Cybersecurity

    „Pauschales Verbot wäre wenig zielführend“

    Dr. Marcus Bollig, VDA-Geschäftsführer Produkt & Wertschöpfung, über die Notice of Proposed Rulemaking (NPRM) „Connected Vehicles“, die neue Regelungen für Hersteller von vernetzten Fahrzeugen und Fahrzeugkonnektivitätssystemen vorsieht

    Dr. Marcus Bollig, VDA-Geschäftsführer Produkt & Wertschöpfung, über die Notice of Proposed Rulemaking (NPRM) „Connected Vehicles“, die neue Regelungen für Hersteller von vernetzten Fahrzeugen und Fahrzeugkonnektivitätssystemen vorsieht

    28. Oktober 2024

    Die US-Regierung plant, bestimmte Komponenten, die zum vernetzten und automatisierten Fahren benötigt werden und in China, Russland und weiteren Ländern hergestellt werden, vom amerikanischen Markt zu verbannen. Ziel der Regulierung ist es, langfristig Cyber- und Sabotageangriffe auszuschließen. Dabei geht es vor allem um Hard- und Softwarekomponenten, die durch Missbrauch gefährdet werden könnten. In der kürzlich veröffentlichten Notice of Proposed Rulemaking (NPRM) hat sie ihre Vorstellungen über die Regelung konkretisiert und für Stellungnahmen freigegeben. Welche Auswirkungen könnten die Maßnahmen auf die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie haben?

    Welche Veränderungen und Verbote beinhaltet der aktuelle Gesetzesentwurf?

    Dr. Marcus Bollig: Der NPRM „Connected Vehicles“ führt umfangreiche neue Anforderungen für Hersteller von vernetzten Fahrzeugen und von Fahrzeugkonnektivitätssystemen ein. Die aktuelle Fassung lässt dabei noch gravierende definitorische Unklarheiten offen, so dass sich die Regulatorik wie ein pauschales Verbot bestimmter Fahrzeugkomponenten auswirken könnte. Das wäre natürlich wenig zielführend. Heute existieren bereits Standards und bewährte Verfahren für die Cybersicherheit bei der Typgenehmigung, die zur Minderung von Cyberrisiken führen und von Fahrzeugzulieferern und Erstausrüstern gleichermaßen angewendet werden.

    Und was würde das neue Gesetz bedeuten? Ganze Lieferketten müssten kurzfristig umgestellt werden, und innerhalb der genannten Fristen – laut NPRM bis zum Jahr 2027 für Software (Modelljahr 2027), bis zum Jahr 2030 für Hardware – ist das schlichtweg nicht leistbar. Solche kurzen Übergangszeiten bergen sogar Gefahren. Möglich wären nicht nur Einbußen im Fahrkomfort. Auch Sicherheitsfeatures für vernetztes Fahren wären möglicherweise nicht zeitnah verfügbar – und dies könnte das Risiko für Verkehrsunfälle erhöhen. Wichtig wäre zudem, dass Fahrzeuge, die sich derzeit in laufender Produktion befinden, zugelassen werden dürfen – obwohl sie den Anforderungen der NPRM nicht entsprechen.

    Sind die Bedenken gegenüber bestimmten Staaten gerechtfertigt – und was unternimmt der VDA, um Cybersicherheit zu gewährleisten?

    Dr. Marcus Bollig: Die deutsche Automobilindustrie verfolgt einen proaktiven Ansatz beim Schutz ihrer Fahrzeuge. Komponenten werden „auf Herz und Nieren“ geprüft, bevor sie zugelassen werden. Auch darüber hinaus finden regelmäßige Sicherheitschecks statt, um nicht nur mit der Entwicklung im Bereich Cybersecurity schritthalten zu könnten, sondern auch, um etwaige Schwachstellen zu antizipieren. Ziel ist es, Cyberangriffe zu verhindern, potenzielle Bedrohungen zu entschärfen und vor allem Fahrzeuge vor unbefugtem Eindringen durch externe Stellen zu schützen.

    Zentral ist hierbei die UNECE Regulierung 155 der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen, die die Einführung eines Cybersecurity Management Systems (CSMS) vorschreibt. Erst wenn dieses nachgewiesenermaßen funktioniert, erhält ein Fahrzeug die Typgenehmigung für die Straße. Höchste Sicherheit zu gewährleisten, liegt im ureigenen Interesse der Automobilindustrie. Unser Fokus liegt darauf, maximale Sicherheit im Fahrzeug und auf der Straße zu gewährleisten – und das regelt sich nicht allein dadurch, dass wir Komponenten aus bestimmten Ländern verbannen.

    Welche Nachteile könnten die Verbote für Deutschland und die Verbraucherinnen und Verbraucher bringen?

    Dr. Marcus Bollig: Aufgrund des Grades internationaler Vernetzung beträfe ein solches Verbot auch den Exportstandort Deutschland und Europa. Höhere Kosten und mögliche Verzögerungen bei der Produktion von Fahrzeugen auf dem US-Markt könnten sich nachteilig auf die Kundinnen und Kunden auswirken. Parallele Produktionskapazitäten aufzubauen könnte die technologische Entwicklung verlangsamen. Grundsätzlich gilt: Je stärker Synergien durch internationalen Handel ausgeschöpft werden können, desto eher profitieren alle davon – ganz besonders die Kundinnen und Kunden.

    Bedeutet dies, dass die deutsche Automobilindustrie nun unterschiedliche Lösungen für unterschiedliche Märkte entwickeln muss?

    Dr. Marcus Bollig: Die Automobilindustrie stellt sich dem Wettbewerb und den Anforderungen des jeweiligen Marktes. Es gilt aber auch: Jede Abkehr von internationalem, freien Handel bringt Nachteile in Bezug auf Effizienz, Entwicklung und auch Kosten mit sich. Deswegen ist es so wichtig, gemeinsame Standards beizubehalten.

    Aus der Regelung resultierende Hardware- und Softwarevarianten der Fahrzeuge werden zusätzliche Entwicklungsaufwände generieren. Dies wird letztendlich zur Reduzierung der Synergien einer weltweit einheitlichen Technik und zu Kostensteigerungen für die Kundinnen und Kunden führen.

    Die deutsche Automobilindustrie ist auf dem amerikanischen Markt überaus präsent – und die Handelsbeziehungen sind stark. In den Vereinigten Staaten von Amerika beschäftigt sie 138.000 Mitarbeitende. Etwa jedes elfte in den USA produzierte Fahrzeug der Kategorie Light Vehicles trägt das Logo einer deutschen Marke. Die Produktion der deutschen OEMs wuchs 2023 um zehn Prozent und damit stärker als die Gesamtproduktion mit einem Anstieg von fünf Prozent. Die Exportquote der deutschen OEMs in den USA liegt bei 51 Prozent.

    Wie sehen die nächsten Schritte aus und was unternimmt der VDA?

    Dr. Marcus Bollig: Der VDA hat gegenüber der amtierenden US-Regierung verdeutlicht, wie wichtig vor allem Klarheit in der Gesetzgebung sowie angemessene Übergangszeiten sind. Zudem sollten doppelte Regulierungen vermieden werden. Ungeachtet dessen engagiert sich die deutsche Automobilindustrie weiterhin für maximale Sicherheit in Fahrzeug und Verkehr – und ein starkes transatlantisches Bündnis.

    Produkt & Wertschöpfung

    Dr. Marcus Bollig

    Geschäftsführer

    Cybersecurity & Wirtschaftsschutz

    Martin Lorenz

    Abteilungsleiter und Fachgebietsleiter