Flor Peeters (1903-1986): Leben und Werk
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Über dieses E-Book
Das musikalische Lebenswerk des Belgiers ist umfassend und kann als monumental bezeichnet werden. Dieses Buch bietet erstmals eine Einführung in sein Leben und Werk und deutet es im Kontext seiner Zeit.
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Rezensionen für Flor Peeters (1903-1986)
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Buchvorschau
Flor Peeters (1903-1986) - Clemens Morgenthaler
Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Dieses Buch ist dem Leben und Werk von Flor Peeters (1903–1986) gewidmet. Dass dies, mehr als 30 Jahre nach seinem Tod, in dieser Form im deutschen Sprachraum erstmals unternommen wird, mag einigermaßen erstaunlich erscheinen, galt Flor Peeters doch zu Lebzeiten als weltweit geachtete Autorität im Bereich der Kirchenmusik und der Orgelmusik im Besonderen. Über die möglichen Ursachen und Hintergründe für diesen Tatbestand wird an anderer Stelle im Kapitel »Würdigung« noch zu sprechen sein. Doch was bringt einen Sänger und Gesangspädagogen dazu, sich mit dem Leben und Wirken des belgischen Organisten, Komponisten und Pädagogen auseinanderzusetzen, gar ein Buch zu schreiben? Schon an dieser Stelle sei der Begriff »Liebe« ins Spiel gebracht. Ja, der Verfasser bekennt freimütig, sich in die Musik dieses Komponisten verliebt zu haben. Dieser Umstand mag auf den ersten Blick einen objektiven oder gar wissenschaftlichen Zugang zum Lebenswerk eines Menschen als geradezu unmöglich erscheinen lassen. Gleichwohl bedarf es in diesem konkreten Falle wohl zunächst einer besonderen Motivation und eines besonderen Vorschusses an Sympathie, ohne die eine Annäherung erst gar nicht stattfinden würde.
Meine erste Begegnung mit der Orgelmusik von Flor Peeters hatte ich Anfang der 1990er Jahre bei einem Orgelkonzert im Würzburger Dom. Paul Damjakob, der legendäre und langjährige Domorganist der dortigen Kathedrale, spielte in einem Konzert als Finalstück »Toccata, fugue et hymne sur ›Ave Maris Stella‹« op. 28. Dieses wohl meistgespielte Werk von Peeters berührte mich zutiefst und war gleichsam die Eintrittskarte in die Welt dieses Komponisten. Diese »Liebe auf den ersten Blick« vertiefte und verstetigte sich anlässlich eines Konzertes von Leopold Sluys an der Hausorgel des bedeutenden Organisten und Würzburger Orgelprofessors Günther Kaunzinger. Sluys, ein ehemaliger Schüler von Peeters, spielte neben »Toccata, fugue et hymne sur ›Ave Maris Stella‹« op. 28 noch das wunderbar berückende Choralvorspiel »O Gott, du frommer Gott« aus op. 68. Nun war es endgültig um mich geschehen. Die Tatsache, dass Flor Peeters Belgier war, verstärkte noch meine Zuneigung, war doch in meiner damaligen aktiven Zeit als Fußball-Torwart der Belgier Jean-Marie Pfaff mein absolutes Idol und Vorbild. Das Land Belgien mit seinen Fußballstars und sonstigen Bewohnern musste demnach als besonders attraktiv erscheinen und hatte somit für mich bereits einen guten Klang. Dass ich damit quasi automatisch auch Anhänger von Pfaffs deutschem Fußballverein, des FC Bayern München, sein musste, möge mir von Unterstützern anderer Fußballvereine an dieser Stelle gnädigst verziehen werden. Dieser Umstand aus meiner Jugend soll der freundlichen Aufnahme dieses Buches nicht entgegenstehen.
Mein Weg führte mich dann einige Jahre später von meiner tauberfränkischen Heimat zum Kirchenmusik-Studium nach Freiburg im Breisgau. Hier spielte die Musik von Peeters eigentlich keine nennenswerte Rolle. Immerhin erarbeitete ich im Studium einige seiner Werke (»Concert Piece« op. 52a, »Suite modale« op. 43, »Toccata, fugue et hymne sur ›Ave Maris Stella‹« op. 28), was zur damaligen Zeit in der Kirchenmusik- und Orgelausbildung in deutschen Landen sicher als eher exotisch gelten durfte. An dieser Stelle möchte ich meinem verehrten Orgelprofessor Klemens Schnorr für die Toleranz und das mir entgegengebrachte Verständnis in dieser Sache danken. Als sich nach dem Kirchenmusik-Studium dann die Welt des Gesanges meiner bemächtigte, war mit Orgelmusik und exotischen Repertoireausflügen in entlegene Orgellandschaften erst einmal Schluss. Mit meiner ersten Liebe, der Orgel, stand ich zwar nach wie vor in einem guten Verhältnis, aber nun galt mein Interesse der Erkundung einer für mich gänzlich neuen musikalischen Welt. Fortan sollte die Gesangskunst im Zentrum meiner musikalischen Bemühungen stehen, was sie bis auf den heutigen Tag auch tut. Weil aber bekanntlich alte Liebe nicht rostet, fühlte und fühle ich mich neben der Beschäftigung mit der unerschöpflichen Literatur aus Oper, Lied und Oratorium nach wie vor der Welt der »Musica sacra« in besonderer Weise verbunden.
Mein Verhältnis zur Musik von Flor Peeters bekam einen neuen Auftrieb, als meine Gesangsklasse an der Musikuniversität Feldkirch die Möglichkeit erhielt, im Rahmen des Bodenseefestivals 2019 ein geistliches Konzert in der schönen neugotischen Herz-Jesu-Kirche in Bregenz zu gestalten. Das Festival widmete sich der Musik der drei Beneluxstaaten. Was lag also näher, als das angedachte Konzert dem bedeutenden und wirkmächtigsten belgischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Flor Peeters, zu widmen? Zusammen mit dem Organisten Helmut Binder musizierten wir geistliche Vokalmusik in Solo- und Ensemble-Besetzung. Die Reaktion des Publikums auf die ihm unbekannte Musik war durchwegs positiv und teils begeistert. Gleiches erlebten wir bei den Wiederholungskonzerten in Feldkirch, Freiburg und Singen.
Als ich im Frühjahr 2019 einen Gesangskurs an der Musikhochschule in Löwen (Belgien) abhielt, hatte ich auch die Gelegenheit in der dortigen Bibliothek Nachforschungen zum Leben und Werk Flor Peetersʼ anzustellen. Dass mein Ansinnen und Interesse am wohl bedeutendsten belgischen Musiker und Komponisten des 20. Jahrhunderts auf eine gewisse Überraschung stieß, ließ mich doch sehr erstaunen. Sic transit gloria mundi! Jedenfalls wich die leichte Irritation über mein Begehren einer freudig-konstruktiven Unterstützung und Mithilfe in der Beschaffung der gewünschten Informationen, Bücher und Partituren.
In der konzertlosen Zeit der Corona-Krise im Frühjahr 2020 fand der Verfasser dieser Zeilen nun die Möglichkeit, die Ergebnisse seiner Nachforschungen zu Leben und Werk von Flor Peeters einem geneigten Leserkreis in Form eines Buches darzubieten. Wie schon erwähnt, geschieht dies nicht in einer kritisch-distanzierten Haltung, sondern aus einer hoffentlich spürbaren Begeisterung für die Musik des großen Flamen. Gibt es in der subjektiven Betrachtung künstlerischer und musikalischer Angelegenheiten überhaupt die Kategorie der Objektivität jenseits der Beurteilung festgelegter Parameter? Möglicherweise. Wenn diese Schrift den Anstoß zu einer weiteren, gerne auch kritischeren Beschäftigung mit dem Werk Flor Peetersʼ geben sollte, hätte sie bereits einen Zweck erfüllt. Gleichwohl harrt ein Großteil seines Oeuvres jenseits der bekannten Orgelwerke, wie das geistliche Vokalwerk, die Lieder sowie die Klavier- und Kammermusik einer Wieder- bzw. Neuentdeckung. Auch hierzu hoffe ich mit diesem Buch einen bescheidenen Beitrag leisten zu können. Es ist gewissermaßen seine vornehmste Aufgabe. Nun wünsche ich den Leserinnen und Lesern ein freudiges Eintauchen in die Welt von Flor Peeters.
Kindheit und Jugend
Franciscus Florentius Peeters wurde am 4. Juli 1903 in Tielen, einem kleinen flämischen Dorf östlich von Antwerpen (Region Kempen), als jüngstes Kind einer elfköpfigen Familie geboren. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater, Ludovicus Peeters (1839–1910) war Postmeister und versah in der Heimatpfarrei den Organisten- und Küsterdienst. Er war seit 1887 in dritter Ehe mit Maria Elisabeth Deckers (1864–1935) verheiratet. Seine ersten beiden Frauen waren früh verstorben. Aus diesen Ehen gingen insgesamt vier Kinder hervor.¹ Flor Peeters hatte somit zu seinen acht leiblichen Geschwistern noch vier Halbgeschwister, die zum Zeitpunkt seiner Geburt allerdings nicht mehr im Haushalt lebten. Sein leiblicher Bruder Petrus Emilius (1889–1978), genannt »Emiel«, wurde wie der Vater Postmeister und Küster-Organist in Tielen und setzte damit die Familientradition fort, während eine seiner Schwestern (Rosalia Mathilde Magdalena) ins Kloster ging. Der Vater starb 1910, als Flor gerade einmal sieben Jahre alt war. Nach dem frühen Tod des Vaters erzog die Mutter die neun Kinder allein. Trotz der materiell eher einfachen Lebensumstände spielte die Musik, und hier insbesondere die Kirchenmusik, in der Familie eine bedeutende Rolle. So spielten alle Familienmitglieder ein Instrument (Violine, Blasinstrumente, Klavier, Harmonium). Auch das gemeinsame Singen wurde gerne und ausgiebig gepflegt. Bereits 1911, mit acht Jahren, spielte Flor unter der Aufsicht seines Bruders Emiel zum ersten Mal im Gottesdienst die Orgel der Pfarrkirche seines Heimatdorfes Tielen, das zu dieser Zeit ungefähr 1100 Einwohner zählte. Fortan vertrat er öfters seinen Bruder Emiel, der auch als erster sein Talent entdeckt hatte, beim gottesdienstlichen Orgelspiel. Auch der Mutter war schon früh die außergewöhnliche musikalische Begabung ihres jüngsten Kindes nicht verborgen geblieben und sie unterstützte diese mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. So hatte der junge Flor Peeters schon in dieser Zeit die Möglichkeit, neben dem Klavier- und Orgelspiel, auch das Violinspiel zu erlernen. Von der engen Bindung an seine Mutter, geprägt von großer Dankbarkeit, zeugt auch die Widmung der »Elegie« op. 38 für Orgel, die er 1935 am Abend ihres Todes komponierte und die den Schmerz über ihren Verlust eindrücklich zum Klingen bringt. Die gläubige Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits wird durch ein Choral-Zitat aus dem gregorianischen Requiem »In Paradisum« (»Zum Paradies mögen Engel dich geleiten«) ausgedrückt. Hier berühren sich zwei wesentliche Ebenen, die für das weitere Leben von Flor Peeters bestimmend sein sollten, nämlich der christliche Glaube und die Musik. Die Synthese aus beiden Bereichen stellt die Kirchenmusik dar, die fortan sein Leben wesentlich und dauerhaft prägen sollte.
Schon früh zeigte der junge Flor Peeters eine große Aufgeschlossenheit allen musikalischen Dingen und Erscheinungsformen gegenüber. So besuchte er beispielsweise oft die Proben der heimatlichen Blaskapelle und machte sich damit schon früh mit den charakteristischen Möglichkeiten und Stärken der jeweiligen Blasinstrumente vertraut. Daher rührt wohl auch sein besonderes und lebenslanges Interesse an Blechblasinstrumenten wie Trompete und Posaune, welche er in späteren Werken gerne und wirkungsvoll einsetzen sollte (»Entrata festiva« op. 93, »Sonate für Trompete und Klavier « op. 51, »Suite für vier Posaunen« op. 82, »Choral-Fantasie über ›Christ the Lord has risen‹« op. 101 für zwei Trompeten, zwei Posaunen und Orgel, »Canticum Gaudii« op. 118 für zwei Trompeten, zwei Posaunen und Orgel).
Ab dem zwölften Lebensjahr besuchte er das Gymnasium in Herentals, wo er beim Organisten des Kollegs neben Klavier- und Orgelunterricht auch Solfège-Unterricht erhielt. Auch hier vertrat er oft seinen Orgellehrer bei den verschiedensten Gottesdiensten und lernte so auf ganz selbstverständliche Weise die Liturgie der katholischen Kirche und ihre Erscheinungsformen kennen. Zudem hinterließ die Orgel der Hauptkirche St. Walburgis (40 Register, drei Manuale und Pedal) bei ihm einen nachhaltigen Eindruck.
Ab 1915 setzte er seine schulische Laufbahn am Institut Saint-Victor in Turnhout, wie Herentals eine Kleinstadt, fort. Hier blieb er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Sein Lehrer in Orgel und Harmonielehre war mit Jozef Brandt ein Absolvent des renommierten Lemmens-Instituts für Kirchenmusik in Mechelen, der