Luthers Weihnachten
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Buchvorschau
Luthers Weihnachten - Elke Strauchenbruch
KAPITEL 1
WEIHNACHTEN VOR BEGINN DER REFORMATION
Das Weihnachtsfest war im Festkreis des Jahres von jeher ein besonderer Höhepunkt. Der Gedanke an Weihnachten verbindet sich heute meist mit Geschenken, Weihnachtsbaum und dem Wohlgeruch von weihnachtlichem Backwerk und Weihnachtsbraten. Viele besuchen als einzigen Gottesdienst des Jahres die Weihnachtsmesse. Den Duft von Weihnachten verbanden schon Martin Luther und seine Zeitgenossen mit Weihrauch und Kerzenlicht in den kirchlichen Gottesdiensten, mit dem Geruch der Pfefferkuchen und des Weihnachtsessens. Als Luther mit den Thesen den Beginn der Reformation auslöste, hatte der inzwischen Vierunddreißigjährige in seiner Familie, in seinen Schulen, Universitäten und Klöstern eine Fülle von festlichen Bräuchen erlebt. Sonntage, Heiligenfeste, Advent, Weihnachten, Neujahr, Fastenzeit, Ostern, Pfingsten und Michaelis, aber auch Aussaat und Ernte gaben dem Jahr eine gewisse Ordnung. Dieser Jahresfestkreis wurde mit kirchlichen, heidnischen und weltlichen Feiern und Bräuchen umgeben, die teilweise miteinander verschmolzen. Der Alltag der Menschen wurde nicht nur durch die Jahreszeiten, sondern auch durch die Sonn- und Feiertage geordnet. Arbeit und Ruhe, Fasten und Genuss gaben dem Leben seinen Rhythmus. Sie verbanden die Festtage mit ihrem Glauben, in dem sie aufgewachsen waren und der ihrem Leben Halt und Geborgenheit gab. Der Festkreis des Jahres war und ist regional und sozial geprägt. Herkunft und Berufe der Menschen spielten eine entscheidende Rolle. Der Festkreis und das mit ihm verbundene Brauchtum veränderten sich über die Zeiten und passten sich immer wieder den historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen an.
Vor der Reformation hielt man über Weihnachten eine sehr strenge Fastenzeit, die vom 12. November, dem Tag nach dem Martinstag, über Neujahr hinaus bis zu Epiphanias, dem Dreikönigstag, hin reichte. Man nannte sie die Adventsfasten. Nur an den dazwischen liegenden Wochenenden und Feiertagen wurde das Fasten unterbrochen und dauerte also zwischen dem Martinstag bis zum Dreikönigstag volle 40 Tage lang. Man kann sich leicht vorstellen, wie die Unterbrechung der Fastenzeit die Gemüter beschäftigte und die Menschen auf die Feiertage hin leben ließ. Da die Zeit des Wartens auf Weihnachten besonders Kinder tief beeindruckt und Erwachsenen in ihrer Erinnerung verbleibt, liegt die Vermutung nahe, dass auch Luther von den weihnachtlichen Erlebnissen in seiner Kindheit geprägt war. Das Herannahen des großen Festes und schließlich die Weihnachtsfeiern werden den jungen Mann innerlich bewegt haben.
DAS MARTINSFEST AN DER SCHEIDE ZWISCHEN SOMMER UND WINTER
Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren und am folgenden Tage, dem Martinstag, in der dortigen Paulskirche auf den Namen des Tagesheiligen getauft. Seine Geburtsstadt Eisleben befindet sich im Mansfelder Land im Vorland des Ostharzes. Die Familie zog bald nach Martins Geburt in das benachbarte Städtchen Mansfeld um. Geburtstags- oder Namenstagsfeiern im heutigen Sinne waren noch nicht üblich. Im Gegenteil, selbst in höher gestellten Kreisen feierte man aus diesem Anlass offenbar nur selten. Doch wir wissen, dass der erwachsene Luther sich zu seinem Geburtstag gerne in seinem Hause mit seinen Freunden zusammenfand und dann mit ihnen ein gutes Essen genoss, das seine Frau Katharina mit ihren Mägden zubereitet hatte. So versammelten sich 1532 Justus Jonas, Philipp Melanchthon, Johann Bugenhagen und Caspar Cruziger an seinem Tisch und verzehrten in fröhlicher Runde ein von den Fürsten zu Anhalt geschenktes Wildschwein. Auch seinen letzten Geburtstag feierte der Reformator 1545 vergnügt mit Melanchthon, Bugenhagen, Cruziger und den damals noch jungen Theologen Georg Major und Paul Eber. Männerrunden zu Luthers Geburtstag? Wir wissen es nicht, denn die Männer, die uns die Nachrichten von Luthers Leben hinterlassen haben, fanden Frauen kaum erwähnenswert, ebenso wenig wie Kinder oder das Alltagsleben insgesamt, dessen Gestaltung doch meist in den Händen der Frauen gelegen hat. Immerhin wissen wir durch einen erhalten gebliebenen Brief an die anhaltischen Fürsten, dass es zur Geburtstagsfeier am Vorabend des Martinstages nicht unbedingt die althergebrachte und in Deutschland weit verbreitete Martinsgans sein musste, die auf den Tisch im Lutherhause kam.
Der Namenspatron bei der Taufe Luthers ist der hl. Martin. Lukas Cranach hat 1504 in einer Zeichnung den reitenden Heiligen dargestellt, wie er vor einem Stadttor seinen Mantel zerteilt, um die eine Hälfte einem knieenden Bettler zu geben. Martin wurde in Ungarn als Sohn eines römischen Offiziers geboren und musste darum dem Römischen Reich als Soldat dienen. Aus dieser Zeit seines Lebens stammt die Geschichte, die Cranach auf seiner Zeichnung erzählt und die heute eine der bekanntesten Geschichten um den Heiligen ist. Als junger Mann soll er sich bei Worms vor einer Schlacht als Christ geoutet und den weiteren Militärdienst verweigert haben. Martin wurde der dritte Bischof von Tours und ist im damals hohen Alter von 81 Jahren gestorben. Die in diesen vielen Jahren um seine Person entstandenen Legenden haben ihn zu einem der meistverehrten Heiligen der gesamten Christenheit gemacht. So wurde Martin zum Beispiel der Schutzheilige von Frankreich und Thüringen. Das thüringische Eichsfeld und die Stadt Erfurt verehren ihn noch heute ganz besonders. Spätestens seit 1224 läuten in Erfurt am Abend des 11. Novembers zum Gedenken an den Heiligen die Glocken. Er genießt die besondere Verehrung der Soldaten, Reiter, Huf- und Waffenschmiede, Weber, Gerber, Schneider, Bürstenbinder, Gürtel-, Handschuh- und Hutmacher, Böttcher, Müller, Hotelbetreiber, Gastwirte, Winzer, Armen, Bettler, Flüchtlinge, Gefangenen und der Reisenden. Er schützt vor Ausschlag, Schlangenbiss und Rotlauf, sorgt für gutes Gedeihen der Feldfrüchte und ist Schutzpatron besonders der Pferde, Hunde und der Gänse. Bei den Gänsen zeigt sich wohl auch der Humor des Volkes, wie ein alter Vers beweist:
Was haben doch die Gänse getan,
daß so viele müssen’s Leben lan?
Die Gäns mit ihrem Dadern
Sankt Martin han verraten,
Darum tut man sie braten.¹
Der Martinstag war also schon lange vor Luthers Geburt ein in vielerlei Hinsicht wichtiger Tag im Leben der Menschen. Er steht an der Scheide zwischen Sommer und Winter und das zeigt sich auch im kirchlichen und weltlichen Brauchtum. Da man die Ernte eingebracht hatte, erwarteten Herrschaft und Kirche ihre Abgaben, die man während Luthers Kindheit meist noch in Naturalien erbrachte. So sammelten sich in den Häusern der Herren Gänse und anderes Geflügel, Schweine, Kühe, Ochsen, Schafe und Ziegen, dazu Getreide, Obst, Käse, Butter, Brot, Wein und Bier. Bis ins 19. Jahrhundert hat man das Vieh üblicherweise zur Weide in die Wälder oder auf Wiesen getrieben. Gras, Eichel- und Bucheckernmast waren für das Halten von Kühen und Schweinen unabdingbar. Kraftfutter, wie man es heute hat, stand noch lange nicht zur Verfügung. Da man die Viehweiden klimatisch bedingt nur zeitweise zur Verfügung hatte, musste man den Viehbestand zu Winteranfang stark verkleinern. So eröffnete das nun einsetzende kalte Wetter, das die Lagerung von Lebensmitteln begünstigte, eine fröhliche Schlachtzeit. An vielen Orten begannen und endeten zu Martini auch die Dienstverhältnisse des Gesindes sowie Pacht- und Zinsverhältnisse. Darum wurde der Martinstag auch als Zinstag bezeichnet. Mit Glück behielten Bauern und Bürger bei der Entrichtung ihrer Abgaben so viel zurück, dass sie sich und ihre Familien, ihr Gesinde und Vieh gut durch den Winter bringen konnten. Mitunter trafen sich nun die Gemeindemitglieder unter Führung ihres Gemeindevorstehers zur Besehung der Grenzen des Gemeindelandes. Nach der gemeinsamen Wanderung kam man zu einem fröhlichen Festessen zusammen. Diese Essen fanden also nicht nur in den Familien statt, wie später im Lutherhause. Als Festessen genoss man allerorten gerne eine Gans, mitunter aber auch Hammelbraten mit Erbsen und Bier und in reicheren Haushalten mit guten Beziehungen zu Fürstenhäusern, wie dem Luthers, auch mal einen Wildschweinbraten. Im anhaltischen Zerbst sollen Dienstherren mit ihren an Martini neu eingestellten Knechten eine Gänsekeule verzehrt haben.² Luther erwähnte 1530 in seiner Vermahnung an die Geistlichen, dass an St. Martin jeder (!) Hausvater mit seinem Hausgesinde eine Gans verspeiste. Hatte er genügend Geld, so kaufte er zum Essen auch noch Wein oder Met. Alle Essenden lobten den Heiligen, indem sie sich richtig satt aßen und tranken und fröhlich sangen.
Zum Fest gehörte ein guter Martinstrunk. Martinsminne nannte man den ersten Wein des Jahrgangs. Er wurde mitunter ausgiebig genossen. Die Martinsminne war ein willkommener Anlass, in fröhlichem Kreis zu trinken, manchmal wohl mehr, als es gut tat. Luther fand später immer wieder Gründe, sich gegen den in allen Bevölkerungsschichten stark verbreiteten Alkoholismus auszusprechen. Den Martinstrunk lehnte er als religiöses Brauchtum ebenso ab wie den seit dem 12. Jahrhundert in Deutschland überall beliebten Johannistrunk und den Bernhardstrunk. Zum Gedenken an Johannes den Täufer wurde ursprünglich den Gläubigen am 27. Dezember in den Kirchen geweihter Wein gereicht, den sie gerne zu Hause als Segenspender in Haus und Flur verwendeten. Den Bernhardstrunk hatten die Zisterzienser zum Gedenken an ihren Ordensgründer Bernhard von Clairvaux gerne am Morgen gereicht. Daraus entwickelten sich ausschweifende Gelage, die die Zisterzienser in den Ruf brachten, dem Alkoholismus zu frönen. Luther setzte anstelle dieser Trünke im kirchlichen Bereich die in der Bibel begründeten Freundschafts- und Abschiedstrünke. Der aus der Schweiz stammende Wittenberger Student Johannes Kessler hat über Luthers Zusammentreffen mit zwei Studenten am 3. März 1522 im Bären zu Jena berichtet. Danach nahm der berühmte Mann ein hohes Bierglas und sprach nach des Landes Brauch: Schweizer, trinken wir noch einen freundlichen Trunk zum Segen. Üblicherweise hätten alle drei aus dem gleichen Bierglase trinken müssen. Als Kessler jedoch nach dem Glase griff, zog Luther es zurück, nahm