77 motivierende Unterrichtseinstiege für die Grundschule
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Buchvorschau
77 motivierende Unterrichtseinstiege für die Grundschule - Alexandra Ferrarÿ
Wozu benötige ich einen Unterrichtseinstieg – kann ich nicht einfach anfangen?
Bei schnellem Hinsehen denkt man: Der Begriff Unterrichtseinstieg erklärt sich sofort selbst: Ein Unterrichtseinstieg ist der Einstieg in den Unterricht.
Einerseits stimmt diese Aussage, andererseits bleiben doch bei genauerer Überlegung einige Fragen offen: Wie definiere ich „Unterricht"? – Geht es um den Einstieg in ein bestimmtes neues Thema oder den Beginn einer Unterrichtsstunde? Hat der Unterrichtseinstieg immer zum Ziel, über Thema und Stundenziel zu informieren? Um diese Fragen zu beantworten, ist es nötig, den Begriff genauer zu definieren und abzugrenzen.
Definition Unterrichtseinstieg
Zuerst einmal bezeichnet der Begriff eine bestimmte Phase des Unterrichts. Anders als bei anderen Phasen, die teilweise vertauscht, verschoben oder weggelassen werden können, steht der Unterrichtseinstieg immer an erster Stelle. Dabei kann man zwischen einem Stundeneinstieg, der zu Beginn jeder Stunde erfolgt, und dem Einstieg in einen neuen Themenkomplex unterscheiden.
Ich denke, in der Definition gibt es einen großen Unterschied:
Für die Definition des Einstiegs in einen neuen Themenkomplex schließe ich mich Hilbert Meyer (2011 b) an:
Der Einstieg in einen neuen Themenkomplex soll – mit unmittelbarer oder mittelbarer Hilfe des Lehrers – die Schüler für das Thema und das Thema den Schülern erschließen.
Klafki (1963) beschreibt dies als einen „Prozess der doppelseitigen Annäherung". Einerseits soll das Thema so aufbereitet werden, dass die Schüler in die Lage versetzt werden, es sich möglichst selbsttätig anzueignen; andererseits sollen sich auch die Schüler auf das Thema zubewegen und ihr Interesse daran geweckt werden (Meyer 2011 b, S. 123).
Für Stundeneinstiege muss die Definition erweitert werden, da es Stundeneinstiege gibt, die in keinster Weise zum Thema hinführen bzw. mit dem eigentlichen Stundenthema nichts zu tun haben. Insbesondere seien an dieser Stelle schon die „Stundeneröffnungsrituale" genannt, die in diesem Werk eine eigene Ideengruppe bilden.
Der Stundeneinstieg kann sowohl eine Disziplinierungs- als auch eine Erschließungsfunktion haben. Stundeneinstiege können mit dem Stundenthema in Bezug stehen, müssen dies jedoch nicht.
Hat der Stundeneinstieg ausschließlich eine Disziplinierungsfunktion, muss ihm auf jeden Fall noch ein thematischer Einstieg folgen.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Länge des Einstiegs: Während der Einstieg in einen neuen Themenkomplex einen längeren Zeitraum, mitunter sogar eine oder mehrere Stunden, in Anspruch nehmen kann, sollte der Stundeneinstieg nur einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Stundenzeit einnehmen.
In diesem Werk werden sowohl Ideen, die sich zum Stundeneinstieg eignen, als auch Einstiege in neue Themenkomplexe, beschrieben.
Welche Ideen wofür genutzt werden können, zeigt Ihnen der Ideenfinder (S. 166–170).
Funktionen des Unterrichtseinstiegs
Wie im letzten Kapitel bereits angedeutet, kann der Unterrichtseinstieg verschiedene Funktionen haben. Im Folgenden nenne ich die Wichtigsten.
Ich beschränke mich dabei auf allgemeine Funktionen. Einzelne Einstiege können natürlich auch jeweils weitere spezielle Funktionen oder Ziele haben.
Der Unterrichtseinstieg soll
❐ die Schüler disziplinieren,
❐ ihnen helfen, ihre Sinne für das Kommende zu sammeln,
❐ Fragen hervorrufen,
❐ die Schüler neugierig machen,
❐ ihr Interesse am neuen Thema wecken,
❐ sie über das Kommende informieren,
❐ ihre Vorkenntnisse und Vorerfahrungen aktivieren,
❐ den Schülern eine Chance geben, die weiteren Schritte mitzuplanen und mitzubestimmen,
❐ eine Verknüpfung des schon Bekannten mit dem neuen Stoff herstellen.
Die von mir gewählte Reihenfolge hat dabei keine hierarchische Bedeutung.
Meist fallen einem Einstieg mehrere Funktionen zu.
Auf welchen Funktionen der Schwerpunkt des Einstiegs liegt, hängt häufig auch davon ab, welcher Didaktik der Unterrichtende nahesteht (vgl. Meyer, 2011 b): Ein Lehrer mit deduktivem Vorgehen wird eher mit begrifflich-abstrakten Vorerklärungen beginnen, während ein Lehrer mit induktivem Vorgehen eher mit Fällen oder Anwendungsbeispielen anfangen wird. Anhänger der lernzielorientierten Didaktik geben sich in der Regel mit einer einfachen Lernzielnennung zufrieden, während der Einstieg im erfahrungsbezogenen Unterricht mithilfe subjektiver Schülererfahrungen begonnen wird.
Da ich das entdeckende Lernen und damit verbunden problem- und handlungsorientierten Unterricht favorisiere, werden in diesem Werk viele Ideen vorgestellt, bei denen die Schüler handelnd tätig werden können oder bei denen sie angeregt werden, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dementsprechend haben die Einstiege verschiedene Dimensionen: kognitive, affektive (Gefühle, Einstellungen und Werthaltungen betreffend) sowie psychomotorische (Verbindung von Kopf- und Handarbeit).
An Stellen, wo ich es für sinnvoll erachte, erläutere ich noch einmal, auf welcher Funktion der Schwerpunkt des beschriebenen Einstiegs liegt.
Didaktische Kriterien für einen guten Unterrichtseinstieg
Allgemeine didaktische Kriterien
Meyer (2011 b, S. 129) schlägt für die Planung und Beurteilung von Unterrichtseinstiegen fünf Kriterien vor, durch die sich ein guter Unterrichtseinstieg auszeichnet.
1. Der Einstieg soll den Schülern einen Orientierungsrahmen vermitteln. Dazu gehört, dass die Schüler über den Umfang, die Aspekte und Dimensionen der Stunde oder des neuen Themas informiert werden sollen. Außerdem sollte aufgezeigt werden, mit welchen Methoden und Verfahren am Thema gearbeitet werden kann.
Auf diese Weise erfahren die Schüler, was auf sie zukommt, sie können sich auf das Thema einstellen, sich in das Thema hineindenken und mitplanen. Vorerfahrungen der Schüler können abgefragt und mit eingebracht werden. Auch Änderungswünsche können ggf. berücksichtigt werden.
Aufgrund der lehrerzentrierten Planung des Themas übernimmt der Lehrer in dieser Phase in der Regel die führende und aktive Rolle. Hier muss darauf geachtet werden, dass die Schüler nicht durch eine zur Routine erstarrte, rein verbale Information über den weiteren Unterrichtsverlauf überfordert werden. Dementsprechend sollte die Orientierung so oft wie möglich zu einer ganzheitlichen, sinnlich-anschaulichen und/oder schüleraktiven Einführung genutzt werden (ebd., S. 131).
2. Der Einstieg soll in zentrale Aspekte des neuen Themas einführen.
Er soll ins Zentrum des Sach-, Sinn- oder Problemzusammenhanges führen, den es neu zu erschließen gilt. Meyer warnt davor, den Einstieg wegen eines kurzen Motivationseffektes an ein interessantes, aber unwesentliches Detail zu knüpfen, da die Schüler dies schnell durchblicken und sich dadurch „verschaukelt oder getäuscht" fühlen. Vielmehr soll der Einstieg auf das Exemplarische, das Elementare oder Fundamentale hinführen.
Ich ergänze dieses Kriterium noch dahingehend, dass Aufwand und Nutzen in einem realistischen Verhältnis stehen sollten und dass die zeitliche Relation zwischen Einstieg und Durchführung beachtet werden sollte. Es kann sein, dass Planung und Durchführung des Einstiegs in ein neues
Thema sehr aufwändig und zeitintensiv sind. Hierzu wäre das Beispiel der Durchführung eines Planspiels zur Erläuterung der Demokratie zu nennen. Dennoch sollte kritisch reflektiert werden, bei welchen Themen sich solch ein Einstieg anbietet. Gerade der Einstieg in eine neue Stunde oder auch ein Stundeneröffnungsritual sollte so geplant werden, dass für Erarbeitung, Übung und Reflexion noch ein angemessener Zeitraum verbleibt.
3. Der Einstieg soll an das Vorverständnis der Schüler anknüpfen.
Meyer ergänzt dieses fachliche Vorwissen durch situationsbedingte Geschehnisse, die die Vorkenntnisse beeinflussen. Hierzu zählt er u. a. Pausenstreitigkeiten, das Wohlbefinden einzelner Schüler oder eine schlecht ausgefallene Klassenarbeit. Er schlägt vor, unter dem Begriff Vorverständnis „das Gesamt an Vorerkenntnissen, Einstellungen, Interessenlagen und Haltungen der Schüler zu verstehen, das ihr Denken, Fühlen und Handeln im Unterricht steuert." Um dies zu erreichen, fordert er, auf folgende Punkte besonders zu achten:
❐ Der Lehrer soll sich auf die Vorkenntnisse der Schüler beziehen.
❐ Der Lehrer soll sich auf die Sprache, Denkweise und Weltbilder der Schüler beziehen (was nicht heißt, dass er die Sprache seiner Schüler imitieren, sondern dass er selbst sie erst einmal verstehen lernen soll).
❐ Der Lehrer soll sich in die Handlungslogik der Schüler hineindenken, aber dennoch deutlich machen, dass er eigene und für sinnvoll gehaltene Lehrziele verfolgt.
❐ Der Lehrer soll ein Unterrichtsklima schaffen, in dem sich die Schüler wohl- und angenommen fühlen, sodass sie bereit sind, ihr Vorverständnis zum neuen Thema zu artikulieren.
4. Der Einstieg soll die Schüler disziplinieren.
In der „alten Schule" vor der 68er-Bewegung kam diesem Einstieg unausgesprochen eine zentrale Bedeutung zu: Disziplinierungsrituale, insbesondere auch zum Stundeneinstieg, waren ein unangefochtener, nicht hinterfragter, fester Bestandteil. Mit aufkommender antiautoritärer Erziehung kippte dies. Disziplinierungsrituale wurden als schlecht verworfen.
Ich denke, gerade in der heutigen Diskussion über zunehmende Respekt- und damit verbundene Disziplinlosigkeit erhält dieses Kriterium eine ganz neue Aktualität und Brisanz.
Meyer (2011 b, S. 133) fordert dementsprechend nicht, dass der Einstieg die Schüler extrinsisch disziplinieren soll, sondern dass er eine disziplinierte Arbeitshaltung herstellen soll. Die Disziplin des Schülers hat eine äußere, beobachtbare und eine innere, nur aus dem Verhalten zu erschließende Seite. Bei der äußeren geht es um die ruhige, sachbezogene, manchmal auch neugierig-aufgeregte Bereitschaft, sich auf das Thema der Stunde einzulassen. Die innere Seite bezeichnet die innere Ruhe, Spannung und Neugier, das Sich-Öffnen gegenüber dem neuen Thema. Innere und äußere Seite zusammen ergeben das, was als „Arbeitshaltung des Schülers" benannt wird.
Aufgabe und Ziel des Lehrers muss es also sein, die Fremddisziplin schrittweise in Selbstdisziplin zu überführen. Denn nur dann, wenn die Schüler von sich aus eine sachbezogene Arbeitshaltung entwickeln, kann der Lehrer seine Schüler zu Selbstständigkeit und Mündigkeit erziehen.
5. Der Einstieg soll den Schülern möglichst oft einen handelnden Umgang mit dem neuen Thema erlauben.
Der handlungsorientierte Unterrichtseinstieg soll eine offene Unterrichtssituation schaffen, in der die Schüler das neue Thema an sich selbst erfahren können. Sie sollen erproben, was sie an dem Thema besonders interessiert, welche Stärken und Schwächen sie haben, wo sie Vertrautes in Erinnerung rufen oder Neues erlernen können. Um dieses Selbst-Erproben-Können zu erreichen, muss der Lehrer meist erst selbst aktiv werden und mögliche Umgangsformen mit dem Thema vormachen. Dazu soll er laut Meyer (ebd., S. 134) die üblichen Bahnen der rein verbalen Vergegenständlichung des Unterrichtsthemas verlassen und selbst aktiv werden, indem er möglichst oft
❐ vorspielt, vormacht, vorsingt,
❐ dramatisiert, experimentiert, zerlegt und zusammensetzt,
❐ Modelle, Landkarten, Friese, Wandzeitungen oder Collagen anfertigt,
❐ Experten ins Klassenzimmer holt oder zu Experten geht und das Klassenzimmer verlässt,
❐ verfremdet, provoziert oder vernebelt,
❐ aber auch anschaulich macht, vergrößert, vergröbert, überspitzt, verballhornt und verdreht.
Lernstandsdiagnosen
Zusätzlich zu den genannten didaktischen Kriterien sollte jeder neue Themenkomplex möglichst eine Lernstandsdiagnose enthalten.
Dabei sollte festgestellt werden, welches Vorwissen die Schüler mitbringen und an welche Erfahrungen der Lehrer anknüpfen kann. Auch die Lernvoraussetzungen sowie äußerliche und strukturelle Begebenheiten müssen berücksichtigt werden.
Paradies/Greving (2011, S. 21) schlagen dementsprechend in Anlehnung an Stern (2004, S. 39) folgende Fragen vor, die in Hinblick auf die Auswahl des Einstiegs berücksichtigt werden sollten:
❐ Welche Routinen müssen beherrscht werden?
❐ Welche Begriffe müssen verstanden und welche Fakten müssen bekannt sein, damit ein bestimmtes Lernangebot genutzt wird?
❐ Wo liegen die Quellen für Missverständnisse?
❐ Welche unterschiedlichen Möglichkeiten gibt es, einen bestimmten Sachverhalt auszudrücken?
❐ Welche Veranschaulichungsformen können angeboten werden?
Schon während der Einstiegsphase sollte der Unterricht so gestaltet werden, dass die individuellen Voraussetzungen der Schüler beachtet werden. Nichts ist demotivierender, als wenn ein Schüler, der ein richtiger Experte in Bezug auf das neue Thema ist, bereits zu Beginn der Einheit merkt, dass der Lehrer einzig und allein sein eigenes Expertenwissen weitergeben will und Vor- oder Spezialkenntnisse nicht berücksichtigt werden.
Formen des Unterrichtseinstiegs
Zur besseren Übersichtlichkeit habe ich die Ideen in verschiedene Arten eingeteilt. Teilweise ist es möglich, einzelne Einstiege mehreren Kategorien zuzuordnen. In diesem Fall habe ich mich an der Hauptkategorie orientiert.
Folgende Kategorien unterscheide ich:
❐ Stundeneröffnungsrituale
❐ Übungen zum stofflichen Aufwärmen
❐ Informierende Einstiege
❐ Spielerische Einstiege
❐ Problemorientierte Einstiege
❐ Objektorientierte Einstiege
❐ Kooperative Einstiege
❐ Assoziative Einstiege
❐ Kreative Einstiege
Ich charakterisiere die jeweilige Form des Einstiegs zu Beginn des jeweiligen Kapitels kurz und nenne deren Merkmale und typische Funktionen.