Gayby Baby (2015)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Love makes a family

Kinder großzuziehen ist kein Sonntagsspaziergang. Es ist mehr eine lange, lange Wanderung, mal gemütlich, mal in Eile, über grüne Wiesen und unwegsames Gelände, an Bergbächen ebenso vorbei wie durch Geröllwüsten. Sie braucht deine ganze Kraft. Durch sehr wechselnde Wetterverhältnisse, mit Begleiterinnen und Begleitern, die sich gelegentlich sehr dickköpfig verhalten und im Wesentlichen sowieso vorgeben, in welche Richtung es zu gehen hat. Und nebenbei hast du noch Angst vor Naturkatastrophen, auf die du absolut keinen Einfluss hast.

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So ist das: ein Abenteuer, eine ungewisse Reise, ein Wagnis, die wunderbarste Sache der Welt. Jedenfalls, wenn du deine Kinder ernst nimmt, wenn du sie fördern willst und behüten, wenn du sie, mit einem altmodischen Wort, liebst – so wie das praktisch die allermeisten Eltern auch tun. Als Vater erlebe ich es, höre Geschichten von anderen Leuten – und bin dankbar, dass wir bisher nur kleine, gewissermaßen handliche Krisen zu meistern hatten.

Der Dokumentarfilm Gayby Baby zeigt im Grunde genau das: Kinder begleiten ins Leben hinaus. Vier Kinder zwischen elf und zwölf Jahren, schon so alt, dass sie von der Welt Begriffe und Verständnis haben, auch Ahnungen von Grausamkeiten und Komplexität. Sie sind nicht mehr ganz Kinder und noch nicht einmal Teenager, suchen aber schon ihre eigenen Positionen. Ihre Geschwister lieben sie und streiten sich mit ihnen, ihre Eltern sind noch Fixsterne und doch jemand, von dem man sich abgrenzt.

Und aus der Sicht der Kinder, mit dem Blick eines Vaters, sieht man, was dahinter noch steckt. Wie Ebonys Eltern versuchen, ihrer Tochter zuzusprechen, die unbedingt an die „School for the performing arts“ möchte – sie singt so gerne, ist aber unsicher. Sie unterstützen sie, würden extra für diese Schule auch umziehen; und sorgen sich zugleich um Ebonys jüngsten Bruder, der unter Epilepsie leidet und dessen Anfälle einfach nicht besser werden wollen. Oder wie der elfjährige Gus mit seiner Mutter diskutiert, warum er Wrestling toll findet und warum er unbedingt einmal bei einem Match live dabei sein möchte – und tapfer argumentiert er gegen sie an, wenn sie sagt, wie sehr sie das Bild von Männlichkeit irritiert, das diese Sportler ausstrahlen. In der Drogerie probiert Gus auch schon mal Lippenstift aus, bis die Verkäuferin ihn verjagt, seiner kleinen Schwester bringt er „John Cena“ und „The Undertaker“ bei, die (Spitz-)Namen bekannter Wrestler.

Oder Graham, der mit fünf Jahren adoptiert wurde, erst mit sieben Jahren richtig sprechen konnte und nun in der Schule Mühe hat, zu schreiben und vorzulesen. Seine Eltern arbeiten geduldig mit ihm darauf hin, dass ihm eine Präsentation gelingt, er selbst übt das Vorlesen noch nachts unter der Bettdecke. Was mit ihm und seinem Bruder vor der Adoption geschehen ist – man kann es nur erahnen. Und schließlich Matt, 12, der mit dem Glauben seiner Mutter hadert, weil diese doch nach der Bibel in Sünde lebe. Und der schließlich mit seiner Familie die damalige australische Premierministerin Julia Gillard trifft, weil diese doch glaubt, dass seine Eltern nicht heiraten dürften. Wait, what?

Man verzeihe mir die billige Pointe. Gayby Baby beschreibt, das ist sein Thema, das Leben von Kindern in „Regenbogenfamilien“, wie man das hierzulande nennt: Ihre Eltern sind schwul oder lesbisch, zwei Frauen oder zwei Männer. Regisseurin Maya Newell schaut aber nicht auf die politische Diskussion, sondern auf das Leben und das Denken der Kinder. Und es geht nicht um die ziemlich dämliche Frage, ob Kinder homosexueller Eltern unbedingt auch homosexuell werden (nein), sondern darum, wie diese Kinder aufwachsen. Nämlich mit Eltern, die so liebevoll und aufmerksam, überfordert und überglücklich, so unvollkommen und menschlich sind, wie es Eltern eben sind.

Für die Kinder, das macht der Film deutlich, ist die sexuelle Orientierung ihrer Eltern eigentlich allenfalls dann ein Problem, wenn sie mit der Außenwelt konfrontiert werden. Der Film beginnt auch mit einer Tonmontage aus vielen Stimmen, die sich alle gegen gleichgeschlechtliche Elternschaft aussprechen – aber das Thema taucht dann lange nicht mehr auf.

Hochgradig politisch ist es allerdings schon – und mit den Fragen von künstlicher Befruchtung, Leihmutterschaft, Stiefkindadoption bzw. gemeinsamer Adoption womöglich noch emotionaler besetzt als etwa die Frage nach einer Öffnung der Ehe für alle, also auch für homosexuelle Paare. Und es ist eine Frage, die persönlich trifft – nicht von ungefähr wurde Newells Film wesentlich über eine enorm erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne finanziert.

Gayby Baby bleibt auch filmisch sehr nahe an seinen Subjekten: Die Kinder sind immer im Fokus, und selbst in der Auseinandersetzung mit ihren Eltern fühlt man sich auf Seite der Heranwachsenden. Das ist eine sowohl ästhetische wie auch politische Entscheidung. Nur so lässt sich die Perspektive, die Wahrnehmung der Kinder wirklich ernst nehmen und lassen sich zugleich durch ihre Augen die Sorgen und Mühen der Eltern abbilden.

Am Schluss wird Gus mit seiner Mutter und sehr großen Augen einem Wrestling-Event beiwohnen, wird für Ebony, Matt und Graham vieles, aber eben nicht alles gut. Aber wem nicht Tränen von Glück und Mitgefühl in die Augen steigen, wenn er diesen Kindern zusieht, hat Elternschaft nicht begriffen. Wer dann immer noch glaubt, diese Familien seien weniger wertvoll oder hätten weniger das Recht, einander zu lieben und füreinander da zu sein als andere Familien, hat keine Augen, keine Ohren, kein Herz.
 

Gayby Baby (2015)

Kinder großzuziehen ist kein Sonntagsspaziergang. Es ist mehr eine lange, lange Wanderung, mal gemütlich, mal in Eile, über grüne Wiesen und unwegsames Gelände, an Bergbächen ebenso vorbei wie durch Geröllwüsten. Sie braucht deine ganze Kraft. Durch sehr wechselnde Wetterverhältnisse, mit Begleiterinnen und Begleitern, die sich gelegentlich sehr dickköpfig verhalten und im Wesentlichen sowieso vorgeben, in welche Richtung es zu gehen hat.

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Meinungen

Mamsita · 04.05.2016

Sehr schönes Schlusswort! Muss ich sehen, den Film, sonst noch nichts davon gehört!