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Rapunzel - Neu verföhnt – Kritik

Ein altes Märchen, zur Kenntlichkeit entstellt: Disney bietet eine äußerst kurzweilige Variation auf das Grimm’sche Märchen mit viel Haar, Musik und Humor.

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Es ist eine alte Geschichte, und ist doch immer neu: Wenn sich die Produktionsmaschinerie des Disney-Konzerns eines Märchens annimmt, dann hat man schnell das Gefühl, die Geschichte sei bis zur Unkenntlichkeit entstellt; oft genug, so sagt der erste Eindruck, bleiben vor allem in den jüngeren Animationsfilmen allein die eingängigsten, zwingendsten Merkmale der ursprünglichen Erzählung erhalten.

Dies ist auch der Eindruck, der sich bei Rapunzel – Neu verföhnt (Tangled) zunächst aufdrängt. In der Fassung der Brüder Grimm wird Rapunzel in einen Turm gesperrt, weil ihre Mutter Feldsalat (Rapunzeln) aus dem Garten einer Zauberin gestohlen hatte; der Aufstieg an ihren Haaren ist der einzige Weg hinein und hinaus. Weil sie sich in einen Prinzen verliebt, wird Rapunzel in die Wüste verbannt, der Prinz verliert sein Augenlicht, und er erlangt es erst wieder, als ihre Tränen seine blinden Augen benetzen.

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Von dieser Geschichte bleiben im Wesentlichen nur der Turm und die langen Haare enthalten (und später die Tränen), alles andere wirkt verschoben und verändert. Drehbuchautor Dan Fogelman hat dem Märchen vor allem die Geschichte um eine magische Blume eingeflochten. Diese wird von der Zauberin Gothel eifersüchtig behütet, da sie ihr ewige Jugend ermöglicht; als nun die Zauberkraft der Blume aber dazu verwendet wird, die hochschwangere und schwerkranke Königin zu retten, geht die Kraft auf das Haar der neugeborenen Prinzessin über. Also stiehlt Gothel das Kind, sperrt sie in den Turm – und nie, nie darf das Haar geschnitten werden, sonst ginge der Zauber verloren.

Rapunzel – Neu verföhnt stellt die Haare seiner Hauptfigur gleich vielfach in den Mittelpunkt. Sie sind nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Handlung, sie fungieren auch als Mittel der Fortbewegung, als Waffe und Schauwert. Denn die junge Dame hat sich in den fast 18 Jahren ihrer Gefangenschaft eine außerordentliche Beherrschung ihrer Haarpracht angeeignet und setzt sie als fünfte Extremität ein, als Teleskoparm und für den Schwung über waghalsige Abgründe, als Ganzkörperfessel und als Stolperfalle.

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Natürlich ist das auch eine Gelegenheit fürs Studio, den technischen und ästhetischen Stand der eigenen Arbeit auszustellen; gut animierte Haare sind in der Computeranimation schon immer ein mühsames Geschäft und Statussymbol gewesen. So gibt es hier auch – obwohl man nie nach fotorealistischen Bildern strebt – überhaupt nichts zu meckern. Außerdem wuchern die Regisseure Nathan Greno und Byron Howard, der mit Autor Fogelman schon bei Bolt – Ein Hund für alle Fälle (Bolt, 2008) zusammengearbeitet hatte, mit den visuellen Pfunden des Films am schönsten dann, wenn sie treffende Bilder für Momente finden, die jedes Wort zu viel zerreden würde – die Trauer von Rapunzels Eltern um ihre verschwundene Tochter etwa, oder ein romantischer Moment auf dem See …

In solchen Momenten meint man die lenkende Hand von Pixar-Urgestein John Lasseter zu ahnen, der als ausführender Produzent beteiligt war. Wie man es auch von Pixar kennt, schreitet in Rapunzel – Neu verföhnt die Handlung trotz einiger Tanz- und Gesangseinlagen flott voran. Die ungeschriebene Disney-Regel, dass es mindestens eines seltsamen Tieres als Sidekick bedarf, greift allerdings auch hier. So findet sich auf Rapunzels Schulter meist ein schweigsames, gleichwohl sehr ironisches Chamäleon, und als Reittier bietet sich das Pferd Maximus von der Palastwache an, dessen strenge Blicke vor allem der ungebremsten Selbstgewissheit der männlichen Hauptfigur Paroli bieten sollen. Dieser Flynn Ryder, Dieb und Möchtegernschwerenöter, befindet sich nämlich nach Entwendung des prinzesslichen Diadems auf der Flucht und landet ausgerechnet in Rapunzels Turm, wo er zum widerstrebenden Komplizen ihres Ausbruchs wird.

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Denn Rapunzel, die das entlegene Gemäuer noch nie verlassen hat, strebt kurz vor ihrem 18. Geburtstag in die Welt hinaus – und die Flucht mit Flynn ist Metapher gleich auf mehreren Ebenen: Nicht nur werden Erwachsenwerden und Selbstfindung hier im Zeitraffer durchgespielt und die Trennung von (Zieh-)Mutter und Bindung an den (natürlich am Ende auch) Liebespartner gleich mit vollzogen; die Erzählung von Vertrauen, Verrat und Erlösung ist auch durchdrungen von sexuellen Motiven, die für den familienfreundlichen Disney-Kosmos freilich überkodiert und entschärft sind.

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Disneys Rapunzel ist eine durchaus selbstbewusste Prinzessin, und der offensichtliche Widerspruch zwischen ihrer jahrelangen Gefangenschaft und ihrem meist sehr souveränen Auftreten wird nie thematisiert (dass sie sich gelegentlich ziert und zweifelt, wird eher für komische Zwecke eingesetzt). Eigenartigerweise aber schiebt der Film sie in die zweite Reihe der Erzählung. Stattdessen ist es Flynn, dessen Abenteuer den größten Raum einnehmen. Diese Verschiebung wirkt wie ein gezielter Versuch, das vor allem weiblich gedachte (Kinder-)Publikum eines solchen „Prinzessinnenfilms“ um die Masse der vermeintlich oder tatsächlich mehr an Abenteuern interessierten Jungen zu vergrößern.

Dass dies den Filmemachern nur über den Rückgriff auf sehr traditionelle Geschlechterrollen – sie abwartend, geduldig und aufopferungsvoll, er mutig, voranstrebend und etwas zu laut – möglich schien, ist die große Schwäche eines sonst sehr unterhaltsamen Familienstreifens. Gerade nach der Diskussion über Ethnie und Geschlecht, die sich vor allem in den USA an Disneys „Froschkönig“-Adaption Küss den Frosch (The Princess and the Frog, 2009) entzündet hatte, hätte man von Disney mehr erwarten können. So landet der Film schließlich, bei größtmöglicher Entfernung vom Märchen an der Oberfläche der Erzählung, über ein wenig ungefährlichen „Gender Trouble“ doch wieder bei ganz alten Stereotypen.

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Trailer zu „Rapunzel - Neu verföhnt“


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Kommentare


Astrofee

Sehr schöner Film habe ihn mit meinen Enkelkindern gesehen, kann ich nur empfehlen.






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