Wenn eine Waffe eine Seele bekommt
Ein 15 Meter hoher Roboter stürzt aus dem All ins Meer, nicht weit entfernt von der amerikanischen Küste! Es sind die 1950er Jahre, Sputnik umkreist noch die Erde und im überall im Westen herrscht Angst vor der kommunistischen Sowjetunion. Der neunjährige Einzelgänger Hogarth trifft durch Zufall auf den gigantischen Blechmann, der sich als fühlendes, sanftes Metallwesen entpuppt. Hogarth bringt ihm nicht nur das Sprechen bei, sondern auch, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Das geht so lange gut, bis die US-Regierung in ihrer Kommunisten-Paranoia ein riesiges Militärarsenal gegen den Gigant aus dem All aufmarschieren lässt…
Regisseur Brad Bird („Die Unglaublichen“) hat erzählt, dass er bei seinem ersten Animationsfilm „Der Gigant aus dem All“ damals alles anders machen wollte, als es in Hollywood und speziell bei Disney üblich war: keine Prinzessinnen, kein Gesang, ein bedachteres Tempo, ernsthafte Themen. Dabei kam dem Filmemacher damals zu Gute, dass man bei Warner eh nicht so recht wusste, was man mit dem Projekt eigentlich anfangen soll. Also ließ man Bird einfach alle Freiheiten – zugleich sorgte das schlechte Marketing des Studios aber auch dafür, dass der Film bei seinem Kinostart kaum die Aufmerksamkeit bekam, die er als einer der besten Animationsfilme aller Zeiten eigentlich verdient gehabt hätte. Nun ist „Der Gigant aus dem All“ in einer neuen Signature Edition auf Blu-ray erschienen.
Nicht nur technisch (klassischer Zeichentrick wurde mit ersten Computeranimationen kombiniert) war der Film damals seiner Zeit voraus. Bird und sein Co-Autor Tim McCanlies haben das Skript (basierend auf Ted Hughes’ Roman „Der Eisenmann“) zudem auch auf ethische Probleme zugespitzt, die über das übliche Niveau von Kinderfilmen klar hinausgehen. Während die Handlung auf den ersten Blick durchaus Ähnlichkeiten mit Steven Spielbergs „E.T. – Der Außerirdische“ aufweist (ein Außerirdischer landet auf der Erde, wird vom Militär verfolgt und muss von kleinem Jungen gerettet werden), weicht Bird anschließend doch deutlich vom Spielberg-Vorbild ab, denn der Gigant ist hier eben keineswegs ein ganz und gar friedliches Wesen. Stattdessen muss er selbst feststellen, dass offenbar einst als Waffe konstruiert wurde. „Was passiert“, so hat Bird sich gefragt, „wenn eine Waffe eine Seele bekommt – und dann keine Waffe mehr sein will?“
Dieses essentielle Dilemma führt im Film zu einigen dramatischen, auch beängstigenden Szenen – und das Ende ist von einem todtraurigen Verlust gezeichnet. Erst die allerletzte Einstellung lässt wieder Hoffnung aufkommen – ob sensiblere Kinder bis dahin durchhalten können, ist da nicht garantiert. Dabei ist gerade für sie dieser Film sonst bestens geeignet: Weil er sich mit seinem nachdenklichen Tempo, seinem eigenen Rhythmus die Zeit nimmt, seine Welt zu zeigen und zu entwickeln, weil er keine Abfolge von Show- und Gesangsnummern ist, ohne je einen Gang runterzuschalten. Es geht um große Fragen, um Moral und Politik, um Angst vor dem Fremden, um Vertrauen und Mut. Es geht um große Gefühle und deshalb ans Eingemachte. Und so nostalgisch das Setting und die Figuren auch präsentiert sein mögen: Die Themen von „Der Gigant aus dem All“ sind in den vergangenen 17 Jahren definitiv nicht weniger aktuell geworden.
Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.