die wissen, was sie smtzen, konnte in den letzten Jahren die Gefahr stets gebannt werden.
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Am Riek, jenem kleinen Kanal an der schmalsten Stelle der Insel, stehen zwei Huschen. Vor der Gartentr hngt eine rot gestrichene Schiffsglocke. Hier wohnt der Kunstmaler Nie meyer-Holstein. Manfred, der ihn gut kannte, hatte ihn gebeten, Achterwasser zu fahren. Das Boot war sc;hon segelklar, als sie in "Lttenort" eintrafen. Nach kurzer Vorstellung wurden die hoch, das Boot legte sich sanft auf die Seite und bekam Fahrt. Sie hielten auf die Insel Grmitz zu, die der Halbinsel Gnjtz vorgelagert ist. Sie glitten durch den Tweelen, der die Insel von der Halbinsel trennt. Auf Grmitz befindet sich eine Klberaufzuchtstation, die einen tuberkulosefreien Jungviehbestand aufziehen soll. Dort soll auch eine Wassergeflgelzucht eingerichtet werden. Die Halbinsel Gnitz ragt tief ins Achterwasser hinein. Hier gibt es vllig unberhrte Fleckchen, mancherlei seltene Pflanzen und Tiere. Man kann tagelang dort umherwandern und tlndet dod1 immer neue, interessante Ausblicke und Naturdenkmler. Des halb wurde die Halbinsel auch zum Naturschutzgebiet erklrt. Der Gnitz ist an vielen Stellen unwegsam und sumpfig, so da es nicht ratsam ist, ohne kundige Begleitung in diese unbe rhrte Landschaft einzudringen. Die Sdspitze ragt wie ein Kap in die Peene. Auf der Westseite liegt der Weie Berg. Hier trugen in vergangenen Jahrhunder ten Wind und Flut alljhrlich den leichten Boden weg, so da " der helle Sand weit leuchtet. Die Bezeichnung "Weier Berg findet sich hufig auf Usedom. Auch der Streckeisberg hie so, bevor ihn Oberfrster Strecke! aufforstete. Auf der Peene zogen Schleppzge stromaufwrts. Der vier kantige Turm der Kleinstadt Lassan schaut trutzig herber.
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"Klar zur Wende - Reeee ! " Der Steuermann legte das Ruder hart Steuerbord, das Boot beschrieb einen eleganten Bogen. Sie hielten jetzt auf den keulenfrmigen Lieper Winkel zu. Das Land ist hier zumeist sandig, die Bodenwertzahl entsprechend niedrig. Armselige Kiefern, die ihre krppligen ste wie schutz suchend ineinander verkrampfen, als wollten sie sich gegenseitig vor den eisigen Nordostwinden schtzen, beleben die weite Flche des Landes. Die Halbinsel hat ihren Namen nach dem Dorf Liepe erhalten. Hier hat sich eine eigeilstndige Kultur entwickelt, weil ausge dehnte Wlder diesen Teil von der Insel trennten. Noch vor hundert Jahren trug man hier eine Volkstracht. Die faltigen Kantenrcke, die bereinandergetragen wurden, waren durch gelbe, rote, blaue oder violette Querstreifen verziert ; dazu kam ein kurzes Mieder, eine kleine, gestreifte Schrze, ein Brusttuch und ein schwarzes Hubchen. Die Mnner waren mit einem weien Hemd, einer roten Weste mit schwarzen Streifen und einer Jacke mit blanken Knpfen bekleidet. Die weiten Leinenhosen erinnerten an die Tracht der Mnchguter Fischer. Jedes Mdchen stellte sich ihre Kleidung selbst her, wenn in den langen Winterabenden die Frauen und Mdchen zum Spinnen, Weben und Nhen zusammenkamen. Lnger erhalten hat sich die Lieper Bauernstube. Eckschrank, Tellerschap, eine lange Seitenbank, der Milchspind, die Wiege und alle anderen Mbel sind durch prachtvolle Schnitzereien verziert. Im Gegensatz zu anderen Gebieten an der Kste wurden im Lieper Winkel lange Zeit keine Zinngefe verwandt, sondern irdene Kannen und Tpfe, die auen roh und innen wei gla siert waren. Sie wurden speziell fr die "Winkelschen " her gestellt.
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Von alten Bruchen wird regelmig nur noch der " Fastel abend" begangen. Die Kinder verkleiden sich (kleiden sich aus, wie man hier sagt), binden sich eine Maske vor das Gesicht und ziehen von Haus zu Haus; berall fordern sie mit verstellter Stimme eine Gabe : Fasteloabend, Fasteloabend mit'n wi.tten Sd1immel, wer mi wat givt, de kmmt in'n Himmel, wer mi niks givt, die kmmt in de Hell , de krigt wat mit de Dwelskell. Das Boot passierte den Warther Haken und Grssower Ort. Vor ihnen zog sich die flache, waldige Rckseite der schmalen Mittelinsel hin. Nur westlich von Uckeritz schwang sie sich zum Loddiner Hft empor, dessen gelbe Sandnase sich deutlich vom dunklen Grn der flachen Wiesen abhob. Im Osten ffneten sich tiefe Buchten : der Krienker See und weiter nrdlich der Balmer und der Nepperminer See mit ihren niedrigen Werdern, auf denen Schafe weideten. Im Osten fiel das Hochufer nrdlich von Pudagla steil ab, bis zur Frsterei Stagnie, deren rotes Dach neben einer riesigen Eiche herbergrte. Lachen und Geschrei tnten vom Kinderferienlager herber, das die Eisen bahner Bitterfelds dort eingerichtet haben. Der Geologe bezeichnet dieses flache, moorige Wiesengebiet als "Pudagla-Pforte". Es ist, genau wie das Thurbruch, durch Ver landung entstanden. Interessant ist, da Brunnenbauer zwischen der Bk (einem Graben, der den Schmollensee mit dem Achter wasser verbindet) und der Eisenbahnstation Schmollensee bereits in sechzehn Meter Tiefe auf Salzwasser stieen, whrend die heilkrftige Heringsdorfer Sole aus zweitausend Meter Tiefe geholt werden mu. Geologisch gibt es auf der Insel Usedom
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berhaupt noch manche Fragen zu lsen : Welchen Umfang haben die Kreidevorkommen bei Garz, welche Sande lassen sich industriell verwerten, sei es als Formsand in Gieereien, sei es als Sd1leifmittel im Motorenbau, sei es als Zuschlag fr be stimmte Betonarten oder als Ausgangsmaterial fr die Gewin nung von Mineralien? Und gibt es in greren Tiefen Erdl? Herrlich war die Segelpartie auf dem Achterwasser. Viel zu frh fr die erlebnisdurstigen Berliner legte das Boot wieder am Riek an. Sie durften noch einen Blick in das Atelier des Malers werfen. " Die Landschaft hier hat mim gepackt" , erklrte ihnen Herr Niemeyer-Holstein, "mit ihren feinen Farbtnen zwismen grn und schwarz, mit ihrer eindringlichen Kraft und ihren derben, lebensstarken Gestalten. " Und wie von diesem Knstler hat die Insel nom mn manchem anderen Besitz ergriffen, der hier stndig wohnt oder malt. Die Freunde verabschiedeten sid1 von dem freundtimen Maler und fuhren weiter nach Zinnowitz, das neben Ahlbeck und Heringsdorf eines der grten Seebder Usedoms ist. Die Zinnowitzer Urlauber zeichnen sich durch ihr Auftreten aus, das so selbstbewut ist, als gehre ihnen der Ort samt Strand und Wald. Wrde man einen danach fragen, er wrde einen sicher verwundert ansehen und sagen : "Na und? Kann " das anders sein? Ich bin Bergmann ! Wer ist mehr? In Zinrf owitz erholen sich die Kumpel aus den Schchten des Erzgebirges. Die Wismut-AG hat ihren Arbeitern hier ein Erholungszentrum aufgebaut. Durch den neuen Geist, der nad1 dem Krieg hier einzog, hat sich Zinnowitz in wenigen Jahren in geradezu mrchenhaftem Tempo entwickelt. Es erhielt Wasser leitung und Kanalisation, ein groes Kulturhaus, ein Freilicht theater, " sein" Tennisturnier und vieles andere mehr.
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Zinnowitz war bereits vor dem zweiten Weltkrieg ein bekann tes Seebad, in dem " deutschnationale" Gutsbesitzer und der Adel dominierten, ein Bad, in dem die Kurverwaltung Rassen ha predigte, denn Juden waren hier schon vor Hitler nicht er wnscht - aber der erste deutsche Arbeiter-und-Bauern-Staat mute in Zinnowitz erst einmal moderne hygienische Verhlt nisse schaffen. Frher war eben das Geldverdienen die Haupt sache, whrend unserer Regierung Gesundheit und Lebens freude des arbeitenden Menschen am Herzen liegen. Die Geschichte von Zinnowitz lt sich ber sechshundert Jahre zurckverfolgen. Um 1 300 muten die wenigen Einwohner des kleinen Fischerdorfes Tzys dem Nonnenkloster Krummin fro nen. Als nach der Reformation das Kloster aufgelst wurde, ging das Dorf in herzoglichen Besitz ber. An der Heerstrae liegend, wurde es in den Kmpfen der folgenden Jahrhunderte oft in Mitleidensft gezogen und fast entvlkert. Friedrich II. errichtete hier eine Domne. Einer seiner Nach folger verkaufte sie 1 8 1 1 aus Geldnot fr 1 4 300 Taler in nied rigen Staatsobligationen an den geschftstchtigen Swinemn der Kaufmann, Reeder und Hintennano der Schmuggler, " Mil. I !ionen-Krause" . Der parzellierte sie mit riesigem Gewinn. Im Juni 1 851 erhielt die Gemeinde Zinnowitz die Erlaubnis, ein Seebad einzurichten. Wald wurde angepflanzt, und nach und nach wurden Hotels, Villen und Pensionen aufgebaut. Einen bedeutsamen Aufschwung nahm der Ort aber erst, als 1 91 1 endlich die Eisenbahnlinie von Heringsdorf bis nach Wolgaster Fhre verlngert wurde. Siebzehn Jahre hatten die eine Kon kurrenz frchtenden Aktionre des Seebades Heringsdorf die Weiterfhrung der Bahn erfolgreim hintertrieben. Erst ein Machtspruch der Provinzialregierung zwang sie, ihren Wider stand aufzugeben.
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Nach dem letzten Weltkrieg bot der Ort ein trostloses Bild. Jahrelang war kein Geld fr die Instandhaltung der Straen und Kurgebude ausgegeben worden. Es sah aus, als wrde sich Zinnowitz nicht mehr erholen. Nun, wie es sich erholt hat, sieht man, wenn man heute durch den Ort bummelt und die Augen aufmacht. Der Aufstieg begann, als die Fraktion der Sozialistischen Ein heitspartei im Gemeindeparlament die Fhrung bernahm. Vor allem der damalige Brgermeister Hans Kies, heute Bildhauer und Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Berlin, arbei tete energisch an der Beseitigung der durch den Krieg verursach- ten Schden. Er besa einen wackligen BMW-Dixi, der jeden Mitfahrlustigen abschrecken konnte. Stand das Vehikel vor einem Verwaltungsgebude oder vor einem Versammlungsraum, so wute jeder, da Hans Kies wieder einmal mit heien Wor ten und triftigen Argumenten fr die Interessen der Badeorte eintrat. Und mit was fr Schwierigkeiten war damals zu kmpfen ! Die Brcken lagen im Peenewasser, kein Eisenbahnwagen konnte mehr direkt auf die Insel gelangen, es sei denn ber polnisches Gebiet. Wie sollte die Insel mit Lebensmitteln und Brenn materialien versorgt werden? Bei Wolgast stellte eine Ponton fhre, von einem Dampferehen gezogen, unter schwierigsten Umstnden eine Personen- und Postverbindung her. Dann war in dem grimmigen Winter 1 946/47 das Fahrwasser zugefroren. Wer denkt heute noch an die Mnner, die es immer wieder aufschlugen? Dann wurden Bollwerke erneuert, auch in Zinno witz, damit wenigstens im Sommer Lebensmittel und andere Gter mit dem Schiff herbergebracht werden konnten. Neues Leben zog in die leerstehenden Huser am Strand. Doch deren Grokchen waren auf Gasbetrieb eingestellt, und das Gaswerk
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lag in dem jetzt polnisdten Swinoujscie. Bald strmte auch wieder Gas durdt die Fernleitung. Schon 1 947 kamen die ersten Urlauber durch den FDGB Feriendienst auf die Insel. Sie wurden von den einheimischen Vermietern mitrauisch betrachtet, weil sie so gar nicht den Kommerzienrten und Unternehmern der Vergangenheit glichen. Die groen Huser wurden nadt und nadt wieder her gerichtet. Zwei Millionen Mark kostete allein die Renovierung und Ausstattung des Hauses "Solidaritt" im Seebad Herings dorf. Wer vermag heute zu ermessen, was es bedeutete, als 1 949 in Zinnowitz wieder ein stndiges Kurorchester konzer tierte? Heute wird vieles schon wieder als Selbstverstndlichkeit hin genommen, aber wir sollten immer daran denken : woraus haben
wir uns das geschaffen !
Fritz machte die anderen auf einen ungewhnlichen Namen auf merksam. "Das Haus heit ,ter Morsche', das klingt so aus lndisch. Gehrt es einem Hollnder? " "Nein, mein Freund, dem Manne, der so hie, gehrte nicht ein Stein an diesem Hause. Er war Hollnder, hat aber fr das wahre Deutschland mehr geopfert als viele Deutsche : sein Leben. Er wurde 1 943 hingerichtet. " In Peenemnde, im westlichen Zipfel der Insel Usedom, hatten die deutschen Imperialisten ein riesiges Rstungswerk mit eige nem Kraftwerk und geheimnisvollen Anlagen bauen lassen : eine Versuchsanstalt fr Raketenbau. Das Werk hatte whrend des Krieges eine Belegsdtaft von 2 3 000 Arbeitern und Ange stellten, darunter viele Fremdarbeiter und Kriegsgefangene, die am Bau der Rakete A 4 (ihr Dedmame war V 2) mitarbeiten muten. Die Badeorte wurden mit Technikern und Offizieren
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belegt. Zwei frchterliche Luftangriffe kosteten Tausenden von Arbeitern das Leben. Antifaschisten bildeten in Zinnowitz ein Widerstandszentrum, das sich das Ziel gestellt hatte, Hitler zu strzen und den Einsatz der fliegenden Bomben zu verhindern. Der geistige Kopf der Widerstandsgruppe war der Prlat Dr. Lampert, ein katholischer Geistlicher, ehemaliger Leiter des katholischen Zeitungswesens in Osterreich. Nach mehrmona tiger Haft im Konzentrationslager Dachau wies ihm die Ge stapo Norddeutschland als Zwangsaufenthalt an. Doch auch dort setzte er den Widerstand gegen die Faschisten fort und knpfte sehr bald Beziehungen an zu Pfarrer Plonka aus Wol gast, zu Pfarrer Dr. Wachsmann aus Greifswald, zu Kuratus Leonhard Berger, zu dem Hollnder ter Morsche und an deren. Johannes ter Morsche war Mitglied der Kommunistischen Partei Hollands, hatte eine Deutsche geheiratet und lebte in der Kellerwohnung des Hauses, das heute seinen Namen trgt. Es gehrte den Stiefeltern seiner Frau. Das Nachbargebude, das sogenannte .,Waldbaus", gehrte Pfarrer Plonka. Ter Morsche, der als Hilfsarbeiter bei dem Pumpenbauer Paul beschftigt war, hatte erkannt, da nur eine feste Einheitsfront aller antifaschistischen Krfte zum Ziel fhren konnte, und er begann, mit den Geistlichen zusammenzuarbeiten. Er sammelte vorsidltig die in Zinnowitz lebenden Fremdarbeiter um sim und gewann durch Landsleute Einflu auf die auslndischen Arbeiter in Peenemnde. Besonders koordinierte er seine Arbeit mit der des Pfarrers Plonka, der oft vor polnischen Arbeitern predigte. Wenn Dr. Lampert im .,Waldbaus" zu Gast weilte, sandte Frau ter Morsdle an die eingeweihten Hollnder in Peenemnde eine Karte : Schne Gre von Onkel Otto. Dann wuten die
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Kampfgenossen, da neue Nachrichten oder neues Material auszutauschen waren. Bei dem damaligen Leiter der Sparkasse in Zinnowitz, Krab benhft, hielten sich die Widerstandskmpfer auf und hrten auslndische Sender. Am 3. Februar 1 943 wurde die ganze Gruppe berraschend verhaftet. Ein Gestapospitzel - Dr. Hagen alias Enneling - hatte sich das Vertrauen Dr. Lamperts er schlichen, belastendes Material gesammelt und die Antifasdti sten denunziert. Ein Sondergericht verurteilte in einem Proze, der als ,.Fall Stettin" bekannt geworden ist, Dr. Lampert, Dr. Wachsmann und ter Morsche zum Tode und die anderen zu langjhrigen Zuchthausstrafen. Das Raketenwerk, in dem der heute fhrende Raketenfachmann der USA, Wemher von Braun, Chefkonstruk teur war, wurde wegen der Luftangriffe 1 944 an den Sdrand des Harzes verlegt. Ende Mrz, Anfang April 1 945 brachte Braun sich und seine engsten Mitarbeiter in ,.Sicherheit " - in das von Amerikanern bereits besetzte Gebiet Deutschlands. Vier Wochen spter befanden sie sich in den USA ! Als die Sowjetarmee im Mai 1 945 in Peenemnde einzog, fand sie nichts vor als Trmmer und leere Hallen, die von einigen Arbeitern bewacht wurden. Nur das Kraftwerk arbeitete noch voll. Mutige Arbeiter hatten beim Abzug der Nazis unter Lebensgefahr die Sprengladungen unter den Kesseln und Turbinen entfernt. Die Freunde wollten den Nachmittag im Peenemnder Haken verbringen. Die drei dort liegenden Orte Trassenheide, Karls hagen und Peenemnde leben von der Landwirtschaft, der Fischerei ; und die beiden ersten auch vom Fremdenverkehr. Daneben gibt es in Trassenheide noch eine Werkstatt fr
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memanisme medizinisme Gerte, und im Betonwerk Karlshagen werden aus dem Splitt der Trmmer des ehemaligen Raketen werkes Hohlblocksteine hergestellt. Der Fismereihafen von Karlshagen sollte das Ziel der Jungen bilden. Abermals fuhren sie am Wasser entlang. Der Strand verbreitert sim bis Karlshagen stndig. Dieser kleine Badeort besitzt wohl den breitesten und zugleim smnsten Strand der ganzen Insel Usedom. Vor dem 2. Weltkrieg war Karlshagen ein aufstrebender Badeort ; durd1 den Krieg hat er am meisten von allen Seebdern gelitten. Erst t 95 4 konnte die Gemeinde verwaltung smchteme Versudle mamen, in dem stark zer strten Ort wieder Urlauber aufzunehmen. Ein herrlimer Kiefernwald zieht sim von Zinnowitz aus ber den Nordwestteil der Insel. Er steht auf alten Dnen, soge nannten Braundnen. * Hinter den Dnenketten und dem Wald breitet sid1 eine weite Verlandungslandsmaft aus - das Gebiet um den Groen See und den Kleinen See. Die weite Fldle, lngst reguliert, hat viel von einer Heidelandschaft an sim. Der Peenemnder Haken vergrert sim langsam. Jeder Sturm splt Sand an. Vor der Kste lauern Sandbnke, die in frheren Jahrhunderten Smiffsunglcke verursamten. Frher war der Haken ein bekanntes Vogelsmutzgebiet. Zug vgel aus dem Norden hatten hier ihren Rastplatz. Es gab dort Kormorane, Fismreiher, Seeadler und all die anderen SeevgeL Aum dieses Vogelparadies hat der Krieg zerstrt. Die Freunde badeten smnell nom einmal, bevor sie zum Hafen von Karlshagen, der an der Peeneseite liegt, hinberfuhren. Maurer bauten an einem groen Gebude, daneben duckte sim
oder Gelbdnen.
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Junge Dnen, die nodt keinen oder nur wenig Bewndls tragen, heien Wei
ein niedriger, langer Schuppen, vor dem Fischkisten gestapelt standen. Auf der anderen Seite des Hafenbe&ens lagen kleinere Boote. Die Fischer Karlshagens bildeten eine Fischereiproduktions genossensc:haft, die mit Kuttern in der Ostsee fischt. 1 959 soll eine Gerte- und Fahrzeugstation auch in Karlshagen ein gerichtet werden. " Da kommt ein Schiff ! " Die Freunde beobachteten gespannt, wie sich mit tu&emdem Motor ein Fischkutter nherte, wie er die Fahrt verlangsamte, beidrehte und schlielich am Bollwerk festmachte. Die Fischer luden Schollen und Dorsdte aus. Als der Kutterfhrer von der Abrechnung zur&kam, riskierte Manfred eine Frage : " Fahren Sie jetzt nach Wolgast? " " Nee, nach Mahlzow. "
" Liegt ja dicht bei. Wrden Sie uns wohl mitnehmen? " Der Fischer betrachtete die vier Freunde prfend, und da sie offensichtlich einen guten Eindru& auf ihn machten, wandte er sich an seinen Helfer: " Wir kriegen sie doch noch unter an Oe&, man nich ? " " Aber gewi doch."
So kamen die Freunde am letzten Tage ihres Aufenthalts auf der Insel Usedom nO<h einmal zu einer Schiffsreise. Sie freuten sich, denn sonst htten sie bis nach Bannemin zur&fahren mssen, um die Strae nach Wolgast zu erreichen. Sie stellten die Rder auf das Vorschiff. Der Motor bullerte, das He&wasser rauschte auf, die Leinen wurden gelst, und das Schifflein strebte der Hafenausfahrt zu. Die Peene war belebt, viele Boote begegneten ihnen, denen sie zuwinkten.
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Die flad1en Ufer traten nher zusammen, ein eckiger Turm ohne Spitze - das Wahrzeichen Wolgasts - wurde immer grer. Vor ihnen spannte sich das Gitterwerk der Autobrcke, die die Insel mit dem Festland verbindet. In Mahlzow brachten sie ihre Rder ber einen schmalen Boots steg an Land. Ihr Abschied von den hilfsbereiten Fischern war zugleich der Absmied von dem gastfreundlichen Eiland, das sie in den vergangeneu Tagen liebgewonnen hatten. Von der Brcke aus sahen sie ber das Wasser. Stromaufwrts erhoben sim die Hallen der Peenewerft. Hier werden Ksten motorschiffe gebaut, die wegen ihrer khnen, modernen Kon struktion berall Aufsehen erregen. Vor der Einfahrt zum Hafenbecken schwamm die schwarze Eisenbahnfhre mit ihren portalartigen Deckaufbauten und den beiden nebeneinanderstehenden Schornsteinen. Wolgast ist eine Stadt mit aufstrebender Industrie. Neben der Peenewerft bestehen ein groer Holzverarbeitungsbetrieb, der volkseigene Baubetrieb des Kreises und viele andere Werke, darunter eine Reparaturwerft. Das stndige Wachsen macht sich aum im Stadtbild bemerkbar. Westlim der engen, winkligen Straen mit den schmalbrstigen Husern der Altstadt, die nom aus der Zeit stammen, in der Wolgaster Schiffe die Ostsee, den Atlantik und das Mittelln disme Meer befuhren und die groen Reedereien die Kleinhfen noch nicht erdrckt hatten, ziehen, sich breite Straen zwismen ge diegenen Wohnhusern der Neustadt. Deutlicher als alle Worte zeigen sie den sozialistischen Aufbau aum in dieser Stadt. Die Jungen muten zum Bahnhof. Whrend der vergangeneu vierzehn Tage waren sie und Manfred sich nahegekommen. Es war keinem leicht ums Herz, als sim die Abteiltren schlossen.
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Sie smttelten sim lange wortlos die Hnde, keiner wute etwas Vernnftiges zu sagen. .,Smnen Dank auch fr deine Hilfe. " .,Smreibt bald ! " Dann ging es smnell. Der Fahrdienstleiter gab das Abfahrts signal, andere Reisende drngten sim an die Wagenfenster, und in wenigen Sekunden verloren sim die Freunde aus den Augen. Manfred winkte hinter dem Zug her. Als er durch die Sperre zurckging, empfand er ein merk wrdiges, leeres Gefhl - so, als fehle ihm etwas. Aus den Augen sind wir uns, damte er, aber aus dem Sinn wohl kaum. Wer soviel von unserer Insel sah wie diese drei, denkt lange an sie zurck - und kommt simer im nmsten Sommer wieder.
S P O R T V E R LA G
IERLIN
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ALB E R T H U R N Y ist ge nau wie Manfred Witt, die Zentralfigur seines Buches, Lehrer auf Usedom. Er kennt also die Insel nicht nur aus kurzen Urlaubstagen, son dern er hat sie sich in vielen Jahren erwandert. Er kennt ihre mannigfaltige Schnheit
zu jeder Jahreszeit
und wei,
da die schnsten Fleckchen nicht offen am Strand zutage zu treten brauchen. Aus die ser einfhlsamen Kenntnis seiner Heimat heraus, die der grozgige Feriendienst in unserem Staat jhrlich Zehntausenden von Werkt tigen erschliet, kann er Manfred Witt die Rolle eines aufmerksamen Wauderleiters zuschreiben. Auf den Routen, auf denen dieser mit seinen drei Ber liner Freunden ber die Insel fhrt, wird jeder interessierte Urlauber, der nach der Lek tre dieser netten, hand lungsreichen Erzhlung Lust versprt, Usedom nher ken nenzulernen, wandern kn nen und viel Freude dabei haben.
SPORTVERLAG BERLIN