Der Sohn von Rambow – Kritik
Garth Jennings macht komplexes Kinderkino mit subtilem Wumms: Als Sohn von Rambow rettet ein kleiner Junge seinen Filmhelden, seinen besten Freund und womöglich sich selbst.
Keine Frage, Der Sohn von Rambow (Son of Rambow) ist ein Film, den man seinen Kindern auf keinen Fall zeigen möchte. Was, wenn sie anfingen, die halsbrecherischen Stunts der beiden etwa elfjährigen Protagonisten im wirklichen Leben nachzustellen – zum Beispiel die Wilhelm-Tell-Szene samt funktionsfähiger Armbrust? Und befürwortet der Film nicht auch den Abschuss von Vögeln mittels Luftpistole?
Gleichwohl ist dies genau der Film, von dem man unbedingt möchte, dass die eigenen Kinder ihn sehen – denn so komplex und zartfühlend, so witzig und geduldig erscheinen ihre Altersgenossen im Kino nur selten.
Als Will Proudfoot (Bill Milner), der einer fundamentalchristlichen Gemeinde angehört, die Fernsehen verbietet, eines Tages auf dem Flur warten muss, während seine Klasse sich einen Lehrfilm anschaut, trifft er dort auf Lee Carter (Will Poulter), der gerade – wieder einmal – als Störer vom Unterricht ausgeschlossen wurde. Kurz darauf geht ein Aquarium zu Bruch und für die beiden grundverschiedenen Jungen beginnt damit eine seltsame Freundschaft.
Will ist ehrlich und ohne jeden Argwohn seinen Mitmenschen gegenüber. Lee ist ein notorischer Lügner und stiehlt zudem geradezu zwanghaft, wenn auch wohl vor allem aus Langeweile. Sein Traum ist es, einen Film bei einem großen Wettbewerb für Nachwuchsregisseure einzureichen, und in Will hat er einen Partner mit nie nachlassender Begeisterung und nicht immer ganz unschuldiger Phantasie gefunden. In dessen Tagträumen drehen neben fliegenden Hunden auch Jagdflugzeuge ihre Kreise und wühlen Getreidefelder mit Maschinengewehrfeuer auf. Leider feiern Kinderfilme viel zu selten die kreative Kraft kindlicher, anarchischer Lust an Explosionen und Zerstörung.
Der Sohn von Rambow – so heißt auch das Filmprojekt, das die beiden Jungen verfolgen – bezieht seinen Titel natürlich von der von Sylvester Stallone verkörperten Filmfigur Rambo aus First Blood (Rambo: First Blood, 1982). Als illegaler Mitschnitt aus dem Kino ist dies der allererste Film, den der bis dahin ohne Kino und Fernsehen aufgewachsene Will zu sehen bekommt, und er beeindruckt ihn nachhaltig.
In ihrer Nachahmung von Rambos Abenteuern – Will spielt Rambos Sohn, der seinen gealterten Vater aus der Gefangenschaft retten will, was für eine sehr komische Szene in einem Altersheim sorgt – interessieren sich die beiden Jungen weniger für das doch sehr eingeschränkte Männlichkeitsbild von First Blood oder Rambos Konfliktlösungsstrategien. Vielmehr fasziniert sie das Abenteuer und die Möglichkeit, mit ihrem Film etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, das die Grenzen ihres bisherigen Lebens durchbricht. Damit wird die allzu schlichte Furcht, Kinder könnten das, was sie im Kino oder im Fernsehen sehen, zu sehr für bare Münze nehmen, eindrucksvoll entkräftet. Stattdessen zeigt die Coming-of-Age-Story, wie die Protagonisten mit ihrer Begeisterung und durch ihre wachsende Freundschaft hindurch erwachsener werden. Will verliert ein Gutteil seiner Unschuld, wird dafür aber abgeklärter und welterfahrener, während Lee vor allem beginnt, anderen Menschen zu vertrauen. Zum stehlen kommt er gar nicht mehr, dazu ist er viel zu beschäftigt.
Drehbuchautor Garth Jennings lässt keine großen Reden schwingen, sondern vermittelt seine Themen über die Geschichte und über die Entwicklung der Figuren; als Regisseur vertraut er sich zudem seinen beiden großartigen Hauptdarstellern an. Wenn man dann die Begeisterung sieht, mit der sich Will an einem Seil auf einen See hinaus schwingt, obwohl er nicht einmal schwimmen kann, versteht man sofort, was diese Jungs bewegt.
Schließlich beschäftigt sich Der Sohn von Rambow doch noch mit der Frage nach Männlichkeit, was angesichts des großen Hintergrundthemas – die ersten Schritte zweier Jungs in ein selbständiges Leben – nur konsequent erscheint. Ausgangspunkt dafür ist allerdings nicht der Film, den die beiden drehen, sondern es sind die männlichen Vorbilder in ihrem Leben: Beider Väter sind abwesend oder tot; Lee wird stattdessen von seinem großen Bruder erzogen, der ihn allerdings gerne für niedere Dienste und fürs Frühstückmachen einspannt. Für Will hingegen fühlt sich außer seiner Mutter Mary (Jessica Stevenson) noch Brother Joshua (Neil Dudgeon) aus der Gemeinde zuständig, der zudem ein Auge auf Mary geworfen hat.
Joshua pocht auf die Einhaltung der Regeln, die die Gemeinschaft aufgestellt hat. Dazu gehört wie selbstverständlich, dass sich Frauen den Männern unterzuordnen haben und so gut wie alle Sinnenfreuden und Genüsse verboten sind. Jede Abweichung vom erwünschten Verhalten wird mit strengen Strafen bis hin zum Ausschluss geahndet. Dass sich Wills Filmprojekt gleich aus mehreren Gründen nicht mit diesen Regeln vereinbaren lässt, liegt auf der Hand, und der Konflikt, der dadurch heraufbeschworen wird, lässt natürlich nicht lange auf sich warten.
Während christliche Sekten wie die hier dargestellte im anglo-amerikanischen Raum wesentlich verbreiteter sind, wird einem jugendlichen deutschen Publikum dieser religiöse Kontext vermutlich befremdlich oder unverständlich erscheinen. Das verhindert allerdings das Verständnis des Films ebenso wenig wie das hübsche Panorama der 1980er Jahre, das Der Sohn von Rambow in Ausstattung und Sets zum Besten gibt.
Und Überraschungen bietet selbst das Ende des Films noch: Dann werden nicht nur die Kinder, sondern auch fast alle Erwachsenen und die Zuschauer etwas dazugelernt haben.
Trailer zu „Der Sohn von Rambow“
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